Kapitel 4: Demütigung

2026 Words
Ashley hatte nicht mehr die Absicht, sich zu verstecken. Sie stieß Laurel in die Mitte des Veranstaltungsortes, bis alle Augen auf sie gerichtet waren und das Flüstern in der Luft aufkam. „Was ist diesmal passiert?“ „Dieses Mädchen hat bestimmt wieder etwas angestellt.“ „Sie hat schon immer Pech gehabt. Ihre Mutter ist doch bei ihrer Geburt gestorben, oder?“ „Jetzt bereitet sie ihrer Familie erneut Probleme.“ „Heute ist Alphas Tag. Das sollte sie wirklich nicht tun.“ „Leute wie sie kümmern sich nicht darum.“ Laurel stolperte über den Marmorboden und fiel hart zu Boden, wobei ein schmerzerfülltes Stöhnen ihren Lippen entwich. Ihr Körper war so ausgemergelt, dass jeder Aufprall auf die harte Oberfläche weh tat. Ana und ihr Mann Harris drängten sich durch die Menge, um die Situation zu begutachten. Die Zuschauer hatten sich schnell versammelt, um das Spektakel zu beobachten, und keiner von ihnen hatte die Absicht, die beiden Schwestern aufzuhalten. Selbst Harris und Ana blieben beiseite stehen und ließen Ashley gewähren. Ashley stand hochmütig über der am Boden liegenden Laurel. „Hast du keinen Anstand?!“ rief Ashley laut, damit alle es hören konnten. „Ich wollte nicht...“ versuchte Laurel sich zu verteidigen, doch Ashley ließ sie gar nicht erst ausreden. „Justin hat dir doch schon längst klar gemacht, dass er absolut kein Interesse an dir hat!“ schrie Ashley weiter. Das Flüstern in der Menge wurde lauter. Justin stand hinter Ashley und sagte nichts, was jedem erlaubte, seine eigenen Schlüsse aus dieser Aussage zu ziehen. Was Ashley als Nächstes sagte, steigerte nur die Aufregung in der Menge. „Du warst seine Gefährtin! Aber er hat dich im selben Moment abgelehnt, als er dich gesehen hat! Schämst du dich nicht, dich immer noch an ihn zu klammern?!“ Ashley grinste triumphierend, während sie weiter in Laurels Wunden bohrte. „Lass mich dich daran erinnern, dass Justin dich innerhalb von Minuten abgelehnt hat, nachdem er erfahren hatte, dass du seine Gefährtin bist. Er will dich nicht. Warum bist du so schamlos?“ Laurel verlor jegliche Kraft. Sie wollte überhaupt nicht mehr aufstehen. In diesem Moment, unter den Blicken aller, konnte sie den Abscheu in ihren Augen fast spüren. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte sie die Erde aufreißen und darin Zuflucht suchen wollen. Der tiefste Schmerz in ihrem Herzen wurde vor aller Augen offengelegt, damit sie darüber lachen konnten. Natürlich hatte niemand etwas Gutes zu sagen, als Laurel abgelehnt wurde. „Sie wurde abgelehnt?“ „Was hast du erwartet?“ „Wer bei klarem Verstand würde sie wollen?“ „Justin ist beliebt und sieht gut aus. Sogar seine Karriere nimmt in jungen Jahren Fahrt auf. Es ergibt keinen Sinn, dass er jemanden wie sie akzeptiert. Sie ist eine alte Kuh, die junges Gras frisst!“ Ashley hatte ein triumphierendes Grinsen auf ihrem Gesicht. Laurel versteckte ihr Gesicht, indem sie ihren Kopf senkte, bis er fast den Boden berührte. Die mittellangen Haare halfen, das wachsende Erröten vor Verlegenheit auf ihrem Gesicht zu verbergen. Die kleine Menge zog die Aufmerksamkeit des neuen Alphas auf sich. Die Menge teilte sich, um ihm Platz zu machen. Als er sah, wie Laurel am Boden lag und alle flüsterten, bildete sich ein unangenehmes Stirnrunzeln auf seinem Gesicht. Es war ein sehr besonderer Tag für Alpha Denis. Es war offiziell sein erster Tag als Alpha, und es zeigte sich bereits, dass er Probleme damit hatte, sein Rudel zu führen. „Was geht hier vor?“ Er betrachtete die Menge streng und sagte: „Macht keine Szene.“ „Ja, Alpha!“ „Ja!