6. Erwachen

1896 Words
*** Auroras Sichtweise*** Die Dunkelheit, die mich für eine Ewigkeit verschlungen zu haben schien, beginnt langsam zu verblassen. Ich höre Stimmen, die in meinem Kopf ein- und ausklingen. Ich kann nur ein paar Worte auf einmal auffangen. „… Zeit, bevor sie aufwacht…“ Aufwachen? Schlafe ich? Verdammt, Mama wird mich umbringen! „… das Buch des Tages…“ Was zum Teufel ist hier los? Welches Buch? Ich stöhne. Moment mal, habe ich gerade gestöhnt? Plötzlich erscheint ein Lichtblitz, und meine Augen öffnen sich langsam. Ich zucke zusammen, als das Licht in meine Pupillen eindringt, und ich schirme instinktiv meine Augen ab. Der Geruch von Honig und grünen Äpfeln erfüllt meine Nase. Ich schaue mich im Raum um und sehe zwei Männer, die mich anstarren. Meine Augen fixieren sich jedoch auf einen: Oliver. Ich erstarre vor Angst. „Ich hole den Arzt“, sagt der unbekannte Mann und verlässt eilig den Raum, sodass ich mit Oliver allein bleibe. Reyna zittert aufgeregt. Unser Gefährte ist hier! Er ist nicht unser Gefährte, ich zucke zusammen und erinnere mich an seine grausamen Worte. Er hat uns abgelehnt, erinnerst du dich? Dann trifft mich plötzlich die Erkenntnis all dessen, was mir am Bach widerfahren ist, und ich breche in einen zitternden, weinenden Anfall aus. Als er mein beschleunigtes Herz und meine sichtbare Panik bemerkt, streckt Oliver die Hand aus, um mich zu halten, aber ich zucke zurück, und er zieht seine Hand zurück. „Aurora, bitte beruhige dich. Der Arzt ist auf dem Weg“, sagt er mit einem besorgten Blick auf seinem gut aussehenden Gesicht. Er kommt näher, was mich dazu bringt, mich rückwärts zu bewegen, bis ich gegen das Kopfteil des Bettes stoße. Ich sehe einen schmerzhaften Ausdruck in seinen Augen aufblitzen. Aus Angst, er könnte wütend auf mich werden, rolle ich mich zu einer Kugel zusammen und schütze mein Gesicht mit meinen Armen. Mein Herzschlag beschleunigt sich. „Baby, ich werde dir nicht wehtun!“ Baby? Als ich seine wachsende Frustration spüre, beginne ich, unkontrolliert zu weinen. „Bitte, geh einfach!“, schreie ich. Ich höre, wie die Tür aufgeht, aber ich wage es nicht, aufzuschauen. Das Piepen des Herzmonitors beschleunigt sich erneut. „Aurora, du musst dich beruhigen, Liebes. Niemand wird dir mehr wehtun, okay?“, höre ich eine beruhigende weibliche Stimme sagen. Eine Hand berührt meine Schulter, und ich schreie auf! „Alpha, ich denke, sie braucht gerade etwas Ruhe. Sie können draußen warten, während ich sie untersuche“, sagt die ruhige Stimme. „Aber sie ist meine Gefährtin! Ich kann sie nicht verlassen!“, protestiert Oliver. „Alpha, Aurora hat bereits genug Traumata durchgemacht. Bitte versuchen Sie zu verstehen, dass sie Raum braucht“, bittet die Frau. Es herrscht Stille. Ich vergrabe meinen Kopf in meinem Kissen, aber ich spüre Olivers Blick auf mir ruhen. Nach einer Weile höre ich, wie die Tür sich öffnet und wieder zuschlägt. „Aurora, Liebes? Mein Name ist Meghan, ich bin deine Ärztin. Du kannst dich jetzt entspannen. Es sind nur wir beide im Raum, okay? Du bist in Sicherheit. Niemand wird dir wehtun“, sagt sie beruhigend. Ich entspanne meine Arme und hebe meinen Kopf aus dem Kissen. Ich scanne den Raum und sehe, dass sie die Wahrheit sagt. Oliver und der Mann sind nirgends zu sehen. Es sind nur wir beide. Ich atme erleichtert auf. „Okay, jetzt, wo du mir vertraust, würdest du mir sagen, wie du dich fühlst? Tut dir etwas weh?