Die Angeberclique

1972 Words
Ich stolperte verwirrt nach draußen ins helle Sonnenlicht und blickte mich suchend um. Wo waren bloß Franziska und die anderen hin verschwunden? Ich hatte gar nicht bemerkt, wie sich die Aula um mich herum allmählich geleert hatte. Viel zu sehr war ich in meiner eigenen, kleinen Welt versunken. Alleine war ich noch eine ganze Weile, wie versteinert und stocksteif im trüben Licht der Aula gestanden und hatte über meine seltsamen Gefühle nachgegrübelt. Erst als Frau Superfröhlich mich freundlich fragte, ob sie mir irgendwie helfen könnte oder ob sie mir eine kleine Führung geben sollte, war ich aus meiner Starre hochgeschreckt und hatte fluchtartig das Weite gesucht. Noch länger ohne Schutz dieser Frau ausgesetzt zu sein, war nicht gerade das, was ich jetzt brauchte. Auch wenn es sicherlich nett gemeint war. Nun hatte ich jedoch keinen blassen Schimmer mehr, was ich tun oder wo ich hin sollte. Eigentlich musste ich ja zu Marie, meiner Gruppenleiterin, wer auch immer das sein mochte. Aber ich wusste nicht wo und wie diese zu finden war. So stand ich nun hilflos mitten auf dem Hof und schaute den anderen hinterher, die sich langsam in alle Richtungen verzogen. Ich kam mir dabei richtig blöd vor. Warum musste auch gerade ich wieder diejenige sein, die neu und fremd hier war? Das war sowas von typisch! Da entdeckte ich zu meiner großen Erleichterung Franziska, die mir wild zuwinkte. Ihre blonden Haare wippten dabei lustig vor und zurück und ihre Wangen waren leicht getötet. Schnell eilte ich auf sie zu und gesellte mich zu den anderen. "Und wie hat dir unsere kleine, alljährliche Willkommensrede von der Strahletante so gefallen?", fragte Timo lachend. Sein Gesicht verzog sich dabei zu einem hinreißenden Lächeln, das seine Augen strahlen ließ. "War äußerst spannend und aufschlussreich", erwiderte ich sarkastisch und musste angesteckt durch sein Lächeln ebenfalls grinsen. Vielleicht würde es hier ja auch gar nicht ganz so schlimm werden, wie ich angenommen hatte. Timo war zumindest schonmal richtig süß. Ein Traum von einem Typen. Naja, zumindest wenn man auf gutaussehende Sunnyboys stand. Aber wer wusste schon, was die nächsten Tage noch bringen würden. Abwarten und Tee trinken... Leonie kam zu mir herüber geschlendert und legte mir freundschaftlich ihren Arm um die Schulter: "Heute Abend veranstalten wir Mädels wie jedes Jahr zu Beginn der Ferien eine kleine Willkommensparty. Und inoffiziell sind natürlich auch die Jungs herzlich Willkommen. Du bist hiermit nun ebenfalls eingeladen, Larissa. Wäre cool, wenn du vorbeischauen würdest." Sie zwinkerte mir verschwörerisch zu und ich war ehrlich gesagt richtig überrascht. Eigentlich hatte ich mir die ganzen Leute hier vom Camp als absolute Langweiler und Spießer vorgestellt. Aber wie es aussah, musste ich dieses Vorurteil wohl noch einmal überdenken. "Klar komme ich gerne mit zu einer Party. Was ist denn das für eine Frage?! Danke! Ich kann's kaum erwarten", entgegnete ich ehrlich erfreut, "aber jetzt mal kurz was anderes. Wisst ihr eigentlich wer diese berühmte Marie ist und wo ich sie finden kann? Ich soll mich nämlich bei ihr melden." Die anderen wechselten einen vielsagenden Blick und verdrehten entnervt die Augen. Ihrem Verhalten nach zu urteilen, hielten sie ja sehr viel von ihr. Oh oh! "Na dann wünsche ich dir mal viel Spaß mit dieser Schnepfe. Oder besser gesagt viel Glück. Marie ist die Anführerin der Angeberclique hier im Camp. Eine absolute Zimtzicke und einfach unausstehlich. Sie steht garantiert hinter dem Stall dort drüben, mit dem Rest ihrer ach so tollen Freunde. Ich hoffe mal für dich, dass du nicht zu oft etwas mit ihr zu tun haben wirst. Sonst bekommt man nämlich schnell das große Kotzen, glaub mir. Ich spreche da aus Erfahrung", meinte Franziska angeekelt. Das waren ja mal erbauliche Neuigkeiten. Jetzt freute ich mich um so mehr darauf diese Marie kennenzulernen. Aber was blieb mir schon anderes übrig. Seufzend verabschiedete ich mich schließlich von meinen neuen Freunden, nachdem sie mir das Versprechen abgerungen hatten, dass ich auf jeden Fall heute Abend