“ Die Menge zerstreute sich sofort. Ashley hatte ihr Ziel bereits erreicht, also gab es für sie nichts mehr zu tun. Sie nahm Justins Hand und kehrte zu ihren Eltern zurück. Laurel hob ihren Kopf leicht, um zu sehen, wie Ashley begeistert Justin ihrer Mutter Ana und ihrem Vater vorstellte. Es schien, als hätten sie Laurel vollkommen vergessen. Mit einem tiefen Seufzer erhob sich Laurel vom Boden, während die Demütigung immer noch auf ihrem Gesicht brannte. Es war das erste Mal, dass Laurel so vor Außenstehenden behandelt wurde. Bisher war alles, was ihr angetan wurde, innerhalb der Mauern ihres Hauses geschehen. Heute stellte Laurel fest, dass der Rest des Rudels genauso viel Freude daran hatte, ihr Elend zu sehen. Niemand trat vor, um für sie zu sprechen. Stattdessen hatten sie alle ihre eigenen, negativen Meinungen über sie. Was für ein erbärmliches Leben Laurel doch führte. Laurel hatte jeglichen Appetit verloren. Sie fand die Toilette und verbrachte lange Zeit in einer Kabine. Niemand würde sie ohnehin suchen. Es hatte keinen Sinn, sich vor Leuten zu zeigen, die sie nicht sehen wollten. Während der Zeit, die sie in der Kabine verbrachte, hörte Laurel einige Leute kommen und gehen. Einige diskutierten, was mit ihr geschehen war, und gaben ihre eigenen abfälligen Kommentare dazu ab. Keiner dieser Bemerkungen ließ sie sich besser fühlen. Als Laurel die Kabine verließ, war ihre Familie nirgends zu finden. Mit einem Anflug von Mut fragte sie eine Person, ob sie ihre Familie gesehen habe. „Harris und Ana sind schon gegangen.“ Laurels Herz sank. Sie hatten sie zurückgelassen. Oder vielleicht wollten sie sie nach dieser peinlichen Szene gar nicht mehr mitnehmen. Laurel dankte der Person und verließ den Veranstaltungsort. Obwohl es nicht weit bis nach Hause war, war es dennoch zu weit, um zu Fuß zu gehen. Es war jedoch schon spät, und Laurel hatte kein Geld dabei. So lief sie fast eine Stunde nach Hause. Die Lichter im Haus waren aus, und die Tür war verschlossen. Mit der Stirn gegen die Haustür gedrückt, konnte Laurel die Tränen nicht mehr zurückhalten. Obwohl sie wusste, dass sie nicht aufgeben sollte, war es an Tagen wie diesen besonders schwer, weiterzumachen. Sie konnte keinen Sinn darin sehen, ein solches Leben weiterzuführen. In dieser Nacht blieb Laurel draußen in der Kälte. Schlafen konnte sie nicht, also verbrachte sie die ganze Nacht damit, in den Himmel zu starren und nach Sternen im leeren Himmel zu suchen. Die Situation wäre nicht so schlimm gewesen, wenn Laurel die Fähigkeit gehabt hätte, sich zu verwandeln. Sie hätte die Kälte nicht so stark gespürt und hätte nicht so weit laufen müssen. Nun schmerzten ihre Füße, und die Kälte ließ ihre Finger taub werden. In der beißenden Kälte übermannte die Erschöpfung Laurel schließlich, und sie schlief ein. Als der Morgen kam, wurde Laurel von der sich öffnenden Tür hinter ihr geweckt. Sie fiel ohne Widerstand nach hinten, und ihr Kopf prallte auf den harten Boden. Sie wachte mit Schmerzen auf—nichts Neues für sie. Laurel hatte nicht einmal Zeit, irgendetwas zu hinterfragen, als ein Paar Beine an ihr vorbeiging. Sie hob den Kopf, nur um den Rücken ihres Vaters zu sehen, der ins Auto stieg und davonfuhr, noch bevor sie verstand, was passiert war. Als sie in den Himmel schaute, war es gerade erst Morgengrauen, und er war schon weg. Er war wirklich nur wegen der Alpha-Feier zurückgekommen und sonst wegen nichts. Es blieb jedoch keine Zeit, darüber nachzudenken. Laurel ging schnell ins Haus, zog saubere Kleidung an und begann sofort mit der Arbeit. Da sie die ganze Nacht draußen verbracht hatte, hatte Laurel nun eine verstopfte Nase und geschwollene Augen. Ihr Kopf schmerzte, als würde ständig darauf gehämmert. Nicht nur fühlte sie sich krank, sondern ihr Körper tat auch weh, weil sie die ganze Nacht in einer sitzenden Position verbracht hatte. Ganz zu schweigen von ihren Beinen, die nach dem langen Marsch schmerzten. Dennoch hatte es keinen Sinn, sich zu beklagen oder aufzuhören. Was getan werden musste, erledigte sie trotzdem pünktlich. Tatsächlich beendete Laurel alles schneller, damit sie Zeit hatte, etwas gegen ihre Erkältung einzunehmen und sich ein wenig auszuruhen. Die Erkältung war nichts, was Laurel nicht heilen konnte, genauso wie sie es normalerweise mit ihren Wunden tat. Aber sie wollte ihre kleine Kraft nicht verschwenden, indem sie sie auf etwas verwendete, das mit äußeren Mitteln geheilt werden konnte. Wunden brauchten normalerweise Tage, um zu heilen. Laurel war zuversichtlich, dass eine Paracetamol-Tablette ausreichte, um die Erkältung zu besiegen. Laurel schlief den ganzen Nachmittag und war erleichtert, dass sie alle Aufgaben vor dem Ausruhen erledigt hatte. Als