Kapitel 4: Alpha Roman

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Weit im Süden lag das Rudel der Südlichen Krieger. Es war nicht nur das größte Rudel im Land, sondern auch das stärkste in Bezug auf Kampfkraft. Wie der Name schon sagt, war das Rudel für seine Krieger und den herzlosen Alpha bekannt, der viele Rudel wegen seiner verdrehten Vergnügungen zerstört hatte. Alpha Roman war genau solch ein Charakter. Jeder wusste, dass man ihm nicht in die Quere kommen durfte, besonders nicht, wenn er auf dem Trainingsfeld stand und seine Schüler rügte. „Mit diesen Fähigkeiten könntest du nicht mal ein Kind besiegen!“, rief Alpha Roman laut, „Wozu trainiere ich euch alle?! Wo gehen all meine Bemühungen hin? Alles verschwendet an euch!“ Die kleine Gruppe junger Erwachsener stand mit gesenkten Köpfen vor ihrem Alpha. Sie hatten Angst, ihn anzusehen. Die erfahrenen Krieger, die auf dem gleichen Feld trainierten, hatten Mitleid mit den Jüngeren. Sie hatten erst vor zwei Jahren mit dem Training begonnen, aber sie hatten das Pech, dass Alpha Roman persönlich auf sie achtete. Er ließ keinen einzigen Fehler durchgehen. Nachdem sie zehn lange Minuten angebrüllt worden waren, wünschten sich die jungen Krieger am liebsten, sie könnten sich in die Erde eingraben und der Welt der Schrecken Lebewohl sagen. Alpha Roman zeigte auf den Jungen vorne und fragte: „Was ist die erste Regel des Südlichen Krieger-Rudels?“ Der Junge straffte sich und rezitierte vorsichtig: „Regel eins! Lass niemals deine Wachsamkeit nach, selbst nicht bei denen, denen du vertraust!“ Alpha Roman grunzte. „Wenn du das weißt, warum hast du ihm dann diese unachtsamen Schläge durchgehen lassen? Bist du dumm oder hast du die Regeln vergessen? Dies ist nur Training, aber wenn dasselbe in einem echten Kampf passiert, wärst du jetzt tot!“ Alpha Roman war gnadenlos, wenn es um das Training ging, besonders bei der jüngeren Generation. Er selbst war erst zweiundzwanzig Jahre alt und hatte vor zwei Jahren die Position des Alphas übernommen. In diesen zwei Jahren hatte er zwei große Dinge erreicht: Er erweiterte das Territorium des Rudels und formte die Krieger zu nahezu unbesiegbaren Kämpfern. Für Alpha Roman gab es nichts Wichtigeres als sein Rudel und dessen Wohlstand. Der frühere Alpha war in einem Kampf mit Rogues gestorben, er hatte sein Leben geopfert, um das Rudel zu schützen. Alpha Roman wollte, dass jedes Mitglied des Rudels wusste, wie groß dieses Opfer war, und er strebte danach, sie zu selbstständigen Kriegern zu machen, die in Zeiten der Not keine Last waren. Obwohl diese Ideale lobenswert waren, fürchteten viele ihren Alpha wegen seiner brutalen Art, die Dinge durchzusetzen. Er zögerte nicht, jemanden, den er für unfähig hielt, öffentlich zu demütigen, und rügte ihn vor der ganzen Gruppe ohne mit der Wimper zu zucken. Es war, als ob er keinerlei Empathie für sie hatte. Ihm war nicht bewusst, dass es für manche eine enorme Demütigung bedeuten konnte. Ihr Alpha war emotional naiv, und die Krieger konnten nur seufzen und es ertragen. Manchmal weinten sie in der Nacht, nur um am nächsten Morgen wieder zum Training zu erscheinen. Es waren jedoch die älteren Krieger, die den tieferen Sinn hinter diesen Taten wirklich erkannten. Obwohl sie mit den jungen Kriegern mitfühlten, sahen sie, dass deren Zukunft vielversprechender war als die aller anderen im Rudel. Alpha Romans persönliche