Chapter 3

1458 Words
Der Wirt schenkte dem unbedeutenden Vorfall keine Beachtung. Ihn bewegte anderes. Für ihn war der feine hübsche Herr mit den blonden Bartstreifen am Ohr und dem jungen klugen Gesicht trotz des Leugnens ein geheimer Bote des Kaisers und konnte wohl Tröstendes wissen. So begann er denn zu fragen: Ob denn der gute Kaiser Franz das Landl ganz und gar vergessen? Ob er mit seinen vielen Soldaten nicht doch die bayrischen Lotter ausjagen könnte? Katholisch sei der Herr wohl? Dann sei alles recht. Es wär' halt gut, wenn die Herren in Wien wüssten, wie es hier ausschaue und was das arme Volk erleiden müsse. Wieder flog brüllendes Lachen hinter einer unverständlichen Strophe her. Die Faust des Wirtes ballte sich. „Operment sollte man in das fremde Bier schütten, das sie saufen tun, die Wildling'. Wie kann ein Wirt bestehen, wenn die Gäste den Trunk selber herbeischaffen?” „Sind die Bayern wirklich so arg?”, fragte Peter ungläubig. „Ich kenn' sie auch von Würzburg her und meine, sie sind nicht gar zu verschieden von den Österreichern. Sind immer noch besser wie die Franzosen, die wir in Wien gehabt haben.” Der Wirt lachte geringschätzig. „Die Französlen? O mein, die kommen nimmer. Die haben noch von anno 96 die Hosen voll. Dazumal haben wir ihnen hinausgeholfen. Es müsste grad der Teufel den Schwanz im Gespiel haben, wenn es mit denen Bayern nicht auch sollte gelingen!” Mit leiser Bosheit deutete Peter auf das Bild des Bayernkönigs an der Wand und die Fahnen mit den blauweißen Wecken, die über dem Schanktisch die Wand schmückten. Der Wirt verschob mit der Hand die Haube und kratzte sich im eisengrauen Haar. „Was willst machen?”, brummte er. „Soll ich mir lassen die Gerechtigkeit nehmen? Sie sperren mir Keller und Haus, wenn ich das Zeug da nicht dulde. Und leben muss ich. Deswegen ist inwendig doch alles schwarz und gelb.” Die Kellnerin lief mit neuen Wurst- und Krautschüsseln, stieß mit dem Fuß die Türe hinter sich zu und kreischte drinnen, derb angefasst. Hochrot kam sie wieder heraus und schmetterte den Türschlag in das Lachen, das ihr nachsprang. „Davon war mir nichts bewusst, dass die Bayern hier so arg verhasst sind”, sagte Peter einigermaßen erstaunt. „Es sind sonst gute Leut'!” „Gut?!”, zischte der Wirt und sein Gesicht wurde blaurot. „Das heißen die Wiener gut? Freilich, ich hab' mir immer sagen lassen, dass kein Glauben mehr ist in der Wienerstadt. Gut? Die Christmetten haben sie uns verboten, die schönen bunten Glaskugeln dürfen in der Karwoche nimmer leuchten am heiligen Grab, die frommen Klosterleut' sind landesverwiesen. Es muss wohl wahr sein, dass der Satan ihr Oberkommandant und Herr ist. Wie sonst können Christenleute den Mesner strafen, der das Glöcklein läutet, wenn eines in Zügen liegt? Die Patres Kapuziner und Franziskaner haben sie auf Leiterwagen nach Altötting geführt und eingesperrt, wie man es mit sündigen Priestern tut. Die armen Leut', Bresthafte und Krüppel weinen vor der verschlossenen Pforten, aus der ihnen sonst Klostersuppe gekommen ist und Brot. Und die jungen Buben stecken sie in die Montur und machen sie zu Soldaten, was eine Schande ist und nie in Tirol hat sein dürfen, seit die Welt steht.” Lautes Rufen aus dem kleinen Zimmer unterbrach ihn. Schwerfällig stand er auf. „Die Herren Offiziere wollen zahlen”, sagte er, griff nach Tafel und Kreide und ging hinein. Nachdenklich schluckte Peter den herben Rotwein und sah wieder zu dem zottigen Riesen hinüber, der von Zeit zu Zeit einen blinzelnden Blick nach ihm tat. Silbergeld klingelte nebenan, Säbel rasselten. Die Blauröcke strömten aus der Türe. Ein junger Leutnant blieb vor dem Bauer stehen. Er schwankte ein wenig: „He, Landsmann!”, rief er, „was hast in deiner Kraxen?” Der Bauer gab keine Antwort. Sein eben noch lebhaftes Auge war stumpf und dumm geworden. „Lass ihn, Crailsheim!”, lallte ein dicker Hauptmann. „Das Vieh ist ja be – besoffen. Komm, Herr Bruder!” Lachend klirrten sie hinaus und polterten die Treppe hinunter. Peter ließ sich noch einen Pfiff Wein geben und zündete seine Pfeife an. Da trat ein Mädchen ins Zimmer, sah sich einen Augenblick lang um und ging dann schnurgrad auf den Bauer zu, der sich ehrerbietig erhob und sich erst nach wiederholter Nötigung wieder setzte. Peter fühlte einen leisen feinen Stich im Herzen. In seinem ganzen Leben hatte er eine Frau von so vollkommenem Liebreiz noch nicht gesehen. Die junge Dame, denn das war sie, trug einen breitbändrigen Hut am anmutig gerundeten Arm. Der