Dieser Moment

1871 Words
Unschlüssig stand ich vor der Tür, auf der in goldenen Buchstaben "Aufenthaltsraum Sonnenblumenhaus" geschrieben stand und aus der laute, hämmernde Musik drang. Es wunderte mich, dass Frau Superfröhlich und die anderen Betreuer von diesem Lärm hier nichts mitbekommen sollten, aber das war ja auch nicht mein Problem. Wahrscheinlich schliefen sie sowieso alle schon tief und fest. Ich hatte beschlossen die anderen Partygäste einfach geflissentlich zu ignorieren und den Abend irgendwie zu genießen, auch wenn ich noch nicht so genau wusste, wie ich das anstellen sollte. Eigentlich war ich ja nur hier, um meine Zeit im Camp abzusitzen und Freunde hatte ich dabei auch nie finden wollen. Ich machte mir nicht im geringsten etwas daraus, was diese Campfutzis von mir denken mochten. Also hatte ich ja auch nichts zu befürchten. "Eben nur mit einer kleinen Ausnahme, du Schlaumeier", schoss es mir durch den Kopf, was mich gequält aufstöhnen ließ. Denn diese kleine Ausnahme war niemand geringeres, als der seltsame Junge mit den faszinierend silbergrauen Augen. Ich hätte wirklich alles dafür gegeben, dass er mir wenigstens eine winzig kleine Chance gab, um ihn näher kennenlernen zu dürfen. Aber wie es schien, hatte er mich ja bereits abgeschrieben, bevor er überhaupt ein Wort mit mir gewechselt hatte. Das musste ich wohl oder übel so hinnehmen. Seine Entscheidung, nicht meine. Ich straffte meine Schultern und öffnete schwungvoll die Tür vor mir. Die Musik wurde mit einem Schlag noch lauter und dröhnte mir heftig in den Ohren, während der Bass den Boden unter meinen Füßen zum vibrieren brachte. Neugierig schaute ich mich genauer um. Ich befand mich in einem Raum, der ziemlich geräumig und von oben bis unten mit Girlanden und Lametta geschmückt worden war. Chips und Kuchen standen auf einem langen Tisch und eine behelfsmäßige Bar war hinter einer Abtrennwand eingerichtet worden. Was das wohl für eine Party war? Lahmer Kindergeburtstag eines Zwölfjährigen? Überall standen mehrere kleine Grüppchen von Jugendlichen an Stehtischen herum, was nicht gerade sehr einladend wirkte. Eine kleine Fläche war jedoch frei geräumt worden, die als Tanzfläche diente. Zwei Jungen, die vielleicht gerade einmal 14 waren, gaben gerade ihre Tanzkünste zum besten und eine kleine Schar Schaulustiger hatte sich johlend um sie versammelt. Es herrschte eine ausgelassene Stimmung, weshalb es mir trotz allem sofort etwas besser ging. Bei Partys kannte ich mich aus. Ich liebte es einfach mich mit der Masse der tanzenden Körper um mich herum mitreißen zu lassen und alles andere zu vergessen. Hoffentlich wurde hier später auch wirklich getanzt. Da entdeckte ich zu meiner großen Erleichterung Timo, der mit einem anderen Jungen an einem Tisch stand, den ich davor jedoch noch nie gesehen hatte. Er lachte herzlich mit ihm und seine Augen strahlten. Wie es schien war er vollkommen glücklich und das freute mich wirklich sehr zu sehen. Wenigstens einer hatte gute Laune! Er hielt einen gelben Cocktail in der Hand, der ziemlich lecker aussah. Ich wollte auch soetwas haben. Unbedingt! Schnellen Schrittes ging ich auf die beiden zu, ohne die Blicke der anderen weiter zu beachten, die mir folgten. Wie es schien, wusste also wirklich jeder, dass ich der hochwohlgeborenen Zickenclique vor die Füße gekotzt hatte. Gaaaanz toll! " Hey Larissa! Wo warst du denn beim Abendessen abgeblieben? Wir haben dich schon beinahe als vermisst melden wollen", rief Timo mir laut über die Musik hinweg entgegen, als er mich erkannte und riss mich so aus meinen Gedanken. Sein Gesicht verzog sich bei diesen Worten zu einem hinreißenden Lächeln, was mir einen warmen Schauer den Rücken hinunterjagen ließ. Doch sofort schob sich das Bild dieses seltsamen Jungen, mit den silbergrauen Augen vor mein inneres Auge, dessen Gegenwart mich so aus der Bahn geworfen hatte. Jetzt war es wohl völlig um mich