8 - Schreckgespenst

1656 Words
Nachdem ich Melody geschrieben hatte, dass sie mich anrufen sollte, wenn sie nach Hause wollte und wir Masons Mitfahrgelegenheit Kyle Simpson Bescheid gegeben hatten, bugsierte ich Mason in Melodys Auto. Er hatte mir hoch und heilig versprechen müssen, sich nicht zu erbrechen und mir sofort ein Zeichen zu geben, wenn ihm schlecht wurde, doch er hielt sich ganz gut. Eigentlich war er doch recht umgänglich, als Betrunkener. „Weißt du egentlich, wie hübsch du bischt?“ lallte er auf einmal. Ich warf ihm einen kurzen Blick zu. „Danke.“ „Ne, wirklich! Du hascht diese Schommersprossen. Die sehen sooo niedlisch aus. Man will disch immerzu knuddeln.“ Mason war scheinbar auch betrunken ein echter Charmeur. Dennoch war die Situation irgendwie unangenehm, weshalb ich schwieg. Mason sah mich abwartend an. „Du weischt schon, dass du mir jetzt n Kompliment machen solltest?“ Fragte er schließlich nach und erntete dafür ein herzhaftes Lachen. „Mason. Benimm dich.“ Erwiderte ich also und bog in diesem Moment in seine Einfahrt ein. Er brauchte ein wenig Hilfe, um aus dem Auto zu steigen und auf dem Weg in sein Zimmer stützte er sich mühsam bei mir ab. Seine Mutter schien schon zu schlafen und so schlichen wir regelrecht nach oben. Man konnte tatsächlich davon sprechen, dass ich leise war, zu Masons Glück schlief seine Mutter mit Ohropax, denn er stieß mehrmals gegen das Treppengeländer oder stolperte und fluchte dann lautstark. Innerlich tat ich es ihm gleich, denn ich mochte seine Mutter und wollte sie nicht wecken, oder einen schlechten Eindruck bei ihr machen. Als wir es dann geschafft hatten, und ich mich gerade umdrehen wollte, hielt Mason mich fest. „Du musst mir noch die Zähne putzen.“ Stellte er fest und ich schüttelte den Kopf. Dieser Junge hatte vielleicht Nerven. Als er wieder diesen Welpenblick aufsetzte, knickte ich jedoch ein. „Ok. Aber danach muss ich wirklich gehen. Und du solltest deinen Rausch ausschlafen.“ Er nickte. „ist in Ordnung“ Wir putzten ihm die Zähne und ich begleitete ihn bis zu seinem Bett. „Deckst du mich noch zu?“ Fragte er müde und begann beinahe im selben Augenblick zu schnarchen wie ein Sägewerk. Seufzend tat ich, was er verlangt hatte und kontrollierte sorgfältig, ob die Decke auch über seine Zehenspitzen reichte. Dann verließ ich sein Zimmer, nur um den Schreck meines Lebens zu erleiden. Ich schrie zwar nicht, aber mein Herz setzte doch einen langen Moment aus. Isobel, Masons Mutter stand vor mir, die Schlafmaske nach oben geschoben, mit einem kritischen Blick. „Alya?“ fragte sie und betrachtete mich mit zusammengekniffenen Augen. Wir standen im Flur und das Licht war aus, weshalb der Gang nur durch den fahlen Mondschein erleuchtet wurde. „Ja. Tut mir leid, dass ich hier einfach so stehe. Ich habe Mason nach Hause gebracht, weil es ein Missverständnis zwischen ihm und seiner Mitfahrgelegenheit gab, und sie deshalb beide etwas getrunken hatten.“ Flunkerte ich also. Isobel nickte lediglich. „Und wieso bist du jetzt genau hier oben?“ hakte sie nach. Betreten sah ich zu Boden. „Mason und ich haben uns noch unterhalten. Wir… es war privat.“ Würgte ich also ab, woraufhin sie die Arme vor der Brust verschränkte. Zwischen ihren Augen prägte sich eine starke Falte aus und in ihrer Haltung erkannte ich, dass sie wusste, dass ich log. „Ging es dabei um euer Date?