Kapitel 2: Die Geschichte von Tante Maria Teil 1

1743 Words
„Keiner hat jemals gemessen, nicht mal Poeten, wie viel das Herz aushalten kann.“ – Zelda Fitzgerald Als der Schultag zu Ende war, war Rose müde von der Schule und freute sich darauf, nach Hause zu kommen. Ihre beste Freundin Erica folgte ihr auf den Parkplatz, wo Rose in ihr Auto stieg und Erica anbot, sie zu fahren. „Warum kommst du heute nicht rüber? Tante Maria hat etwas von einer... einer verdammten Geburtstagsfeier für mich gesagt“, sagte Rose aufgeregt. Erica stimmte sofort zu und rief ihre Mutter an, um ihr Bescheid zu geben, dass sie nach der Schule zu Roses Haus gehen würde. Ericas Mutter war selbst kaum zu Hause, immer unterwegs, um mit ihrem neuesten Flirt zu feiern. Rose fühlte oft Mitleid mit Erica, versuchte aber, es zu verbergen. Das Letzte, was ihre Freundin brauchte, war ihr Mitleid. Die beiden Mädchen sangen die ganze Fahrt nach Hause laut ihre Lieblingssongs mit. Rose lachte, als Erica den Refrain von Avril Lavignes Song „Freundin“ schmetterte. Als sie im Haus waren, begrüßte Tante Maria die beiden Mädchen, und vielleicht bildete Rose sich das nur ein, aber die Besorgnis ihrer Tante schien in die Höhe zu schnellen, als sie erfuhr, dass Erica heute Abend an der Geburtstagsfeier teilnehmen würde. „Oh...“ Tantes Marias Lächeln schwankte ein wenig bei dieser Nachricht. „Ich kann ein anderes Mal kommen, wenn heute Abend nur die Familie dabei sein soll“, sagte Erica langsam und merkte, dass sie vielleicht nicht willkommen war. „Sei nicht albern, wir haben keine Familie“, sagte Rose schnippisch. „Es gab immer nur Tante M und mich... stimmt's, Tante Maria? Du und ich für immer, in guten und schlechten Zeiten“, sagte Rose fröhlich und schaute ihre Tante an. Was sie sah, ließ ihr Gesicht fallen. Tante Maria schluckte und schaute schuldbewusst ihre Nichte an. „Stimmt?“ fragte Rose mit zitternder Stimme und versuchte zu verstehen, was vor sich ging. "Jetzt, Rose Schätzchen... ich glaube, wir müssen reden... und... und Erica, wir lieben dich... du bist immer willkommen, aber heute Abend... heute Abend muss ich mit Rose sprechen. Es werden einige Leute vorbeikommen, um über... über gewisse... Angelegenheiten... bezüglich ihr... .. Eltern,“ Tante Maria landete schließlich nach einigem Überlegen auf dem Wort. Erica nickte verständnisvoll und warf einen Blick auf ihre beste Freundin. „Mach dir keine Sorgen, Rose. Ich bleibe hier und gehe, bevor deine Gäste kommen. Heb mir ein Stück Kuchen auf, Tante Maria!“ sagte Erica mit einem breiten Lächeln. „Ich schicke dir morgen ein Stück mit Rose“, versicherte Maria. Nachdem die beiden Mädchen viel Zeit damit verbracht hatten, sich in Roses Zimmer zu fragen, was heute Abend passieren würde, war es Zeit für Erica zu gehen. „Vielleicht...“, sagte Erica aufgeregt, während Rose sie nach Hause fuhr. „...vielleicht sind es deine Eltern' Anwälte, die dir mitteilen, dass du in Wirklichkeit Millionär bist.“ Rose warf Erica einen skeptischen Blick zu, als sie in den trostlosen Wohnwagenpark einbog, in dem ihre beste Freundin wohnte. „Vielleicht“, sagte Rose skeptisch, als Erica ausstieg und ihrer Freundin mit einem „Viel Glück“ winkte. Erica war eine wunderbare Freundin, und ihre Mutter war eine Alkoholikerin auf dem Weg der Besserung. Um das Vakuum des Verlustes zu kompensieren, das der Alkohol verursacht haben mag, schien ihre Mutter von einem Mann zum nächsten zu wechseln. Manchmal versuchte ihre Mutter wirklich, ihr Leben umzukrempeln, aber gerade wenn es wieder aufwärts zu gehen