7 - Party, Verkuppelung und ein Kuss

2471 Words
Das Wochenende kam und mit ihm verschwand meine Familie. Freitag, direkt nach dem Hailey Unterricht vorbei war, waren sie gefahren, da Tante Kaitlyn drei Stunden mit dem Auto entfernt wohnte. Wie angekündigt hatte Noah mich heute Morgen abgeholt und vor der Schule abgesetzt, bevor er zur Arbeit gefahren war. Wir hatten nicht mehr über gestern Abend gesprochen und stattdessen hatte er mir erzählt, dass er auf der Arbeit gerade sehr viel Stress hatte, weil sein Vater in den Ruhestand gegangen war. Wilhelm Harrison war ein einflussreicher Mann und mit seinen gerade fünfzig Jahren eigentlich noch ziemlich jung, aber Noah meinte immer, dass sein Job ein echter Knochenjob war und sowohl körperlich als auch psychisch eine echte Belastung darstellte. Besonders, seit Noahs Mutter Alice vor vier Jahren gestorben war. Ich hatte zuerst gedacht, dass Wilhelm das nicht überleben würde. Er lief monatelang wie ein Zombie herum und erholte sich auch nie wieder richtig von dem Verlust. War er früher ein freundlicher Mann gewesen, der sich gefreut hatte, wenn ich Zeit mit Noah verbrachte oder als Kind durch ihren Garten getobt war, so hatte er sich danach eine eiserne Maske aufgesetzt. Er lächelte nicht mehr. Beachtete mich nicht und schenkte auch Noah nicht mehr die Liebe, die er eigentlich brauchte. Es war also wohl nicht allzu abwegig, dass er nun beschloss, in den Ruhestand zu gehen. Noah hatte mich dann vor der Schule rausgelassen und eine langweilige Aneinanderreihung an Unterricht begann. In der Mittagspause planten Claire, Melody und ich dann, wie wir das Wochenende exakt verbringen würden. Mason saß heute bei seinen Kumpels aus dem Basketballteam, wenn er auch auf mich von hier aus ein wenig niedergeschlagen wirkte. Da Clarke sich über die letzte Woche nicht mehr bei Claire gemeldet hatte – gut, er war von Montag bis Mittwoch krank gewesen – hatten wir einen Schlachtplan ausgearbeitet. Auf der Party, die heute Abend bei Gordon Spencer steigen würde, würde ich eine Unterhaltung mit ihm beginnen und beiläufig erfragen, an welche Ereignisse der letzten Party er sich noch erinnere. Probehalber hatte Claire mir noch einmal alle Details geschildert. Anschließend würde sie zufällig mit Melody vorbeikommen und Melody und ich würden die beiden alleine lassen. Der Rest würde sich schon ergeben. So zumindest der Plan. Wenn alles gut lief, würden die beiden den restlichen Abend gemeinsam verbringen und je nachdem würden nur Melody und ich bei ihr übernachten. Ich hatte vorgeschlagen, dass wir zu mir gehen könnten, da ich sturmfrei hatte, aber ihre Eltern wollten die Kontrolle darüber behalten, wann sie die Party verließ – Melody war noch siebzehn – und so hatten wir uns darauf geeinigt, bei ihr zu schlafen. Für den Fall, dass Claire am Samstag dann Zeit für uns hatte, würden wir einen Shoppingmarathon machen, andernfalls hatten Melody und ich ganz erwachsen beschlossen, den Tag zum gemeinsamen Lernen zu nutzen. Wochenende bedeutete schließlich nicht, dass keine Klausuren mehr ausstanden, auch wenn wir uns das alle sehnlichst wünschten. --- Nun standen wir alle in Claires Zimmer vor ihrem Spiegel und stellten zufrieden fest, wie gut unsere Outfits harmonierten. Wir hatten alle nicht übertrieben oder zu schicke Sachen angezogen, auf einer Party war das eindeutig zu riskant. Man wusste ja nie, wer erbrechen musste oder seinen Alkohol verschüttete, abgesehen davon waren schicke Kleider oder dergleichen, doch oft etwas unbequem. Deshalb trugen wir alle drei die schwarzen Stoffhosen, die wir letztes Jahr gemeinsam gekauft hatten, kombiniert mit einem weißen, übergroßen T-Shirt. Alle aus dem Schrank meines Vaters. Claires Vater war ein absoluter Anzugträger, ich bezweifelte, dass er überhaupt T-Shirts besaß, und Melodys Vater lebte nicht bei ihnen zuhause, sondern im schönen Kalifornien, wo er es sich mit einem braungebrannten Model gut gehen ließ.  