“ Forsch blickte sie mich an. Hastig nickte ich. Ja, das war eine gute Begründung. „Ja. Wir waren am Mittwoch ja aus und wir mussten halt darüber reden, weil wir ja eigentlich ziemlich gute Freunde sind. Naja, wir haben dann entschieden, dass auch zu bleiben.“ Erklärte ich also. Isobel schien nun endlich mit meiner Erklärung zufrieden zu sein, weshalb sie einen Schritt zur Seite machte und mir den Weg zur Treppe freilegte. „Gute Nacht.“ Das war ihre Art, mir zu sagen, dass das Verhör beendet war und ich gehen konnte. Mit hastigen Schritten tappte ich die Treppe hinunter, in dem Versuch, keinen Lärm zu machen. Als ich das Haus dann endlich verlassen hatte, war ich einfach nur erleichtert. Ich stieg in Melodys Auto und warf einen Blick auf mein Handy. Keine Nachricht. Von niemandem. Sollte ich jetzt wirklich zur Party zurückkehren oder vielleicht lieber einen Abstecher zu McDonalds machen und etwas essen, bis Melody mir schrieb, dass sie abgeholt werden wollte? Ja, die zweite Option klang definitiv verlockender. Ich machte mich also auf, bestellte beim Take Away eine Pommes und aß diese im Auto. Ich hatte gerade irgendwie keine Lust gehabt, zwischen lauter Menschen zu sitzen, die einfach nur Lärm machen würden. Zwischendurch vibrierte mein Handy. Vermutlich Melody. Ich verschlang noch einige Pommes und leckte meine Finger sauber, bevor ich nachsah. Tatsächlich war die Nachricht nicht von meiner Freundin, sondern von Noah. Wo bist du? Kannst du zu mir kommen? Ich wollte ihm jetzt eigentlich wirklich nicht absagen, aber ich musste schließlich noch Melody abholen. Um es ihm zu erklären, rief ich ihn kurz an. „Krümelmonster.“ Ging er ran. Er wirkte irgendwie aufgebracht auf mich. „Wie wichtig ist es?“ Fragte ich. „Ich muss nämlich gleich noch Melody von einer Party abholen.“ Er räusperte sich. „Naja. Keine Ahnung. Egal. Vergiss es.“ Ich hasste es, dass er jetzt so abwerfend war. Konnte er nicht einfach sagen, was los war? „Ich kann sie auch fragen, ob jemand anderes sie heimbringt. Ich bin zwar gerade mit ihrem Auto unterwegs, aber das lässt sich schon regeln.“ Murmelte ich also, eingeschüchtert von seiner kühlen Art. „Ne, passt schon.“ Würgte er ab und legte sogleich auf. Toll, jetzt machte ich mir Sorgen. Am besten brachte ich Melody jetzt nach Hause und nahm dann den letzten Bus, der noch in seine Richtung fuhr. Gedacht, getan. Ich machte mich also wieder auf den Weg zu Gordon Spencer, wo ich erstmal eine Ewigkeit nach Melody suchte. Ich fand sie dann im Bad, mit geröteten Lippen. „Hey“ sagte sie. „Hey, sag mal, passt das, wenn wir jetzt schon zu dir fahren und ich dann noch kurz zu Noah fahre? Er hatte glaube ich irgendetwas Wichtiges zu sagen?“ Erkundigte ich mich. Sie nickte ein wenig benommen. „Ich habe gerade mit Mikael rumgemacht und es war soooo cool.“ Ihre Augen leuchteten regelrecht. „Ich meine, ich will keine Beziehung oder so, aber er ist schon ganz süß.“ Ich grinste. „Freut mich, dass du Spaß hattest. Ich habe soeben Mason ins Bett gebracht.“ Tatsächlich zuckten ihre Mundwinkel. „Der Junge wird dich niemals vergessen können, wenn du so weiter machst.“ Und schlechtes Gewissen hallo. „Kommst du dann noch zu mir zum Schlafen oder sehen wir uns erst morgen früh wieder?