KAPITEL VIER

1049 Words
KAPITEL VIER Riley sah zu, wie April das Weihnachtsgeschenk auspackte, das Ryan für sie gekauft hatte. Sie fragte sich, wie gut Ryan den Geschmack seiner Tochter kannte. April lächelte, als sie ein Armband herausnahm. "Es ist wunderschön!" sagte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange. "Ich habe gehört, dass die gerade recht beliebt sind", sagte Ryan lächelnd. "Das sind sie!" erwiderte April. "Danke!" Dann zwinkerte sie Riley kaum merkbar zu. Riley musste ein Lachen unterdrücken. Erst vor ein paar Tagen hatte April Riley erzählt, wie sehr sie diese albernen Armbändchen verabscheute, die jetzt alle Mädchen trugen. Trotzdem hatte April es geschafft, überzeugend enthusiastisch zu klingen. Natürlich war es nicht vollkommen geheuchelt. Sie konnte sehen, dass April sich über die Mühe freute, die ihr Vater sich gegeben hatte, um ihr ein Weihnachtsgeschenk zu kaufen. Riley hatte bei dem Anblick der teuren Handtasche, die Ryan ihr geschenkt hatte, das gleiche gefühlt. Es war nicht ihr Stil und vermutlich würde sie sie nicht nutzen – es sei denn, sie wusste, dass Ryan kommt. Und soweit sie wusste, fühlte Ryan ähnlich über das Portemonnaie, das Riley und April ihm ausgesucht hatten. Wir versuchen wieder eine Familie zu sein, dachte Riley. Und für den Moment, schienen sie erfolgreich zu sein. Es war der Weihnachtmorgen und Ryan war gerade zu Besuch gekommen, um Zeit mit ihnen zu verbringen. Riley, April, Ryan, und Gabriela saßen neben dem knisternden Kamin und tranken heiße Schokolade. Der köstliche Geruch von Gabrielas Weihnachtsessen lag in der Luft. Riley, April, und Ryan trugen die Schals, die Gabriela für sie gestrickt hatte und Gabrielas Füße steckten in den kuscheligen Hausschuhen, die April und Riley für sie gekauft hatten. Es klingelte an der Tür und Riley ging, um sie aufzumachen. Ihr Nachbar, Blaine, und seine Tochter, Crystal, standen davor. Riley war gleichzeitig erfreut und beunruhigt. In der Vergangenheit hatte Ryan eifersüchtig auf Blaine reagiert – und nicht ohne Grund, wie Riley zugeben musste. Wenn sie ehrlich war, dann fand sie ihn äußerst attraktiv. Riley verglich ihn in Gedanken mit Bill und Ryan. Blaine war einige Jahre jünger als sie, schlank und fit, und sie mochte es, dass er nicht eitel genug war, um seine Geheimratsecken zu verstecken. "Kommt rein!" sagte Riley. "Tut mir leid, ich kann nicht", erwiderte Blaine. "Ich muss zum Restaurant. Aber ich habe Crystal vorbeigebracht." Blaine gehörte ein beliebtes Restaurant in der Altstadt. Riley hätte es nicht wundern sollen, dass es auch an Weihnachten geöffnet war. Das heutige Weihnachtsessen bei Blaine's Grill war vermutlich köstlich. Crystal eilte ins Wohnzimmer und gesellte sich zu der Gruppe am Kamin. Kichernd rissen sie und April gleich das Papier von den Geschenken, die sie sich gegenseitig überreicht hatten. Riley und Blaine tauschten ebenfalls diskret Weihnachtskarten aus, bevor Blaine sich auf den Weg machte. Als Riley sich wieder vor dem Kamin einfand, sah Ryan leicht angesäuert aus. Riley steckte die Karte weg, ohne sie zu lesen. Sie würde warten, bis Ryan wieder nach Hause fuhr. Mein Leben ist wahrlich kompliziert, dachte sie. Aber es fing an, sich wie ein beinahe normales Leben anzufühlen; eine Version ihres Lebens, die sie genießen