KAPITEL ZWEI

2147 Words
KAPITEL ZWEI Obwohl Mackenzie ihren Wecker auf 8 Uhr gestellt hatte, wurde sie von der Vibration ihres Handys um 6:45 Uhr geweckt. Sie stöhnte als sie aufwachte. Wenn das Harry ist, der sich für etwas entschuldigen will, was er nicht einmal getan hatte, bringe ich ihn um, dachte sie. Immer noch im Halbschlaf griff sie nach ihrem Handy und las das Display durch ihre verschwommen Augen. Sie war erleichtert zu sehen, dass es nicht Harry war, sondern Colby. Verblüfft nahm sie ab. Colby war normalerweise keine Frühaufsteherin und sie hatten seit einer Woche nicht mehr miteinander gesprochen. Colby war wahrscheinlich aufgeregt wegen dem Abschluss und der ungewissen Zukunft. Colby war die einzige Freundin die Mackenzie hier in Quantico hatte, sie hatte getan was sie konnte, um diese Freundschaft am Leben zu erhalten – auch wenn das bedeutete einen frühen Anruf am Morgen der Abschlussfeier entgegenzunehmen, nachdem sie nur viereinhalb Stunden vorher eingeschlafen war. “Hey Colby”, sagte sie. “Was ist los?” “Hast du geschlafen?”, fragte Colby. “Ja.” “Oh mein Gott, das tut mir leid. Ich dachte du bist schon ganz früh auf, mit allem was hier los ist.” “Es ist nur die Abschlussfeier”, sagte Mackenzie. “Ha! Ich wünschte das wär alles”, sagte Colby in leicht hysterischem Tonfall. “Geht’s dir gut?” frage Mackenzie und setzte sich langsam im Bett auf. “Es geht schon”, sagte Colby. “Hör mal … kannst du zum Starbucks an der Fünften Straße kommen?” “Wann?” “Sobald du kannst. Ich gehe jetzt raus.” Mackenzie wollte nicht gehen – sie wollte nicht einmal aufstehen. Aber sie hatte Colby noch nie so gehört. Und an einem solch wichtigen Tag dachte sie, müsste sie für ihre Freundin da sein. “Gib mir 20 Minuten”, erwiderte Mackenzie. Mit einem Seufzen stand Mackenzie auf und erledigte nur die schnellsten Dinge, um sich fertig zu machen. Sie putzte ihre Zähne, zog sich einen Kapuzenpulli und Laufhosen an, knotete ihr Haar in einen losen Ponyschwanz und ging los. Als sie die sechs Blöcke zur 5. Straße lief, begann das Gewicht des Tages auf ihr zu lasten. Sie machte heute noch vor Mittag ihren Abschluss von der FBI Akademie, als eine der Top 5 ihrer Klasse. Anders als die anderen Absolventen die sie im Laufe der letzten 20 Wochen oder so kennengelernt hatte, würde sie keine Familie dabei haben, um ihre Leistung zu feiern. Sie wäre alleine, wie die meiste Zeit in ihrem Leben, seit sie 16 Jahre alt war. Sie versuchte sich selbst davon zu überzeugen, das ihr das nichts ausmachte, aber es machte ihr was aus. Es erschuf keine Traurigkeit in ihr, aber eine merkwürdige Art von Angst die so alt war, dass seine Kanten schon abgestumpft waren. Als sie bei Starbucks ankam, bemerkte sie, dass der Verkehr ein wenig mehr als üblich war – wahrscheinlich die Angehörigen und Freunde von anderen Absolventen. Sie schüttelte den Gedanken dennoch ab. Sie hatte die letzten zehn Jahre ihres Lebens damit verbracht, sich nicht den Dreck darum zu scheren, was ihre Mutter und ihre Schwester von ihr dachten, warum sollte sie jetzt damit anfangen? Als sie Starbucks betrat, sah sie, dass Colby bereits da war. Sie nippte an einer Tasse und schaute nachdenklich aus dem Fenster. Eine zweite Tasse stand vor ihr; Mackenzie nahm an, dass die für sie war. Sie setzte sich Colby gegenüber und machte eine Show daraus, wie müde sie war und verengte ihre Augen in mürrischer Weise als sie Platz nahm. “Ist das meiner?” fragte Mackenzie und griff nach dem zweiten Becher. “Ja”, sagte Colby. Sie sah müde, traurig