KAPITEL EINS
Riley lachte, als Ryan ihr die Bücherkiste wegnahm.
Sie sagte: »Lass mich einfach etwas tragen, okay?«
»Das ist zu schwer für dich«, sagte Ryan und trug die Kiste zu dem leeren Bücherregal. »Du solltest nichts heben.«
»Komm schon, Ryan. Ich bin schwanger, nicht krank.«
Ryan stellte die Kiste vor das Bücherregal und wischte sich die Hände ab.
»Du kannst die Bücher herausnehmen und ins Regal stellen«, sagte er.
Riley lachte wieder.
Sie sagte: »Du meinst, du gibst mir die Erlaubnis, beim Einzug in unsere Wohnung zu helfen?«
Ryan sah jetzt verlegen aus.
»Das ist nicht das, was ich meinte«, sagte er. »Es ist nur so − nun, ich mache mir Sorgen.«
»Und ich sage dir immer wieder, es gibt keinen Grund zur Sorge«, sagte Riley. »Ich bin erst in der sechsten Woche und fühle mich großartig.«
Sie wollte ihren gelegentlichen Anfall von Morgenübelkeit nicht erwähnen. Bislang war es nicht gravierend.
Ryan schüttelte den Kopf. »Versuch einfach, es nicht zu übertreiben, okay?«
»Werde ich nicht«, sagte Riley. »Ich verspreche es.«
Ryan nickte und ging zurück zu dem Stapel von Kisten, die noch ausgepackt werden mussten.
Riley öffnete den vor ihr liegenden Karton und begann, Bücher in die Regale zu stellen. Eigentlich war sie froh, stillzusitzen und einen einfachen Job zu machen. Sie wurde sich bewusst, dass ihr Verstand die Ruhe mehr brauchte als ihr Körper.
Die letzten Tage waren wie ein Wirbelsturm gewesen.
Eigentlich auch die letzten paar Wochen.
Ihre Graduierung mit einem Abschluss in Psychologie an der Universität Lanton war ein verrückter, lebensverändernder Tag. Gleich nach der Zeremonie hatte ein FBI-Agent sie für das zehnwöchige Honors Internship Sommer-Programm des FBI angeworben. Kurz danach hatte Ryan sie gebeten, bei ihm einzuziehen, wenn er seinen neuen Job begann.
Das Beste daran war, dass sowohl ihr Praktikums-Programm als auch Ryans neuer Job in Washington, D.C. waren. Deshalb hatte sie keine Wahl treffen müssen.
Zumindest war er nicht ausgeflippt, als ich ihm sagte, dass ich bereits schwanger bin, dachte sie.
Tatsächlich schien er zu diesem Zeitpunkt sehr erfreut gewesen zu sein. Er war in den Tagen seit dem Abschluss etwas nervöser geworden, was die Vorstellung von einem Baby anging − aber auch Riley fühlte sich deswegen sehr nervös.
Der bloße Gedanke daran verunsicherte sie. Sie begannen gerade erst ihr gemeinsames Leben und sie würden bald die größte Verantwortung teilen, die Riley sich vorstellen konnte − ihr eigenes Kind großzuziehen.
Wir sollten besser bereit sein, dachte Riley.
Sie fühlte sich seltsam, als sie ihre alten Psychologie-Lehrbücher in die Regale stellte. Ryan hatte versucht, sie dazu zu überreden, sie zu verkaufen, und sie wusste, dass sie es wahrscheinlich sollte ...
Um ehrlich zu sein, brauchten wir jeden Cent, den wir bekommen konnten.
Dennoch hatte sie das Gefühl, dass sie ihre Bücher in der Zukunft noch brauchen würde. Sie war sich nur nicht sicher, warum oder wofür.
Wie auch immer, die Kiste enthielt auch eine Menge von Ryans Jura-Büchern, und er hatte noch nicht einmal in Erwägung gezogen, eines davon zu verkaufen. Natürlich würde er sie wahrscheinlich in seinem neuen Job als Rechtsanwalt in der D.C.-Kanzlei von Parsons and Rittenhouse benötigen.
Als die Kiste leer war und die Bücher alle in den Regalen standen, saß Riley auf dem Boden und beobachtete Ryan, der unermüdlich Möbelstücke schob und neu positionierte, als ob er versuchte, den perfekten Platz für alles zu finden.
Riley unterdrückte einen Seufzer ...
Armer Ryan.
Sie wusste, dass er mit dieser Wohnung im Souterrain nicht wirklich zufrieden war. Er hatte eine schönere Wohnung in Lanton gehabt, mit den gleichen Möbeln, die sie hierher mitgebracht hatten − eine angenehme Sammlung von Secondhand-Artikeln im Bohemien-Stil.
