Prolog-2

1344 Words
Angst stieg in Gem auf, als sie den Pfad entlanglief, der zu den hoch aufragenden Klippen der Insel der Elementargeister führte. Ihre Warnrufe blieben größtenteils ungehört. Was auch immer für einen Zauber ihre Eltern ausgesprochen hatten, er näherte sich der Insel von drei Seiten. Die Schreie der Kreatur wurden immer lauter und aufgebrachter, doch Gem drehte sich nicht um, um zu sehen, was vor sich ging. Mit der Kraft des Windes schuf sie einen Tunnel vor sich und ließ sich von ihm mitreißen, kurz bevor sich der Nebel über der Stelle, an der sie eben noch gestanden hatte, zusammenzog. Jetzt hörte sie nur noch den Wind, der ihr um die Ohren peitschte, und ihr Haar wirbelte so wild um ihren Kopf, dass sie kaum noch etwas sehen konnte. Die Magie verlangte ihr viel Energie ab. Sie würde den Tunnel nicht lange aufrechterhalten können. Der Tunnel war so schmal, dass sie kaum hindurchpasste, doch er erzeugte einen Strudel, der ein Portal öffnete und sie von einer Seite der Insel zur anderen schickte. Als sie mit ihrem Ellbogen den Nebel streifte, kribbelte ihr Arm und begann sich aufzulösen. Sie presste ihre Arme seitlich an den Körper und achtete darauf, den Nebel nicht zu berühren. Einer nach dem anderen verschwanden die Menschen um sie herum, als hätten sie nie existiert. Der schwarze Schatten versuchte, die Bewohner einzufangen, doch seine langen Tentakeln fuhren durch leere Luft. Die rollende Wolke des uralten Zaubers löschte jeden aus, den sie je gekannt und geliebt und an dessen Seite sie gekämpft hatte, aber Gem hatte keine Angst vor dem Zauber, der über ihr Zuhause hinwegfegte. Ihr Vater wusste, was er tat – und welche Folgen dieser mächtige Zauber auch immer nach sich ziehen würde, sie waren auf jeden Fall besser als die Alternative. Ein Teil des Wesens glitt in den Strudel. Gem konnte es spüren, eine gierige dunkle Kraft, die sich in einem schwarzen Tentakel konzentrierte. Sie rannte schneller und versuchte, sich nicht von ihrer Angst überwältigen zu lassen. Sie musste klug vorgehen, wenn sie ihr Volk retten wollte. Ihre Muskeln sträubten sich, und ihre Lungen brannten. Sie würde nicht ewig davonlaufen können. Vor dem Nebel ließ sie die Kraft des Windes los und atmete erleichtert auf, als der Zauber ihr keine Energie mehr entzog. Ein massiver umgestürzter Baum versperrte ihr den Weg, und sie hob einen zitternden Arm, die Handfläche nach außen gerichtet, und konzentrierte sich. Der Baum löste sich in Millionen von Teilchen auf. Gem rannte durch die schimmernden Partikel. Sobald sie die Stelle passiert hatte, schloss sie die Faust und die Partikel formten sich neu. Schwer atmend warf sie einen Blick über die Schulter, als sie das Geräusch von zersplitterndem Holz hörte. Die Kreatur hatte den toten Baum mit ihren dunklen Krallen entzweigerissen. Gem drehte sich um und lief weiter. Vor sich konnte sie eine Lücke zwischen den Bäumen und die unverwechselbare Form eines Steins mit Gravur erkennen. Hoffnung keimte in ihr auf – nur noch ein paar Meter und sie könnte entkommen. Das Geräusch ihres Keuchens hallte in ihren Ohren wider, und sie konnte ihren Atem in der Luft sehen, die plötzlich deutlich kälter geworden war. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie der Zaubernebel sich näherte. Die Zeit wurde immer knapper. Sobald sie den Rand der Klippen erreicht hatte, würde sie sich verwandeln. Im Moment war es noch zu gefährlich. Wenn die uralte Magie sie erwischte, würde sie sich vielleicht nie wieder zurückverwandeln können. „Du gehörst mir. Komm her“, forderte die eisige Gestalt hinter ihr. Gem ignorierte den Befehl und zwang sich, noch schneller zu laufen – so schnell sie konnte. Die Bäume um sie herum bogen sich zur Seite, um ihr den Weg freizugeben, bevor sie sich wieder aufrichteten, um die bösartige Kreatur, die sie verfolgte, aufzuhalten. Die schwarzen Tentakeln streckten sich gierig nach ihr aus, doch sie war ihnen ein paar Schritte voraus. Sie sah den steinernen Pavillon, der ein paar Meter vor ihr wie ein stummer Wächter auf den Klippen stand. Die Steine der Ältesten würden ihr etwas Schutz vor der Kreatur