Gute Nacht, Fräulein Lisa!
Gute Nacht, Herr Quenu!
Eines Morgens ward der Onkel Gradelle, während er mit der Zubereitung einer Sülze beschäftigt war, vom Schlage gerührt. Er fiel mit der Nase auf den Tisch und war tot. Lisa verlor ihre Kaltblütigkeit nicht. Sie sagte, man dürfe den Toten nicht in der Küche lassen, und ließ ihn nach der Hinterstube schaffen, wo der Onkel zu schlafen pflegte. Dann vereinbarte sie mit dem Gehilfen eine ganze Geschichte; es mußte heißen, der Onkel sei in seinem Bette gestorben, wenn man nicht wolle, daß die Kundschaft einen Ekel bekomme und ausbleibe. Quenu half den Toten hineintragen und war ganz erstaunt darüber, daß ihm um den toten Oheim keine Träne kam. Später weinten er und Lisa zusammen. Er war nebst seinem Bruder Florent der einzige Erbe. Die Klatschbasen der benachbarten Straßen behaupteten, der alte Gradelle müsse ein ansehnliches Vermögen haben. In Wahrheit fand man nicht einen Taler. Lisa war unruhig. Quenu sah sie nachdenklich; vom Morgen bis zum Abend blickte sie umher, als ob sie etwas verloren habe. Endlich beschloß sie eine große Säuberung im Hause; man klatsche in der Nachbarschaft, sagte sie; die wahre Geschichte von dem Tode des Alten sei ruchbar geworden, und man müsse einen Beweis großer Reinlichkeit liefern. Als sie eines Nachmittags zwei Stunden im Keller gewesen, wo sie selbst die Pökelfässer ausgescheuert hatte, erschien sie plötzlich wieder und hielt etwas in der Schürze. Quenu hackte Schweinsleber. Sie wartete, bis er fertig war, und plauderte inzwischen ganz ruhig mit ihm. Nur ihre Augen schimmerten ganz ungewöhnlich, und sie hatte ihr schönstes Lächeln, als sie sagte, daß sie mit ihm sprechen wolle. Sie stieg mühsam die Treppe hinan, durch die Sache, die sie trug und die ihre Schürze zum Reißen spannte, am Gehen behindert. Im dritten Stockwerk angelangt, mußte sie sich einen Augenblick an das Geländer lehnen, um auszuschnaufen. Quenu folgte ihr erstaunt und ohne ein Wort zu sagen, in ihre Kammer. Es war das erstemal, das sie ihn einlud, daselbst einzutreten. Sie verschloß die Türe, ließ die Zipfel ihrer Schürze, die ihre starren Finger kaum mehr zu halten vermochten, los und schüttete einen Regen von Gold- und Silbermünzen auf ihr Bett hin. Auf dem Boden eines Pökelfasses hatte sie den Schatz des Onkels Gradelle gefunden. Der Haufe machte eine tiefe Grube in dem weichen Bett des jungen Mädchens.
Die Freude Lisas und Quenus war eine innige, geräuschlose. Sie setzten sich auf den Bettrand, Lisa zu Häupten, Quenu zu Füßen, zu beiden Seiten des Geldhaufens; und sie zählten das Geld auf der Bettdecke, um kein Geräusch zu verursachen.
Es waren vierzigtausend Franken in Gold, dreitausend Franken in Silber und – in einer Blechbüchse – zweiundvierzigtausend Franken in Banknoten. Es währte zwei Stunden, bis sie alles Geld zusammengezählt hatten. Quenus Hände zitterten ein wenig; Lisa mußte beim Zählen das Hauptwerk tun. Sie richteten die Goldstöße auf dem Polster auf und ließen das Silber in der Grube der Bettdecke. Als sie die für sie ungeheure Ziffer von fünfundachtzigtausend Franken festgestellt hatten, begannen sie zu plaudern. Natürlich sprachen sie von der Zukunft, von ihrer Ehe, ohne daß jemals zwischen ihnen von Liebe die Rede gewesen wäre. Dieses Geld schien ihnen die Zunge zu lösen. Sie hatten sich es auf dem Bette noch bequemer gemacht, hatten sich unter den weißen Mousselinevorhängen an die Mauer gelehnt, die Beine über das Bett gestreckt. Da während ihres Geplauders ihre Hände in dem Gelde wühlten, begegneten sie sich da und vergaßen sich ineinander inmitten der Hundertsousstücke. So überraschte sie die Abenddämmerung. Jetzt erst errötete Lisa darüber, daß sie sich an der Seite dieses jungen Mannes sah. Sie hatten das Bett völlig in Unordnung gebracht, daß die Bettücher überall herunterhingen; auf dem Polster, der sie trennte, bildeten die Goldstöße kleine Vertiefungen, als ob liebeglühende Köpfe sich da gewälzt hätten.
