KAPITEL DREI

2118 Words
KAPITEL DREI Als Riley ihr eigenes eher bescheidenes Auto hinter dem BMW parkte, wusste sie schon, dass die Atmosphäre in ihrem Haus gleich eine sehr unangenehme sein würde. Sobald der Motor aus war, schnappte April die den Waffenkoffer und wollte aussteigen. „Lass die lieber erstmal hier“, sagte Riley. Sie wollte die Waffe auf gar keinen Fall dem unerwünschten Besuch erklären müssen. „Wahrscheinlich hast Du Recht“, antwortete April und schob die Box unter den Sitz. „Und denk dran –– kein Wort zu Jilly“, ermahnte Riley. „Ich weiß“, erwiderte April. „Sie hat aber bestimmt schon bemerkt, dass Du was für mich besorgt hast und wird neugierig sein. Naja, am Sonntag bekommt sie ja ein eigenes Geschenk von Dir, spätestens da wird sie’s vergessen haben.“ Was für ein eigenes Geschenk? überlegte Riley. Dann kam es ihr –– am Sonntag hatte Jilly Geburtstag. Riley fühlte, wie ihr Gesicht rot wurde. Sie hatte fast vergessen, dass Gabriela eine Familienfeier für Sonntagabend geplant hatte. Außerdem hatte sie Jilly noch kein Geschenk besorgt. Vergiss das bloß nicht! ermahnte sie sich streng. Riley verriegelte das Auto und April und sie gingen ins Haus. Wie erwartet saß der Besitzer des Luxusautos –– Riley’s Ex-Mann –– im Wohnzimmer. Jilly saß ihm in einem Sessel gegenüber und ihre steinerne Miene verriet, dass sie nicht im Geringsten erfreut über seinen Besuch war. „Was tust Du hier, Ryan?“, fragte Riley. Ryan wandte sich zu ihr mit dem charmanten Lächeln, dass schon so oft ihre Entschlossenheit ihn endgültig aus ihrem Leben zu verbannen gedämpft hatte. Verdammt, er sieht genauso gut aus wie immer, dachte sie. Sie wusste allerdings, dass er viel Zeit dafür aufwandte um so auszusehen, und dass er viele Stunden im Fitnessstudio verbrachte. Ryan entgegnete: „Hey, ist das etwa wie man Familie begrüßt? Ich bin doch immer noch Teil der Familie, oder?“ Für einen Augenblick sprach niemand. Die Stimmung was spürbar angespannt und Ryans Gesicht verzog sich zu einer Miene von Enttäuschung. Riley fragte sich, welche Art von Begrüßung er erwartet hatte. Er hatte sie alle seit drei Monaten nicht einmal besucht. Bevor er verschwand, hatten sie versucht wieder zueinander zu finden und er hatte einige Monate mehr oder weniger mit ihnen zusammengelebt. Er zog jedoch nie wirklich richtig ein. Er hatte das schöne, große Haus behalten, wo Riley, April und er einst zu dritt wohnten. Das war vor ihrer Trennung und der Scheidung. Die Mädchen waren froh gewesen ihn da zu haben –– bis er Interesse verlor und wieder einmal verschwand. Das hatte die Mädchen sehr verletzt. Und nun war er wieder da, aus dem nichts und ohne Vorwarnung. Die Stille stand weiterhin im Raum. Dann verschränkte Jilly die Arme und blickte ihn düster an. Sie drehte sich zu Riley und April und fragte: „Wo wart ihr beiden denn überhaupt?“ Riley musste schlucken. Sie hasste es Jilly anzulügen, aber das war sicherlich der denkbar schlechteste Moment ihr über Aprils Pistole zu erzählen. Glücklicherweise sagte April schnell: „Wir mussten bloß was erledigen.“ Ryan schaute zu April. „Hey Süße“, sprach er sie an, „bekomme ich nicht mal eine Umarmung?“ April machte keinen Augenkontakt. Sie stand einfach nur da und trat von einem Fuß auf den anderen. Endlich sagte sie mürrisch: „Hi, Daddy.“ Sie sah aus, als würde sie gleich losweinen und drehte sich um, um die Treppen zu ihrem Zimmer hoch zu trotten. Ryan’s Mund stand offen. “Was war denn das?”, fragte er. Riley setzte sich auf die Couch und überlegte, wie sie sich in der Situation nun am besten verhalten sollte. Sie fragte erneut: „Was tust Du hier, Ryan?