“ Ich denke kurz nach und zeige auf meinen Kopf. „Er pocht“, sage ich. „Okay. Ähm. Ich werde dich gleich zu einem CT des Kopfes schicken. Wäre es in Ordnung, wenn ich deinen Bauch abtaste, um zu sehen, wie es dir geht?“ Ich nicke, zucke aber trotzdem zusammen, als sie ihre Hände sanft auf meinen Bauch legt und beginnt, ihn abzutasten. „Irgendwelche Druckempfindlichkeit oder Brennen?“, fragt sie. Ich schüttle den Kopf. „Aurora, wäre es in Ordnung, wenn ich deinen Bademantel ausziehe, um zu überprüfen, wie die Narbe heilt?“ Ich schüttle heftig den Kopf. „N-nein. Meine Kleidung bleibt an!“ „Okay, das ist in Ordnung. Du hast die Kontrolle. Wir werden nichts tun, wozu du nicht bereit bist, okay?“ Ich nicke. „Wie würdest du dich fühlen, wenn Oliver…“ „Nein!“, schreie ich und schüttle den Kopf. Der Herzmonitor beginnt wieder unregelmäßig zu piepen. „Okay, okay, das ist in Ordnung. Er wird nicht reinkommen. Beruhige dich, Liebes. Entspann dich.“ Ich atme tief ein, und mein Herzschlag sinkt wieder in den normalen Bereich. „Okay, lass uns dich zum CT bringen.“ Meghan entfernt meine Ernährungssonde und den Katheter, bevor sie eine Krankenschwester über den Verstandeslink ruft, um einen Rollstuhl für mich zu holen. Sie fahren mich zum CT. Ich bin etwa eine halbe Stunde dort oben und werde dann wieder in mein Zimmer gebracht. Auf dem Weg zurück sehe ich Oliver und den Mann. Oliver versucht zu sprechen, aber Meghan unterbricht ihn. „Noch nicht, Alpha“, sagt sie. Ich sehe, wie Olivers Augen glasig werden, und zwinge mich, wegzusehen. Ich spüre einen Kloß in meinem Hals, und mein Herz schmerzt wegen ihm. Lass ihn rein! Reyna schreit. Ich bin tief in Gedanken versunken, als Meghans Stimme mich wieder in die Realität zurückholt. Ich hatte nicht bemerkt, dass wir bereits zurück in meinem Zimmer sind und ich immer noch im Rollstuhl am Fußende meines Bettes sitze. „Aurora, brauchst du Hilfe, um ins Bett zu kommen?“ „Nein. Es tut mir leid. I-ich schaffe das“, murmele ich, während ich mich aufs Bett hebe. „Okay, die Ergebnisse des CT-Scans sollten in etwa zwei Stunden vorliegen. Ich bin sicher, du hast viele Fragen, und ich beantworte sie gerne. Ich kann deinen Gefährten reinbringen, damit…“ „Er ist nicht mein Gefährte“, krächze ich. Tränen steigen mir in die Augen. „Er… er hat mich abgelehnt.“ „Oh, das tut mir leid. Das wusste ich nicht. Er ist derjenige, der dich hierher gebracht hat, und er war die letzten vier Monate an deiner Seite“, entschuldigt sie sich. Ich bin seit vier Monaten hier? Als sie meinen verwirrten Blick sieht, erklärt Meghan mir die Operation, meine Kopfverletzungen und das viermonatige Koma. Sie erzählt mir, wie Oliver mich hergebracht hat und die ganze Zeit an meiner Seite geblieben ist. Oliver muss so verängstigt gewesen sein. „Aurora“, sie zögert einen Moment, unsicher, wie sie fortfahren soll. „Aurora, erinnerst du dich, was dir passiert ist, als sie dich hergebracht haben?“ Ich schließe die Augen, um nicht wieder zu weinen. „Ich weiß, was er mir angetan hat. Aber ich war die meiste Zeit nicht bei Bewusstsein“, antworte ich mit zitternder Stimme. Meine Haut beginnt zu kribbeln bei dem Gedanken, dass Andrew mich berührt hat. „Okay, du musst es mir nicht erklären. Ich denke jedoch, dass du mit jemandem darüber reden solltest“, sagt sie. „Okay.“ Sie tritt unruhig von einem Fuß auf den anderen. „Aurora, ich will dir nicht zu nahe treten, aber Oliver möchte dich wirklich sehen.“ „Okay“, sage ich, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „Wirklich? Gut, ich hole ihn!