Erstes Kapitel
Dima
Da bist du ja, meine Schöne.
Hacking und Cyberstalking sind nicht einfach nur ein Job für mich, sondern ein Lebensgefühl. Wenn ich im Penthouse, das ich mit meinen Bratwa-Brüdern teile, vor dem Bildschirm sitze, regiere ich die Welt des Cyberspace. Im Augenblick schaue ich mir den Livestream der Überwachungskameras in unserem Gebäude an, um einen Blick auf die schlanke Figur der Frau zu werfen, die gerade durch die Eingangstür kommt und zu den Fahrstühlen geht.
Ich bekomme fast einen Steifen, wenn ich sie nur sehe, wie sie völlig nichtsahnend, aber unglaublich sinnlich und mit einem gedankenverlorenen Lächeln auf den Lippen durch die Eingangshalle läuft, als ob sie an etwas denken würde, was sie fröhlich stimmt.
„Wem spionierst du nach?“, fragt Nikolai von der Couch aus.
Dieser Ficker. Mein Zwillingsbruder weiß ganz genau, wem ich nachspioniere, und sein Wissen darüber wird immer mehr zu einem Dorn in meiner Seite.
„Oh, là là, ist es eine Frau?“, ruft unsere Mitbewohnerin Sasha aus der offenen Küche, dann sprintet sie durch das Wohnzimmer, um einen Blick über meine Schulter zu werfen.
Wie gesagt.
Ich schließe das Fenster auf meinem Laptop, bevor sie etwas erkennen kann, und werfe Sasha und Nikolai einen grimmigen Blick zu.
Falsche Entscheidung. Mit meiner untypischen Reaktion lasse ich mir in die Karten schauen. Ich hätte cool bleiben sollen.
Sasha schnappt theatralisch nach Luft – durch und durch die Schauspielerin. „Es ist eine Frau! Wer? Lass mich sehen.“ Sie versucht, nach der Maus zu greifen.
„Deine Mutter“, sage ich und bereue es augenblicklich, denn Sashas breites Lächeln schwankt und erlischt. Ihre habgierige Mutter war in ein Vorhaben verstrickt, mit dem Sashas Millionenerbe erbeutet werden sollte, und hier im Penthouse sind wir nicht besonders gut auf sie zu sprechen.
„Moment. Wirklich?“
„Nein. Schlechter Witz. Sorry.“
„Was zur Hölle?“, fährt mich Maxim aus der Küche an. Er mag es nicht, wenn seine neue Braut gekränkt wird, was man natürlich verstehen kann.
„Tut mir leid.“ Ich halte die Maus in die Luft, damit Sasha nicht danach greifen kann, aber sie versucht noch immer, sie in die Finger zu bekommen. „Sag deiner Frau, sie soll die Finger von meinem Gerät lassen.“
Sasha lacht prustend auf.
„Das klang falsch. Verzieh dich einfach.“ Ich wedle mit den Händen, um sie zu verscheuchen.
Sasha verschränkt die Hände vor der Brust. „Jetzt musst du es uns zeigen. Ich werde nicht verschwinden, bis wir es gesehen haben.“
Weil ich weiß, dass mittlerweile nichts mehr zu sehen sein wird – meine Jagdbeute wird jetzt bereits sicher im Fahrstuhl verschwunden sein –, lege ich die Maus zurück auf den Tisch. „Na schön. Das hier habe ich mir angeschaut.“ Ich klicke wieder auf den Livestream, der den Eingangsbereich unseres Gebäudes zeigt. Maykl sitzt hinter seinem Schreibtisch, mehr schwer bewaffnete Wache als Portier.
Cyberstalking ist meine Form der Unterhaltung, mein Fenster zur Welt, meine Identität. Mit einer Tastatur und einem Monitor bin ich ein Gott. Ich verstehe es als mein Recht, sämtliche Daten einzusehen, ein Recht, das ich dadurch verdient habe, zu wissen, wie ich überhaupt Zugriff darauf bekommen kann.
