PROLOG

1593 Words
PROLOG Zuerst nahm Janet Davis nichts anderes wahr, als den schrecklichen Schmerz, der ihr durch den Schädel klapperte, wie tausend Kastagnetten, die fern jedes Rhythmus spielen. Ihre Augen waren geschlossen. Als sie versuchte, sie zu öffnen, wurde sie von strahlend weißem Licht geblendet, und sie musste sie wieder schließen. Das Licht fühlte sich heiß auf ihrem Gesicht an. Wo bin ich? fragte sie sich. Wo war ich, bevor ... bevor das passiert ist? Dann fing sie an, sich zu erinnern ... Sie hatte in den Sümpfen in der Nähe des Lady-Bird-Johnson-Parks Fotos gemacht. Es war bereits zu spät in diesem Sommer, um die Millionen von Narzissen, die dort blühten, zu sehen, aber die Hartriegel-Blätter zeigten sich in einem schönen tiefen Grün, besonders bei Sonnenuntergang. Sie hatte am Yachthafen gestanden und die Schatten der Boote und das schöne Spiel des Sonnenuntergangs auf dem Wasser fotografiert, als sie Schritte gehört hatte, die sich ihr schnell von hinten näherten. Noch bevor sie sich überhaupt umdrehen konnte, hatte sie einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf gespürt und die Kamera war ihr aus den Händen geflogen, und ... Ich habe das Bewusstsein verloren, schätze ich. Aber wo war sie jetzt? Sie war immer noch zu benommen, um wirklich Angst zu haben. Aber sie wusste, dass die Angst bald einsetzen würde. Langsam wurde ihr klar, dass sie flach auf dem Rücken auf einer harten Oberfläche lag. Sie konnte ihre Arme und Beine nicht bewegen. Ihre Hände und Füße fühlten sich durch enge Fesseln um ihre Handgelenke und Knöchel taub an. Aber das seltsamste Gefühl waren die Finger auf ihrem ganzen Gesicht, die etwas Weiches und Feuchtes auf ihrer heißen Haut verschmierten. Sie schaffte es, ein paar Worte zu sagen. »Wo bin ich? Was machen Sie da?« Als keine Antwort kam, drehte sie ihren Kopf und versuchte, der lästigen Bewegung der klebrigen Fingerspitzen zu entkommen. Sie hörte eine männliche Stimme flüstern ... »Halt still.« Sie hatte nicht die Absicht, stillzuhalten. Sie drehte sich weiter, bis sich die Finger wegbewegten. Sie hörte einen lauten, missbilligenden Seufzer. Dann bewegte sich das Licht, sodass es nicht mehr direkt auf ihr Gesicht fiel. »Öffne deine Augen«, sagte die Stimme. Das tat sie dann auch. Vor ihr schimmerte die scharfe Klinge eines Metzgermessers. Die Spitze des Messers kam immer näher an ihr Gesicht heran und ließ die Blickrichtung ihrer Augen sich kreuzen, sodass sie die Klinge doppelt sah. Janet keuchte und die Stimme flüsterte wieder ... »Halt still.« Sie erstarrte, schaute direkt nach oben, aber ein krampfhaftes Entsetzen strömte durch ihren Körper. Die Stimme zischte wieder einen Befehl. »Halt still, habe ich gesagt.« Sie zwang ihren Körper, stillzuhalten. Ihre Augen waren offen, aber das Licht war schmerzhaft hell und heiß, und sie konnte nichts Genaues erkennen. Das Messer verschwand und die Finger setzten ihre Schmiererei fort, diesmal um ihre Lippen herum. Sie knirschte mit den Zähnen und sie konnte tatsächlich hören, wie sie unter schrecklichem Druck aufeinander rieben. »Fast fertig«, sagte die Stimme. Trotz der Hitze fing Janet an, aus Angst am ganzen Körper zu zittern. Die Finger begannen jetzt, um ihre Augen herum zu drücken, und sie musste sie wieder schließen, um zu verhindern, dass das, was der Mann da verschmierte, in sie gelangte. Dann bewegten sich die Finger von ihrem Gesicht weg und sie konnte ihre Augen wieder aufmachen. Jetzt konnte sie die Silhouette eines grotesk geformten Kopfes erkennen, der sich im gleißenden Licht bewegte. Sie fühlte, wie ein verängstigter Schluchzer aus ihrer Kehle drang. »Lassen Sie mich gehen«, sagte sie. »Bitte lassen Sie mich gehen.