Sie erhoben sich verlegen mit der verwirrten Miene von Liebenden, die soeben ihren ersten Fehltritt begangen. Dieses zerwühlte Bett mit dem Geld klagte sie einer verbotenen Freude an, die sie hinter verschlossener Tür genossen. So war ihr Sündenfall beschaffen. Lisa, die ihre Kleider ordnete, als ob sie Schlimmes verübt hätte, holte jetzt ihre zehntausend Franken herbei. Quenu verlangte, daß sie sie zu den fünfundachtzigtausend Franken des Oheims lege. Er mengte lachend die zwei Summen durcheinander, indem er sagte, auch das Geld müsse sich verloben. Sie kamen überein, daß Lisa den Schatz in ihrem Kasten verwahren solle. Als sie das Geld verschlossen und das Bett wieder in Ordnung gebracht hatte, gingen sie hinab. Sie waren so gut wie Mann und Frau.
Die Hochzeit fand im nächsten Monate statt. Das Stadtviertel fand diese Ehe natürlich, durchaus schicklich. Man wußte beiläufig die Geschichte von dem Schatze, und die Rechtschaffenheit Lisas war der Gegenstand endloser Lobeserhebungen; sie hätte ja schließlich dem Quenu die Sache verheimlichen und die Taler für sich behalten können; wenn sie dennoch gesprochen, so geschah es aus purer Ehrbarkeit, da ja niemand sie gesehen hatte. Sie verdiente es sehr wohl, daß Quenu sie zur Frau nahm. Dieser Quenu hatte Glück; er war nicht schön und fand eine schöne Frau, die ihm einen Schatz ausgrub. Die Bewunderung ging so weit, daß man schließlich ganz leise sagte, »Lisa sei wirklich dumm, getan zu haben, was sie getan.« Lisa lächelte, wenn man ihr in halb verhüllten Worten von diesen Dingen sprach. Sie und ihr Mann lebten wie früher in guter Freundschaft und glücklichem Frieden. Sie half ihm bei der Arbeit, begegnete seinen Händen in dem Hackfleisch, neigte sich über seine Schulter, um einen Blick in die Töpfe zu werfen. Es war nicht immer das große Herdfeuer allein, was ihnen heiß machte.
Lisa war eine kluge Frau, die sehr bald einsah, wie dumm es wäre, ihre fünfundneunzigtausend Franken in dem Schubfach der Kommode schlummern zu lassen. Quenu würde sie gern wieder in das Pökelfaß zurückgelegt haben, bis er noch mehr dazu erworben habe, sie würden sich dann nach Suresnes zurückgezogen haben, einem Vorort von Paris, der ihnen sehr gefiel. Allein sie hatte einen andern Ehrgeiz. Die Pirouette-Straße stimmte nicht zu ihren Gedanken von Sauberkeit, zu ihrem Bedürfnisse nach Licht, Luft und Gesundheit. Der Laden, wo der Onkel Gradelle Sou für Sou seinen Schatz gesammelt hatte, war eine Art dunkler Schlauch, einer jener fragwürdigen Wurstläden der alten Stadtviertel, deren Fliesen trotz des Scheuerns den starken Geruch des Fleisches behalten. Die junge Frau aber träumte von einem jener hellen, modernen Läden, die prächtig eingerichtet sind wie ein Salon und den Schimmer ihrer Spiegelscheiben auf den Fußweg einer breiten Straße werfen. Es war dies bei ihr keineswegs die kleinliche Begierde, hinter einem eleganten Zahlpulte die Dame zu spielen, sondern sie war sich der prunkvollen Anforderungen des modernen Handels vollkommen bewußt. Quenu war anfänglich erschrocken, als sie ihm davon sprach, umzusiedeln und einen Teil ihres Geldes auf die Ausschmückung eines neuen Ladens zu verwenden. Doch sie zuckte lächelnd die Achseln.
