Mittlerweile war ich wieder putzmunter und gut gelaunt ohnehin, denn ich hatte das ganze Wochenende mit Noah verbracht. Mit ihm verging die Zeit wie immer rasend schnell und wirklich Lust hatte ich auf die Schule eigentlich nicht. Andererseits würde ich ihn heute Abend schon wiedersehen, weil meine Mum ihn zum Abendessen eingeladen hatte. Nun stand ich vor dem Schulgebäude und meine beste Freundin Claire nahm mich freudestrahlend in den Arm. „Hey du, du hast am Freitag so was verpasst. Die Party bei Mason war der Hammer. Brianna Adams hatte was mit Gordon Spencer und hat sich direkt danach auf sein T-Shirt erbrochen, weil sie zu viel getrunken hatte…“ Begann sie zu resümieren, was ich verpasst hatte. Claire lebte förmlich für den Klatsch und Tratsch auf dieser Schule und es gab auch vermutlich niemanden, der diesbezüglich so informiert war. „Übrigens hat Clarke mich gefragt, ob wir miteinander ausgehen“ Erzählte sie nun begeistert und ich konnte gar nicht anders, als mich für sie zu freuen. Claire stand schon seit Jahren auf Clarke und meiner Meinung nach war es auch offensichtlich, dass er ihre Gefühle erwiderte, aber irgendwie hatten die beiden es nie geschafft, aufeinander zu zugehen. „Das ist ja super“ Fing ich an, doch da fiel sie mir auch schon wieder ins Wort. „Ist es überhaupt nicht“ jammerte sie und ich verstand die Welt nicht mehr. „Weshalb? Genau das wolltest du doch?“ „Ja, aber er war betrunken und was, wenn ich mir jetzt Hoffnungen mache und er sich am Ende gar nicht mehr daran erinnert?“ Leise kicherte ich. Sowas konnte auch nur Claire denken. „ich bin sicher, er kommt noch auf dich zu und fragt, wann du denn Zeit hast!“ Beruhigt nickte sie. „Es gibt da übrigens noch etwas, was ich dir sagen wollte. Aber versprich mir, dass du nicht verrätst, dass ich es dir gesagt habe!“ Ich kam gar nicht dazu zu nicken, da ließ sie auch schon die Bombe platzen. „Mason hat gesagt, dass er dich mehr als freundschaftlich mag und dass er nun nicht weiß, wie er dir das beibringen soll. Und dass er gerne mit dir ausgehen würde, du aber nie Zeit hast, weil du immer nur mit Noah rumhängst… Also ja… Ich wollte es dir nur sagen, weil er dich wirklich mag und du bist ja manchmal zu blöd sowas zu merken“ Erklärte sie und ich wusste nicht, was ich jetzt sagen sollte. „Ich glaube er möchte dich heute fragen, ob du auf ein Date mit ihm gehst, also wenn du ihn nicht magst, mach ihm keine falschen Hoffnungen und sag es ihm, okay? Ich möchte nicht, dass er verletzt wird!“ Claire und Mason waren Grundschulfreunde und ich hatte ewig gedacht, dass die beiden noch mal zusammenkommen würden. „Ich meine nur, weil du Noah manchmal wie ein verliebtes Schaf anstarrst… Du sagst zwar nie etwas dazu, aber du solltest vielleicht ehrlich zu dir selbst sein… Ich möchte auch nicht, dass du ihm dein ganzes Leben hinterher trauerst, wenn du gleichzeitig was erleben könntest. Und ich weiß, ich labere wirres Zeug, aber der Punkt ist, dass ich finde, dass du Mason eine Chance geben solltest, wenn du das Gefühl hast, aus euch könnte etwas werden!“ Das war der Moment, in dem sie tief Luft holte und ich nachdenklich nickte. Sie hatte ja Recht. Vielleicht sollte ich mal etwas erleben, mit einem Typen ausgehen, mich verlieben und den ersten Herzschmerz durchleben oder mit Glück sogar auf ewig mit ihm zusammenbleiben. „Ich denke darüber nach“ erwiderte ich also etwas knapper. In diesem Moment stießen auch Melody und Mason zu uns. „Na? Redet ihr über Freitag?