geschehen! Timo war so nett zu mir und ich dachte nur an diesen Idioten. Schnell schüttelte ich meinen Kopf: "Ich hatte einfach keinen Hunger. Kommt manchmal bei mir vor. Aber die Party hier konnte ich mir natürlich nicht entgehen lassen." Timo nickte zustimmend und legte mir freundschaftlich seine Hand auf meinen Arm. Ein warmes Kribbeln breitete sich von der Stelle aus, wo er mich gerade berührte und ich musste unwillkürlich lächeln. "Ich habe von deiner Begegnung mit unserer Angeberclique gehört und muss sagen, dass ich ehrlich stolz auf dich bin. Du hast dich gut geschlagen. Das können nicht viele von sich behaupten. Die Meisten haben nicht einmal den Mut Marie zu sagen, dass sie zum kotzen ist. Du hast es dagegen sogar authentisch dargestellt. Genial! Ich fand es nur etwas schade, dass du ihr nicht auf die Füße gekotzt hast. Das wäre nämlich noch die absolute Krönung gewesen. Aber egal. Wie wäre es also mit einem Cocktail für unsere Heldin des Abends?", meinte Timo ernst. Sofort ging es mir um einiges besser. Er machte sich nicht über mich lustig, sondern schien mich tatsächlich aufmuntern zu wollen. "Sehr gerne", erwiderte ich dankbar und wurde leicht rot. Timos Anwesenheit verursachte in meinem Magen ein sanftes Flattern, was mich ganz hibbelig machte. Besagte Person verschwand in Richtung Bar, um mir etwas zum Trinken zu holen, wobei er mir noch einen letzten Blick zuwarf. Ich konnte das Ganze kaum fassen. Dieser richtig süße, hinreißende Typ schien mich tatsächlich zu mögen! Oder zumindest versuchte er super nett zu sein. Da kam Franziska zu unserem Tisch herüber geschlendert und gesellte sich zu mir. Wir plauderten etwas über unsere Familien und unser Leben zu Hause. Sie berichtete von ihren drei jüngeren Geschwistern und ihren nörgelnden Eltern, vor denen sie wenigstens einmal im Jahr in den Ferien Ruhe brauchte und weswegen sie eigentlich hierher ins Camp kam. Ich konnte sie durchaus verstehen und fragte mich, wie ich sie noch vor ein paar Stunden alle als Langweiler verurteilt haben konnte. Wie bescheuert! Timo war mittlerweile wieder mit einem Cocktail in der Hand zurückgekehrt, den er mir galant reichte. Ich nahm einen großen Schluck des leckeren Getränks, das mir kühl und süß den Hals hinunter floss. Herrlich! Er stellte sich dicht neben mich und ich konnte seinen umwerfenden Geruch nach irgendetwas Exotischem wahrnehmen, der mich an Urlaub und Strand erinnerte. Oh mein Gott war der Typ heiß! Leonie, Mona und Martin fanden sich mit der Zeit auch noch bei uns ein und es war, als hätte ich schon immer dazugehört. Wir scherzten und lachten und ich fand langsam, aber sicher sogar ein bisschen Gefallen an dem Gedanken hier, in diesem Camp, mit meinen neuen Freunden noch sechs Wochen zu verbringen. Das würde sicherlich noch richtig lustig werden. Davon war ich in diesem Augenblick fest überzeugt. Auf einmal wurde ich von hinten heftig angerempelt, sodass ich nach vorne stolperte und sich der Rest meines halb leeren Glases über mein T-Shirt ergoss. Eine klebrig gelbe Lache Malibu-Maracuja breitete sich auf meinem neuen Top aus, was sich perfekt auf dem weißen Stoff machte. Ich fuhr wutschnaubend zu der Person hinter mir herum und funkelte sie mit zusammengekniffenen Augen wütend an. "Was fällt dir eigentlich ein?! Hast du keine Augen im Kopf oder was? Du solltest dir wohl besser eine Brille zulegen!", schrie ich außer mir vor Wut. Der, der mich umgerannt hatte, gab keinen einzigen Ton von sich, als würde ihn die ganze Sache nichts angehen und ihn nicht im Geringsten interessieren. Hatte es ihm jetzt etwa auch noch die Sprache verschlagen oder was? Verächtlich schaute ich zu diesem Vollidioten auf, direkt in das Gesicht dieses geheimnisvollen Jungen, der mir nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Seine Augen funkelten belustigt drein und ein kleines Lächeln umspielte seine vollen Lippen. Mir verschlug es den Atem. Für