sie wieder nach unten ging, bemerkte sie als Erstes eine weitere Person im Wohnzimmer. Es war niemand anderes als ihr neuer Alpha. Alpha Denis sprach mit Ana über etwas, und Ana sah darüber alles andere als glücklich aus. Laurels Ankunft lenkte die beiden ablenkte. Ana befahl ihr, Kaffee für Alpha Denis zu machen. Es war nur eine Ausrede, um sie ohne Aufsehen vor Alpha Denis loszuwerden. Wäre es ein anderer Zeitpunkt gewesen, hätte Ana ihr sicherlich etwas nachgeworfen, so wütend, wie sie aussah. Laurel machte sofort zwei Tassen Kaffee und servierte sie mit einigen Snacks, die zu Hause verfügbar waren. Sie konnte nur einen kleinen Teil ihres Gesprächs mithören. „Es wird sie nicht groß beeinflussen. Ashley wird sich ohne Probleme an den neuen Lebensstil anpassen. Ich habe gehört, dass er sehr wohlhabend ist.“ „Entschuldigen Sie, dass ich unterbreche. Ich will nicht respektlos sein, Alpha Denis, aber es geht um das Leben meiner Tochter. Wie können Sie sagen, dass es sie nicht beeinflussen wird? Ich kann sie keinen Tag aus den Augen lassen, und jetzt soll ich sie an einen unbekannten Ort schicken, um sie mit jemandem zu verheiraten?“ Laurel konnte nicht alles hören, weil sie bereits in der Küche war und ihre Stimmen von dort aus nicht mehr laut genug zu verstehen waren. Sie lehnte sich an die Theke und begann mit den Vorbereitungen für das Abendessen. Sie war beim Kochen ein wenig abgelenkt, wegen dem, was sie gehört hatte. Wahrscheinlich hatte Alpha Denis eine Art Heiratsvorschlag für Ashley gemacht, und Ana, die überfürsorgliche Mutter, hatte heftig dagegen protestiert. Es war nicht überraschend. Schließlich war Laurel als Aufpasserin bei Ashleys nächtlichem Ausflug mitgeschickt worden. Es wäre nicht verwunderlich, wenn Ana sich weigerte, Ashley zu verheiraten, weil sie keine Kontrolle darüber hatte. „Es hat nichts mit mir zu tun“, dachte Laurel und konzentrierte sich wieder auf ihre Arbeit. Nachdem das Abendessen serviert war, spülte Laurel gerade das Geschirr, als sie ein Getöse am Esstisch hörte. Sie streckte den Kopf aus der Küche, um heimlich zuzusehen, wie Ashley lautstark schrie. Max wich einem umherfliegenden Salzstreuer aus, den Ashley wütend durch den Raum warf. Ana sah hilflos dem Wutanfall ihrer Tochter zu. Ashley schrie weiter: „Nein! Ich stimme nicht zu! Tu, was immer du musst, um das abzulehnen! Ich will das nicht! Ich liebe Justin, und ich werde ihn heiraten! Nicht irgendeinen anderen, und schon gar nicht einen Mann, den die ganze Welt als Biest betrachtet!“ Ana rieb sich die Schläfen und sagte ruhig: „Setz dich und lass uns darüber reden. Ich habe noch nicht zugestimmt.“ „Es wird kein Ja geben!“ rief Ashley. „Ja, ich verstehe. Ich werde sein Angebot morgen entschieden ablehnen.“ Ashley war kaum zufrieden mit dem Kompromiss ihrer Mutter. Laurel wurde plötzlich neugierig auf die Person, die Ashley heiraten sollte. Ein Biest? Was für ein Mensch muss das sein, um von so vielen Menschen als Biest bezeichnet zu werden? Behandelte er andere schlecht, oder war er ein wahlloser Mörder? Doch es ging sie nichts an. Laurel verbrachte die Nacht ohne neue Verletzungen. Ana hatte viel im Kopf und ging früh ins Bett. Laurel erledigte ihre Aufgaben pünktlich und gab ihr keine Gelegenheit, sich abzureagieren. Es waren seltene Nächte, in denen Laurel nicht die ganze Nacht damit verbringen musste, ihre Wunden zu heilen. Schmerzen hatte sie immer, aber die Nächte, in denen es weniger schmerzte, waren die, die Laurel wirklich schätzte. Nach langer Zeit schlief Laurel richtig und wachte erfrischt auf, mit weniger Schmerzen im Körper und einer freien Nase. Die Erkältung war verschwunden, und die Körperschmerzen ließen allmählich nach. Doch diese kurze Erleichterung währte nicht lange. Beim Frühstück wurde sie für das „Vergehen“, nicht genug Salz in die Eier getan zu haben, erneut geschlagen. Ana, die genug gestresst war wegen der Ablehnung von Alpha Denis' Angebot, nutzte die Gelegenheit, um sich abzureagieren. Laurel musste mit einer aufgeplatzten Lippe und einer geschwollenen Wange das Geschirr nach dem Frühstück spülen.
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