“ Ryan zuckte mit den Schultern. „Jilly und ich unterhalten uns gerade über ihre Schulaufgaben –– jedenfalls versuche ich sie dazu zu bringen, mir etwas über ihre Schulaufgaben zu erzählen. Haben sich ihre Noten verschlechtert? Ist es das, was sie mir nicht erzählen möchte?“ „Meine Noten sind in Ordnung“, sagte Jilly. „Dann erzähl mir doch von der Schule, wieso sagst Du nichts?“, machte Ryan weiter. „In der Schule ist alles in Ordnung –– Mr. Paige“, antwortete Jilly. Riley zuckte und Ryan sah aus, als hätte ihn die Äußerung verletzt. Jilly hatte damit begonnen Ryan „Dad“ zu nennen, nicht lange bevor er verschwand. Davor hatte sie ihn „Ryan“ genannt. Riley war sich sicher, dass sie Jilly nie „Mr. Paige“ hatte zu ihm sagen hören. Jetzt drückte das Mädchen ihre Haltung ihm gegenüber sehr klar aus. Jilly erhob sich aus ihrem Sessel und sagte: „Wenn es allen Recht ist, ich habe noch Hausaufgaben.“ „Brauchst Du Hilfe dabei?“, versuchte es Ryan. Jilly ignorierte die Frage und stieg schwermütig die Treppen hinauf. Ryan schaute Riley mit einem verwundeten Gesichtsausdruck an. „Was ist hier los?“, wollte er wissen, „wieso sind die Mädchen so sauer auf mich?“ Riley seufzte bitter. Manchmal war ihr Ex noch genauso unreif wie sie es beide gewesen waren, als sie so jung heirateten. „Ryan, was in aller Welt hattest Du erwartet?“, fragte sie mit aller Geduld die sie in diesem Moment nur aufbringen konnte. „Als Du eingezogen bist waren die Mädels außer sich vor Freude dich einfach nur da zu haben. Besonders Jilly. Ryan, der Vater des armen Mädchens war ein gewalttätiger Säufer. Sie hat sich fast prostituiert nur um von ihm wegzukommen –– und sie ist erst dreizehn! Es hat ihr so viel bedeutet eine väterliche Figur wie dich in ihrem Leben zu haben. Verstehst Du nicht, wie zerstört sie gewesen sein muss, als Du einfach abgehauen bist?“ Ryan starrte sie bloß verwirrt an, als hätte er keinen blassen Schimmer wovon sie sprach. Aber Riley erinnerte sich nur zu gut daran, was er ihr damals am Telefon gesagt hatte. „Ich brauche Zeit für mich. Dieses ganze Familiending –– ich dachte, ich wäre bereit dafür, aber ich war es einfach nicht.“ Zu der Zeit schien er nicht besonders besorgt um Jilly. „Riley, Jilly war Deine Entscheidung. Ich bewundere Dich dafür. Aber ich habe mich nie freiwillig dafür gemeldet. Ein fremder Problemteenager ist zu viel für mich. Das ist einfach nicht fair.” Aber hier saß er nun und tat beleidigt, weil Jilly ihn nicht mehr “Dad” nennen wollte. Es machte Riley richtig wütend. Sie verstand zu gut, wieso die beiden Mädchen aus dem Zimmer gestürzt waren. Sie hätte es selbst ja liebend gern getan. Leider musste aber jemand den Erwachsenen in der Situation spielen, und da Ryan dazu offensichtlich nicht in der Lage war, musste sie den Job übernehmen. Bevor sie sich überlegen konnte, was sie als nächstes sagen sollte erhob sich Ryan aus seinem Sessel und setzte sich neben sie auf die Couch. Er streckte seine Hand aus, um die zu umarmen. Riley schubste ihn weg. „Ryan, was tust Du?“ „Was meinst Du denn was ich tue?“ Ryans Stimme klang nun amourös und verführerisch. Rileys Wut wuchs von Sekunde zu Sekunde. „Denk nicht mal dran“, sagte sie. „Wie viele Freundinnen bist Du denn schon durchgegangen, seitdem Du hier weg bist?“ „Freundinnen?