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Der Bauch von Paris

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Der Bauch von Paris (franz: Le Ventre de Paris) ist ein 1873 erschienener Roman von Émile Zola und der 3. Teil des zwanzigbändigen Rougon-Macquart-Zyklus. Die Handlung vollzieht sich größtenteils auf dem zentralen Markt Les Halles von Paris. Die während des zweiten Kaiserreiches errichteten Markthallen mit ihrer Glas-Stahl-Konstruktion werden als Meilensteine des Fortschritts dargestellt. Zola beschreibt das Milieu des Einzelhandels und setzt sich erstmals mit der Lebenswirklichkeit der arbeitenden Klasse auseinander.Die Handlung setzt mit seiner Rückkehr nach Paris ein. Er findet Unterkunft bei seinem Bruder Quenu und dessen Frau Lisa, die gemeinsam einen Fleischerladen betreiben. Besonders auf Wunsch von Lisa nimmt er einen Posten als Inspektor in den Fischhallen an. Florent entwickelt sich zum Anführer eines Kreises, der dilettantisch einen Aufstand plant, der zur Wiederherstellung der Republik führen soll. Florent unterrichtet den Sohn einer Fischhändlerin, der schönen Normande, im Lesen und Schreiben. Sie strebt eine Liaison mit ihm an, doch Florent geht nicht darauf ein. Zwischen der schönen Normande und Lisa Quenu entsteht eine Feindschaft. Florent gerät dabei zwischen die Fronten. Schließlich werden er und sein Mitverschwörer Gavard verhaftet.

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Kapitel 2-1
Kapitel 22 Florent hatte eben in Paris sein Rechtsstudium begonnen, als seine Mutter starb. Sie wohnte zu Vigon, in der Gard-Gegend. Sie hatte in zweiter Ehe einen aus Yvetot in der Normandie stammenden Mann namens Quenu geheiratet. Diesen Mann hatte ein Unterpräfekt nach dem Süden gebracht und dort vergessen. Er war Beamter in der Unterpräfektur geblieben; denn er fand die Gegend reizend, den Wein gut, die Frauen liebenswürdig. Nach dreijähriger Ehe starb er an den Folgen einer schlechten Verdauung. Als einziges Erbe hatte er seiner Frau einen dicken Jungen zurückgelassen, der ihm ganz ähnlich sah. Es fiel der Mutter schon schwer, die Schulgelder für ihren älteren Sohn Florent, der aus ihrer ersten Ehe stammte, zu bezahlen. Sie hatte große Ursache, mit diesem Sohne zufrieden zu sein; er war von sanfter Gemütsart, arbeitete fleißig und erlangte stets die ersten Preise. Ihm wandte sie ihre ganze Liebe, alle ihre Hoffnungen zu. In der Zärtlichkeit für diesen blassen, schmächtigen Jungen kam vielleicht der Vorzug für ihren ersten Gatten zum Ausdruck, einen Provençalen von liebkosend weichlichem Charakter, der sie zum Sterben lieb gehabt hatte. Quenu, dessen gute Laune sie anfänglich verführt, hatte sich vielleicht zu d**k, zu selbstgefällig, zu sehr als Mensch gezeigt, der aus sich selbst die besten Freuden zu schöpfen sicher war. Sie entschied denn, daß ihr Zweitgeborner, der Jüngste, der in den Familien des Südens oft geopfert wird, niemals etwas Rechtes werden solle. Sie begnügte sich, ihn in eine Schule zu schicken, die ihre Nachbarin, ein altes Mädchen hielt, und wo der Junge nichts anderes lernte, als sich herumtreiben. So wuchsen die beiden Brüder fern voneinander als Fremde heran. Als Florent nach Vigon zurückkehrte, war seine Mutter begraben. Sie hatte verlangt, daß man ihm ihre Krankheit bis zum letzten Augenblick verheimliche, um ihn nicht in seinen Studien zu stören. Er fand den kleinen zwölfjährigen Quenu in der Küche an einem Tische sitzen und weinen. Ein benachbarter Möbelhändler schilderte ihm die Krankheit und den Tod der armen Frau. Sie war bei ihren letzten Mitteln angelangt und hatte sich in schwerer Arbeit aufgerieben, damit ihr Sohn sein Rechtsstudium beenden könne. Außer einem kleinen Bandhandel, der wenig einbrachte, mußte sie