zu der Party kommen würde. Doch jetzt musste ich erst einmal etwas anderes erledigen. Ich wollte mich nicht gleich den Anweisungen von Frau Superfröhlich widersetzen und so schlenderte ich über den Hof auf den Stall zu, in dem ich das zufriedene Rascheln der Pferde und das Muhen der Kühe hören konnte. Mit jedem Schritt, den ich hinter mich brachte, fühlte ich mich unwohler. Eine innere Anspannung, die ein mulmiges Gefühl in mir zurückließ, ergriff von mir Besitz. Wie eine schlechte Vorahnung, die mich warnte weiter zu gehen. Es schüttelte mich. Was war nur in mich gefahren? Das waren doch bestimmt nur irgendwelche Pussis, wie es sie haufenweise an unserer Schule gab und für die ich einfach nur Verachtung übrig hatte. Ich straffte meine Schultern und bog schnellen Schrittes um die Ecke der Scheune herum. Der Wind wehte plötzlich heftiger und zerzauste mir meine Haare. Ich seufzte erleichtert über die kleine Abkühlung auf. Doch als ich die Gruppe von fünf Jugendlichen sah, die da lässig zusammenstanden und ausgelassen plauderten, stockte ich plötzlich mitten in der Bewegung. Das konnte doch einfach nicht wahr sein! Das war doch jetzt ein schlechter Scherz oder? Es war die gleiche Gruppe, die ich heute Mittag schon auf dem Hof beobachtet hatte, als sie gemeinsam fröhlich lachend in die Aula schlenderten. Mein Aufenthalt hier wurde eindeutig immer grandioser! Zwei Jungen rauchten gerade versunken eine Zigarette. Sie sahen sich so erschreckend ähnlich, dass ich mir sicher war, sie niemals auseinanderhalten zu können. Beide trugen weite, grüne Kapuzenpullis und Hosen, die ihnen für meinen Geschmack viel zu tief hingen. Ihre Augen strahlten in einem dunklen Blau, das aus ihren braungebrannten Gesichtern stark hervorstach. Sie waren mindestens 1,90 m groß und ihre Haltung war voller Arroganz. Dem Aussehen nach zu urteilen waren sie ohne Zweifel Zwillinge und ihre Vertrautheit war beinahe erschreckend. Die zwei Mädchen der Gruppe standen etwas abseits und lachten gerade über irgendeinen Witz, den ich nicht verstehen konnte. Beide waren gertenschlank und ihre Haare reichten ihnen bis zu den Hüften. Die eine war braunhaarig mit grünen Augen und die andere blond mit braunen Augen. Sie waren für meinen Geschmack viel zu übertrieben geschminkt und vom bloßen Anblick der beiden wurde mir bereits übel. Schnell wandte ich den Blick wieder ab und sah zu der letzten Person hinüber, die ganz alleine dastand und gelassen die Geschehnisse um sich herum verfolgte. Es war der seltsame Junge mit den seidig schwarzen Haaren. Er hatte sich lässig an die Scheunenwand gelehnt und hielt ebenfalls eine Zigarette zwischen den Fingern, die er immer wieder hin und her drehte. Uns trennten nun keine fünf Meter mehr. Ich hätte ein paar Schritte tun können und schon wäre ich bei ihm gewesen. Seine Haltung strahlte dabei die übliche Überheblichkeit aus und ein selbstgefälliges Grinsen lag auf seinen Lippen. Es war, als stände er über allem und jedem und nichts hätte ihn zu interessieren. Ganz so, als sei er der King des Universums, dem die ganze Welt zu Füßen lag. In diesem Augenblick wandte besagte Person urplötzlich seinen Kopf in meine Richtung, ganz so, als hätte sie meine Anwesenheit gespürt. Seine Augen bohrten sich direkt in meine hinein, eisern und hart. Er blickte nicht an mir vorbei oder durch mich hindurch, wie es die meisten Leute immer taten, sondern direkt in mich hinein, mitten in mein Herz und verwandelte es zu Eis. Unwillkürlich hielt ich die Luft an. Nun war mir auf einmal eiskalt und ich stolperte erschrocken einen Schritt zurück. Das musste doch wohl ein Fake sein! Solche Augen konnte einfach kein normaler Mensch haben! Sie erstrahlten in einem hellen Grau, das mich an glänzendes Silber erinnerte. Das war einfach unbeschreiblich... Sein Blick war dabei von einer solchen Intensität und Stärke geprägt, dass ich am liebsten weggeschaut hätte. Doch ich konnte mich beim besten Willen einfach nicht von ihm losreißen. Seine Augen hielten mich voll und ganz in ihrem Bann gefangen. In diesem winzigen Moment, in dem mich der Blick des geheimnisvollen Jungen eisern gefesselt