Aufmerksamkeit galt diesen Jungen und Mädchen, und ohne Zweifel würden sie in wenigen Jahren zu starken, jungen Kriegern heranwachsen. Die kleine Gruppe bestand aus vier Jungen und zwei Mädchen, alle im Alter zwischen dreizehn und fünfzehn Jahren. (Das Alter beginnt mit dreizehn, weil ein Individuum seine Wolfsform im Alter von zwölf Jahren erlangt). Sie standen frühmorgens auf, um mit den älteren Kriegern zu trainieren, gingen dann zur Schule, wo von ihnen erwartet wurde, gute Noten zu erzielen, da schulische Leistungen genauso wichtig waren. Später am Tag überwachte Alpha Roman persönlich ihr Training. Dieser endlose Zyklus würde sie sowohl emotional als auch körperlich stark machen. Alpha Roman lockerte seine verschränkten Arme, nachdem er sie ausgeschimpft hatte. Er legte seine Hand auf die Schulter des Jungen und sagte: „Du hast Potenzial, deshalb bist du hier. Nutze dieses Potenzial, anstatt es zu verschwenden. Das wäre ein großer Verlust für das Rudel.“ Der Junge, Kruger, sah mit großen Augen auf. Er war dieses Jahr erst dreizehn geworden und hatte sich kürzlich der kleinen Gruppe angeschlossen. Alpha Roman war besonders streng mit ihm, und manchmal war es überwältigend. Doch er beschwerte sich nicht. Er war glücklich, Teil der Gruppe zu sein, die von Alpha Roman persönlich betreut wurde. „Ich werde darüber nachdenken, Alpha!“ sagte Kruger entschlossen. Er erkannte die hohen Erwartungen, die Alpha Roman an ihn hatte, und er wollte den Alpha nicht enttäuschen! „Gut.“ Alpha Roman trat einen Schritt zurück und ließ seinen Blick über die sechs Schüler gleiten, die er unter seine Fittiche genommen hatte. Ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht, und er sagte: „Jetzt geht und duscht euch. Tante Regan hat frische Pasteten gemacht.“ Die Kinder jubelten, als wären sie nicht gerade eben noch ausgeschimpft worden. Sie rannten zu Alpha Roman und umarmten seine Hüfte. Alpha Romans Körper rührte sich nicht einmal unter der Kraft von sechs jungen Werwölfen, die sich auf ihn warfen. Er tätschelte ihre Köpfe und tat so, als sei er angeekelt. „Ihr stinkt! Geht weg!“ Alpha Roman schob sie lachend von sich und befahl ihnen, zuerst zu baden, bevor sie sich an den Pasteten vergreifen durften. Andernfalls gäbe es keine. Die Kinder rannten lachend und kichernd zum Herrenhaus. Der Beta, Easton, sprang von einem Ast herab und landete neben Alpha Roman. „Du solltest etwas nachsichtiger mit ihnen sein. Sie sind doch nur Kinder“, sagte Easton mit einem kleinen Stirnrunzeln. Er mochte es nicht, wie die Kinder jeden Tag ausgeschimpft wurden, aber offenbar störte es die Kinder selbst nicht, solange sie am Ende eine Pastete bekamen. Die Pasteten waren zehn Rügen dieser Art wert. „Sie müssen lernen, wenn sie das Rudel nach mir führen sollen. Für die neue Generation wird es nicht leichter werden“, sagte Alpha Roman, während er seine Trainingsweste auszog. Das T-Shirt unter der dicken Weste war vom Schweiß durchnässt. Easton rümpfte die Nase. Easton nahm eine Wasserflasche und warf sie Roman zu. Roman fing sie, trank die Hälfte auf einen Zug und schüttete den Rest über seinen Kopf mit dem tintenschwarzen Haar. Er seufzte, als das kühle Wasser seinen Kopf traf und ihn sofort abkühlte. „Du bist der erste Alpha, den ich gesehen habe, der die nächste Generation schon darauf vorbereitet, das Rudel zu übernehmen, obwohl du erst seit zwei Jahren Alpha bist“, scherzte Easton. Roman warf die Flasche in den Mülleimer. „Es ist immer gut, vorbereitet zu sein. Außerdem bin ich nicht wie diese alten Narren, die ihre Autorität bis zum Tod behalten wollen. Das führt auf lange Sicht nur zum Untergang des Rudels.