Kapitel 2-1

2059 Words
Kapitel 2 Bailey Zorn brennt in meiner Kehle und blendet mich, als ich aus dem Journalismus-Kurs taumle. Die Unverschämtheiten, die sich Cole Muchmore herausnimmt. Er hat gerade buchstäblich vor der gesamten Klasse meinen Test gestohlen und ist auch noch damit durchgekommen. Er klatscht mit seinen Mannschaftskameraden ab – den anderen Alpha-löchern, wie Rayne sie nannte. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass er mich zu einer Außenseiterin gemacht hat, jetzt stiehlt er auch noch meine Arbeit? Ich kann nicht fassen, dass ich ihn damit habe durchkommen lassen. Was stimmt nur nicht mit mir? Bin ich mittlerweile so scharf auf Freunde, dass ich sogar meine Erziehung und Zukunft opfern würde, nur um niemanden zu verärgern? Ich hätte ihn verpetzen sollen. Sie hassen mich sowieso schon. Ich bin eine Sozialaussätzige und schon seit Wochen eine ein-Personen-Gruppe. Und was zum Kuckuck läuft bei all den anderen Kids auf dieser Schule schief, dass sie denken, es wäre das Richtige, dem Footballstar beim Betrügen zu helfen? Arschlöcher. Ich ziehe den Kopf ein, um die Tränen zu verbergen, die meine Sicht verschwimmen lassen, während ich die Kombination für das Zahlenschloss meines Schließfaches eingebe. Ich beruhige mich so weit, dass ich die Zahlen sehen kann. Drei weitere Versuche, um das Schloss zu öffnen. Die Tür schwingt auf und knallt wieder zu, da eine große Hand sie zuschlägt und dort liegen bleibt. Natürlich weiß ich ganz genau, wem diese Hand gehört. „Danke für die Hilfe, Pink.“ Cole drängt sich an meinen Rücken und beugt sich dicht zu mir, um leise in mein Ohr zu sprechen, als wäre das ein privates Gespräch unter Liebenden und nicht die nächste Schikane der größten Arschgeige der Schule. Seine Stimme ist ein tiefes Grollen und vibriert direkt zu geheimen Stellen, an die sie nicht gehört. „Fick dich, Cole“, gifte ich. Normalerweise fluche ich nicht, vor allem nicht in der Schule, aber diese Situation verlangt wirklich danach. Aber ich schätze, ich bin trotzdem ein Feigling, denn ich drehe mich nicht um und bin nicht gewillt, mich meinem Peiniger Auge in Auge zu stellen. Ich presse mich noch dichter an die Schließfächer, um ihn daran zu hindern, sich an mir zu reiben. Doch er rückt einfach näher und jetzt kenne ich Gerüche und Empfindungen, die mich zusammen mit seinem feixenden Gesicht heimsuchen werden. Er verlegt sich auf Einschüchterung und es funktioniert, aber mein Körper registriert das Ganze als etwas völlig anderes. Etwas Fremdes, dennoch primitiv Vertrautes. Biologischer Neandertalerscheiß, der es da unten unverschämt feucht werden lässt. Denn auf keinen Fall finde ich sein Muskelprotzgetue sexy. Es ist wirklich beschissen, dass er so heiß wie Jacob Elordi ist. Ein Kribbeln rast über meine Haut. Ich schaue nach unten. Gänsehaut. Er verursacht mir verfluchte Gänsehaut, nur indem er so nah bei mir steht. Ich muss nicht nachschauen, um zu wissen, dass sich meine Brustwarzen steif gegen mein gepunktetes Lieblingsskaterkleid drücken. Ich kämpfe gegen den Drang an, die Arme vor der Brust zu verschränken. Er muss nicht wissen, welche Wirkung er auf mich hat. Er ist groß. Kräftig. Seine Stimme ist tief. Er riecht nach Zedernholzseife und maskuliner Wunderbarkeit. Und sein arroganter Schwachsinn stellt irgendetwas Merkwürdiges mit meiner Mitte an. „Hier.“ Seine andere Hand taucht vor meinem Gesicht auf. Nicht die, mit der er nach wie vor meinen Spind zuhält und mich effektiv einkeilt, sondern die auf der anderen Seite meines Kopfes. Er streckt mir einen Streifen Zimtkaugummi entgegen. „Ernsthaft?“ Ich reiße ihm den Kaugummi aus der Hand und wirble herum, weil ich jetzt zu angepisst bin, um einer Konfrontation von Angesicht zu Angesicht aus dem Weg zu gehen. „Ein Streifen Kaugummi?“ Ich halte ihn zwischen unsere Nasen und verfluche meine Hand, weil sie zittert. „Ist das hier der handelsübliche Preis dafür, dass einem jemand den eigenen Test ausfüllt?