“ sagt sie aufgeregt. Bevor sie jedoch die Tür erreichen kann, stürmt Oliver hindurch und eilt zu mir. Der geheimnisvolle Mann folgt dicht dahinter. „Aurora, ich bin so froh, dass du wach bist! Du weißt nicht, wie besorgt ich die ganze Zeit über war“, sagt Oliver und greift nach meiner Hand. Ich spüre Funken, als sich unsere Hände berühren. Instinktiv versuche ich, meine Hand wegzuziehen, aber sein Griff ist zu fest. „Ich lasse euch etwas Privatsphäre“, sagt Meghan und wendet sich zur Tür. Ich gerate in Panik. „Nein!“, schreie ich. „Nein, geh nicht.“ Lass mich nicht allein mit ihnen, will ich sagen, aber ich kann es nicht aussprechen. Ich ignoriere Olivers schmerzhaften Blick und konzentriere mich auf Meghan, flehend, dass sie bleibt. „Okay“, antwortet sie, schließt die Tür und setzt sich auf einen leeren Stuhl. Sofort fühle ich mich wohler. „Wie fühlst du dich, Luna?“, fragt der geheimnisvolle Mann. Ich schaue den Mann an und spüre eine Welle des Trostes über mich kommen. Ich verstehe es nicht und schaue ihn skeptisch an. Ich höre Oliver lachen. „Entschuldigung, ich habe vergessen, dass ihr euch noch nicht richtig kennengelernt habt“, lacht er. „Das ist Evan, mein Gamma und dein Wächter.“ Ich habe einen Gamma? Aber nur Lunas haben Gammas und Oliver… er hat mich abgelehnt… Evan’s Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. „Es ist mir eine Freude, dich endlich kennenzulernen, Luna“, sagt er lächelnd über beide Ohren. Ich schenke ihm ein kleines Lächeln und nicke ihm zu. „N-nett, dich kennenzulernen“, sage ich leise. Ich schaue auf seine Hand und sehe, dass er etwas trägt, ein Buch vielleicht. „Was ist das?“, frage ich und deute auf das Objekt. „Oh, das? Es ist äh… Stolz und Vorurteil“, errötet er. „Ich wollte es dir vorlesen“, fügt er verlegen hinzu. Ich kann nicht anders, als über seine niedliche Geste zu lachen. „Was!“, protestiert Evan. „Das ist ein Klassiker!“ Das bringt mich endgültig zum Lachen, und ich weine fast vor Lachen. Oliver lächelt strahlend, und ich werde rot. „Ich liebe dein Lachen“, sagt er. Eine Tomate könnte nicht roter sein als ich. Er liebt uns! schnurrt mein Wolf. Nein, er sagt das nur. E-er lügt. Er will uns nicht. Doch, das tut er! Als er meine innere Unruhe spürt, spricht Oliver erneut, seine Stimme sanft. „Es tut mir leid, was ich dir angetan habe. Ich hätte dich niemals ablehnen sollen. Ich will dich. Ich will dich mehr als alles andere, was ich je gewollt habe“, seine Stimme bricht. „Bitte verzeih mir.“ Ja! Ich vergebe dir, ruft Reyna. „I-ich bin noch nicht bereit, dir zu vergeben, O-Oliver“, stottere ich. „I-ich brauche m-mehr Zeit“, keuche ich. Es wird schwer, zu atmen. „D-du hast mir so sehr wehgetan“, weine ich. „Oh, Baby, es tut mir so leid. Ich nehme alles zurück. Ich hasse mich dafür, was ich dir angetan habe. Bitte, du musst mir vergeben! Es tut mir so, so leid.“ Er zieht mich dicht an sich und legt seine Arme um mich, wodurch Funken meine Arme hinauffahren, wo seine Hände ruhen. Es ist alles zu viel. „Fass mich nicht an!“, schreie ich und erschrecke damit alle im Raum, einschließlich mir selbst. Ich beginne unkontrolliert zu weinen. „Alpha, ich denke, Aurora braucht jetzt Ruhe. Es war ein langer Tag für sie“, sagt Meghan und öffnet die Tür für sie. Oliver zittert vor Frustration, protestiert aber nicht. „Es tut mir so leid“, flüstert er. Er steht auf und geht, mit Evan dicht hinter ihm. Als die Jungs weg sind, fragt Meghan, ob ich hungrig sei, und lässt eine Krankenschwester mir Suppe bringen. Nach dem Essen überkommt mich die Erschöpfung, und ich schlafe schnell wieder ein.
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