“, fragte Ryan und versuchte offenbar überrascht zu klingen. „Du hast mich klar und deutlich gehört. Oder hast Du es etwa vergessen? Eine von ihnen rief hier ausversehen an, als Du noch hier rumhingst. Sie klang betrunken. Du sagtest, dass sie Lina hieß. Aber ich glaube kaum, dass Lina die letzte war. Wie viele kamen noch nach ihr? Weißt Du das überhaupt? Kannst Du Dich überhaupt an all ihre Namen erinnern?” Ryan antwortete nichts. Nun sah er beschämt aus. Alles macht auf einmal Sinn für Riley. Die gesamte Sache hatte sich schon mal ereignet und sie fühlte sich dumm, dass sie es nicht hatte kommen sehen. Ryan war gerade einfach ohne Freundin und dachte sich, dass Riley unter den Umständen schon den Zweck erfüllen würde. Die Mädchen interessierten ihn in Wirklichkeit gar nicht. Nicht einmal seine eigene Tochter. Sie waren nur ein Vorwand um mit Riley zusammenzukommen. Riley biss die Zähne zusammen. Sie stieß aus: „Ich denke Du gehst jetzt besser.“ „Wieso? Was ist denn? Hast Du gerade etwa jemanden?” „In der Tat, das habe ich.“ Nun sah Ryan ernsthaft überrascht aus, als könnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, wieso Riley an irgendeinem anderen Mann interessiert sein könnte. Dann sagte er: „Oh Gott, es ist nicht wieder dieser Koch, oder?“ Riley stieß ein wütendes Grollen aus. Sie sagte: „Du weißt ganz genau, dass Blaine ein Meisterchef ist. Du weißt, dass er ein sehr schönes Restaurant besitzt und dass seine Tochter Aprils beste Freundin ist. Er ist auch toll mit den Mädchen –– alles was Du nicht bist. Und ja, wir sind zusammen, und es wird langsam ziemlich ernst. Deshalb möchte ich jetzt wirklich, dass Du gehst. Ryan starrte sie einen Moment lang an. Endlich sagte er mit einer kalten Stimme: „Wir waren gut zusammen.“ Sie antwortete nichts. Ryan stand von der Couch auf und machte sich auf den Weg zur Tür. „Lass mich wissen, wenn Du Dich anders entscheiden solltest“, sagte er, als er das Haus verließ. Riley war versucht ihm hinterherzurufen… „Ich würde an Deiner Stelle nicht darauf zählen.“ …aber sie schaffte es, sich zurückzuhalten. Sie bleib einfach reglos sitzen, bis sie Ryans Auto davonfahren hörte. Dann atmete sie aus. Riley saß in der Stille und dachte über das, was vorgefallen war, nach. Jilly hat ihn „Mr. Paige“ genannt. Das war gemein, dennoch fand sie, dass Ryan es verdient hatte. Doch auch wenn es so war –– wie sollte sie auf diese Art von Härte in Jilly reagieren, was sollte sie zu ihr sagen? Dieses Muttersein-Ding ist schwer, dachte sie sich. Sie wollte gerade Jilly herunterrufen, um mit ihr über ihr Verhalten zu sprechen, als ihr Handy vibrierte. Der Anruf kam von Jenn Roston, einer jungen Agentin mit der sie an ihren letzten Fällen zusammengearbeitet hatte. Als Riley abnahm konnte sie die Angespanntheit in Jenns Stimme hören. „Hey Riley. Ich dachte mir, dass ich Dich anrufen sollte um…“ Es blieb still. Riley fragte sich, was Jenn bedrückte. Dann fing Jenn wieder an zu sprechen: „Hör mal, ich wollte nur Dir und Bill danken, dafür dass… Du weißt schon… als ich…“ Riley hätte beinahe unterbrochen… „Sprich nicht weiter. Nicht am Telefon.“ Glücklicherweise schwand Jenns Stimme und sie führte ihren Gedanken nicht zu Ende. Riley wusste auch so, wofür Jenn sich bei ihr bedankte. Während ihrem letzten Fall war Jenn für fast einen gesamten Tag eigenmächtig abwesend gewesen. Riley überredete Bill sie zu decken. Schließlich hatte Jenn Riley auch einmal in einer ähnlichen Situation gedeckt. Jedoch war Jenns Abwesenheit durch die Forderungen ihrer ehemaligen Pflegemutter bedingt, die dazu noch eine abgebrühte Kriminelle war. Jenn hatte ihre rechtmäßigen Pflichten vernachlässigt um ein Problem für „Tante Cora“ zu lösen. Riley wusste nicht genau, worum es sich gehandelt hatte. Sie hatte nicht gefragt. Sie hörte Jenns Stimme heiser werden. „Riley, ich habe nachgedacht. Vielleicht sollte ich einfach meine Dienstmarke zurückgeben. Was passiert ist, könnte wieder passieren. Und nächstes Mal ist es womöglich noch schlimmer. Ich glaube jedenfalls nicht, dass es vorbei ist.