“ Erkundigte sie sich. „Morgen früh.“ Entschied ich. Ich wollte nicht, dass irgendwer von ihnen wach blieb, nur damit er mich hereinlassen konnte. --- Ich stieg aus dem Bus und seufzte. Es waren trotzdem noch ein Kilometer Fußmarsch zu der Siedlung im Wald und eigentlich hatte ich gar keine Lust, in meinen Ballerinas jetzt diese Strecke zu laufen. Was ich für Noah doch nicht alles tat. Mittlerweile war es ein Uhr und ich hatte das Gefühl, dass der Abend ziemlich langsam verlaufen war. Hätte ich meinem Zeitgefühl vertraut, wäre es jetzt schon drei Uhr oder noch später. Der Mond stand voll am Himmel und warf die Schatten der Bäume auf den Boden. Gut. Vielleicht war die Location ja etwas gruselig. Ziemlich sogar. Ich war zwar kein großer Schisser, aber irgendwie wusste doch jedes Kind, dass man sich nachts jetzt nicht unbedingt im Wald aufhalten musste. Was, wenn hier irgendwo ein Killer lauerte? Melody dachte, ich würde erst morgen früh kommen und Noah rechnete nicht mit mir, was bedeutete, dass sich die nächsten Stunden niemand um mich Sorgen machen würde. Na super. Ich beschleunigte meine Schritte. Gerade, als ich aus der Ferne die teils noch brennenden Lichter der Siedlung ausmachen konnte, ertönte ein lautes Wolfsgeheul. Ich schrie entsetzt und vor Schreck laut auf. Mein Herz blieb einen Moment stehen. Super, wollte ich die Wölfe und Serienmörder etwa direkt zu mir führen? Ein Schauer überlief mich und ich war für einige Momente wir eingefroren. Doch dann kam mein Überlebensinstinkt in mir durch. Ich rannte die letzten Meter so schnell, wie ich noch nie gerannt war. Meine Ballerinas scheuerten mir die Fersen auf, aber das war mir in diesem Augenblick egal. Hauptsache, ich würde nicht mitten in der Nacht von einem Wolf zerfleischt werden wollen. Oder zerstückelt von einem Psychopaten, der nachts kleinen Mädchen auflauerte. Mit beiden Fäusten hämmerte ich gegen Noahs Haustür. Ich wollte sofort in die schützende Sicherheit seiner Arme. Die Tür öffnete sich jedoch nicht. Fünfmal betätigte ich die Klingel, bis einer von Noahs Nachbarn den Kopf aus dem Fenster steckte und laut rief: „Mach mal nicht so einen Krach Mädel. Noah ist im Rudelhaus!“ Dass die Leute hier einen Knacks hatten, war mir ja schon länger klar, aber das war doch wirklich absurd. Wieso nannte man ein Haus: Rudelhaus? Er deutete meinen irritierten Blick scheinbar richtig, denn er raufte bestürzt die Haare. „Egal. Vergiss, was ich gerade gesagt habe. Er kommt gleich.“ Und dann warf er mit wums das Fenster wieder zu, sodass ich erneut alleine in der Dunkelheit war. Toll. So hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt. Was sollte ich denn bitte tun, wenn Noah doch nicht kam? Ich konnte ja schlecht die ganze Nacht vor seinem Haus verbringen, aber der letzte Bus war schon gefahren, meine Freunde allesamt betrunken und meine Eltern drei Stunden entfernt bei Tante Kaitlyn. Ich wusste, dass es vielleicht eine leichte Überreaktion war, jetzt zu heulen, aber es so dunkel und ich hatte gerade einfach solche Angst, dass ich nicht rational denken konnte. Doch es schien, als wären meine Gebete erhört worden, denn in diesem Moment erschien Noah vor mir. „Krümelmonster?“
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