Kapitel 2

1467 Words
KAPITEL 2 Jaguin schritt vor der Krankenstation auf und ab. Sein Symbiont war in dem Zimmer geblieben, wo der Heiler gerade versuchte, ihre Gefährtin zu retten. Auch Jaguin hatte bleiben wollen, aber Tandor, der leitende medizinische Offizier des Schiffes, hatte ihn hinausgeworfen und Jaguin mitgeteilt, sein Symbiont wäre hilfreich, aber Jaguin stünde ihm nur im Weg. Er drehte sich um und ging zehn Schritte nach links, bevor er kehrtmachte und den gleichen Weg wieder zurückging, ohne die Tür zur Krankenstation dabei aus den Augen zu lassen. Alle paar Sekunden wanderten seine Finger automatisch zu dem goldenen Armband an seinem Unterarm. „Wie geht es ihr?“, fragte er mit heiserer Stimme und strich über das goldene, lebendige Metall. Plötzlich tauchten Bilder der Frau in seinem Kopf auf. Sie lag auf der Seite. Ihr Rücken war mit einer dünnen Schicht seines goldenen Symbionten bedeckt, der dabei war, sie zu heilen. Als sich die Schicht auflöste, konnte er die dicken Rillen des versiegelten, roten Fleisches sehen, bevor sie von einer weiteren Schicht bedeckt wurde. Der Heiler kümmerte sich um ihre anderen Verletzungen. Schmerz, Wut und Trauer durchströmten ihn. Als er Schritte hörte, hob er den Kopf und sah, dass Gunner über den Flur auf ihn zukam. Die Lippen seines Freundes waren zu einer dünnen Linie zusammengepresst. „Wie geht es ihr?“, fragte Gunner, als er neben ihm stehenblieb. „Sie lebt … gerade noch“, antwortete Jaguin und ließ seine Hand sinken, mit der er das Symbiontenband an seinem Arm berührt hatte. „Was ist mit der anderen Frau?“, fragte Gunner mit einem schweren Seufzer der Erleichterung. Jaguin schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht“, gab er zu. „Ich habe mich nur auf die konzentriert, die ich an Bord gebracht habe.“ „Das ist verständlich. Sie war viel schwerer verletzt“, antwortete Gunner mit einem müden Seufzer. „Ich verstehe die Menschenmänner nicht. Wie können sie etwas so Kostbares, so Zerbrechliches, so behandeln?“ „Keine Ahnung“, erwiderte Jaguin und lehnte sich gegen die Wand. „Woher kommt der blaue Fleck? Ich kann mich nicht erinnern, ihn schon einmal gesehen zu haben.“ Gunner rieb sich den Kiefer und zuckte zusammen, als er die empfindliche Stelle auf der rechten Seite berührte. Der Bluterguss sah frisch aus. Gunners Augen blitzten schelmisch auf. „Von der wunderbaren, zarten Menschenfrau, die ich mitgenommen habe. Ich habe versucht, sie zu küssen“, lachte er achselzuckend. „Audrey meinte, ich sollte es versuchen. Wie hätte ich dieser Herausforderung widerstehen können? Dafür, dass sie eine Heilerin und eine Frau ist, schlägt sie ziemlich hart zu. Wenn sie mich das nächste Mal warnt, werde ich auf sie hören.“ Jaguin schüttelte den Kopf, und ein zögerndes Lächeln umspielte seine Lippen, bevor es verblasste und ein intensiver Blick in seine Augen trat. Sein Blick wanderte zurück zur Tür der Krankenstation. Die Erinnerung an die Worte seiner Gefährtin verfolgte ihn. „Die Frau ist meine Gefährtin“, sagte er mit heiserer Stimme. „Was?!“, Gunners schockierter Tonfall ließ ihn aufhorchen. „Bist du sicher?“ „Ja“, antwortete Jaguin. „Mein Symbiont ist bei ihr. Mein Drache ist völlig aufgekratzt, genau wie ich. Es ist … schwer, nicht bei ihr zu sein.“ Gunner rieb sich den roten Fleck an seinem Kinn und schnitt eine Grimasse. „Ja, das ist es“, murmelte er und richtete sich im selben Moment wie Jaguin auf, als sich die Tür zur Krankenstation öffnete. „Ist sie …?“, begann Jaguin zu fragen, bevor seine Stimme stockte. Er holte tief Luft, bevor er fortfuhr. „Wie geht es ihr?“ Tandors Miene war grimmig, als er den beiden Männern zunickte. Jaguin beobachtete, wie Tandor müde mit der Hand über sein Gesicht fuhr und sich das Kinn rieb, bevor er sie sinken ließ. Er gab Jaguin und Gunner ein Zeichen, ihm in die Krankenstation zu folgen. Als Jaguin eintrat, wanderte sein Blick automatisch zu der Frau, die regungslos auf dem Bett lag. Er sah die dicken Bänder aus lebendigem Gold an ihrem Hals und ihren Handgelenken. Sein Symbiont saß auf der anderen Seite des Bettes und hatte seinen Kopf auf den weißen Laken abgelegt. Kleine Goldfäden gingen von ihm aus und ersetzten die schmalen Bänder, die sich noch immer über ihren Körper bewegten. „Gut, dass du ihr Gefährte bist“, erwiderte Tandor mit ruhiger Stimme und ging an den beiden Betten vorbei zum Bürobereich auf der linken Seite. „Ohne die Heilkräfte deines Symbionten hätte sie nicht überlebt. Unsere medizinischen Möglichkeiten sind zwar fortschrittlicher als die der meisten anderen Welten, aber nichts kommt an die Heilkräfte eines Symbionten heran.