“ Easton schnaubte und folgte Alpha Roman, der sich den trainierenden älteren Kriegern näherte. Die älteren Krieger waren es gewohnt, wie sie sich vor dem kühlen und strengen Alpha Roman verhalten mussten. Sie standen in drei Reihen und begrüßten ihn synchron. Alpha Roman war zufrieden mit dieser Disziplin. Laut genug, dass alle es hören konnten, sagte Alpha Roman: „Das Training endet hier. Morgen ist die Alpha-Konferenz, also werde ich nicht hier sein, um die Kinder zu trainieren. Es ist eure Verantwortung als ihre Senioren, sicherzustellen, dass sie nicht nachlassen. Sie wissen nichts, also braucht ihr nicht sanft mit ihnen umzugehen. Diese kleinen Idioten werden garantiert die Schule schwänzen, also passt auf. Ihr dürft sie bestrafen, wenn sie Fehler machen.“ Die älteren Krieger grinsten heimlich und brüllten: „Ja, Alpha!“ Alpha Roman gab noch ein paar weitere Anweisungen und ging dann. Die Senior-Krieger packten ihre Trainingsausrüstung zusammen und gingen zu den Umkleideräumen außerhalb des Feldes. Sie duschten, zogen sich um und unterhielten sich. „Alpha Roman will, dass wir uns um die Kinder kümmern, ist aber zu kaltblütig, um es laut auszusprechen. Er sagt, wir sollen sie bestrafen, wenn sie Fehler machen, aber was ist mit dem Kerl passiert, der sie das letzte Mal tatsächlich bestraft hat, als sie während seiner Abwesenheit die Schule geschwänzt haben?“ Einer der Senioren lachte, als er darüber plauderte. „Ja, das war hart. Wir haben unsere Lektion gelernt, also behandeln wir die Kinder besser. Sie sind auch nicht schwer zu mögen. Sieh dir diesen Jungen Holden an, er ist in allem gut, was er macht“, sagte ein anderer. „Ich glaube, Alpha Roman will, dass er seine Position eines Tages übernimmt.“ „Warum sollte er das tun? Er wird irgendwann eigene Kinder haben. Braucht er wirklich ein anderes Kind als Erben?“ fragte ein relativ neuer Krieger ihres Teams. Der Neue war seit sechs Monaten bei ihnen und stammte aus einem anderen Rudel, das von Rogues angegriffen worden war. Viele Krieger dieses Rudels wurden vom Südlichen Krieger-Rudel aufgenommen. Ein weiterer Krieger kam mit einem rosa Handtuch aus der Dusche und sagte: „Die Chancen, dass unser Alpha einen eigenen Erben hat, sind fast null. Hast du die Gerüchte nicht gehört? Sie sind nicht völlig aus der Luft gegriffen.“ Der neue Rekrut runzelte die Stirn. „Das Gerücht, dass Alpha Roman seine Gefährtin gefunden hat, sie aber getötet hat, um keine Bindung einzugehen?“ Der Krieger neben ihm fiel fast von der Bank. „Wo zum Teufel hast du das gehört? Ist das wirklich das, was die Leute über unseren Alpha denken?“ Der neue Rekrut zuckte mit den Schultern. „Das ist, was ich gehört habe. Gerüchte werden seltsamer, je öfter sie die Runde machen. Vielleicht gibt es irgendwo ein anderes Rudel, das denkt, Alpha Roman steht auf Männer.“ Der Umkleideraum verstummte plötzlich. Eine unerklärliche Kälte erfüllte den Raum, als alle erstarrten. Der gefallene Krieger stand auf, räusperte sich und sagte dann: „Es ist besser, diese Dinge zu vergessen. Machen wir uns keine Sorgen darüber. Eines steht fest: Alpha Roman steht definitiv nicht auf Männer. Aber selbst wenn es so wäre, wäre daran nichts auszusetzen. Unser Respekt für unseren Alpha hat nichts mit seinen sexuellen Vorlieben zu tun. Aber ich hoffe, dass jeder von euch das für sich behält und keine unnötigen Gerüchte verbreitet.