sich noch mit verschiedenen anderen Arbeiten beschäftigen, die sie bis in die späte Nacht in Anspruch nahmen. Die fixe Idee, ihren Florent als einen angesehenen Advokaten der Stadt zu sehen, machte sie schließlich hartherzig, geizig, erbarmungslos gegen sich selbst und gegen andere. Der kleine Quenu lief mit zerrissenen Höschen umher und hatte Löcher in den Rockärmeln. Bei Tische durfte er sich nichts nehmen und mußte warten, bis seine Mutter ihm sein Teil Brot gab; allerdings schnitt sie für sich selbst ebenso dünne Scheiben wie für ihn. Bei dieser Lebensweise war sie zugrunde gegangen mit dem unsäglichen Schmerze, ihre Aufgabe nicht beendet zu sehen. Diese Mitteilung machte auf den weichen Charakter Florents einen schrecklichen Eindruck. Die Tränen erstickten ihn schier. Er nahm den kleinen Bruder in seine Arme, schloß ihn an seine Brust und küßte ihn, wie um ihm alle die Liebe zu vergelten, deren er ihn beraubt hatte. Er betrachtete seine zerrissenen Schuhe, seine löcherigen Rockärmel, seine schmutzigen Hände, dieses ganze Elend eines verlassenen Kindes. Er wiederholte ihm, daß er ihn mitnehmen wolle und daß er bei ihm glücklich sein solle. Als er am nächsten Tage die Lage prüfte, fürchtete er, es werde ihm nicht soviel bleiben, um nach Paris zurückzukehren. Um keinen Preis wollte er in Vigon bleiben. Es gelang ihm glücklicherweise, einen Abnehmer für den Bandkramladen zu finden; dadurch ward es ihm möglich, die Schulden zu bezahlen, die seine Mutter, in Geldsachen sonst sehr streng, nach und nach zu machen genötigt gewesen. Da ihm nichts übrig blieb, bot ihm sein Nachbar, der Möbelhändler, fünfhundert Franken für die Einrichtung und die Wäsche der Verstorbenen. Der Möbelhändler machte dabei ein gutes Geschäft. Der junge Mann dankte ihm mit Tränen in den Augen. Er kleidete seinen Bruder ganz neu und nahm ihn noch am selben Abend mit sich. In Paris konnte nicht mehr die Rede davon sein, das Rechtsstudium fortzusetzen. Florent gab jeden Ehrgeiz für später auf. Er fand einige Unterrichtsstunden und mietete sich mit dem kleinen Quenu in der Royer-Collard-Straße, an der Ecke der Jakobstraße, in einer großen Stube ein, die er mit zwei eisernen Betten, einem Schrank, einem Tische und vier Stühlen ausstattete. Von da ab hatte er ein Kind. Seine Vaterschaft entzückte ihn. In der ersten Zeit versuchte er, wenn er abends nach Hause kam, dem Kleinen Unterricht zu geben. Doch dieser hörte nicht zu; er hatte einen harten Schädel und wollte nichts lernen; schluchzend sehnte er die Zeit zurück, da seine Mutter ihm erlaubte, in den Straßen herumzulaufen. Florent war darob in Verzweiflung, brach den Unterricht ab, tröstete den Jungen und versprach ihm endlose Ferien. Um seine Schwäche in seinen Augen zu rechtfertigen, sagte er sich, daß er das liebe Kind nicht mitgenommen habe, um es zu ärgern. Seine Verhaltungsregel war, es in Frohsinn heranwachsen zu sehen. Er liebte den Jungen, war entzückt von seinem hellen Lachen und fand seine selige Wonne daran, ihn gesund und sorglos um sich zu haben. Florent blieb mager in seinen abgenützten schwarzen Röcken, und sein Gesicht begann gelb zu werden bei den bösen Verdrießlichkeiten des Stundengebens. Quenu ward ein rundes, volles Bürschchen, etwas einfältig, der kaum schreiben und lesen konnte, aber von einer unwandelbaren guten Laune war und die große Stube stets mit seiner Heiterkeit erfüllte. Indes gingen Jahre dahin. Florent, der die Aufopferungsfähigkeit seiner Mutter geerbt hatte, behielt Quenu in seiner Wohnung wie ein großes, träges Mädchen. Er ersparte ihm selbst die kleinen Sorgen des Hauswesens. Er selbst kaufte den Mundvorrat ein, besorgte Stube und Küche. Das verscheuchte ihm die schlimmen Gedanken, sagte er. Gewöhnlich war er in düsterer