Was sie betraf, so sahen Ryans Sachen hier immer noch ziemlich gut aus. Und die kleine Wohnung störte sie überhaupt nicht. Sie hatte sich an ein Wohnheim-Zimmer in Lanton gewöhnt, sodass dieser Ort trotz der verkleideten Rohre, die im Schlafzimmer und der Küche unter der Decke hingen, absolut luxuriös erschien.
Zwar waren die Wohnungen in den Etagen im Obergeschoss viel schöner, aber diese war die einzig verfügbare gewesen. Als Ryan sie zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er sich fast geweigert, sie zu mieten. Aber um ehrlich zu sein, das war das Beste, was sie sich leisten konnten. Sie waren bereits erheblich verschuldet. Ryan hatte den Rahmen seine Kreditkarte mit den Umzugskosten, der Kaution für die Wohnung und allem anderen, was sie für diese bedeutsame Veränderung in ihrem Leben gebraucht hatten, voll ausgeschöpft.
Dann blickte Ryan plötzlich zu Riley hinüber und sagte: »Was hältst du davon, wenn wir eine Pause machen?«
»Okay«, sagte Riley.
Riley stand vom Boden auf und setzte sich an den Küchentisch. Ryan holte ein paar Softdrinks aus dem Kühlschrank und setzte sich zu ihr. Sie schwiegen beide und Riley spürte sofort, dass Ryan etwas im Sinn hatte.
Schließlich trommelte Ryan seine Finger auf den Tisch und sagte ...
»Ähm, Riley, wir müssen über etwas reden.«
Das klingt wirklich ernst, dachte sie.
Ryan schwieg wieder und er hatte einen abwesenden Blick in den Augen.
»Du machst nicht Schluss mit mir, oder?«, fragte sie.
Sie machte natürlich nur Spaß.
Aber Ryan lachte nicht. Er schien die Frage kaum bemerkt zu haben.
»Ähm? Nein, es ist nichts dergleichen, es ist ...«
Seine Stimme stockte erneut und Riley fühlte sich jetzt wirklich unwohl.
Was ist los? fragte sie sich. Hat das mit Ryans Job nicht geklappt?
Ryan sah Riley in die Augen und sagte ...
»Lach nicht über mich, okay?«
»Warum sollte ich lachen?«, fragte Riley.
Etwas zitternd stand Ryan von seinem Stuhl auf und kniete sich neben sie.
Und dann begriff Riley ...
Oh, mein Gott! Er würde ihr einen Antrag machen!
Und natürlich musste sie lachen. Sie lachte vor lauter Nervosität.
Ryan errötete zutiefst.
»Ich habe dir gesagt, du sollst nicht lachen«, sagte er.
»Ich lache nicht über dich«, sagte Riley. »Nur zu, sag, was du sagen willst. Ich bin mir ziemlich sicher ... nun, mach einfach weiter.«
Ryan fummelte in seiner Hosentasche herum und nahm eine kleine schwarze Schmuckschachtel heraus. Er öffnete sie, um einen schlichten, aber schönen Diamantring zu offenbaren. Riley kam nicht umhin, nach Luft zu schnappen.
Ryan stammelte ...
»Äh, Riley Sweeney, würdest du mich heiraten?«
Riley versuchte erfolglos, ihr nervöses Kichern zurückzuhalten und schaffte es zu sagen ...
»Oh, ja. Auf jeden Fall.«
Ryan zog den Ring aus der Schachtel und Riley streckte ihre linke Hand aus und ließ ihn sich an den Ringfinger stecken.
»Er ist wunderschön«, sagte Riley. »Jetzt steh auf und setz dich zu mir.«
Ryan lächelte schüchtern, als er sich an den Tisch neben sie setzte.
»War das Knien zu viel?«, fragte er.
»Das Knien war perfekt«, sagte Riley. »Alles ist einfach ... perfekt.«
Sie starrte für einen Moment verzückt auf den kleinen Diamanten auf ihrem Ringfinger. Der Bann ihres nervösen Lachens war verstrichen und jetzt schnürten ihr die Gefühle die Kehle zu.
Das hatte sie wirklich nicht kommen sehen. Sie hatte es nicht einmal gewagt, darauf zu hoffen − zumindest nicht so schnell.
Aber hier waren Ryan und sie und machten einen weiteren großen Schritt in ihrem Leben.
Während sie das Lichtspiel auf dem Diamanten beobachtete, sagte Ryan ...
»Ich werde dir irgendwann einen schöneren Ring besorgen.«
Riley schnappte ein wenig nach Luft.