“ Coles feuriger brauner Blick brennt sich durch mich. Ich sehe den Hass in seinen Augen, bevor er blinzelt und so tut, als wäre es ihm scheißegal. Er verändert seine Position so, dass er mit einer Schulter an meinem Schließfach lehnt. „Nun, weißt du, das ist das Einzige, das ich mir leisten kann… in Anbetracht dessen, dass deine Mom meinem Dad den Job weggenommen hat und all dem.“ Jeglicher Lärm in meinem Kopf verstummt. Mein Magen sinkt und mir stockt der Atem. „Was?“ „Yeah. Ich schätze, sie ist eine wirklich große Nummer, hm? Deine Mom? Kommt den ganzen Weg von der Coors Brauerei in Colorado hierher.“ Er zuckt mit den Achseln. „Damit konnte mein Dad nicht mithalten.“ Meine Knie wackeln. Mein Mund öffnet und schließt sich wie ein leerer PEZ-Spender, aber mir fällt einfach keine angemessene Antwort ein. Es spielt keine Rolle. Cole stößt sich bereits vom Schließfach und schlendert davon, wobei sich die Menge teilt, um dem König den Weg freizumachen. Er denkt meine Mom hat seinem Dad den Job weggenommen? Deswegen hassen mich Cole und Casey Muchmore? Deswegen bin ich hier die vergangenen acht Wochen die Außenseiterin gewesen. Deswegen kann ich lächeln und zu den Schülern in den Fluren und auf den Toiletten „Hi“ sagen, ohne dass mir auch nur ein Freshman mit dem Kopf zunickt. Ich hatte keine Ahnung, dass es persönlich war. Die Erkenntnis sollte Erleichterung mit sich bringen, aber sie lässt nur einen hohlen Schmerz in meiner Magengrube entstehen. Solange Cole und Casey Muchmores ständig besoffener, nichtsnutziger Dad keinen neuen Job kriegt, werde ich Staatsfeind Nummer eins bleiben. Und es ist nicht meine Schuld. Es ist nicht einmal die Schuld meiner Mom. Sie wurde eingestellt, nachdem die Wolf Ridge Brauerei ein riesiges Theater mit der FDA, der Behörde für Lebensmittel- und Arzneimittelsicherheit, gehabt hatte. Und ja, meine Mom sagte, dass die Lage dort ein einziges Chaos war, als sie dort hinkam. Es gab beispielsweise keine Kontrollpunkte, um Kontaminierungsdesastern vorzubeugen. Das bedeutet, Coles und Caseys Dad war so richtig schlecht in seinem Job und es ist kein Wunder, das er ihn verloren hat. Ich kann verstehen, warum es aussah, als wollten wir noch Salz in die Wunde streuen, indem wir neben ihnen eingezogen sind, aber meine Mom hat seinem Dad den Job nicht weggenommen. Und selbst wenn sie es getan hätte, wie kann er es in seinem verkorksten Neandertalergehirn okay finden, mir die Schuld dafür zu geben, dass sein Leben den Bach runtergeht? Ich weiß so einiges darüber, wie es ist, wenn das Leben plötzlich bergab geht. Aber mich sieht man nicht herumlaufen und Fremde aus Rachsucht fertigmachen. Mit zitternden Fingern gebe ich ein weiteres Mal die Zahlenkombination für mein Schließfach ein, ziehe meinen Rucksack heraus und gehe zum Mittagessen, meiner meistgefürchteten Schulstunde des Tages. Die Stunde, in der ich versuche, einen Platz für mich allein zu finden, wo ich ungestört hinsitzen und meine Hausaufgaben machen kann, während ich ein Sandwich esse. „Du hast also den Test für das Alpha-loch ausgefüllt, hm?“ Ich wirble herum und entdecke Rayne, die hinter mir steht. Ihr freundliches Gesicht ist ein solcher Balsam für meine angeschlagenen Emotionen, dass ich die Arme um sie werfen und sie an mich drücken möchte. Ich halte mich jedoch zurück. Ich will meine einzige Freundin nicht mit meiner Verzweiflung nach menschlichem Kontakt verjagen. „Neuigkeiten verbreiten sich hier so schnell?“ „Jepp. Das ist die Wolf Ridge, wie sie leibt und lebt. Braucht ungefähr fünf Minuten, bis die aktuellsten Neuigkeiten die Runde gemacht haben. Vor allem wenn es dabei um unseren Starquarterback geht.“ „Ist Football wirklich so eine große Sache? Ich kapiere es einfach nicht.“ Sie zuckt mit den Achseln und läuft neben mir her. „Wolf Ridge gewinnt in fast jeder Sportart die Bundesmeisterschaften. Wir sind berühmt dafür. Aber Cole ist besonders – er bietet Entertainment auf dem Feld. Spielt irgendwie mit der anderen Mannschaft. Wie eine Katze mit einer Maus. Es ist legendär. Wenn er diese Woche also wegen schlechter Noten auf die Bank verdonnert worden wäre, hätten alle getrauert. Ich weiß, du hattest keine Wahl, aber du bist gerade zur unbesungenen Heldin geworden.