konnte. * Rileys Schritte hallten durch den großen dunklen Raum. Plötzlich hörte sie das Knacken des Lichtschalters. Das Licht ging an und blendete sie für einen Augenblick. Riley fand sich in einem Korridor wieder, der zu einem Wachsmuseum zu gehören schien, das nur grausige Ausstellungsstücke zeigte. Zu ihrer Rechten war die nackte Leiche einer Frau wie eine Puppe vor einen Baum drapiert. Zu ihrer Linken hing eine tote Frau, in Ketten gewickelt, von einem Laternenpfahl. Das nächste Ausstellungsstück zeigte mehrere Frauenleichen mit ihren Armen hinter den Rücken gebunden. Dahinter waren ausgehungerte Körper, deren Arme auf groteske Weise abstanden. Riley erkannte jede Szene wieder. Es waren alles Fälle, die sie in der Vergangenheit bearbeitet hatte. Sie stand in ihrer ganz persönlichen Kammer des Schreckens. Aber was tat sie hier? Plötzlich hörte sie eine junge Stimme voller Angst nach ihr rufen. "Riley, hilf mir!" Sie sah zu dem Ursprung der Stimme, der Silhouette eines jungen Mädchens, das die Arme verzweifelt nach ihr ausstreckte. Es sah aus wie Jilly. Sie war wieder in Schwierigkeiten. Riley lief ihr entgegen. Aber dann ging ein weiteres Licht an und zeigte ihr, dass die Silhouette nicht Jilly war. Es war ein kauziger alter Mann, der die volle Uniform eines Marine Obersts trug. Es war Rileys Vater. Und er lachte über Rileys Fehler. "Du hast doch nicht erwartet, hier jemanden noch lebend zu finden, oder?" sagte er. "Du nutzt keinem was, es sei denn, sie sind tot. Wie oft muss ich dir das noch sagen?" Riley war verwirrt. Ihr Vater war vor Monaten gestorben. Sie hatte ihn nicht vermisst. Sie hatte sich eher die größte Mühe gegeben, nicht an ihn zu denken. Er war immer ein harter Mann gewesen und hatte ihr nichts als Schmerz bereitet. "Was machst du hier?" fragte Riley. "Nur auf der Durchreise." kicherte er. "Wollte nur sehen, wie du jetzt wieder dein Leben versaust. Alles wie immer, wie ich sehe." Riley wollte sich auf ihn stürzen. Sie wollte ihn so hart schlagen, wie sie nur konnte. Aber sie konnte sich nicht von der Stelle bewegen. Dann hörte sie ein lautes Summen. "Wünschte wir könnten uns unterhalten", sagte er. "Aber du hast was anderes zu tun." Das Summen wurde lauter und lauter. Ihr Vater drehte sich um und ging davon. "Du warst nie für irgendjemanden gut", sagte er. "Nicht einmal für dich selbst." Riley riss die Augen auf. Ihr wurde klar, dass das Summen ihr Telefon war. Die Uhr zeigte sechs Uhr morgens. Der Anruf kam von Quantico. Um diese Zeit konnte das nichts Gutes bedeuten. Sie nahm ab und hörte die ernste Stimme ihres Teamchefs, Spezialagent Brent Meredith. "Agentin Paige, ich brauche Sie sofort in meinem Büro", sagte er. "Das ist ein Befehl." Riley rieb sich die Augen. "Worum geht es?" fragte sie. Am anderen Ende entstand eine kurze Pause. "Das müssen wir persönlich besprechen", sagte er. Dann legte er auf. Für einen Moment fragte Riley sich, ob sie für ihr Verhalten abgemahnt werden würde. Aber nein, sie war seit Monaten beurlaubt. Ein Anruf von Meredith konnte nur eines bedeuten. Ein neuer Fall, dachte Riley. Er würde sie während der Feiertage aus keinem anderen Grund anrufen. Und dem Ton in Merediths Stimme nach zu urteilen, war es etwas Großes – möglicherweise Lebensveränderndes.
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