Die Angelegenheiten jedes Menschen auf der Welt sind auch meine Angelegenheiten, denn ich habe auf alles Zugriff. Ich kann jede beliebige Information über jeden Menschen auftreiben. Ich kann sie durchmischen, neu ordnen und ihr Leben mit ein paar Tastengriffen auf den Kopf stellen. Ich kann ihnen Ärger mit dem Finanzamt bereiten, ich kann ihr polizeiliches Führungszeugnis reinwaschen, ich kann ihre Kreditwürdigkeit manipulieren oder ihre Identität stehlen.
„Kuznets braucht deine Hilfe bei einem Hacking-Projekt“, verkündet mein Boss Ravil, als er durch das Wohnzimmer geht. „Ich habe ihm deine Nummer gegeben. Er wird dich von Sergei Litvin aus Moskau anrufen lassen.“
„Okay.“
Ich hatte gehofft, Ravils Unterbrechung würde Sasha ablenken, aber sie lässt mich noch immer nicht vom Haken. „Also, ist es jemand aus dem Gebäude?“, fragt sie. „Wer?“
„Tja, wer wohl?“, murmelt Nikolai mit einem hämischen Grinsen.
Dieses Mal bin ich so clever, ihn zu ignorieren.
Sasha wirbelt herum und starrt Nikolai an. „Ist es eine Frau?“ Sie schnappt oscarverdächtig nach Luft. „Ist es Natasha?“
„Ist es Natasha?“, fragt Nikolai regungslos und blickt mich fragend an.
„Warum sollte ich Natasha stalken?“, lache ich tonlos, aber sogar ihren Namen auszusprechen, macht schon etwas mit mir.
Denn ich stalke die ausgesprochen reizende Natasha Zolotova einfach immer, die höllisch heiße Tochter einer der Bewohnerinnen des Hauses und praktisch ein Knastköder. Sie ist nicht wirklich ein Knastköder. Sie ist dreiundzwanzig – ungefähr so alt wie Sasha. Aber sie hat so ein frisches, niedliches Gesicht, das sie aussehen lässt, als könnte sie erst achtzehn sein. Sie ist das sprichwörtliche Mädchen von Nebenan. Sie trägt ihre gute Laune in das gesamte Haus.
Natürlich weiß ich bereits alles, was es über sie zu wissen gibt. Ein Teil meines Jobs für Ravil ist es, alle im Haus im Auge zu behalten. Ravil ist der Bratwa-Boss, der mir und meinem Zwillingsbruder ein sehr angenehmes Leben innerhalb des Handlungsrahmen der Bruderschaft ermöglicht.
Aber Natasha zu stalken ist eine tägliche Aktivität für mich, genauso, wie mein Gesicht zu waschen und meine Zähne zu putzen. Aus Respekt für sie lese ich ihre E-Mails nicht und höre auch ihre Anrufe nicht ab. Ich folge nur ihren i********:-Posts. Schaue mir die Aufnahmen der Überwachungskameras an, auf denen sie das Gebäude betritt oder verlässt. Ich will einfach wissen, was sie trägt. Wie ihre Stimmung ist. Dass sie in Sicherheit ist. Ich mag es zu wissen, wie oft sie arbeitet – nicht genug, um aus der Wohnung ihrer Mutter auszuziehen und sich eine eigene Wohnung zu leisten, soweit ich das beurteilen kann.
Heute trägt sie ein dunkelgrünes Trägertop und Yogahosen, eine Tatsache, die ich in ein paar Augenblicken persönlich überprüfen werde. Ich schaue zu, wie sie die Wohnung betritt, die sie mit ihrer Mutter teilt, und sie kurz später wieder verlässt, ihren mobilen Massagetisch zum Fahrstuhl rollt.
Ich klappe meinen Laptop zu und stehe auf.
„Musst du irgendwo hin?“, fragt Nikolai.