und überhaupt mürrisch aus. “Was ist den los?” fragte Mackenzie und erstickte damit jeden Versuch um den heißen Brei herumzureden. “Ich mache keinen Abschluss”, sagte Colby. “Was?” fragte Mackenzie ehrlich überrascht. “Ich dachte, du hast alles mit Bravour bestanden.” “Hab ich. Es ist einfach … ich weiß nicht. Die Akademie alleine hat mich schon ausgebrannt.” “Colby… das meinst du nicht im Ernst.” Ihr Ton war ein wenig schärfer, aber das war ihr egal. Das war nicht Colby. So eine Entscheidung war mit tiefer Betrachtung daher gegangen. Das war kein Zufall, kein letzter dramatischer Atemzug einer Frau, die von Nervosität geplagt war. Wie konnte sie jetzt einfach aufhören? “Ich meine es ernst”, sagte Colby. “Ich war nicht mehr mit Leidenschaft dabei die letzten drei Wochen oder so. Ich bin manchmal nach Hause gegangen und habe geweint, weil ich mich so gefangen gefühlt habe. Ich will das einfach nicht mehr.” Mackenzie war fassunglos; sie wusste kaum noch was sie sagen sollte. “Tja, der Tag des Abschluss ist eine schwierige Zeit um eine Entscheidung zu treffen.” Colby zuckt mit den Ackseln und schaute wieder aus dem Fenster. Sie sah fertig aus. Besiegt. “Colby … du kannst nicht aufhören. Tu das nicht.” Was ihr auf der Zunge lag, sie aber nicht sagte war: Wenn du jetzt aufhörst, dann haben die letzten zwanzig Wochen keine Bedeutung gehabt. Es macht dich außerdem zum Aufgeber. “Naja, aber ich höre nicht wirklich auf”, sagte Colby. “Ich werde zur Abschlussfeier heute gehen. Ich muss tatsächlich. Meine Eltern kommen aus Florida, also muss ich hingehen. Aber nach heute, wars das.” Als Mackenzie an der Akademie begann, hatten die Lehrer sie gewarnt, dass die Abbrecher Rate unter den potenziellen Agenten während der zwanzigwöchigen Akademie Ausbildung bei zwanzig Prozent lag – und in der Vergangenheit auch bis auf dreißig angestiegen war. Aber das Colby jetzt dazu gehörte, machte einfach keinen Sinn. Colby war zu stark – zu bestimmt. Wie zum Teufel konnte sie so eine Entscheidung auf so leichtfertige Art treffen? “Was machst du dann?” fragte Mackenzie. “Wenn du all das jetzt hinter dir lässt, was sind deine neuen beruflichen Pläne?” “Ich weiß nicht”, sagte sie. Vielleicht etwas mit Verhinderung des Menschenhandels. Forschung und Ressourcen oder so etwas. Ich meine, ich muss keine Agentin sein, stimmts?” Es gibt viele andere Möglichkeiten. Ich will nur keine Agentin sein.” “Du meinst das wirklich ernst”, sagte Mackenzie trocken. “Ja, das meine ich ernst. Ich wollte dir das nur sagen, denn nach dem Abschluss werden meine Eltern mich voll in Beschlag nehmen. Oh, du arme, dachte Mackenzie sarkastisch. Das muss schrecklich sein. “Ich verstehe das nicht”, sagte Mackenzie. “Das erwarte ich auch nicht. Du bist toll als Agentin. Du liebst es. Ich glaube du bist dafür gemacht, weisst du? Bei mir …. Ich weiß es nicht. Abgestürzt und ausgebrannt, glaube ich.” “Gott, Colby… Es tut mir leid.” “Das muss es nicht” erwiderte sie. “Wenn ich meine Eltern erst einmal zurück nach Florida geschickt habe, dann ist der ganze Druck weg. Ich werde ihnen sagen, das ich einfach nicht für diese Ausbildung gemacht war, die mir zugetragen wurde. Und dann kann ich machen was ich will, denk ich.” “Tja,… dann viel Glück, sag ich mal”, sagte Mackenzie. “Nichts davon bitte”, sagte Colby. “Du schließt als eine der Top 5 heute ab. Lasse dich nicht von meinem Drama herunterziehen. Du warst eine sehr gute Freundin, Mac. Ich wollte, dass du das von mir hörst und nicht erst in ein paar Wochen merkst, das ich nicht