Claire hatte uns allen die Haare geflochten, so dass ich nun mit zwei holländischen, Melody mit zwei französischen und sie mit einem Fischgrätenzopf geschmückt war. Wir sahen aber keineswegs wie Spießer aus, sondern lässig und cool. Naja, zumindest hoffte ich das. „Selfie?“ erkundigte sich Claire fröhlich, dabei hatte sie ihr Handy schon längst gezückt. Wir drei strahlten in die Kamera, und eigentlich, wenn wir normalerweise ganz anders aussahen, wirkten wir auf dem Foto wie Schwestern. Claire war der Inbegriff einer klassischen Schönheit. Sie hatte langes, blondes Haar, das ihr in sanften Wellen über die Schulter fiel und filigrane Gesichtszüge, die durch ihre vollen Lippen und das sanfte Grün ihrer Augen nur betont wurden. Sie lachte viel, war sportlich und lustig. Bereits seit sie klein war, war sie ein Teil des Cheerleader Teams, weshalb sie oft von anderen als Zicke abgestempelt wurde, aber wer sich auf sie einließ, stellte fest, dass sie genau das Gegenteil davon war. Melody war in meinen Augen auch wunderschön, wenn auch eher speziell. Sie trug ihr volles Haar in einem knalligen blau und ihre Ohren waren von Piercings und Ohrringen bestückt. Ihre Augenbrauen waren buschig, ihre Gesichtszüge eher starr. Sie war etwas kleiner als Claire und deutlich kurviger gebaut. Sport war ihr zuwider. Dafür war sie das Superhirn unserer Gruppe. Und dann gab es da noch mich. Ich war übersäht von Sommersprossen. Sie zogen sich sowohl über meine Arme und Beine als auch mein gesamtes Gesicht. Mein Mund war ziemlich groß, meine Lippen allerdings eher schmal. Meine Augen waren grau, worauf ich irgendwie ziemlich stolz war, weil ich die Farbe mochte. Außerdem verband es mich irgendwie mit Noah. Gott, hatte ich das gerade wirklich gedacht? Der Rest von mir war nicht wirklich spektakulär. Dafür, wie ungerne ich Sport machte, konnte ich mit meiner Figur ziemlich zufrieden sein, was ich an mir allerdings gar nicht mochte, waren meine Haare. Sie waren strassenköterblond und dünn wie sonst was. Wenn ich mir einen Pferdeschwanz machte, musste ich das Haargummi sicher sechsmal um meine Haare wickeln, wo bei anderen Leute zwei oder drei Umdrehungen reichten. --- Obwohl Melody die jüngste von uns war, war sie die einzige, die ein Auto besaß. Gespendet von ihrem Vater. Deshalb stiegen wir alle ein und fuhren zur Party. Es war abgemacht, dass ich nüchtern blieb, um wieder zurück fahren zu können und das war auch voll okay für mich. Ich hatte kein Problem mit Alkohol, aber nachdem ich mich das letzte Mal übergeben musste, hatte ich weise beschlossen, mich in Zukunft erst mal ein bisschen zurückzuhalten. Wir fuhren also vor Gordon Spencers Haus vor und stiegen aus. Draußen war es angenehm warm, denn auch, wenn es erst April war, hatte die Sonne den ganzen Tag geschienen und für eine angenehme Abendluft gesorgt. Bereits von draußen hörte man die lauten Geräusche. Eine Mischung aus Geschrei und Musik und nicht wirklich ein Ohrenschmaus. Ich grinste leicht, als Gordon Spencer aus dem Haus torkelte und uns lallend begrüßte. „Seid mal froh, dass ihr erst jetzt kommt“ nuschelte er. „Es war anfangs so öde, dass ich den halben Alkohol getrunken hab. Erst die Footballer haben für Stimmung gesorgt.“ Es war immer dasselbe auf High School Partys. Manche Leute schienen einfach das Gefühl zu haben, nur in Anwesenheit der Sportler gute Laune haben zu dürfen. Natürlich wusste ich auch, dass man mit den richtigen Leuten immer Spaß haben konnten, aber ich bezweifelte, dass diese sich durch ihr Hobby auszeichneten. Wir betraten das Haus und ich hielt bereits nach Clarke Ausschau. Schließlich waren wir wegen ihm hier. Während ich den anderen beiden befahl, sich ein Getränk zu holen und locker zu werden, durchstreifte ich Wohnzimmer, Küche und Garten, wo ich ihn Schluss letztendlich fand. „hi“ grüßte ich und ging auf ihn zu. Er hob irritiert den Kopf, lächelte dann aber und nickte zurück. „Na. Was läuft bei dir im Moment so?