KAPITEL 3
Drei Tage später stöhnte Sara leise auf. Mühsam öffnete sie ihre Augenlider einen Spalt. Ihre Finger umklammerten die Decke. Sie war überrascht, wie weich sie war. Vorsichtig öffnete sie die Augen ein wenig weiter, um herauszufinden, wo sie war.
Als sie den Kopf drehte, sah sie Emma auf einem Stuhl in der Ecke sitzen. Das jüngere Mädchen sah blasser und zerbrechlicher aus als je zuvor. Sara schob ihre eigenen Schwächegefühle beiseite und setzte sich mühsam auf. Ein leises, verärgertes Knurren entwich ihr, als ihre Arme zitterten.
„Verdammt“, murmelte sie und hob eine zittrige Hand, um sich das Haar aus dem Gesicht zu streichen.
Saras Hand erstarrte vor Überraschung, als sie feststellte, dass sie zwar schwach war, aber keine Schmerzen hatte. Verwirrt legte sie die Stirn in Falten. Wie lange war es her, dass Cuello sie an diesen schrecklichen Holzrahmen geschnallt hatte?
Langsam ließ sie ihre Hand sinken und sah sich in dem Raum um. Er war kahl, fast futuristisch. Hinter einer durchsichtigen Scheibe befand sich eine breite Tür, die zu einem weiteren Raum zu führen schien. In dem Zimmer, in dem sie sich befand, standen zwei Betten und mehrere bequem aussehende Sessel.
Ihr Blick wanderte zurück zu Emma. Besorgnis stieg in Sara auf, als sie den gequälten Blick in Emmas Augen sah. Sara schob das dünne Laken, das ihre Beine bedeckte, beiseite und hielt einen Moment lang inne. Auf ihrer Haut waren keine Blutergüsse zu sehen. Sie ließ ihre Schultern kreisen und wartete auf den Schmerz, aber er kam nicht.
Emmas Augen klärten sich für einen Moment und sie schüttelte wortlos den Kopf. Der Blick, den sie Sara zuwarf, beruhigte sie jedoch nicht. Anstelle von Erleichterung blitzte Entsetzen in ihren Augen auf, bevor sie wieder trüb und stumpf wurden. Sara konnte beinahe spüren, wie Emma sich von der Welt zurückzog.
Saras Kiefer verkrampfte sich entschlossen. Sie hatte nicht ihr halbes Leben lang für ihre Freiheit gekämpft, nur um sich dann von ihr zu verabschieden. Ihr Blick huschte an Emma vorbei zur Tür, bevor er zum Büro wanderte. Die Tür stand offen. Vielleicht, nur vielleicht, hatte derjenige, dem es gehörte, ja eine Waffe dort drinnen gelassen.
Sara richtete sich auf. Der erste Fehler, den die Mistkerle gemacht hatten, war, sie heilen zu lassen. Sie wusste nicht, warum sie sie lange genug allein gelassen hatten, dass ihr Körper sich vollständig erholen konnte, aber sie würde nicht darauf vertrauen, dass derjenige, der sie jetzt in seiner Gewalt hatte, schon mit ihnen fertig war. Emma und sie würden nie wieder gefoltert werden, dafür würde Sara sorgen. Der zweite Fehler war, dass sie die beiden Mädchen allein gelassen hatten. Wenn es einen Ausweg gab, würde Sara ihn finden, und ob Emma nun mitkommen wollte oder nicht, sie würde das andere Mädchen auf keinen Fall zurücklassen.
Sara wandte sich wieder zu Emma um und warf ihr einen Blick zu, bei dem ihre Cousins früher immer das Weite gesucht hatten. Wenn Sara sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte sie nichts aufhalten. Und dieses Mal wollte sie ihre Freiheit.
„Lass uns gehen“, befahl sie, wobei ihre Stimme etwas härter klang, als sie beabsichtigt hatte. „Du musst bei mir bleiben, Emma. Wir gehen zusammen oder gar nicht, hast du verstanden?“
Emma nickte und richtete sich auf. Sara sah, wie die jüngere Frau schwankte, spürte aber auch eine stille Entschlossenheit, als sie ihre Schultern straffte. Sara lächelte und streckte ihre Hand aus. Ihre Finger schlossen sich um Emmas Hand und sie drückte sie sanft.