« Der Mann sagte nichts. Sie fühlte, wie er gerade an ihrem linken Arm herumfummelte, etwas Elastisches um ihren Bizeps schnallte und es dann schmerzhaft festzog. Janets Panik wuchs und sie versuchte, sich nicht vorzustellen, was passieren würde. »Nein«, sagte sie. »Nicht.« Sie fühlte, wie ein Finger in ihrer Armbeuge herumtastete, dann den stechenden Schmerz einer Nadel, die in eine Arterie eindrang. Vor Entsetzen und Verzweiflung schrie Janet. Dann, als sie fühlte, wie die Nadel herausgezogen wurde, erfuhr sie eine seltsame Verwandlung. Ihr Schrei verwandelte sich plötzlich in ... Lachen! Ihr Lachen war aufbrausend, unkontrolliert, gefüllt mit einer verrückten Euphorie, die sie noch nie zuvor erlebt hatte. Sie fühlte sich jetzt absolut unbesiegbar und unendlich stark und mächtig. Aber als sie wieder versuchte, sich von den Fesseln um ihre Handgelenke und Knöchel zu befreien, rührten sie sich nicht. Ihr Lachen verwandelte sich in eine Welle wilder Wut. »Lass mich gehen«, zischte sie. »Lass mich gehen oder ich schwöre bei Gott, ich werde dich töten!« Der Mann ließ ein leises Kichern heraus. Dann neigte er den Metallschirm der Lampe so, dass ihr Licht auf sein Gesicht fiel. Es war das Gesicht eines Clowns, weiß angemalt mit riesigen, bizarren Augen und Lippen, die mit Schwarz und Rot gezeichnet waren. Janets Atem erfror in ihrer Lunge. Der Mann lächelte, seine Zähne waren stumpfgelb im Gegensatz zu dem Rest seines weiß getünchten Gesichts. Er sagte zu ihr ... »Sie werden dich zurücklassen.« Janet wollte fragen ... Wer? Von wem sprichst du? Und wer bist du? Warum tust du mir das an? Aber sie konnte jetzt nicht einmal mehr atmen. Das Messer blinzelte wieder vor ihrem Gesicht. Dann zog der Mann dessen scharfe Spitze leicht über ihre Wange, die Seite ihres Gesichts und dann über ihren Hals. Mit nur wenig Druck − und Janet wusste, dass die Klinge eine blutige Spur hinterlassen würde. Ihre Atmung setzte wieder ein, zuerst in flachen Atemzügen, dann in riesigen Zügen. Sie wusste, dass sie anfing zu hyperventilieren, aber sie konnte ihre Atmung nicht unter Kontrolle bringen. Sie konnte spüren, wie ihr Herz in ihrer Brust hämmerte, konnte seinen heftigen Puls zwischen ihren Ohren fühlen und hören, wie er immer schneller und lauter wurde. Sie fragte sich ... Was war das in der Spritze? Was auch immer es war, die Wirkung wurde von Sekunde zu Sekunde stärker. Sie konnte dem, was in ihrem eigenen Körper vor sich ging, nicht entkommen. Während er ihr Gesicht mit der Messerspitze streichelte, murmelte er ... »Sie werden dich zurücklassen.« Sie schaffte es, nach Luft zu schnappen ... »Wer? Wer wird mich zurücklassen?« »Du weißt, wer«, sagte er. Janet erkannte, dass sie die Kontrolle über ihre Gedanken verlor. Sie wurde von sinnloser Angst und Panik überflutet, von verrückten Gefühlen der Verfolgung und Opferbereitschaft. Wenn meinte er? Bilder von Freunden, Familienmitgliedern und Arbeitskollegen gingen ihr durch den Kopf. Aber ihr vertrautes, freundliches Lächeln verwandelte sich in ein Hohngelächter voller Verachtung und Hass. Jeder, dachte sie. Jeder tut mir das an. Jede Person, die ich je getroffen habe. Wieder spürte sie eine Welle des Zorns. Ich hätte es besser wissen sollen, als jemals auch nur einer einzigen Seele zu vertrauen. Schlimmer noch, sie fühlte sich, als ob sich ihre Haut im wahrsten Sinne des Wortes zu bewegen begann. Nein, etwas kroch über ihre Haut. Insekten! dachte sie. Tausende von ihnen! Sie kämpfte gegen ihre Fesseln. »Schlage sie von mir runter!