PROLOG
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Als sie langsam wieder zu sich kam, spürte Reese Fisher, dass ihr ganzer Körper schmerzte. Ihr tat der Nacken weh und ihr Schädel pochte so, als würde er gleich explodieren.
Als sie die Augen öffnete, wurde sie sofort vom grellen Sonnenlicht geblendet. Sie presste die Augenlieder wieder fest zusammen.
Wo bin ich? dachte sie. Wie bin ich hierhergekommen?
Neben dem Schmerz verspürte sie auch eine kribbelnde Taubheit, besonders in den Gliedmaßen.
Sie versuchte ihre Arme und Beine zu bewegen um das Kribbeln loszuwerden, stellte jedoch fest das es unmöglich war. Sie konnte ihre Arme, Hände und Beine aus irgendeinem Grund nicht mehr bewegen.
Sie überlegte…
Hatte ich irgendeinen Unfall?
Vielleicht hatte sie ein Auto erfasst.
Oder vielleicht war sie aus ihrem eigenen Auto herausgeworfen worden und lag nun auf dem harten Asphalt.
Ihr Verstand schien keinen klaren Gedanken fassen zu können.
Wieso konnte sie sich an nichts erinnern?
Und wieso konnte sie sich nicht bewegen? War ihr Genick gebrochen oder so?
Nein. Sie spürte doch den Rest ihres Körpers. Sie konnte sich nur nicht bewegen.
Sie konnte auch die heiße Sonne auf ihrem Gesicht spüren und wollte ihre Augen deshalb nicht wieder öffnen.
Sie versuchte zu überlegen wo sie gewesen war und was sie gemacht hatte vor diesem…was auch immer das hier gerade war?
Sie erinnerte sich –– oder meinte sich erinnern zu können –– wie sie in Chicago in den Zug gestiegen war, wie sie einen guten Sitzplatz gefunden hatte und dass sie dann auf ihrem Weg zurück nach Hause nach Millikan gewesen war.
Aber war sie jemals in Millikan angekommen?
War sie aus dem Zug gestiegen?
Ja, meinte sie sich zu erinnern. Es war ein heller, sonniger Morgen am Bahnhof gewesen und sie freute sich auf den nicht mal zwei Kilometer langen Spaziergang nach Hause.
Doch dann…
Was?
Der Rest ihrer Erinnerung war unzusammenhängend, traumartig sogar.
Es war wie einer dieser Träume, in denen man sich in schrecklicher Gefahr befindet aber unfähig ist wegzurennen, unfähig sich überhaupt zu bewegen. Sie hatte sich wehren wollen, sich aus irgendeiner Gefahr befreien wollen, aber sie hatte es nicht gekonnt.
Sie konnte sich außerdem an jemandes bösartige Gegenwart erinnern –– ein Mann, dessen Gesicht sie sich nun beim besten Willen nicht mehr ins Gedächtnis rufen konnte.
Was hat er mit mir gemacht? fragte sie sich.
Und wo bin ich?
Sie merkte, dass sie zumindest ihren Kopf bewegen konnte. Sie drehte sich weg von der prallen Sonne und konnte sich endlich dazu bringen ihre Augen zu öffnen und sie auch offen zu halten. Zuerst bemerkte sie geschwungene Linien, die sich von ihr in die Ferne streckten. Doch in diesem Moment schienen sie irgendwie abstrakt und unbegreiflich.
Dann verstand sie, wieso ihr Nacken so schmerzte.
Er lag auf einem langen sich in die Ferne windenden Stück rötlichen Stahls, glühend heiß von der grellen Sonne.
Sie versuchte sich ein wenig zu winden und fühlte sogleich etwas spitzes und unebenes unter ihrem Rücken. Es fühlte sich an wie Schotter.
Nach und nach erkannte sie die abstrakten Linien und ihr wurde klar, was sie waren.
Trotz der Sonne wurde ihr ganzer Körper kalt, als sie es verstand.
Sie lag auf Eisenbahngleisen.
Aber wie war sie hierher gelangt?
Und wieso konnte sie sich nicht bewegen?
Sie zappelte und bemerkte, dass sie sich doch bewegen konnte, zumindest etwas.
Sie konnte sich winden, ihren Körper drehen und auch ihre Beine, obwohl sie die irgendwie nicht voneinander trennen konnte.
Die kribbelnde Taubheit die sie nicht vermocht hatte loszuwerden verwandelte sich nun zu Wallungen von Angst.
Sie war hier irgendwie angebunden –– gebunden an Eisenbahngleise, ihr Hals festgemacht am Gleis.
Nein, sagte sie sich. Das ist unmöglich.
Es musste einer dieser Träume sein –– ein Traum, in dem man unbeweglich und hilflos und in schrecklicher Gefahr ist.
Sie schloss ihre Augen wieder in der Hoffnung, dass der Alptraum weichen würde.
Doch plötzlich fühlte sie eine heftige Vibration in ihrem Nacken und ein Rumpeln erreichte ihre Ohren.
Das Rumpeln wurde immer lauter. Die Vibration wurde stechend stark und sie riss ihre Augen wieder auf.
Obwohl sie nicht sehr weit entlang der Gleise sehen konnte, wusste sie genau was die Quelle der Vibration war, dieses Crescendos an Lärm.
Es war ein nahender Zug.
Ihr Puls hämmerte in ihren Schläfen und der Terror schüttelte ihren gesamten Körper. Ihr Winden und Zappeln wurde verzweifelt und wild, blieb jedoch absolut vergeblich.
Sie konnte ihre Arme und Beine nicht befreien und sie konnte ihren Hals nicht vom Gleis losreißen.
Das Rumpeln war nun zu einem ohrenbetäubenden Donnern geworden und plötzlich kam er in ihr Sichtfeld…
…der rötlich-orangene Vorderteil einer riesigen Diesellokomotive.
Sie stieß einen Schrei aus –– einen Schrei der, wie sie selbst kurz registrierte, sich unnatürlich laut anhörte.
Dann begriff sie, dass es gar nicht ihr eigener Schrei war, den sie gehört hatte.
Es war der kreischend schrille Laut der Zugpfeife.
Nun fühlte sie eine komische Wut in sich hochkochen.
Der Lokführer hatte die Pfeife betätigt…
Warum zum Teufel hält er nicht einfach an?
Aber natürlich war das unmöglich –– jedenfalls nicht schnell genug bei seiner gegenwärtigen Geschwindigkeit.
Sie konnte ein fürchterliches Quietschen vernehmen als er den Versuch unternahm den Berg von Metall unter seiner Kontrolle zum Stehen zu bringen.
Die Lokomotive füllte jetzt ihr gesamtes Sichtfeld –– durch die Windschutzscheibe starrte ein paar Augen…
…Augen, die mit demselben Ausdruck von Horror schauten, den sie in ihrem Inneren verspürte.
Es war wie in einen Spiegel zu schauen–– jedoch wollte sie nicht sehen, was sie dort sehen konnte.
Reese Fisher schloss ihre Augen und wusste, dass sie es zum letzten Mal in ihrem Leben tat.