einen winzigen Augenblick erstrahlte sein Gesicht in einem amüsierten Grinsen und entriss mich vollkommen dieser Welt. Kleine Grübchen bildeten sich um seinen Mund herum und das Silbergrau seiner Augen schien auf einmal mit goldenen Sprenkeln durchsetzt zu sein. Es hätte mich nicht gewundert, wenn ich gleich aus einem Traum erwacht wäre, denn so etwas Schönes hätte es eigentlich gar nicht geben dürfen. "Du musst Larissa sein. Ich hatte heute morgen leider noch keine Zeit mich vorzustellen, als du so schnell geflüchtet bist. Ich bin Laurin", grinste er da abfällig und ich bemerkte, dass er mich auf den Arm nehmen wollte. Dabei entblößte er eine Reihe schneeweißer Zähne, die aus seinem Gesicht hervorblitzten und aus einer Zahnpastawerbung hätten stammen können. LAURIN!!! Ich ließ mir das Wort auf der Zunge zergehen. Wie schön sich dieser Name anhörte! Er passte so perfekt zu ihm. Doch sofort packte mich wieder die kalte Wut, als ich an den Typen vor mir dachte. Nicht einmal ein Wort der Entschuldigung hatte er hervorgebracht! Benahm sich, als sei er etwas Besseres, als alle anderen und ich unter seinem Niveau! Und trotzdem musste ich feststellen, dass ich nicht sauer auf ihn sein konnte. Ich brachte es einfach nicht über mich auch nur ein kleines bisschen böse auf ihn zu sein. Ohne einen Ton hervorzubringen starrte ich ihn nur ungläubig an und bewunderte seine umwerfende Erscheinung. Da trat plötzlich Timo neben mich und legte mir besitzergreifend seinen Arm um die Schultern. "Entschuldige dich gefälligst bei ihr, wenn du nicht aufpassen kannst und über deine eigenen Füße stolperst!", drang seine Stimme drohend von weitem zu mir durch. Laurin wandte sich nun langsam Timo zu, wobei er mich weiterhin eingehend fixierte: "Du hast mir nichts zu sagen Kleiner!" Tatsächlich stellte ich verwundert fest, dass Laurin mindestens einen Kopf größer war, als Timo. "Aber weil sie es ist, mache ich da mal eine Ausnahme. Es tut mir leid Larissa", meinte er spöttisch und abfällig zugleich. Timo unterdrückte ein wütendes Schnauben und wie es schien auch das Bedürfnis Laurin hier und jetzt an die Gurgel zu springen. Ich stand währenddessen einfach nur stocksteif da, spürte den sanften Druck von Timos Arm auf meinen Schultern und beobachtete fasziniert Laurin, der so vollkommen zu sein schien. Ich musste schon dämlich ausgesehen haben, wie ich da reglos stand, ohne ein Wort zu dem Gespräch beizusteuern. Da zwinkerte mir Laurin auf einmal zu und hauchte genau so laut, dass Timo ihn auch hören musste, in mein Ohr: "War wirklich nett dich kennengelernt zu haben, Larissa. Man sieht sich bestimmt bald wieder, Schönheit." Mit diesen Worten drehte er sich auf dem Absatz um und verschwand in der Menschenmenge, ohne auf eine Antwort von mir zu warten, die höchst wahrscheinlich sowieso nicht gekommen wäre. Ich blieb noch eine ganze Weile etwas benommen stocksteif an derselben Stelle stehen, bis Timo mich leicht schüttelte und ich zum Tisch zurückkehrte. Was für ein Abend! Leonie reichte mir wortlos eine Serviette, die ich dankbar entgegen nahm. "Lass dir von diesem Vollpfosten nicht den Abend verderben. Das ist der größte Arsch, den es hier gibt. Wenn dieser Schnösel es das nächste mal wagt so mit dir zu reden, verpasse ich ihm eine. Das schwöre ich dir!", fauchte Timo mit knirschenden Zähnen. Ich fühlte mich durch seinen Beistand geschmeichelt und blickte beschämt zu Boden. Wenn er und die anderen gewusst hätten, was in mir vorging, wären sie sicherlich nicht so nett zu mir gewesen. So eine sch...! Der Abend wurde daraufhin den Verhältnissen entsprechend noch richtig lustig und schön. Jedoch wollte mir das Bild von Laurins Lächeln keine Sekunde lang mehr aus dem Kopf gehen. Selbst als mir fast die Augen zufielen und ich hundemüde ins Bett stolperte, sah ich noch sein Gesicht vor mir, das mich voll und ganz verzauberte.
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