bieten. Sie stieß einen Schrei der Erleichterung aus, als ihr Fuß den ersten kunstvoll gehauenen Trittstein berührte. Die Steine glühten unter ihren Füßen. Sie hatte es fast geschafft. Keuchend hielt sich an der Steinsäule fest und trat in den sicheren Bereich des Pavillons. Ihr Herz klopfte in ihrer Brust, als sie sich umdrehte und einige Schritte vor den schwarzen Tentakeln zurückwich, die sich um die Außenseite des Pavillons schlangen. „Hier kannst du mir nichts anhaben, Kreatur! Keine Macht kann dem Bann der Ältesten etwas anhaben“, erklärte Gem und hoffte, dass das, was sie sagte, wahr war. „Eure Magie kann uns nicht aufhalten. Sie wird uns nur noch mächtiger machen. Mit der Macht deiner Art und der Zauberkraft der Meerhexe können wir viele Welten erobern“, grollte das Wesen gebieterisch. Gem drehte sich um, als die schwarze Gestalt den Pavillon umkreiste und ihr den einzigen Fluchtweg abschnitt. Eine Welle intensiver Traurigkeit überkam sie. Niemand konnte ihr helfen. Ihr Vater hatte die Insel der Elementargeister schon vor langer Zeit vor der Welt verborgen, um die anderen Königreiche zu schützen, doch das hatte auch sie isoliert. Wenn sie nicht von dieser Insel wegkam, konnte auch niemand kommen, um sie zu retten. „Mich wirst du niemals benutzen“, verkündete Gem mit wachsender Entschlossenheit. Die Kreatur fuhr fort, den Pavillon zu umkreisen, bevor sie sich zu einer Gestalt formte, die ihr herzzerreißend vertraut war: ihre Mutter. Überwältigende Trauer erfüllte sie, ebenso wie ein anderes Gefühl – Wut. Sie zog das Kurzschwert, das in einer Scheide an ihrer Hüfte steckte, hervor und machte einen Schritt nach vorne. „So viel Macht. Du kannst das, was die anderen getan haben, rückgängig machen. Ich kann die Macht in dir spüren. Eine Macht, von der du nicht einmal weißt, dass du sie besitzt“, flüsterte das Wesen, das ihrer Mutter so ähnlichsah. „Eine Macht, die du niemals kontrollieren wirst“, schwor Gem voller Inbrunst. „Und ob ich das tun werde“, erwiderte das Wesen. Mit wachsendem Entsetzen beobachtete Gem, wie sich die Kreatur langsam näherte. Die Steine unter den Füßen des Wesens begannen zu glühen. Bunte Ströme stiegen aus dem Boden empor und wanden sich um seinen Körper. Die Haut der Kreatur blubberte und brutzelte, als ob sie gekocht würde, bis sich eine dünne Kruste bildete. Die Kruste verwandelte sich in Asche und fiel ab, doch die Kreatur schien davon nicht sonderlich beeindruckt zu sein, denn sie bewegte sich immer weiter auf Gem zu. Gem hob das Kurzschwert und durchtrennte einen Tentakel, der nach ihr griff. Die Kreatur kreischte empört auf, wich jedoch nicht von ihr zurück. Ein Tentakel nach dem anderen schoss gierig nach vorne und versuchte, sie in seinen grausamen Griff zu ziehen. Gem konnte sehen, dass der magische Nebel, den ihre Eltern heraufbeschworen hatten, hinter der Kreatur immer weiter auf sie zurollte. Sie stolperte rückwärts, als der Zauber den Pavillon erreichte. Gem wusste, dass es zu spät war, um ihre Insel zu verlassen. Sie und ihr Volk waren dem Untergang geweiht. Ihre einzige Hoffnung bestand darin, dass der Kampf gegen die Meerhexe erfolgreich sein würde. In diesem Fall bestand die Chance, dass Drago, Orion und die anderen wussten, wie man das Wesen besiegen konnte, das Nali in ihrem Spiegel gesehen hatte. Bitte, Göttin, wenn du mein Flehen hörst, schicke jemanden, der mein Volk und die Sieben Königreiche rettet, flehte sie leise, und wie durch ein Wunder antwortete eine Stimme. „Du kannst nicht verschwinden, Elementargeist, du wirst gebraucht“, erklärte die Meerhexe. Gems Augen weiteten sich vor Schreck, als sie Magnas ätherische Gestalt erblickte, die hinter dem schwarzen Schatten aufgetaucht war. Dann sah sie entsetzt zu, wie die Meerhexe ihre Hand öffnete und ihre Zauberkraft auf Gem richtete. Über das donnernde Hämmern in ihrem Kopf hinweg hörte Gem das wütende Geheul des Aliens, als Magnas Zauber sich schnell in ihrem Körper ausbreitete und ihr Fleisch zu Stein werden ließ. Wir sind verloren, dachte sie verzweifelt, bevor die Welt um sie herum verschwand.
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