“ „Ich bin gerade zur Lachnummer der Schule und zur Zielscheibe für jeden Bully geworden.“ „Ne, nur für Cole.“ „Also muss man gut im Sport sein, um beliebt zu sein?“ „Jepp.“ Sie streicht mit einem breiten reumütigen Lächeln über ihren Körper. „Ich schätze mal, du weißt, warum ich nicht zur Homecoming-Königin gekrönt werden werde.“ Ich verspüre den irrsinnigen Drang, die Homecoming-Krone zu stehlen, bevor sie dieses Wochenende verliehen wird, um sie Rayne zu überreichen. Und dieser Gedanke bringt mich zum Lächeln. Sie stößt mich mit dem Ellbogen an. „Das ist nicht witzig.“ Mein Lächeln wird breiter. „Ich lache nicht über dich, ich schwöre. Ich stelle mir nur vor, wie spaßig es wäre, den Wettbewerb zu sabotieren.“ Sie grinst ebenfalls. Sie führt mich hinter die Schule, wo es eine kleine Ansammlung Bäume gibt, die ich zuvor noch nicht bemerkt hatte. „Hier verstecke ich mich gerne während der Mittagspause.“ Sie sinkt nach unten und lehnt ihren Rücken an einen der Bäume. Ich lasse mich zu Boden fallen, um mich ihr anzuschließen. „Das ist viel besser als die Orte, die ich ausprobiert habe.“ Das stimmt. Sie hat ein winziges Stückchen echter Natur auf dem Schulgelände gefunden, wo sich die Luft irgendwie einfacher atmen lässt. „Also, Cole denkt, meine Mom hat seinem Dad den Job geklaut“, platzt es aus mir heraus, da ich an nichts anderes denken kann. Rayne zieht ihre Brauen hoch. „Das wusstest du nicht?“ Ich seufze. Okay, Wolf Ridge ist so klein und vernetzt. „Ich dachte, mich würden alle hassen, weil ich hispanisch bin.“ Sie spuckt ihren Saft aus, weil sie zu lachen beginnt. „Das ist zum Schießen.“ „Nun, es ist ziemlich homogen hier. Und ich passe nicht dazu. Du solltest mal sehen, wie Coles Dad uns durch sein Fenster anstarrt. Ich schwöre bei Gott, ich dachte, er oder einer der anderen Nachbarn würde uns die Einwanderungsbehörde auf den Hals hetzen in der Hoffnung, dass wir in der Nacht mitgenommen werden, nur weil unser Nachname Sanchez ist.“ Rayne lacht so heftig, dass Tränen aus ihren Augenwinkeln fließen. „Nein.“ Sie wischt die Feuchtigkeit weg. „Es ist kein Rassismus, mit dem du es hier zu tun hast.“ So wie sie Rassismus betont, erweckt es für mich den Anschein, als gäbe es noch etwas anderes. Etwas abgesehen davon, dass meine Mom den Job von Coles Dad bekommen hat, aber mir fällt bei bestem Willen nicht ein, was das sein könnte. Sie steckt eine Strähne weißblonder Haare hinter ihr Ohr und ich sehe kurz ein blaues Tattoo auf der Innenseite ihres Handgelenks. „Was ist das?“, frage ich und deute darauf. Sie streckt es aus, um mir einen winzigen Pfotenabdruck zu zeigen. „Total süß. Hast du es in Erinnerung an einen Hund?“ „Tatsächlich ist es eine Wolfpfote.“ „Haben Wölfe eine besondere Bedeutung für dich?“ Sie zieht ihre Hand rasch weg und zieht den Kopf ein. „Nein. Es steht nur für Wolf Ridge. Es ist dämlich.“ Sie läuft tomatenrot an. „Ich wünschte, ich hätte es mir nie machen lassen, aber jetzt ist es zu spät.“ „Mir gefällt es.“ Eine Idee nimmt in meinem Kopf Gestalt an. Eine Idee, die mich zum ersten Mal seit Monaten begeistert. Eine Möglichkeit, Catrina in Erinnerung zu behalten. „Ich möchte auch eines. Hast du es dir hier in der Stadt machen lassen?“ „Jepp. Bei Wolf’s Paw Tattoo.“ „Oh mein Gott. Ist das der Grund, weshalb du dich für eine Wolfpfote entschieden hast? Ist es umsonst, wenn du zu einer wandelnden Werbetafel für sie wirst?“ Rayne lacht. „Nein, aber ich vermute, da habe ich die Idee her, ja. Aber du musst achtzehn sein oder die Zustimmung deiner Eltern haben.“ „Nun, zufälligerweise ist morgen mein Geburtstag.“ Ich grinse. „Willst du mich begleiten?“ Ihr Gesicht hellt sich auf. „Definitiv. Was wirst du dir tätowieren lassen?“ Ich schlucke den Kloß hinunter, der sich plötzlich in meiner Kehle gebildet hat. Ich schätze, ich bin immer noch nicht so weit, dass ich darüber reden kann. Stattdessen zucke ich mit den Schultern und entscheide mich für rätselhaft. „Du wirst schon sehen.“
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