schien, verfiel die Frau wieder in ihre alten Gewohnheiten. Es gab Zeiten, in denen Erica Rose einfach sagte, dass sie übernachten müsse, und Rose verstand immer, dass es bedeutete, dass Ericas Mutter in einer ihrer 'Stimmungen' war. Keine Fragen, kein Urteil gab es jemals von Rose. Erica wusste, dass sie sich immer auf Rose und Tante Maria verlassen konnte, die sie stets mit offenen Armen und einem zusätzlichen Bett willkommen hießen. Daher wusste Erica, dass heute Abend etwas wirklich Wichtiges sein musste, wenn sie so aus dem Kreis ausgeschlossen wurde. * * * Während Rose zu ihrem Haus zurückfuhr, beschäftigte sie sich mit dem Gedanken, wer die geheimnisvollen Gäste sein könnten, die heute Abend zum Geburtstagsessen kommen würden. Als sie in die Einfahrt fuhr, bemerkte Rose den Geländewagen, der bereits hinter dem Cabrio ihrer Tante parkte. Wenn es einen Luxus gab, den Tante Maria sich erlaubte, dann waren es teure Autos. Sie hatte schon immer eine Vorliebe für teure Dinge gehabt, und Rose wusste ganz genau, dass Tante Maria, soweit sie sich erinnern konnte, nie gearbeitet hatte. Auf die Frage, wie sie für ihren Lebensunterhalt sorgte, wich Tante Maria immer aus und sagte, sie lebe von den Erträgen verschiedener Investitionen, die Roses Großeltern für ihre beiden Töchter getätigt hatten, nämlich für Tante Maria und Roses Mutter Estelle, die gestorben war, als Rose noch ein kleines Baby war. Die kühle Nachtluft des Septembers ließ Rose ihre Hände in die Taschen ihrer weißen Lederjacke stecken, während ihre Stiefel gegen die Holzstufen klatschten, die zur Veranda des einzigen Hauses führten, das sie je gekannt hatte. Rose ahnte nicht, dass sich ihre Welt nach dieser Nacht auf den Kopf stellen würde. Das Erste, was Rose bemerkte, als sie lässig ins Wohnzimmer ging, war, dass ein junger Mann mit welligem schwarzem Haar und muskulösem Körper in ihrem Lieblingssessel saß. Seine dunkelbraunen Augen warfen ihr einen kurzen Blick zu, bevor er den Blick abwandte... abwandte... die Schlüssel fielen Rose aus der Hand. Der Mann, der auf dem Sofa saß, war eine exakte Nachbildung des Bildes ihres Vaters, das sie in ihrem Zimmer hatte. „W-was ist da los?“, fragte Rose verwirrt. Für einen Moment suchte sie wild das Zimmer ab, als ob das Doppelgänger ihrer Mutter ebenfalls auftauchen könnte. Der Mann, der exakt wie ihr Vater aussah, stand auf, kam zu ihr herüber und drückte sie fest in seine Arme. „Meine Tochter... meine liebe Rose...“ Er drückte so fest, dass Rose dachte, sie könne in zwei Hälften brechen. „P...Papa?“, stammelte Rose, unfähig es zu glauben. „Du...du bist tot...“ sie brach bedeutungslos ab, ihr Verstand nahm die Realität, die so klar vor ihr stand, immer noch nicht wahr. „Nein, mein Kind. Ich lebe und bin quicklebendig“, sagte ihr Vater mit einem freudigen Glitzern in den Augen. Seine dunkelblauen Saphiraugen waren eine exakte Kopie ihrer eigenen. Das war...ihr Vater. „Aber... aber... “ stammelte sie und versuchte herauszufinden, wie ein derart gigantisches Missverständnis überhaupt passieren konnte. War Tante Maria wirklich so gemein, um ihr über den Tod ihrer Eltern zu lügen? Oder war dies alles einfach nur ein großes Missverständnis? „Rose, Liebes.“ Maria sprach endlich auf ihrem Platz neben Roses Vater auf der Couch. Ihre Hände waren fest ineinandergelegt und sie sah so blass wie ein Geist aus. „Ich... ich denke, wir müssen reden... eher gesagt... ich muss dir alles von Anfang an erzählen.