Im Ernst, ich werde diesen Typen noch umbringen. Ich zeige ihm den Stinkefinger und verlasse das Penthouse, passiere den Fahrstuhl und komme an meinem Zimmer an, das auf den Flur hinausgeht, genau wie ein Hotelzimmer.
Mein Schwanz wird hart, als ich daran denke, dass Natasha jeden Moment aus dem Fahrstuhl treten und an meine Tür klopfen wird, ihr hübsches Gesicht verrückte Dinge mit meiner Entschlossenheit anstellen wird. Ich betrete mein Zimmer und lehne meine Stirn an die Tür.
Die Türen des Fahrstuhls dingen. Ich versuche, meine Gedanken aus der Gosse zu ziehen.
Ich hasse die Tatsache, dass sie eine mobile Massagetherapeutin ist – sie bringt ihren Tisch in die Wohnungen ihrer Kunden. Das ist verdammt gefährlich. Sie hat mir gesagt, dass sie keine Aufträge von Leuten annimmt, die sie nicht persönlich kennt oder die ihr nicht persönlich empfohlen wurden, und sie hat mir auch gesagt, dass sie keine Männer als Kunden hat, aber das ist Bullshit, denn mich hat sie bereits zweimal massiert und kommt jetzt zum dritten Mal zu mir.
Ich habe ihr das Versprechen abgenommen, mir Bescheid zu sagen, falls ihr irgendjemand dumm kommen sollte. Ich bin vielleicht kein Riese, der den Leuten mit einer Hand den Hals brechen kann, so wie Oleg, unser Vollstrecker, aber ich werde verdammt nochmal tödlich sein, wenn irgendjemandem diesem Mädchen auch nur ein Haar krümmt.
Nicht, dass ich sie beschützen müsste. Sosehr es mir auch gefällt, Natasha zu stalken, das ist alles, was ich jemals tun werde.
Diese Massagen zu buchen – das war ein Fehler. Ein riesiger Fehler.
Es war Nikolais Schuld. Dieses Arschloch von Zwillingsbruder musste mein, ähm, Engagement bemerkt haben, mit dem ich sie im Auge behalte, also hat er angedroht, selbst eine Massage bei ihr zu buchen, wenn ich es nicht tun würde. Und nie im Leben hätte ich zugelassen, dass sich Nikolai splitterfasernackt im selben Zimmer aufhält wie Natasha.
Auf keinen verfickten Fall.
Also muss ich es jetzt aushalten, mich splitterfasernackt im selben Zimmer wie Natasha aufzuhalten und von diesen lieblichen Händen überall berührt zu werden – na ja, fast überall – und meinen Schwanz nicht in meiner Faust halten zu können. Gospodi, ich werde die ganze Stunde über härter als Marmor sein. Die schlimmste Art der Folter. Vor allem, wenn sie noch mit mir flirtet.
Normalerweise bin ich nicht der Typ, auf den die Frauen stehen. Nikolai gewinnt sie mit seinem Charme und seiner verwegenen Ausstrahlung für sich. Pavel, Ravil, Oleg und Maxim – die anderen Jungs unserer Bratwa-Zelle –, ihnen schmeißen die Frauen ihre Höschen geradezu hinterher. Oder zumindest haben sie das getan, bis sie alle ihre jetzigen Partnerinnen gefunden haben.
Aber ich?
Ich bin der Computerfreak. Der Hacker.
Ich bin nicht charmant, denn ich versuche es auch nicht. Ich bin der Kerl hinter den Kulissen, der die Dinge von einem Computerbildschirm aus manipuliert.
Aber aus irgendeinem Grund scheint Natasha mich zu mögen. Vielleicht kann sie mein Interesse an ihr spüren – Frauen haben in dieser Hinsicht eine Intuition. Sie blickt mit ihren großen, meergrünen Augen zu mir auf, als ob ich es wert wäre, ein Partner zu sein, und das zerreißt mich jedes Mal.
Denn ich bin es nicht wert.
Ich bin definitiv nicht wert, ein Partner zu sein.
Und abgesehen davon bin ich auch nicht zu haben.