«, bettelte sie den Mann an. »Töte sie!« Der Mann kicherte, während er sie durch sein groteskes Make-up immer wieder anstarrte. Er machte keine Anstalten, ihr zu helfen. Er weiß etwas, dachte Janet. Er weiß etwas, was ich nicht weiß. Als das Krabbeln andauerte, dämmerte es ihr ... Die Insekten ... Sie kriechen nicht auf meiner Haut. Sie kriechen darunter! Ihre Atmung wurde immer heftiger und schneller und ihre Lungen brannten, als ob sie schon eine ganze Zeit lang gerannt wäre. Ihr Herz schlug noch schmerzhafter. Ihr Kopf explodierte mit einer Vielzahl von gewalttätigen Emotionen − Wut, Angst, Ekel, Panik und schierer Verwirrung. Hatte der Mann Tausende, vielleicht Millionen von Insekten in ihren Blutkreislauf injiziert? Wie war das überhaupt möglich? Mit einer Stimme, die sowohl vor Wut als auch vor Selbstmitleid zitterte, fragte sie ... »Warum hasst du mich?« Der Mann kicherte, diesmal lauter. Er sagte: »Jeder hasst dich.« Janet hatte jetzt Schwierigkeiten zu sehen. Ihre Sicht wurde nicht unscharf. Stattdessen schien die Szene vor ihr zu zucken und zu hüpfen und zu springen. Sie hatte das Gefühl, dass sie ihre Augäpfel in ihren Höhlen herumrasseln hören konnte. Als sie ein weiteres Clownsgesicht sah, dachte sie, sie würde doppelt sehen. Aber sie erkannte schnell, dass ... Dieses Gesicht ist anders. Es war mit den gleichen Farben bemalt worden, aber mit etwas anderen Formen. Das ist er nicht. Unter der Farbe lagen vertraute Merkmale. Dann dämmerte es ihr ... Ich. Das bin ich. Der Mann hielt ihr einen Spiegel vors Gesicht. Das schrecklich grelle Gesicht, das sie sah, war ihr eigenes. Der Anblick dieses verzerrten, tränenreichen und doch spöttischen Gesichtsausdrucks erfüllte sie mit einem Abscheu, den sie noch nie zuvor erlebt hatte. Er hat recht, dachte sie. Alle hassen mich. Und ich bin mein eigener schlimmster Feind. Als ob sie ihren Ekel teilen würde, huschten die Kreaturen unter ihrer Haut herum wie Kakerlaken, die plötzlich dem Sonnenlicht ausgesetzt waren, aber nirgendwo hinlaufen und sich verstecken konnten. Der Mann legte den Spiegel beiseite und fing wieder an, ihr Gesicht mit der Messerspitze zu streicheln. Er sagte noch einmal ... »Sie werden dich zurücklassen.« Als das Messer über ihre Kehle fuhr, fiel es ihr ein ... Wenn er mich schneidet, können die Insekten entkommen. Natürlich würde die Klinge sie auch töten. Aber das schien ein kleiner Preis dafür zu sein, um sich von den Insekten und diesem Terror zu befreien. Sie zischte ... »Tu es. Mach es jetzt.« Plötzlich füllte sich die Luft mit hässlichem und verzerrtem Gelächter, als ob sich tausende Clowns lautstark und hämisch an ihrer Notlage ergötzen würden. Das Lachen trieb ihr Herz dazu, noch heftiger und schneller zu schlagen. Janet wusste, dass ihr Herz nicht mehr davon ertragen konnte. Und sie wollte es auch nicht. Sie wollte, dass es so schnell wie möglich aufhörte. Sie versuchte, die Schläge zu zählen ... Eins, zwei ... drei, vier, fünf ... sechs ... Aber die Herzschläge kamen sowohl schneller als auch weniger regelmäßig. Sie fragte sich, was zuerst explodieren würde, ihr Herz oder ihr Gehirn? Dann vernahm sie endlich ihren allerletzten Herzschlag und die Welt löste sich auf.
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