Stimmung und hielt sich für schlecht. Wenn er des Abends mit Schmutz bespritzt und von Haß gegen die Kinder der anderen erfüllt heimkehrte, war er gerührt von der Umarmung dieses großen, dicken Jungen, den er auf den Fliesen der Stube mit seinem Brummkreisel spielen fand. Quenu lachte über seine Ungeschicklichkeit in der Zubereitung der Eierkuchen und über den Ernst, mit dem er den Fleischtopf ans Feuer setzte. Wenn die Lampe ausgelöscht war, lag Florent oft mit traurigen Gedanken in seinem Bette. Er gedachte, seine Rechtsstudien wieder aufzunehmen, und erschöpfte sich in Auskunftsmitteln, um seine Zeit so einzuteilen, daß er die Vorlesungen an der Fakultät hören könne. Es gelang ihm auch, und er war vollkommen glücklich. Allein ein Fieberanfall, der ihn acht Tage lang das Zimmer zu hüten nötigte, legte eine solche Bresche in ihren Geldbestand und beunruhigte ihn in dem Maße, daß er jeden Gedanken an die Beendigung seiner Studien aufgab. Sein Kind wuchs heran. Er trat als Lehrer in eine Pension in der Wippstraße ein mit einem Jahresgehalte von achtzehnhundert Franken. Das war ein Vermögen. Bei einiger Sparsamkeit muß es ihm gelingen, Geld zu erübrigen, um Quenu zu unterstützen, wenn er einmal etwas beginnen werde. Mit achtzehn Jahren behandelte er ihn noch als Mädchen, das ausgestattet werden muß. Während der kurzen Krankheit seines Bruders hatte auch Quenu sich seine Gedanken gemacht. Eines Morgens erklärte er, er wolle arbeiten und sei groß genug, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Florent war tief gerührt. Gegenüber, auf der anderen Seite der Straße, wohnte ein Uhrmacher, den das Kind den ganzen Tag sah, wie er im hellen Lichte des Fensters über seinen kleinen Tisch gebeugt kleine, zarte Dingerchen handhabte und geduldig durch die Lupe betrachtete. Es gefiel ihm sehr, und er behauptete, er habe Neigung für die Uhrmacherei. Allein nach zwei Wochen ward er unruhig und weinte wie ein zehnjähriger Junge; er fand, die Sache sei zu verwickelt, und er werde nie alle die kleinen »Dummheiten« kennen lernen, aus denen eine Uhr sich zusammensetzt. Er wolle lieber ein Schlosser werden. Allein, die Schlosserei ermüdete ihn bald. Binnen zwei Jahren versuchte er es mit zehn Handwerken. Florent dachte, er habe recht, und man solle nicht mit Unlust einen Stand wählen. Doch die löbliche Hingebung des Quenu, der seinen Lebensunterhalt verdienen wollte, kam dem Haushalte der beiden jungen Leute sehr teuer zu stehen. Seitdem er durch alle Werkstätten kam, gab es immer neue Ausgaben: für Kleider, für außerhalb des Hauses eingenommene Mahlzeiten, für Einstandstränke, die man den neuen Kameraden zahlen mußte. Die achtzehnhundert Franken Florents genügten nicht mehr. Er hatte zwei Lektionen für den Abend annehmen müssen. Seit acht Jahren trug er denselben Rock. Die beiden Brüder hatten einen Freund gefunden. Das Haus hatte eine Seite auf die Jakobstraße, und auf dieser Seite war darin eine große Ausbraterei, die ein würdiger Mann namens Gavard hielt, dessen Frau inmitten all des fetttriefenden Geflügels an Auszehrung starb. Wenn Florent zu spät heimkehrte, um noch ein Stück Fleisch zu braten, kaufte er unten ein Stück Truthahn- oder Gänsebraten für zwölf Sous. Das gab dann immer ein leckeres Fest. Gavard interessierte sich schließlich für diesen mageren jungen Mann; er erfuhr seine Geschichte und verlangte auch den Kleinen zu sehen. Bald verließ Quenu nicht mehr die Ausbraterei. Sobald sein Bruder ausgegangen war, ging er hinunter und blieb in dem Laden, entzückt von dem Anblicke der vier großen Spieße, die mit einem gedämpften Geräusche sich vor den hohen, hellen Flammen drehten. Die breiten Kupfergeschirre am Kamin glänzten, das Geflügel rauchte, das Fett brodelte und zischte in der