hielten, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als von diesem einfach nur in die Arme genommen und gehalten zu werden. Ich wollte seinen Blick für immer und ewig auf mir zu spüren, auch wenn mein Herz dadurch gefror. Und dabei war mir völlig egal, was ich dafür hätte opfern müssen. Ich hätte alles getan. Viel zu sehr spürte ich die körperliche Distanz zwischen uns, die beinahe schmerzte. Doch da veränderte sich auf einmal etwas an der Situation. Eine kleine Kleinigkeit stimmte plötzlich nicht mehr. Ein eigentümliches Funkeln schlich sich in die Augen des geheimnisvollen Jungen, das von abgrundtiefem Hass nur so zeugte. Der Typ vor mir funkelte mich einfach wütend und herablassend an und seine vollen Lippen waren dabei zu einem schmalen Strich verzogen. Was hatte ich nur falsch gemacht? Was hatte ich ihm getan, dass er mich so sehr hasste? Wir waren uns doch noch nie zuvor begegnet!!! Ein betäubendes Gefühl der Machtlosigkeit und Verzweiflung breitete sich in mir aus. Entsetzt wandte ich meinen Blick ab und taumelte etwas zurück. Mein Magen vollführte dabei unkontrollierte Hüpfer und mir war speiübel. Verzweifelt versuchte ich die Pfannkuchen mit Nutella in mir drinnen zu behalten, doch es gelang mir nicht, so sehr ich mich auch bemühte. Ein Würgreiz nach dem anderen schüttelte mich und ich erbrach das schöne Essen von heute morgen wieder vor mir ins Gras. Mein Bauch schmerzte daraufhin höllisch und ich umschlang meinen schlotternden Oberkörper mit meinen Armen. Immer und immer wieder würgte es mich heftig auf's Neue, bis nichts mehr kam und ich nur noch bittere Galle spuckte. Wie eklig! Das konnte ja auch nur mir passieren. Keuchend richtete ich mich wieder auf und sah mich verängstigt um. Alle Fünf starrten ungläubig und angeekelt zugleich zu mir herüber, bloß dass der Junge mit den schwarzen Haaren die anderen darin bei weitem übertraf. Sein Gesicht und seine Haltung sprachen von einer solchen Abneigung gegen mich, dass ich am liebsten einfach davongerannt wäre. Es war, als ob ich ein winziger, erbärmlicher Parasit sei, den es zu eliminieren galt, koste es was es wolle. Stockend brachte ich nur ein leises "Entschuldigung" hervor, zu mehr war ich nicht mehr in der Lage. Das Mädchen mit den braunen Haaren und den grünen Augen trat aus der Gruppe hervor und ergriff zuerst das Wort. Sie hatte eine Arroganz an sich, die sie mir vom ersten Moment an unsympathisch machte. Ihre perfekt geformten Gesichtszüge und ihre Traumfigur ließen sie wie aus einem Modemagazin entstiegen wirken. "Du musst wohl Larissa sein, die Neue", presste sie zuckersüß und abfällig zugleich hervor, wobei sie das Wort "Neue" überdeutlich betonte. Mir wäre gleich noch einmal mein Frühstück hochgekommen, wenn ich nicht schon längst alles hervorgewürgt gehabt hätte. "Ich bin deine Leiterin hier und habe somit die Verantwortung für dich. Halte dich also besser an die Regeln, sonst bekommst du es mit mir zu tun. Ich habe hier das Sagen, merke dir das! Und den Rest sollen dir deine Versagerfreunde selbst erklären, denen du dich da angeschlossen hast. Ihr passt perfekt zusammen, das muss man euch lassen. Und jetzt verschwinde aus meinem Sichtfeld und lass uns in Frieden. Du bist weit unter unserem Niveau. Mit sojemandem wie dir wollen wir hier nichts zu tun haben", spuckte sie spöttisch aus und schmiss mir eine Karte zu, mit der man sich, wie ich mich schwach erinnerte, laut Hausordnung wohl das Essen und Trinken in der Mensa holen konnte. Dankbar, dass sie mich wenigstens ebenso schnell loshaben wollte, wie ich sie, gehorchte ich sofort und machte, dass ich fort kam. Dabei stolperte ich jedoch über einen Ast, der mir im Weg lag, was die anderen hämisch auflachen ließ. Ihr Lachen verfolgte mich noch lange nachdem ich sie schon nicht mehr sehen konnte und mein Gesicht brannte vor Scham. Was jedoch noch viel schlimmer war, als der Spott, den sie mir entgegenbrachten, war der bohrende Blick des seltsamen Jungen mit den schwarzen Haaren in meinem Rücken, der von abgrundtiefem Hass sprach und mein Herz weiter gefrieren ließ.
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