Als es eines Abends schon dunkel und der Laden noch nicht beleuchtet war, hörten die Ehegatten eine Frau, die vor der Ladentür zu einer anderen sagte:
O nein! ich kaufe da nicht mehr ein; ich möchte von da nicht ein Endchen Wurst nehmen, meine Liebe … Sie hatten einen Toten in ihrer Küche!
Quenu weinte vor Schmerz, als er dies hörte. Die Geschichte von dem Toten in der Küche machte die Runde. Er errötete schließlich vor den Kunden, wenn er sah, wie sie an der Wurst rochen. Darum war er es, der den Gedanken der Umsiedelung vor seiner Frau zuerst wieder erwähnte. Sie hatte sich inzwischen, ohne etwas zu sagen, mit dem neuen Laden beschäftigt; in unmittelbarer Nähe in der Rambuteau-Straße, wundervoll gelegen, hatte sie einen solchen gefunden. Die Zentralmarkthallen, die gegenüber eröffnet wurden, mußten die Kundschaft verdreifachen, dem Hause in ganz Paris einen Ruf verschaffen. Quenu ließ sich zu unsinnigen Ausgaben hinreißen; er verwendete über dreißigtausend Franken auf Marmor, Vergoldungen und Spiegel. Lisa verbrachte Stunden bei den Arbeitern und gab ihre Ansicht über die geringsten Einzelheiten an. Als sie endlich vor ihrem Zahlpulte Platz nehmen konnte, kamen die Leute scharenweise zu ihnen einkaufen, bloß um den neuen Laden zu sehen. Die Mauern waren völlig mit weißem Marmor bekleidet; an der Decke befand sich ein riesiger, viereckiger Spiegel in einer breiten, reich geschnitzten Goldeinfassung; in der Mitte hing ein vierarmiger Kronleuchter; hinter dem Zahlpulte war ebenfalls ein das ganze Wandfeld ausfüllender Spiegel, links noch einer und im Hintergrunde des Ladens noch mehrere Spiegel, die zwischen Marmortafeln ganze Ströme von Licht ausgössen und den Laden mit seinen leckeren Warenvorräten ins Unendliche zu vervielfältigen schienen. Rechts von der Türe stand das große Zahlpult, das die Kunden ganz besonders schön gearbeitet fanden; in die einzelnen Felder waren runde Flächen von rosafarbenem Marmor eingelassen; der Fußboden war mit weißen und rosa Marmorquadern ausgelegt, die ein Saum von dunkelrotem Marmor einrahmte. Das Stadtviertel war stolz auf seinen Wurstladen; niemand dachte mehr an die Küche in der Pirouette-Straße, wo ein Toter gelegen. Einen Monat hindurch blieben die Nachbarinnen auf dem Fußweg stehen, um durch die Servelatwürste und die Spitzenvorhänge des Schaufensters Lisa zu betrachten. Man bewunderte ihr weißes und rosiges Fleisch ebenso wie den Marmorzierat des Ladens. Sie erschien wie die Seele, das lebendige Licht, die kräftige starke Göttin dieses Ladens. Man nannte sie nur die schöne Lisa.
Rechts vom Laden lag das Speisezimmer, ein sehr sauber gehaltenes Gemach mit einem Speiseschrank, einem Tische und Sesseln, alles in hellem Eichenholz. Die Matte, die den Fußboden bedeckte, die zartrosafarbens Papiertapete, die Tischdecke von Wachsleinwand, die das Eichenholz nachahmte, – alles verlieh dem Gemach einen etwas kühlen Anstrich, der nur erhellt ward durch den Glanz der von der Zimmerdecke herabhängenden Kupferlampe, deren breite Kugel von durchsichtigem Porzellan den Tisch beherrschte. Von dem Speisezimmer gelangte man in die geräumige Küche; jenseits dieser lag ein kleiner, gepflasterter Hof, wo die Töpfe, Fässer, außer Gebrauch stehenden Gerätschaften aufbewahrt wurden; links von dem Brunnen beendeten die welken Blumen der Auslage ihr Dasein, neben der Ausgußrinne, wohin die Schmutzwässer geschüttet wurden.