„Wir schaffen das“, versprach Sara. „Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas zustößt.“
Emmas Lippen öffneten sich und sie sah aus, als wollte sie etwas sagen, bevor eine tiefe Traurigkeit ihre Augen verdunkelte und sie den Kopf schüttelte. Sara merkte, dass Emma ihr etwas sagen wollte, doch es war fast so, als hätte sie plötzlich vergessen, wie man spricht. Sie wollte Emma gerade fragen, was los war, als die Doppeltür aufglitt.
Saras Lippen öffneten sich vor Überraschung und Schock, als ein großes goldenes Wesen hereintrottete, das etwas im Maul trug. Ihre Kehle bewegte sich auf und ab, als es plötzlich stehenblieb und das Kuscheltier fallen ließ. Unbewusst schob Sara Emma hinter sich, als die Kreatur ihren Kopf zur Seite neigte und sie anschaute.
Saras rechte Hand wanderte zu ihrer Kehle. Ihre Finger erstarrten, als sie ein zartes Metallband spürte, das sich um ihren Hals legte. Sobald es ihre Haut berührte, überkam sie ein Déjà-vu-Gefühl, und eine vertraute Welle der Wärme strömte durch ihre Fingerspitzen und ihren Arm hinunter.
„Das warst du“, flüsterte sie.
Plötzlich verdunkelte die schattenhafte Gestalt eines großen Mannes den Eingang und sie hob ruckartig den Kopf. Ihre Augen weiteten sich, als es ihr dämmerte. Es war der Mann aus dem Wald in ihrem Traum.
„Nein …!“ Ihr wütender Schrei hallte von den Wänden des kargen Raums wider.
Verzweiflung stieg in ihr auf, als ihr bewusst wurde, dass Emma und sie nicht mehr in den Zellen auf Cuellos Gelände, sondern an einem anderen Ort gefangen waren. Ihr Blick huschte durch den Raum, auf der Suche nach einer Waffe. Da sie keine entdecken konnte, ballte sie die Hände zu Fäusten und entspannte die Schultern.
„Emma, wenn ich dir sage, dass du rennen sollst, dann lauf und dreh dich nicht um“, zischte Sara, die den Mann vor ihr mit zusammengekniffenen Augen musterte.
Sie spürte, wie Emmas Hand an ihrem Rücken zitterte. Alles, was sie tun konnte, war zu versuchen, den Mann so lange aufzuhalten, bis Emma es geschafft hatte, zu fliehen. Sara holte tief Luft und lief los – doch in diesem Moment versperrte ihr das große goldene Wesen den Weg. Im Maul hatte es wieder den Gegenstand, den es vorhin fallen gelassen hatte.
Sara hielt verwirrt inne, als das Wesen den Kopf hob und ihr den Gegenstand hinhielt. Ihr Blick wanderte zwischen der Kreatur und dem Mann hin und her. Sie war sich nicht sicher, was sie tun sollte.
„Das ist mein Symbiont. Er möchte dir das hier geben“, sagte der Mann. „Ich habe nach menschlichen Gegenständen gesucht, die man Kranken gibt und das hier gefunden. Mein Symbiont war der Meinung, das würde dir am besten gefallen.“
Sara sagte nichts, sie starrte den Mann nur misstrauisch an. Ihr Gehirn erkannte einzelne Wörter in seinem Satz, die für sie keinen Sinn ergaben … Symbiont … menschlicher Gegenstand … krank …
„Ich war nicht krank, ich wurde … misshandelt“, stieß Sara mit heiserer Stimme hervor.
„Ich weiß“, antwortete der Mann mit einem Akzent, den sie nicht zuordnen konnte.
„Wo sind wir?“, fragte Sara und blickte zu ihm auf. Sie konnte ihn immer noch nicht richtig erkennen, da das schwache Licht im Zimmer und das grelle Licht des Korridors einen Schatten auf sein Gesicht warfen. „Sind Sie vom Militär?“
Der Mann zögerte, bevor er antwortete. „Du bist an Bord der Horizon. Du und die andere Frau brauchten dringend medizinische Hilfe. Ich bin ein Krieger und einer der besten Fährtenleser meines Volkes.“
„Cuello …“, begann Sara und hielt inne, als der Mann einen kleinen Schritt auf sie zuging.