da bin.” Mackenzie machte keinen Versuch ihre Enttäuschung zu verbergen. Sie hasste das Gefühl, dass sie auf kindische Taktiken zurückgreifen musste, aber sie bleib eine Weile still und nippte an ihrem Kaffee. “Was ist mir dir?” fragte Colby. “Kommen Familie oder Freunde von dir?” “Keiner”, sagte Mackenzie. “Oh”, sagte Colby ein wenig peinlich berührt. “Das tut mir leid, dass wusste ich nicht—“ “Kein Grund sich zu entschuldigen”, sagte Mackenzie. Es war jetzt an ihr starr aus dem Fenster zu schauen, als sie hinzufügte: “Ich mag das eigentlich so.” *** Mackenzie war unbeeindruckt von der Abschlusszeremonie. Es war wirklich nichts weiter als eine formalisierte Version ihres High School Abschlusses und nicht so klassisch und formal wie ihr College Abschluss. Während sie darauf wartete, dass sie aufgerufen wurde, hatte sie viel Zeit an diese Abschlüsse zurückzudenken und wie ihre Familie mit jedem Abschluss weiter und weiter in den Hintergrund gerückt war. Sie konnte sich darin erinnern fast geweint zu haben, als sie bei ihrem High School Abschluss auf die Bühne ging, traurig von der Tatsache, dass ihr Vate sie nie aufwachsen sehen würde. Sie hatte das schon während ihrer Teenager Jahre gewusst, aber es war die Tatsache die wie ein Stein einschlug, als sie zur Bühne ging, um ihr Diploma in Empfang zu nehmen. Es war nichts, was sie sehr im College aufgeregt hätte. Als sie bei ihrem College Abschluss auf die Bühne gegangen war, hatte niemand von ihrer Familie im Publikum gesessen. Es war, wie sie während der Zeremonie der Akademie erkannte, der ausschlaggebende Moment als sie ein für allemal entschied, dass sie es vorzog, bei den meisten Dingen in ihrem Leben alleine zu sein. Wenn ihre Familie kein Interesse an ihr hatte, dann hatte sie auch kein Interesse an ihnen. Die Zeremonie endete ohne viel Fanfare und als sie vorbei war, entdeckte sie Colby die Fotos mit ihrer Mutter und ihrem Vater auf der anderen Seite der großen Lobby machte, die die Absolventen und ihre Gäste anschließend ausfüllten. Von dem was Mackenzie sagen konnte, machte Colby einen tollen Job dabei, ihren Unmut vor ihren Eltern zu verbergen. Die ganze Zeit strahlten ihre Eltern stolz. Mit einem unwohlen Gefühl und mit nichts anderem zu tun fragte Mackenzie sich, wie schnell sie aus der Versammlung kommen, nach Hause gehen und aus ihrer Abschlussrobe steigen könnte und das erste, der wahrscheinlich mehreren Biere an dem Nachmittag öffnen könnte. Als sie zum Ausgang ging, hörte sie eine bekannte Stimme hinter ihr, die ihren Namen rief. “Hey Mackenzie”, sagte die männliche Stimme. Sie wusste sofort, wer es war – nicht nur wegen der Stimme selbst, sondern auch weil es nur wenige Menschen gab, die sie Mackenzie in dieser Umgebung riefen, anstatt nur White. Es war Ellington. Er trug einen Anzug und sah genauso unwohl aus, wie Mackenzie sich fühlte. Trotzdem war das Lächeln, dass er ihr schenkte ein bisschen zu angenehm. Aber in diesem Moment war ihr das egal. “Hi, Agent Ellington.” “Ich glaube, in so einer Situation ist es in Ordnung mich Jared zu nennen.” “Ich bevorzuge Ellington”, sagte sie mit einem kurzen Lächeln. “Wie geht es dir?” fragte er. Sie zuckte mit den Achseln, erkannte gerade, wie gerne sie hier raus sein würde. Sie könnte sich selber alle Lügen die sie wollte erzählen, aber die Tatsache, dass sie keine Familie, Freunde oder einen Freund dabei hatte, begann auf ihr zu lasten. “Nur ein Achselzucken?” fragte Ellington. “Naja, wie sollte ich mich fühlen?” “Erledigt. Stolz. Aufgeregt. Nur mal