“ Erkundigte erstere sich, wobei in ihrer Stimme nicht allzu viele Emotionen mitschwangen. Melody war toll, wenn auch sehr speziell. Und Gefühle waren bei ihr sehr schwer zu deuten, denn ihre Stimme klang immer sehr monoton und weder lachte noch weinte sie viel. Mit der Zeit hatte ich jedoch gelernt, dass ein kleines Lächeln bei ihr schon das Ende der Leiter war und konnte es richtig interpretieren. „Tun wir. Was habt ihr denn so erlebt?“ Ein Gespräch kam ins Rollen, wobei ich jedoch ziemlich schnell nur noch teilnahmslos danebenstand und über Mason nachdachte. Das Läuten zur ersten Stunde kam mir daher sehr gelegen, auch wenn auch der Unterricht mich nicht wirklich davon abhalten konnte, mir vorzustellen, wie es wäre, Mason näher zu kommen. Ich kam letztendlich zu dem Schluss, dass ich ihn gerne mochte. Er war freundlich und hilfsbereit, klug, witzig und ein guter Freund. Gleichzeitig sah er gut aus und wenn ich mit ihm ausging und feststellte, dass es doch nichts werden würde, waren wir beide denke ich reif genug, unsere Freundschaft damit nicht zu belasten.
Als wir in der Pause dann beisammenstanden, zog er mich unauffällig von den anderen beiden weg. „Ich habe mich gefragt…“ begann er und kratzte sich unsicher an der Stirn. „Ich meine ich weiß…“ Wieder stockte er, dann atmete er tief durch und schien sich durchzuringen. „Ich mag dich wirklich gerne und ich würde gerne einmal mit dir ausgehen. Ich will dir keinen Druck machen, oder unsere Freundschaft gefährden und ich würde denke ich auch irgendwann über dich hinwegkommen… also ja… Was sagst du?“ Er hatte die Worte so schnell ausgesprochen, dass ich ihn kaum verstanden hatte, aber ich fand es unglaublich niedlich, wie nervös er war. „Ich wäre auf jeden Fall bereit mit dir auszugehen, aber ich will dir auch keine falschen Hoffnungen machen. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich Gefühle für dich entwickele, aber ich bin nicht unsterblich in dich verliebt… Also ja. Wenn es okay für dich ist, dass wir es ausprobieren, mit der Möglichkeit, dass ich danach sage, dass es nichts wird und wir trotzdem Freunde bleiben könnten, dann gerne“ Versuchte ich ihm zu erklären, was ich fühlte. Ehrlichkeit war mir wichtig und ihm auch. Außerdem hatte das viel mit Fairness zu tun. Mason brachte ein Lächeln zustande. „Ja. Das wäre für mich in Ordnung. Wann hast du denn Zeit?“ Ich überlegte kurz. „Heute Abend nicht. Da isst Noah bei uns, aber ansonsten habe ich die Woche noch nichts vor und würde mich da voll nach dir richten.“ Entgegnete ich und beobachtete, wie er bei Noahs Namen kurz zusammenzuckte. „Das klingt jetzt blöd, aber du hast nichts mit Noah, oder?“ Wollte er überprüfen. Ich lachte, aber in meinen Ohren klang es schon beinahe hysterisch. „Natürlich nicht. Er ist doch eher wie ein Bruder für mich!“ Dabei wusste ich tief in meinem Inneren, dass das nicht stimmte, nur konnte ich es mir nicht eingestehen. „Gut.“ Mason nickte zufrieden. „Wie wäre es, wenn ich dich am Mittwoch gegen 18 Uhr abholen würde und wir dann gemeinsam was unternehmen?“ Schlug er also vor und ich nickte zustimmend. „Klingt gut“ lächelte ich.
