EINFÜHRUNG
1915, im Städtchen Aus in Südwestafrika, ehemals deutsche Kolonie, jetzt Protektorat der Union Südafrikas und des Britischen Empire
Diese Geschichte handelt von Afrika und der Liebe – und ist somit doppelt traurig.
Mein Name ist Peter Kohl. Ich bin hier der Lagerarzt und versorge mehr als 1500 meiner deutschen Mitgefangenen. Bevor der Konflikt in Europa begann und sich wie ein Buschfeuer nach Afrika ausbreitete, war ich Arzt und Landwirt. Ich will in diesem Bericht ehrlich sein: Ich habe den zweiten Beruf mehr geliebt.
In Afrika habe ich viel zu viel Blutvergiessen gesehen. Kein Wunder bevorzuge ich die Gesellschaft von Pferden und Rindern gegenüber der von Menschen. Doch ist es eine Ironie, dass ich hier wie eines meiner früheren Nutztiere eingepfercht bin.
Als ich ein freier Mann war, waren der zierliche Springbock, die muskulöse Oryx-Antilope und die schlauen, auf sie lauernden Raubtiere, meine Nachbarn. Tiere und Menschen mussten sich vor dem Wüstenlöwen sowie der braunen und der gefleckten Hyäne in Acht nehmen, aber wir kannten und respektierten unsere Feinde. Ich vermisse diese einfacheren Zeiten.
In Kriegszeiten versucht jede Seite, die andere zu dämonisieren. So werden die südafrikanischen Soldaten, die auf Geheiss ihrer britischen Herren in diese Kolonie einmarschiert sind, bald damit beginnen, Beweise für die Verfehlungen Deutschlands als Kolonialmacht zu sammeln. Gegenstand ihrer Untersuchungen wird der letzte Krieg sein, der hier, in dieser Ecke Afrikas, geführt wurde. In diesem bekämpften wir Deutschen unsere Nachbarn, die Herero und die Nama, die die Kühnheit besassen, sich gegen den Kaiser aufzulehnen und für ihre Rechte zu kämpfen. Obwohl dieser Konflikt vor neun Jahren endete, kann ich mich an die Ereignisse erinnern, als wären sie gestern geschehen.
Ich schreibe diesen Bericht, weil ich sicher bin, dass ich vor Gericht gestellt werde, weil ich im Jahr 1906 einen Mann ermordete. Obwohl ich nicht möchte, dass diese Geschichte veröffentlicht wird, muss ich sie erzählen. Nicht, um rachsüchtigen Ermittlern zu dienen, sondern um den betroffenen Menschen und des Seelenfriedens ihrer Familien willen.
In Afrika scheinen die Stammeskriege nie enden zu wollen. Vor dem Feldzug gegen die Herero und die Nama haben sich zwischen 1899 und 1902 jenseits der Grenze die weissen Stämme – die Briten und die afrikanischen Buren – gegenseitig umgebracht. Und genau dort, in Südafrika, liegt der Ursprung meiner Geschichte. Ich beginne diese Erzählung jedoch an ihrem Ende: Im Jahr 1906, als ich von meinen Vorgesetzten beauftragt wurde, einen Mann zu töten, der mit meiner Frau geschlafen hatte.