um ein paar Dinge zu nennen.” “Ich bin all diese Dinge”, sagte sie. “Es ist nur …. Ich weiß nicht. Die ganze Zeremonie ist ein wenig viel.” “Das kann ich verstehen”, antwortete Ellington. “Gott, ich hasse es Anzüge zu tragen.” Mackenzie wollte gerade was erwidern – vielleicht darüber, wie gut ihm der Anzug stand – als sie McGrath hinter Ellington auftauchen sah. Er lächelte sie ebenfalls an, aber anders als Ellingtons Lächeln schien seins aufgesetzt. Er streckte die Hand nach ihr aus und sie nahm sie, überrascht davon wie schlaff sein Griff war. “Ich freue mich, dass Sie es geschafft haben”, sagte McGrath. “Ich weiß, dass Sie eine glänzende und vielversprechende Karriere vor sich haben.” “Kein Druck oder so, ja?” erwiderte Ellington. “Die Top 5”, sagte McGrath und gab Mackenzie gar nicht die Gelegenheit irgendwas zu sagen. “Tolle Arbeit, White.” “Danke Sir!”, war alles was sie sagen konnte. Mc Grath lehnte sich ganz geschäftlich zu ihr herüber. “Ich möchte gerne, dass Sie am Montag, um 8 Uhr morgens in mein Büro kommen. Ich will Sie so schnell wie möglich einarbeiten. Ich habe bereits einen Entwurf für Ihre Papiere aufgesetzt – Ich habe mich schon vor langer Zeit darum gekümmert, sodass alles fertig ist, wenn der Tag kommt. So sehr habe ich an Sie geglaubt. Also … lassen Sie uns nicht länger warten. Montag um Acht. Ist das ok?” “Natürlich”, sagte sie überrascht von dieser uncharakteristischen Darstellung an begeisterter Unterstützung. Er lächelte, schüttelte ihre Hand erneut und verschwand dann schnell in der Menge. Als McGrath weg war, gab Ellington ihr einen perpexlen Blick und ein breites Grinsen. “Er hat also gute Laune. Und ich kann dir sagen, das passiert nicht so oft.” “Tja, es ist ein großer Tag für ihn, glaube ich”, sagte Mackenzie. “Ein ganz neuer Talentpool aus dem er wählen und auswählen kann.” “Das stimmt”, sagte Ellington. “Aber Spaß beiseite, der Mann ist wirklich klug, wie er neue Agenten benutzt. Denk daran, wenn du dich mit ihm am Montag triffst.” Eine merkwürdige Stille trat zwischen ihnen ein; es war eine Stille an die sie sich gewöhnt hatten und die eine Grundlage ihrer Freundschaft geworden war – oder was auch immer zwischen ihnen vor sich ging. “Naja”, sagte Ellington. “Ich wollte dir einfach nur gratulieren. Und ich möchte, dass du weißt, dass du immer eingeladen bist mich anzurufen, wenn die Dinge zu real werden. Ich weiß, das hört sich blöd an – sogar für die berüchtigte Mackenzie White - du wirst jemanden brauchen, bei dem du Luft ablassen kannst. Es kann dich schnell erwischen.” “Danke”, erwiderte sie. Dann plötzlich wollte sie ihn fragen, ob er mit ihr kommen würde – nicht auf eine romantische Art, sondern einfach nur, um ein bekanntes Gesicht bei ihr zu haben. Sie kannte ihn relativ gut und obwohl sie zwiespältige Gefühle ihm gegenüber hegte, wollte sie ihn an ihrer Seite haben. Sie hasste es, es zuzugeben aber sie fühlte, dass sie etwas tun sollte, um diesen Tag und diesen Moment in ihrem Leben zu feiern. Auch wenn das ein paar merkwürdige Stunden mit Ellington bedeutete, wäre es besser (und wahrscheinlich produktiver) als herumzusitzen und sich selbst leid zu tun und alleine zu trinken. Aber sie sagte nichts. Und sogar dann, wenn sie den Mut aufgebracht hatte, wäre es egal gewesen. Ellington gab ihr schnell ein Nicken und verschwand dann wie McGrath in der Menge. Mackenzie stand für einen Moment so da und tat ihr bestes, um das ansteigende Gefühl des Alleinseins abzuschütteln.
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