„Der Mann und seine Kameraden sind tot. Du brauchst sie nicht mehr zu fürchten“, antwortete der Mann mit ruhiger, harter Stimme. „Ich hätte es vorgezogen, ihn selbst zu töten, aber Lady Carmen hat diese Aufgabe erledigt, was natürlich ihr gutes Recht war.“
Carmen …, dachte Sara verwirrt. Sie schreckte auf, als das goldene Wesen ihre Hand anstupste. Sie hatte es vollkommen vergessen. Ihre Stirn legte sich in Falten und sie zitterte. Schnell verlor sie das bisschen Kraft, das sie beim Aufwachen noch gehabt hatte. Durch die Schläge und den Mangel an Nahrung war ihr Körper am Ende.
„Was ist das für ein Ding?“, fragte sie und blickte in die goldenen Augen. Vorhin hatte das Wesen wie eine riesige Katze ausgesehen. Jetzt sah es aus wie ein Faultier – ihr Lieblingstier. „Eben war es noch eine Katze.“
„Ja, er kann seine Gestalt verändern. Er weiß, dass du dieses Wesen magst, und möchte dich beruhigen“, erklärte der Mann.
Saras Hände streckten sich automatisch aus, als das Wesen sich zu ihr neigte und das Stoff-Faultier in ihre ausgestreckten Handflächen fallen ließ. Tränen brannten in ihren Augen, als die Kreatur sich langsam hinsetzte und sie mit großen, goldenen Augen musterte. Wieder sah sie zu dem Mann auf. Diesmal erhellte das schwache Oberlicht sein Gesicht.
„Wo … wer … bist du?“, fragte Sara mit schwacher Stimme.
„Du bist an Bord des valdierischen Kriegsschiffs Horizon. Ich bin Jaguin, ein Krieger aus der östlichen Bergregion von Valdier. Ich bin … dein Beschützer“, fügte er hinzu und ging einen weiteren Schritt auf sie zu.
Sara konnte spüren, wie Emmas Hand heftig zitterte, was sie daran erinnerte, dass sie nicht allein war. Ihr Körper schwankte, während ihr Verstand zu begreifen versuchte, was der Mann sagte und was nicht. Ihre Lippen öffneten sich und ihre Kehle bewegte sich auf und ab. Sie versuchte es mehrere Male, bevor die Worte endlich herauskamen.
„Was bist du?“, flüsterte sie und starrte ihn mit großen Augen an. „Was willst du von uns?“
Der Mann stellte sich direkt vor sie. Sie kannte die Antwort bereits. Auf der Erde gab es keine Wesen, die so aussahen wie die goldene Kreatur, die sie so aufmerksam beobachtete. Und der Mann, der vor ihr stand, war eindeutig kein Mensch. Wenn sie sich nicht an einem Film-Set befand, war auf Cuellos Gelände etwas sehr, sehr Seltsames passiert, etwas, das mit goldenen Tentakeln und sonderbaren Lichtern zu tun hatte.
„Ich bin ein Außerirdischer“, antwortete der Mann schließlich. „Du bist meine Gefährtin.“
Saras Augen wurden noch größer, bevor der letzte Rest ihrer Kraft dahinschwand. Sie wusste, dass es vorbei war, als die Dunkelheit, die sie bedrängte, immer größer wurde. Sie spürte, wie Emmas Hände sich um sie legten, doch das andere Mädchen konnte Sara nicht aufrecht halten.
„Na großartig“, stieß Sara hervor. Ihre Augenlider flatterten.
Wieder spürte sie eine Wärme, die sie einhüllte. Diesmal war sie jedoch nicht weich und beruhigend, sondern hart und muskulös. Ihr Kopf rollte auf die Seite und sie schmiegte ihre Wange an den groben Stoff des Männerhemdes.
Vom Regen in die …, dachte Sara benommen, bevor die Dunkelheit sie verschlang.