“ Rose machte ein ersticktes Geräusch aus ihrer Kehle, vollkommen von Wut und Verwirrung überwältigt. War sie belogen worden? Doch im Moment siegte die Neugier in ihr gegenüber der Wut, die in ihrem Herzen hässlich auftauchte. Und so begann Tante Maria ihre Geschichte als Antwort auf Roses Stille... * * * Estelle schrie, als sie einen letzten Schub gab und der Raum mit den Schreien eines Säuglings erfüllt war. „Ein Mädchen!“ verkündete ihr Ehemann Thomas stolz und ergriff Estelles Hand, überwältigt von seinen Gefühlen. „Sie ist...sie ist perfekt, Estelle. Danke...danke dir.“ Er beugte sich vor, um seine erschöpfte Frau auf die Stirn zu küssen. „Geht es ihr...geht es ihr gut?“ fragte Estelle schwach und streckte ihre Arme nach dem weinenden Baby aus. „Sie ist wunderschön!“, strahlte die Krankenschwester und übergab das Baby, das noch gereinigt werden musste. „Rose...Thomas. Ich will sie Rose nennen“, sagte Estelle schwach und hielt ihr blutverschmiertes Baby-Mädchen fest im Arm. „Rose soll es sein!“, rief Thomas freudig aus, als seine Tochter sorgfältig untersucht und zum ersten Mal zum Füttern zurückgebracht wurde. „I...ich fühle mich nicht gut, Thomas“, flüsterte Estelle und schloss die Augen. „Du bist fantastisch, meine Liebe. Du hast gerade ein Kind zur Welt gebracht. Nimm dir Zeit zum Ausruhen und Erholen“, versicherte Thomas und tätschelte liebevoll die Schulter seiner Frau. Da war ein kleines Durcheinander, als die Krankenschwester und der Arzt aufgeregt mit dem Baby zurückkehrten. „Sie trägt das Mal des Mondes!“ rief die Krankenschwester aus und zog die weiße Decke des Neugeborenen weg, um ihren linken Arm zu zeigen. Ein dunkelrotes, erdbeerförmiges Muttermal befand sich auf ihrem Oberarm, kurz bevor ihre Schulter begann. „Unsere Luna ist geboren worden!“, sagte der Arzt mit einem glücklichen Lächeln. „Was für eine Ehre“, sagte er ehrfürchtig und schaute auf das Baby hinunter. Estelle lächelte, ihre Augen immer noch geschlossen. „Sie ist für große Dinge bestimmt, Thomas.“ Thomas konnte mit dieser neuen Nachricht nicht umgehen und fühlte plötzlich, als ob sein Kind ihm weggenommen worden wäre. Das war seine kleine Tochter! Wie konnte das Rudel Anspruch auf sie erheben? Er hatte noch nicht einmal Zeit gehabt, sie richtig zu halten, und jetzt würde sich jeder um sie kümmern und... seine Gedanken stockten, als ein stechender Schmerz durch seinen Körper zuckte. Verwirrt wandte er sich an seine Gefährtin und realisierte, dass sie nicht mehr atmete. Dieser Schmerz war der Schmerz, den er verspürte, als seine Gefährtin starb! „Estelle?“, fragte er ängstlich und schüttelte ihre Schulter, auf der seine Hand lag. Er wollte nicht glauben, was sein Herz ihm schrie. Estelles Kopf neigte sich zur Seite und sie blieb regungslos. „ESTELLE!“, schrie er voller Angst. So starb Roses Mutter, mit einem Lächeln auf den Lippen und inneren Blutungen, die die Ärzte nicht vorhergesehen hatten. Es war sehr selten, dass Werwölfe bei der Geburt starben, aufgrund ihrer regenerativen Fähigkeiten, aber Estelle war die menschliche Gefährtin des Beta-Wolfes des Crimson Phoenix Rudels gewesen. Menschliche Gefährten waren sehr selten, daher war niemandem in den Sinn gekommen, dass es vielleicht besser gewesen wäre, in einem menschlichen Krankenhaus zu entbinden, anstatt in der Klinik des Rudels. Vielleicht... nur vielleicht, wenn ihr Ehemann die Voraussicht gehabt hätte zu bedenken, dass bei einer menschlichen Geburt ein menschlicher Arzt mit all den möglichen Komplikationen besser vertraut gewesen wäre, wäre Estelle vielleicht noch am Leben.
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