Der Morgen kam mit einem unerträglichen Schmerz. Anaya hatte sich im Schlaf auf den Rücken gedreht, und die Wunde rieb sich an der Matratze. Es tat furchtbar weh, sich zu bewegen, aber Anaya konnte nicht den ganzen Tag im Bett bleiben.
Sie atmete ein paar Mal tief durch und dachte an das Leben, das sie haben würde, nachdem sie dieses Haus verlassen hatte. Anaya musste diesen Tag erreichen, sie musste den heutigen Tag überstehen und da sein, wenn dieser Tag kam.
Als sie von der Matratze aufstand, knackte ihre Taille. Das Schlafen in einer unbequemen Position hatte ihre Hüfte über Nacht steif gemacht. Den Schmerz in ihrem Körper ignorierend, holte Anaya ihre Kleidung, um zu duschen.
Da Anaya auf dem Dachboden lebte, musste sie nach unten gehen, um im Gemeinschaftsbad zu duschen, das für die Gäste bestimmt war. Es war erst fünf Uhr morgens, und das Haus lag noch im Dunkeln. Anaya schlich leise die Treppe hinunter, mit angehaltenem Atem und sanften Schritten, damit niemand ihre Bewegungen bemerkte.
Anaya nahm eine schnelle Dusche mit kaltem Wasser und reinigte das Badezimmer, bevor sie es ebenso unbemerkt wieder verließ, wie sie gekommen war. Zurück auf dem Dachboden trug Anaya Salbe auf ihre Wunden auf und verband sie, bevor sie sich anzog. Sie besaß nur sehr wenige Kleidungsstücke und konnte es sich nicht leisten, sie mit Blut zu beschmutzen.
Seit Anaya die Schule abgebrochen hatte, wurde von ihr erwartet, dass sie zu Hause mithalf, indem sie die Hausarbeit erledigte. Sie band ihre Haare zu einem Dutt, damit sie ihr nicht ins Gesicht fielen, und ging hinunter, um mit den morgendlichen Aufgaben zu beginnen.
Im Halbdunkel ging Anaya in die Küche, um das Geschirr zu spülen. In dieser Zeit besaßen zwar die meisten Haushalte einen Geschirrspüler, aber ihre Familie hatte keinen. Es wäre eine Geldverschwendung gewesen, da sie jemanden hatten, der das Geschirr jeden Tag von Hand abwusch.
Anaya suchte nach ihren Handschuhen, konnte sie aber nirgendwo finden. Mit ihrem schwachen Körper würde sie sich garantiert erkälten, wenn sie so früh am Morgen mit bloßen Händen das kalte Wasser berührte.
Doch da die Handschuhe nirgends zu finden waren, machte sich Anaya auch ohne sie an die Arbeit. Die Party hatte viele Gäste, und dementsprechend war viel Geschirr übrig geblieben. Anaya verbrachte mehr als dreißig Minuten damit, alles zu reinigen und abzutrocknen. Als das Geschirr schließlich sauber war, machte sie sich daran, die gesamte Küche zu säubern.
Sich mit einem von Wunden übersäten Körper zu bücken, um den Boden zu fegen, war schwerer, als es aussah. Anaya spürte, wie die Haut bei jeder Bewegung zog. Doch sie hatte keine andere Wahl, als die Zähne zusammenzubeißen und durchzuhalten. Ein bisschen noch. Ein bisschen noch, und es wäre vorbei. Immer wieder versicherte sie sich selbst, dass es bald enden würde.
Anayas Aufgaben schienen endlos. Nachdem sie die Küche gesäubert hatte, sammelte sie die Wäsche aus dem ganzen Haus ein. Mit dem Wäschekorb in der Hand ging sie ins Zimmer ihrer Eltern und nahm schweigend die Kleider, die gewaschen werden mussten. Sie hob den Kopf nicht, aus Angst, gesehen zu werden.
Danach ging sie in Charlottes Zimmer. Der Kontrast zu Anayas eigenem Zimmer war scharf. Charlottes Zimmer war größer und hatte große Fenster, die einen wunderschönen Blick auf den Sonnenaufgang boten und den Raum mit Licht füllten. Anaya lebte auf dem dunklen Dachboden und hatte selten die Gelegenheit, einen Sonnenaufgang zu sehen.
Doch Anaya wusste es besser, als stehenzubleiben und die Schönheit des aufgehenden Lichts zu betrachten. Sie war es nicht wert, diesen Anblick zu sehen. Mit gesenktem Kopf sammelte Anaya die schmutzige Wäsche ein und verließ Charlottes Zimmer still.
Anaya sprach nur sehr wenig. Wenn niemand mit ihr sprach, sagte sie kein einziges Wort. Wenn sie nichts falsch machte, redete auch niemand mit ihr. Manchmal vergingen Wochen, ohne dass Anaya ein einziges Wort sprach. Es war zu einer Gewohnheit geworden. Als sie jünger war, hatte sie gelernt, dass je mehr sie fragte, je mehr sie sprach, desto mehr sie litt. So hatte sie gelernt, zu schweigen.
All ihre Arbeit erledigte Anaya in Stille. Nachdem sie mit den Aufgaben fertig war, klopfte sie an die Tür ihrer Eltern, und bevor sie öffnen konnten, ging sie zurück auf den Dachboden.
Das Einzige, was Anaya im Haus nicht tun musste, war das Frühstück zuzubereiten. Sie hatte keine Kochfähigkeiten, und ihre Eltern wollten kein schlechtes Essen serviert bekommen.
Ginny wachte durch das Klopfen auf, stand auf und machte sich fertig, um für alle das Frühstück zu kochen. Edgar hatte einen gut bezahlten Job, der es ihnen ermöglichte, ein angenehmes Leben zu führen. Ginny ging in Charlottes Zimmer und weckte sie sanft, indem sie sie umarmte und kitzelte.
Der Dachboden befand sich direkt über Charlottes Zimmer, sodass das Kichern auch nach oben drang. Anaya kauerte sich für ein paar Minuten in eine Ecke und hörte zu. Als die Stimmen verstummten, wartete sie noch eine weitere halbe Stunde, bevor sie die Ecke verließ und wieder nach unten ging.
Die erste Stunde nach dem Aufstehen war Familienzeit zwischen den dreien, und Anaya durfte in dieser Zeit nicht gesehen werden. Sie war einmal verprügelt worden, weil ihre Anwesenheit am Morgen die Stimmung verdorben hatte. Seitdem störte Anaya ihre Familienzeit nicht mehr.
Anaya stand vor der Küche und wartete, bis das Essen fertig war. Ginny bereitete jeden Morgen ein herzhaftes Frühstück für ihre Tochter und ihren Mann zu. Sie servierte es und setzte sich zu ihnen, damit sie gemeinsam essen konnten.
„Dein Frühstück steht auf der Theke“, warf Ginny Anaya kurz zu, bevor sie sich zu ihrem Mann und Charlotte an den Tisch setzte. Anaya ging zur Theke und sah, dass auf ihrem Teller ein paar Kartoffelpüree, eine Wurst und ein Stück Toast lagen.
Sie nahm den Teller und ging nach draußen in den Hof, um unter der Sonne zu essen. Dieser wiederholte Zyklus hatte sich bereits in Anayas Kopf festgesetzt. Sie musste nicht nachdenken, bevor sie etwas tat, wie ein Roboter. Nur die Schläge erinnerten Anaya daran, dass sie immer noch menschlich war.