»Wag es ja nicht!«, sagte sie. »Das wird mein einziger Verlobungsring bleiben, für immer!«
Aber während sie immer wieder auf den Ring starrte, kam sie nicht umhin, sich Sorgen zu machen ...
Wie viel hat er wohl gekostet?
Als ob Ryan ihre Gedanken lesen würde, sagte er ...
»Mach dir keine Sorgen wegen des Rings.«
Ryans beruhigendes Lächeln ließ ihre Sorge sich in einem Augenblick auflösen. Sie wusste, dass er kein Narr war, wenn es um Geld ging. Er hatte wahrscheinlich einen guten Preis für diesen Ring ausgehandelt − obwohl sie ihn nie danach fragen würde.
Riley fiel auf, wie Ryans Gesichtsausdruck traurig wurde, als er sich in der Wohnung umsah.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte sie.
Ryan seufzte und sagte: »Ich werde dir ein besseres Leben ermöglichen. Ich verspreche es.«
Riley fühlte sich sonderbar erschüttert.
Sie fragte: »Was ist falsch an dem Leben, das wir jetzt haben? Wir sind jung und verliebt und wir werden ein Baby bekommen und −«
»Du weißt, was ich meine«, unterbrach Ryan sie.
»Nein, ich bin mir nicht sicher, ob ich das tue«, sagte Riley.
Zwischen ihnen herrschte Stille.
Ryan seufzte wieder und sagte: »Schau, ich fange morgen mit einem Einstiegsgehalt an zu arbeiten. Es fühlt sich nicht gerade nach dem besten Deal der Welt an. Aber es ist eine gute Firma und wenn ich dabeibleibe, werde ich aufsteigen und eines Tages vielleicht sogar Partner werden.«
Riley starrte ihn unablässig an.
»Eines Tages, ganz bestimmt sogar«, sagte sie. »Aber dein Start ins Berufsleben ist schon jetzt sehr gut. Und ich mag, was wir im Moment haben.«
Ryan zuckte mit den Schultern. »Wir haben nicht viel. Zum einen haben wir nur ein Auto und das brauche ich, um zur Arbeit zu fahren, was bedeutet ...«
Riley unterbrach ihn: »Das bedeutet, dass ich jeden Morgen mit der Metro zu meinem Ausbildungs-Programm fahren werde. Was ist daran falsch?«
Ryan griff über den Tisch und nahm ihre Hand.
»Es ist ein zwei Blocks langer Fußweg zur nächsten Metrostation und von dort wieder zurück«, sagte er. »Und das ist nicht die sicherste Nachbarschaft der Welt. Das Auto wurde bereits einmal aufgebrochen. Es gefällt mir nicht, dass du alleine da hinaus gehen musst. Ich mache mir Sorgen.«
Ein seltsames, unangenehmes Gefühl breitete sich in Riley aus. Sie war sich noch nicht sicher, was dieses Gefühl bedeutete.
Sie sagte: »Vielleicht ist es dir nicht aufgefallen, aber ich mag diese Gegend hier wirklich. Ich habe mein ganzes Leben im ländlichen Virginia verbracht. Das ist eine aufregende Veränderung, ein Abenteuer. Außerdem weißt du, dass ich zäh bin. Mein Vater war ein Marinekapitän. Er hat mir beigebracht, wie man auf sich selbst aufpasst.«
Sie hätte fast hinzugefügt ...
Und ich habe vor ein paar Monaten den Angriff eines Serienmörders überlebt, erinnerst du dich?
Sie hatte nicht nur diesen Angriff überlebt, sondern auch dem FBI geholfen, den Mörder aufzuspüren und ihn vor Gericht zu bringen. Deshalb hatte man ihr die Möglichkeit geboten, an dem FBI-Ausbildungsprogramm teilzunehmen.
Aber sie wusste, dass Ryan im Moment nichts davon hören wollte. Sein männlicher Stolz war im Augenblick empfindlich.
Und Riley erkannte etwas ...
Ich ärgere mich wirklich darüber.
Riley wählte ihre Worte sorgfältig aus und versuchte, nicht das Falsche zu sagen ...
»Ryan, weißt du, es ist nicht allein deine Aufgabe, uns ein besseres Leben zu ermöglichen. Das geht uns beide etwas an. Ich werde mich genauso einbringen. Ich habe auch vor, Karriere zu machen.«
Ryan sah mit einem Stirnrunzeln weg.
Riley kämpfte einen Seufzer nieder, als sie erkannte ...
Ich habe doch das Falsche gesagt.