kleine schmale Fuß steckte in Glanzlederschuhen, die über Kreuz gebunden waren. Ein kostbarer karmesinroter Schal, der ihre schmalen Schultern umhüllte, ließ weiter unten ein violbraunes Wollkleid sehen. Die schwarzen Locken des zierlichen Kopfes rahmten ein elfenbeinfarbenes, zartes Gesicht von unbeschreiblich rührender Schönheit ein. Die nachtdunklen großen Augen, der winzige, sanftlächelnde Mund, die kleine, völlig gerade Nase, verliehen dem jungen Antlitz eine edle Schönheit, die an die wundervollsten griechischen Kunstwerke erinnerte. Es war dem jungen Mann, als müsse er alsogleich zu dieser engelhaften Erscheinung hineilen und anbetend auf die Knie stürzen. Nie war ihm Ähnliches widerfahren. Die Pfeife, deren er sich plötzlich schämte, entsank seiner Hand, und ohne eines klaren Gedankens fähig zu sein, starrte er die überirdische Erscheinung an. Das Mädchen sprach unterdessen sehr leise mit dem Bauern, der mit eigenartig unbeholfener Zärtlichkeit, ganz hingegeben zuhörte und eifrig kopfnickend zu bestätigen schien, dass er die Wünsche oder Mitteilungen der Dame wohl beherzige. Behutsam übernahm er aus ihrer schmalen Hand ein Päckchen und barg es sogleich im Brustlatz. Dann stand die Schöne auf und verabschiedete sich. Der bärtige Kopf neigte sich zum Handkuss. Sie ging an Peters Tisch vorüber, hob die erst gesenkten Lider und sah ihn voll an. Ein winziges Zeitteilchen lang lohte ihr dunkler saugender Blick in den seinen, ein goldiger Ton lief über ihre Wangen und dann war sie ebenso schnell verschwunden, wie sie eingetreten war. Lange saß Peter in einer Art Lähmung, bemüht, das reizende Bild festzuhalten. Eine Sekunde lang hatte er aufspringen, ihr nacheilen wollen. Aber er behielt doch so viel Besinnung, um von diesem lächerlichen und törichten Beginnen abzustehen. Die jugendliche Wallung der Unbesonnenheit wandelte sich in eine träumerische Wehmut. Es war ihm, als wäre da eben das Glück an ihm vorübergegangen, hätte ihm einen einzigen Blick geschenkt, als eine Gabe für das Leben. Der Gedanke, dass ihn morgen der Postwagen in unbekannte Fernen entführen würde und dass er dieses liebliche Geschöpf wohl nie mehr wiedersehen werde, erfüllte ihn mit jener süßen Trauer, die der Jugend eigen ist, wenn starke Eindrücke der Liebe sich ins Herz pressen. Der Bauer schien nur auf die Ankunft der Fremden gewartet zu haben. Gleich nach ihrem Abgang bezahlte er, was er verzehrt hatte, stand auf, lupfte die schwere Kraxe ohne Mühe auf die Schultern, griff nach dem Griesbeil und hob dann wie spielend das schwere Bündel der klirrenden Eisenstangen auf. Schweren Trittes, ohne Gruß, stapfte er aus der Trinkstube. „Gescherter Rammel!”, spottete der Wirt hinter ihm drein. „Aber eine Kraft hat der in sich. – Moidl, weis dem Herrn sein Zimmer!” Peter stand auf. „Wer war das Fräulein?”, fragte er leise. Der Wirt zuckte die Achseln. „Kann dem Herrn nicht dienen”, sagte er. „Hab' sie mein Tag' noch nicht gesehen. Eine Saubere, gelt?” Er verzog feixend das Gesicht und schnalzte mit der Zunge. In dem kleinen gewölbten Zimmer flackerte die Talgkerze im Kupferleuchter. Peter griff nach der Putzschere und kniff den Räuber vom Docht. Eine Muttergottes, sieben blanke Schwerter im blutenden Herzen, bewachte treulich sein hochgetürmtes Bett. Schwacher Moderduft kam aus den Polstern. Der Sturm wehte noch immer vom Süden her, strich um das Haus, weinte im Rauchfang und pochte an die Scheiben. Dumpf toste der Fluss. Der Schlaf kam im singenden Dunkel und brachte allerlei. Der Kaiser Franz fuhr vorüber, in seinem langen faltigen Gesicht war ein boshaft grämlicher Zug, die schmalen Lippen bewegten sich hochmütig: „Also ein neveu vom selbigen malcontenten Rittmeister Storck?”, fragte er und lächelte tückisch. „Man hat Mittel für Ihn, junger Mensch!” Am Wagenschlag dienerte der Wirt mit der grünen Samtweste: „Halten zu Gnaden – alleruntertänigst –” Saiten schwirrten, ein grober Bierbass brummte drein: „Mädel leg' dich her zu mir, dass ich dich noch besser spür'!” Aber da stand der schwarze Bauer und sperrte die Gasse. Dieser Weg, das wusste Peter, ging zu dem schönen Mädchen. Er wollte vorbei, da griff die ungeheure haarige Hand des Riesen nach ihm... Stöhnend lag er unter dem Alb, fuhr mit einem erstickten Schrei auf und hörte, wie der Märzregen an die Scheiben trommelte. Dann fiel er in traumlosen Schlummer.
Free reading for new users
Scan code to download app
Facebookexpand_more
  • author-avatar
    Writer
  • chap_listContents
  • likeADD