Das Geschäft ging vortrefflich. Quenu, den anfänglich die großen Auslagen erschreckt hatten, empfand eine gewisse Achtung vor seiner Frau, die – wie er versicherte – »ein gescheiter Kopf« war. Nach Verlauf von fünf Jahren hatten sie nahe an achtzigtausend Franken in guten Renten angelegt. Lisa erklärte, sie seien nicht ehrgeizig und wollten nicht allzuschnell Reichtümer sammeln; ihr Mann könne Tausende und Abertausende gewinnen, wenn sie ihn in den Großhandel mit Schweinen drängen werde; sie seien noch jung und hätten noch Zeit; auch liebten sie nicht die schmutzige Arbeit; sie wollten nach ihrem Gutdünken arbeiten, ohne sich Sorgen aufzuladen, wie vernünftige Leute, die gut leben wollen.
Sehen Sie, pflegte Lisa, wenn sie gerade redseliger gestimmt war, hinzuzufügen, ich habe in Paris einen Vetter… . Ich sehe ihn nur selten, denn die zwei Familien sind entzweit. Er hat den Namen Saccard angenommen, um gewisse Dinge in Vergessenheit geraten zu lassen … Nun, dieser Vetter gewinnt Millionen, wie mir gesagt wurde. Er lebt gar nicht, er schindet sich zu Tode, treibt sich fortwährend in allerlei Teufelsgeschäften herum. Der kann doch unmöglich des Abends seine Mahlzeit in Ruhe verzehren. Wir wissen wenigstens, was wir essen; wir kennen die Plackereien nicht. Unsereins liebt das Geld nur, weil man es braucht, um zu leben. Man lebt gern behaglich, das ist nur natürlich. Wenn ich erwerben sollte, bloß um zu erwerben; wenn ich mich mehr abrackern sollte, als ich nachher Freude am Erworbenen haben könnte: meiner Treu, da möchte ich lieber die Hände in den Schoß legen … Dann möchte ich die Millionen meines Vetters erst noch sehen. Ich glaube nicht so leichthin an die Millionen. Ich habe ihn neulich in seinem Wagen gesehen; er war ganz gelb und hat recht grämlich dreingeblickt. Ein Mann, der Geld gewinnt, sieht nicht so aus. Übrigens ist dies seine Sache … Wir wollen immer lieber nur fünf Franken erwerben, aber die sollen auch unser sein.
Ihr Haus gedieh denn auch in der Tat. Sie hatten gleich im ersten Jahre ihrer Ehe eine Tochter bekommen. Die drei Leute waren eine Freude zum Anschauen. Das Haus kam in erfreulicher Weise empor ohne allzu viele Mühe, ganz wie Lisa es wollte. Sie hatte alle möglichen Ursachen des Verdrusses aus dem Wege geräumt und ließ die Tage in dieser Luft des Behagens und der Wohlhabenheit dahinfließen. Es war ein Winkel vernünftigen Glückes, eine bequeme Krippe, an der Vater, Mutter und Tochter sich mästeten. Nur Quenu war zuweilen betrübt, wenn er an seinen armen Florent dachte. Bis zum Jahre 1856 empfing er von Zeit zu Zeit Briefe von ihm. Dann blieben die Briefe aus; er erfuhr durch eine Zeitung, daß drei Deportierte von der Teufelsinsel hatten entfliehen wollen und ertrunken seien, ehe sie die Küste erreichten. Auf der Polizeipräfektur konnte man ihm keine genauen Nachrichten geben; sein Bruder mußte tot sein. Indes bewahrte er noch einige Hoffnung; allein, die Monate gingen dahin. Florent, der im holländischen Guyana sich herumtrieb, hütete sich zu schreiben, weil er immer hoffte, nach Frankreich zurückkehren zu können. Quenu beweinte ihn schließlich wie einen Toten, der ohne Lebewohl von hinnen geschieden war. Lisa kannte Florent nicht. Sie fand Worte des Trostes, wenn ihr Mann sich der Betrübnis hingab; sie ließ ihn zum hundertsten Male die Jugendgeschichten erzählen, von der großen Stube in der Royer-Collard-Straße, von den zahllosen Handwerken, die er gelernt, von den Leckerbissen, die er auf dem Zimmerofen zubereitet, ganz weiß gekleidet, während Florent völlig schwarz gekleidet war. Ruhig und mit unendlicher Geduld hörte sie ihn an.