Nach der Schule wurde ich von einem strahlenden Noah abgeholt. Er schien ziemlich gute Laune zu haben, denn das Radio lief und er pfiff begeistert mit. Wie immer hielt er mir die Autotür auf und joggte dann auf seine Seite, um ebenfalls einzusteigen. „Wie war dein Tag?“ erkundigte ich mich, um den Grund für seine Freude zu erfahren. „Nicht spektakulär. Auf der Arbeit war nicht viel los, aber ich habe mich die ganze Zeit auf heute Abend gefreut!“ grinste er und fragte dann, was bei mir so los war. „Nicht viel. Claire hat mir erzählt was ich bei der Party am Freitag alles verpasst hab und der Unterricht war total langweilig.“ Es erschien mir unpassend, jetzt von Mason zu erzählen, auch wenn ich den Grund dafür nicht wirklich benennen konnte. „Mum meinte, dass es selbstgemachte Burger gibt“ verkündete ich ihm stattdessen und konnte beobachten, wie seine Augen hungrig aufblitzten. „Ich liebe den selbstgemachten Burger deiner Mutter.“ Freute er sich und ich gab ein lachendes ‚ich weiß‘ von mir.
Beim Abendessen war die Stimmung sehr ausgelassen. Noah verstand sich wie immer prächtig mit meinen Eltern und er und mein Dad unterhielten sich über Football. Mein Dad war Footballcoach an meiner alten Schule und auch Noah hatte in der High School gerne gespielt. „Was haltet ihr davon, wenn wir alle gemeinsam am Mittwoch das Spiel meiner Mannschaft anschauen?“ Schlug Dad vor und meine Familie stimmte begeistert zu. Ich war wohl die einzige, die nicht von dieser Leidenschaft gepackt war. Zerknirscht sah ich zu Dad. „Sorry, da kann ich nicht. Bin schon verabredet.“ Gab ich zu, woraufhin Noahs Blick hastig zu mir huschte. „Mit wem?“ Erkundigte er sich, aber irgendwie hatte seine Stimme so einen bohrenden Unterton. „Ich gehe mit Mason aus.“ Meine Stimme klang unsicherer als sie es sollte, und das nervte mich. Es war mein gutes Recht, auf ein Date zu gehen, da brauchte meine Familie mich gar nicht so anklagend ansehen. Mein Dad räusperte sich als erster. „Bist du sicher, Alya Schatz? Mason? Ich dachte ihr seid nur Freunde?“ „Das dachte ich auch.“ Noahs Stimme klang sehr gepresst. Alles klar. Weshalb gingen die denn alle so ab? „Wir sind auch Freunde, aber vielleicht entwickelt sich da ja auch mehr draus. Und wenn nicht, dann eben nicht!“ Versuchte ich mich zu rechtfertigen, auch wenn ich eigentlich wusste, dass das nicht nötig war.
Das restliche Abendessen war die Stimmung dann sehr gedrückt und als wir fertig waren stapfte ich ein wenig beleidigt in mein Zimmer. Es gab keinen Grund für die anderen, sich so aufzuführen! Als ich jedoch Hunger bekam und mir eine Tüte Chips holen wollte, ertönten aufgebrachte Stimmen von unten und so blieb ich auf der Treppe stehen. „Du darfst nicht sauer auf sie sein. Sie versteht es doch gar nicht!“ Meine Mutter. „Ich weiß, aber es macht mich rasend, mir vorzustellen, wie sie…“ Von wem zur Hölle sprach Noah da? „Du musst es ihr erklären, damit sie sich eingestehen kann, dass sie genauso empfindet.“ „Das ist aber nicht so einfach. Ich habe Angst, dass sie es komisch finden wird. Dass sie das Gefühl hat, ich wäre wie ihr Bruder oder so…“ Noah klang so verzweifelt, dass er mir regelrecht Leid tat, allerdings kam ich gleichzeitig nicht umhin, eine gewisse Eifersucht zu verspüren. Gab es da etwa noch jemanden in seinem Leben? Als mir bewusst wurde, was ich gerade dachte, schüttelte ich – über mich selbst empört – den Kopf.