“ Am Ende seiner Rede drehte er sich um und warf allen einen scharfen Blick zu. Die meisten der Anwesenden hatten hochrote Gesichter und sahen aus, als würden sie gleich platzen. Der Krieger verengte seine Augen. Plötzlich brach einer von ihnen in Gelächter aus, und bald folgten die anderen. Sie konnten nicht anders, als die Situation lustig zu finden. Draußen, vor dem Umkleideraum, lachte Easton leise. Er hielt sich den Bauch und wischte sich eine Träne weg. Er blieb nicht länger stehen, um zuzuhören, sondern eilte zum Anwesen von Roman. Die Kinder saßen am Esstisch mit einem großen Stück Kuchen auf ihren Tellern. Es gab sowohl herzhafte als auch süße Pies, und jeder hatte das bekommen, was er bevorzugte, zusammen mit den Beilagen, die er mochte. Es war das perfekte Abendessen nach einem langen Tag des Trainings. Easton setzte sich ungefragt zu ihnen. Alpha Roman beobachtete seinen Beta, bis dieser schließlich aufhörte zu essen und den Grund seines Besuchs erklärte: „Es gibt viele Gerüchte über dich, die kursieren. Was willst du dagegen unternehmen?“ Roman biss in ein Stück süßen Kirschkuchen mit Schlagsahne und fragte: „Welche Gerüchte?“ Easton warf einen Blick auf die jungen Krieger, lehnte sich dann näher zu Alpha Roman und flüsterte: „Über deine Gefährtin.“ „Wie kann es Gerüchte geben, wenn es keine Gefährtin gibt?“ Roman runzelte die Stirn. „Du redest Unsinn, Easton.“ „Genau weil es keine Gefährtin gibt, gibt es Gerüchte. Die Leute spekulieren hinter deinem Rücken. Manche sagen, du hast keine Gefährtin, andere behaupten, du bevorzugst keine Frauen und versteckst einen Mann im Schrank, weil du Angst hast, ausgelacht zu werden.“ Roman genoss die Süße des Kirschkuchens. Er nahm ein weiteres Stück und legte es auf Tinas Teller, da er wusste, dass sie es mochte. Tina grinste ihn an und bedankte sich. Erst als er sich selbst ein weiteres Stück nahm, richtete er seine Aufmerksamkeit auf Easton. „Erstens, solange diese Gerüchte meinem Rudel keinen Schaden zufügen, ist es mir egal, wie weit sie gehen. Zweitens, wenn du schon in meinem Haus zu Abend essen willst, dann gib wenigstens vorher Bescheid. Du hast schon drei Stücke gegessen, es wird nicht genug sein, wenn die Kinder noch mehr wollen.“ Easton sackte sofort auf seinem Stuhl zusammen. Die Kinder aßen ihren Kuchen mit glücklichen Gesichtern, aber er wurde von Alpha Roman zurechtgewiesen. „Gut, ich werde dich das nächste Mal informieren. Aber die Kinder sollten sowieso nicht zu viel Kuchen essen, während sie noch wachsen, das ist ungesund“, sagte Easton und schob sich noch ein Stück Kuchen in den Mund. Gegenüber von ihm saßen Holden und Kruger, die ihn beide mit einem abfälligen Blick bedachten. „Was schaut ihr so, ihr kleinen Gören!“ Easton lachte. „Du bist ein unordentlicher Esser, Onkel Easton!“ Georgia kicherte und zeigte auf Eastons Hemd, das mit Soße vom Kuchen befleckt war. Tina lachte ebenfalls, und bald erfüllte Gelächter den ganzen Tisch. Alpha Roman schüttelte den Kopf über Easton, unterbrach die Kinder aber nicht. Er fügte etwas mehr Schlagsahne auf sein Stück Kuchen und aß es in guter Stimmung.
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