“ „Was ist mit der anderen Frau?“, fragte Gunner stirnrunzelnd. „Sie hat keinen Gefährten.“ „Sie hat eine Gehirnerschütterung und einige andere Verletzungen“, erwiderte Tandor und schüttelte den Kopf. „Die meisten konnte ich heilen, aber nicht einmal unsere Symbionten können einen gebrochenen Geist oder eine zerrüttete Seele heilen. Die Frau war zwar bei Bewusstsein, aber sie hat weder etwas gesagt noch reagiert. Es war, als wäre nur ihr Körper hier, sonst nichts. Ich kann nur die Verletzungen sehen, die den Frauen auf körperlicher Ebene zugefügt wurden, aber ich kann nur erahnen, welche psychischen Schäden sie erlitten haben. Die Zeit wird zeigen, ob sie überleben werden.“ „Diese hier muss überleben“, erwiderte Jaguin und drehte sich noch einmal um, um seine Gefährtin durch die Glasscheibe zu betrachten. „Sie … Sie gehört mir.“ Tandors Blick folgte dem von Jaguin, der das friedliche Gesicht der Frau betrachtete. „Ich weiß“, murmelte er. „Du musst Geduld haben, Jaguin. Solange sie nicht aufwacht, kann ich nur Vermutungen darüber anstellen, welchen Schaden ihr Geist genommen hat.“ Jaguins Blick verweilte auf dem Gesicht der jungen Frau. Er kannte nicht einmal ihren Namen. Sie sah aus wie eine bleiche Statue. Ihre Atmung war so schwach, dass er kaum sehen konnte, wie sich ihr Brustkorb hob und senkte. Sein Symbiont stupste gegen einen ihrer schlanken Arme. Hoffnung und Entschlossenheit flammten in ihm auf, als ihr Arm über den goldenen Kopf glitt. Er wusste, dass es der Stupser seines Symbionten war, der ihren Arm, nicht aber ihre Finger in Bewegung setzte. Wärme durchflutete ihn, als sich die Finger der Frau ganz leicht um den seidenweichen Körper seines Symbionten legten. „Ich werde so lange warten, wie es nötig ist“, antwortete Jaguin, und das Versprechen hallte tief in ihm nach. * * * Sara war wieder in dem Albtraum ihrer Erinnerungen gefangen. Ein kleiner Teil ihres Gehirns sagte ihr, dass es nur eine Erinnerung und nicht real war. Dennoch könnte sie schwören, dass sie bei jedem Peitschenhieb spürte, wie ihr Fleisch aufgerissen wurde. Ihr Kiefer war so verkrampft, dass ihre Zähne schmerzten, aber sie weigerte sich, Cuello die Genugtuung zu geben, sie schreien zu hören. Ihr Körper versteifte sich vor Überraschung, als sie plötzlich von einer Welle der Wärme überrollt wurde. Eine goldene Flut von Flüssigkeit spülte den Schmerz weg und beruhigte sie. Einen Moment lang bekam sie keine Luft. Es war, als würde sie auseinandergerissen werden. Ein Teil von ihr war immer noch starr vor Schreck und verweilte in der Gefangenschaft, während der andere Teil frei war, als plötzlich eine andere Welt um sie herum Gestalt annahm. Verwirrt sah sie zu, wie die lebhaften Bilder in ihrem Kopf explodierten. Sie erwartete, dass die Erinnerung sie in ihre Kindheit zurückversetzen würde, oder in die Zeit, in der sie an der Universität in Columbia gearbeitet hatte. Stattdessen war die Welt völlig fremd und anders als alles, was sie je zuvor gesehen hatte, allerdings auf eine gute Art und Weise. Ihre Finger spreizten sich unwillkürlich, als sie nach dem hohen Gras griff. Es war lila! So ein Gras hatte sie noch nie gesehen. Ihre Hand fuhr über die Halme und ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie ihre Handfläche kitzelten. Das schwache Lächeln verwandelte sich in eine nachdenkliche Miene, als sie eine weitere Welle der Wärme erfüllte. Was ist hier los? Bin ich tot?, fragte sie sich und sah sich auf der Wiese um. Nein, Elila, du bist nicht tot, du schläfst nur, antwortete eine heisere Stimme. Während sie versuchte, alles zu verarbeiten, klopfte ihr Herz so stark, dass sie glaubte, es würde explodieren. Sie nahm ein leises Murmeln wahr, bevor sie einen Augenblick später etwas Kaltes an ihrem Hals spürte. Innerhalb von Sekunden entspannte sich ihr Körper. Was auch immer das gewesen sein mochte, zog sie tiefer in die riesige Grube, in die sie unwissentlich gestolpert war. Hier werde ich mich verstecken, dachte sie, als ihr Körper in einem weichen Bett aus Gold landete. In der Dunkelheit wird er mich nicht finden.
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