Sie hatte fast vergessen, dass Ryan ihr Sommerpraktikum nicht wirklich guthieß. Sie hatte ihn daran erinnert, dass es nur zehn Wochen waren und es sich nicht um körperliches Training handelte. Sie würde nur Agenten bei der Arbeit beobachten, zumeist beim Innendienst. Außerdem, so dachte sie, könnte es sogar zu einem Bürojob direkt dort im FBI-Hauptquartier führen.
Diese Aussicht war ihm wesentlich sympathischer, aber er war nicht gerade begeistert.
Aber Riley war es nach wie vor schleierhaft, was er für sie bevorzugen würde.
Wollte er vielleicht, dass sie eine Hausfrau wurde? Wenn ja, würde er früher oder später enttäuscht sein.
Aber jetzt war keine Zeit, um auf all das einzugehen.
Verderben wir diesen Moment nicht, sagte sich Riley.
Sie sah wieder auf ihren Ring und dann auf Ryan.
»Er ist wunderschön«, sagte sie. »Ich bin wirklich glücklich. Ich danke dir.«
Ryan lächelte und drückte ihre Hand.
Dann sagte Riley: »Mit wem sollen wir also diese wunderbare Nachricht teilen?«
Ryan zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Wir haben noch keine wirklichen Freunde hier in D.C.. Ich schätze, ich könnte mich mit einigen meiner alten Freunde von der juristischen Fakultät in Verbindung setzen. Vielleicht könntest du deinen Vater anrufen.«
Riley runzelte die Stirn ob dieser Idee. Ihr letzter Besuch bei ihrem Vater war nicht besonders angenehm gewesen. Ihre Beziehung war schon immer zutiefst problematisch gewesen.
Und außerdem ...
»Er hat kein Telefon, schon vergessen?«, sagte Riley. »Er lebt ganz allein in den Bergen.«
»Oh, ja«, sagte Ryan.
»Was ist mit deinen Eltern?«, fragte Riley.
Ryans Lächeln verblasste ein wenig.
»Ich werde es ihnen schriftlich mitteilen«, sagte er.
Riley musste sich selbst davon abhalten, zu fragen ...
Warum rufst du sie nicht einfach an?
Vielleicht könnte ich dann sogar mit ihnen reden.
Sie hatte Ryans Eltern, die in der kleinen Stadt Munny in Virginia lebten, noch nicht kennengelernt.
Riley wusste, dass Ryan unter einfachen Arbeitern aufgewachsen war und er war sehr darauf bedacht, diese Art von Leben hinter sich zu lassen.
Sie fragte sich, ob es ihm peinlich wäre, von ihnen in Verlegenheit gebracht zu werden, oder ...
Schämte er sich für mich?
Wussten sie überhaupt, dass wir zusammenleben?
Würden sie es gutheißen?
Aber bevor Riley darüber nachdenken konnte, wie sie das Thema anschneiden sollte, klingelte das Telefon.
»Vielleicht können wir einfach den Anrufbeantworter rangehen lassen«, sagte Ryan.
Riley dachte einen Moment darüber nach, während das Telefon weiter klingelte.
»Es könnte etwas Wichtiges sein«, sagte sie. Sie ging zum Telefon und nahm den Anruf entgegen.
Eine fröhliche, professionell klingende Männerstimme sagte: »Dürfte ich bitte mit Riley Sweeney sprechen?«
»Am Apparat«, sagte Riley.
»Hier ist Hoke Gilmer, Ihr Vorgesetzter beim FBI-Sommer-Programm. Ich wollte Sie nur daran erinnern ...«
Riley sagte aufgeregt: »Ja, ich weiß! Ich werde morgen früh um sieben Uhr pünktlich und hellwach da sein!«
»Großartig!«, entgegnete Hoke. »Ich freue mich darauf, Sie kennenzulernen.«
Riley legte den Hörer auf und sah Ryan an. Er hatte einen wehmütigen Blick in den Augen.
»Wow«, sagte er. »Jetzt wird es ernst, nicht wahr?«
Riley verstand, wie er sich fühlte. Seit dem Umzug aus Lanton waren sie selten voneinander getrennt gewesen.
Und jetzt, morgen, würden sie sich beide auf den Weg zu ihren neuen Jobs machen.
Riley sagte: »Vielleicht sollten wir zur Feier des Tages etwas Besonderes zusammen machen.«
»Gute Idee«, sagte Ryan. »Vielleicht ins Kino gehen und ein gutes Restaurant finden und ...«
Riley lachte, als sie ihn an der Hand packte und ihn auf die Füße zog.
»Ich habe eine bessere Idee«, sagte sie.
Sie zog ihn ins Schlafzimmer, wo sie beide lachend auf das Bett fielen.