“ Riley spürte, dass Jenn ihr nicht den wahren Grund nannte. Tante Cora übt wieder Druck auf sie aus, dachte Riley. Es war kaum eine Überraschung. Wenn Tante Coras Griff fest genug war, konnte Jenn eine echte Insider-Ressource der FBI für sie darstellen. Riley dachte kurz nach… Sollte Jenn vielleicht wirklich aus dem Dienst scheiden? Aber sie kam schnell zum Schluss… Nein. Schließlich hatte Riley eine ähnliche Beiziehung zu einem Meisterverbrecher gehabt –– dem genialen entflohenen Häftling Shane Hather. Sie endete, nachdem Blaine Hatcher beinahe tödlich anschoss und Riley diesen festnehmen konnte. Hatcher war jetzt wieder in Sing Sing und hatte seitdem mit niemandem ein Wort gesprochen. Jenn wusste mehr als jemand anderes über Rileys Beziehung zu Hatcher, außer natürlich Hatcher selbst. Mit dieser Information wäre es Jenn ein Leichtes gewesen Rileys Karriere zu zerstören. Jetzt war es an der Zeit für Riley dieselbe Loyalität Jenn entgegenzubringen. Riley sagte: „Jenn, weißt Du noch, was ich Dir sagte, als Du das erste Mal mit mir darüber sprachst?“ Jenn blieb stumm. Riley fuhr fort: „Ich habe Dir gesagt wir werden das bewältigen. Du und ich, zusammen. Du kannst jetzt nicht aufgeben. Du hast zu viel Talent. Hörst Du?“ Jenn sagte weiterhin nichts. Stattdessen hörte Riley ein Biepen ihres Telefons, der sie über einen Zweitanruf informieren sollte. Ignorier es einfach, sagte sie sich. Das Biepen wiederholte sich. Rileys Bauchgefühl sagte ihr, dass der andere Anruf wichtig war. Sie seufzte. Sie wandte sich wieder an Jenn: „Hör mal, ich hab‘ einen anderen Anruf. Bleib dran, ok? Ich versuch schnell zu machen.” “Ok”, sagte Jenn. Riley wechselte zum anderen Anruf und hörte die grimmige Stimme ihres Teamchefs der BAU –– der Verhaltensanalyseeinheit –– Brent Meredith. „Agentin Paige, wir haben einen Fall. Es handelt sich um einen Serienmörder im Mittleren Westen. Ich will Sie in meinem Büro sehen.“ „Wann?“, fragte Riley. „Vor einer Stunde“, brummte Meredith. “Noch eher, wenn‘s geht.“ Riley konnte aus seinem Ton schließen, dass es sich wirklich um eine dringende Angelegenheit handelte. „Ich fahre sofort los“, antwortete sie. „Wer ist noch im Team?“ „Das können Sie entscheiden“, sagte Meredith. „Sie haben zusammen mit Agenten Jeffreys und Roston gute Arbeit im Fall Sandmann geleistet. Nehmen Sie die beiden, wenn Sie wollen. Und beeilen Sie sich gefälligst alle!“ Ohne ein weiteres Wort beendete Meredith den Anruf. Riley schaltete zurück zu Jenn. Sie sagte: „Jenn, Deine Dienstmarke wirst Du noch brauchen. Jedenfalls vorerst einmal. Ich brauche Dich für einen Fall. Wir treffen uns in Brent Merediths Büro. Und beeil Dich!“ Ohne auf eine Antwort zu warten, legte Riley aus. Während sie die Nummer ihres Partners, Bill Jeffreys, wählte dachte sie… Vielleicht ist ein neuer Fall genau was Jenn gerade braucht. Riley hoffte inständig, dass es so war. Gleichzeitig fühlte sie, wie ihre eigene Alarmbereitschaft stieg als sie ins Büro eilte. Sie fragte sich, worum es im neuen Fall ging.
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