Untersetzpfanne, die Spieße begannen schließlich eine Unterhaltung untereinander und sagten auch Quenu freundliche Worte, der mit einem langstieligen Löffel bewehrt, die runden, braunen Gänse- und Hühnerbrüste sorgfältig mit Fett begoß. Stundenlang blieb er da, ganz rot von den lodernden Flammen, ein wenig dumm, mit einem stillen Lächeln über die fetten Tiere, die da brieten. Er erwachte erst wieder aus seiner Träumerei, wenn die fertigen Braten von den Spießen genommen wurden. Das Geflügel wurde auf Schüsseln gelegt, die rauchenden Spieße aus den Bäuchen gezogen und dann leerten sich die Bäuche und ließen den Saft durch die Löcher am Hintern und am Halse herausrinnen, und der Laden füllte sich mit einem starken Bratengeruche. Der Junge stand dabei, folgte diesem Tun mit den Blicken, klatschte vergnügt in die Hände, redete zu dem Geflügel, sagte, daß der Braten sehr gut sei, daß man ihn verspeisen werde, und daß die Katzen nur die Knochen haben sollten. Er machte einen Luftsprung, wenn Gavard ihm ein Stück Brot reichte, das er dann eine halbe Stunde im Bratenfett schmoren ließ. Sicherlich hatte Quenu hier Lust zur Küche bekommen. Nachdem er es mit allen Handwerken versucht hatte, kehrte er – als sei es vom Schicksal bestimmt gewesen – wieder zu dem Geflügel zurück, das am Spieße gebraten wird, und zu dem feinen Safte, nach dem man sich die Finger ablecken muß. Anfänglich fürchtete er, seinen Bruder dadurch zu ärgern, der ein bescheidener Esser war und von den leckeren Bissen mit der Mißachtung eines Menschen sprach, der nicht weiß, was gut ist. Als er später sah, wie Florent aufhorchte, wenn er ihm irgendein zusammengesetztes Gericht erläuterte, gestand er ihm seinen Beruf und trat in den Dienst einer Gastwirtschaft. Seither war das Leben der beiden Brüder geregelt. Sie bewohnten weiter die Stube in der Royer-Collard-Straße, wo sie sich jeden Abend fanden, der eine mt fröhlichem, gerötetem Gesichte von seinen Bratöfen heimkehrend, der andere mit der trübseligen Miene eines armen Lehrers. Florent behielt seinen schwarzen Rock und vertiefte sich in die Aufgabenhefte seiner Schüler, während Quenu, um es sich behaglich zu machen, seine Schürze, seine weiße Weste und seine Küchenjungenmütze anlegte und sich damit die Zeit vertrieb, auf dem Zimmerofen irgendeinen Leckerbissen zuzubereiten. Manchmal lachten sie, wenn sie einander so sahen, der eine ganz weiß, der andere ganz schwarz. Die große Stube schien halb traurig und halb lustig von dieser Düsterheit und diesem Frohsinn. Noch niemals hatten zwei so verschieden geartete Leute sich so gut zusammen vertragen. Mochte der eine, von der Fieberglut des Vaters verzehrt, noch so sehr abmagern, und mochte der andere als würdiger Sohn des Normannen noch so d**k werden: sie liebten sich in ihrer gemeinsamen Mutter, in dieser Frau, die nichts als liebevolle Hingebung gewesen. Sie hatten in Paris einen Verwandten, einen Bruder ihrer Mutter namens Gradelle, der in der Pirouette-Straße, nahe bei den Hallen, einen Wurstladen hielt. Er war ein dicker Filz, ein roher Mensch, der sie als Hungerleider empfing, als sie das erstemal bei ihm vorsprachen. Sie kamen selten in sein Haus. Zu seinem Namensfeste brachte Quenu dem Oheim einen Strauß und erhielt dafür ein Zehnsousstück. Florent, von einem krankhaften Stolze erfüllt, litt sehr, wenn Gradelle seinen abgetragenen Rock musterte mit den argwöhnischen Blicken eines Geizhalses, der die Bitte um ein Mittagessen oder um ein Hundertsousstück wittert. Eines Tages beging er den kindlichen Streich, einen Hundertfrankenschein bei dem Onkel zu wechseln. Er erreichte damit, daß dieser weniger erschrak, wenn »die Kleinen« kamen. Aber weiter ging die Freundschaft nicht.

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