“ Erkundigte ich mich, und hoffte, nicht allzu gestelzt zu wirken. Er wirkte von meiner Anwesenheit nicht wirklich begeistert, aber er war höflich und machte einen Schritt auf mich zu, damit wir nicht so schreien mussten, um uns zu verstehen. Auch der Garten war voll von Schülern und knutschenden Pärchen. „Nicht viel. War ja ein bisschen krank die letzten Tage.“ Sagte er und wirkte absolut nüchtern auf mich. Gut. Dann würde Claire sich danach sicher sein, dass er alles ernst gemeint hatte. „Bei dir so?“ Fragte er dann. Ich war froh, dass er mir so eine Steilvorlage für meine nächsten Worte genannt hatte. „Ich war ja auch krank letzte Woche. Deshalb konnte ich nicht auf die Party bei Mason. Ziemlich ärgerlich. Man hat ja nur spannendes gehört.“ Erläuterte ich ihm also und beobachtete sein Gesicht. Er schien seinen Mund leicht zu verziehen. Vermutlich war ihm bewusst, dass ich alles, was ich gehört hatte, von Claire wusste. „Ach ja?“ fragte er nun interessierte und ich nickte bekräftigend. „Brianna Adams soll Gordon Spencer vollgekotzt haben.“ „Und von wem weißt du das?“ Erkundigte er sich, während ich zufrieden feststellte, dass er auf Claire anspielen wollte. „Ach. Das hört man so hier und da. Du warst auch da, oder? Ist dir irgendetwas Spannendes passiert oder warst du zu betrunken, um irgendetwas mitzukriegen?“ Gut, ich gab zu. Besonders subtil war ich nicht, aber da er Claire ja auf jeden Fall mochte und nur den entsprechenden Tritt in sein Hinterteil brauchte, war das egal. „Ne. Ich trink selten auf Partys. Bin doch immer der Chauffeur für meine Schwester. Also, ich trink halt höchstens mal ein Bier.“ Erklärte er und ich nickte zufrieden. Mit perfektem Timing sah ich in diesem Moment Claire und Melody nach draußen kommen. „Oh, schau mal wer da ist.“ Gab ich mich überrascht und er begann augenblicklich, nervös von einem Fuß auf den anderen zu treten. „Huhu!“ rief ich und winkte den Beiden, woraufhin sie auf uns zusteuerten. „Sei doch leise.“ Zischte er mir zu. Ich grinste. „Wieso das denn?“ „Na…“ Er stockte, weil die beiden bei uns angekommen waren. „Hi“ grüßte Melody monoton. Claire brachte nur ein heiseres Quieken hervor. „Melody, ich glaub ich habe vorhin mein Armband bei dir im Auto vergessen. Hilfst du mir suchen?“ Fragte ich da, allerdings wartete ich gar nicht auf ihre Antwort, sondern zog sie mit mir mit, sodass Claire und Clarke nun zu zweit im Garten standen. Ein wenig hilflos sahen mich beide an, aber wir entfernten uns weiter. „Was unternehmen wir jetzt?“ erkundigte ich mich, woraufhin ich einen verwunderten Blick erntete. „ich dachte, wir suchen dein Armband!“ Nun musste ich laut lachen. „Das war doch nur ein Vorwand, Melody.“ Kicherte ich, woraufhin auch ihre Mundwinkel ein wenig nach oben zuckten. „Also ich würde denke ich jetzt zu Mikael gehen. Mit dem habe ich mich auf der letzten Party ‚gut unterhalten‘.“ Hätte sie nicht mit den Händen imaginäre Gänsefüßchen in die Luft gezeichnet, hätte ich die Ironie nicht verstanden. Mikael war bereits zwanzig, da er erst mit sieben zur Schule gekommen war und einmal wiederholt hatte. Wir besuchten einige Kurse gemeinsam, auch wenn ich ihn noch nie hatte sprechen hören. Er war am ganzen Körper tätowiert und definitiv Melodys Typ. Ich nickte ihr zu. „Klar. Geh nur.“ Sie entfernte sich und nun stand ich allein da. Ich streifte ein wenig durch die Räume. Unterhielt mich ein paar Minuten mit Mandy und Sally, zwei Mädchen aus meinem Geschichtskurs. Dann begegnete ich Roy, einem Typen, mit dem ich vor zwei Jahren meinen ersten Kuss beim Flaschendrehen hatte. Retrospektiv fiel mir auf, dass Noah bereits damals total aggressiv und sauer auf meine Erzählung reagiert hatte. Ich seufzte und beschloss, in die Küche zu gehen, um mir eine Limonade oder dergleichen zu holen und machte mich auf den Weg. In der Küche stand Mason. Zwar waren wir noch immer Freunde, aber heute hatte er mich ja doch eher gemieden, weshalb ich mir nicht so sicher war, ob er meine Anwesenheit begrüßen würde. Deshalb drehte ich mich um, um die Küche wieder zu verlassen, doch in diesem Moment nahm er mich wahr und murmelte ein „Hi“. Ich drehte mich wieder zu ihm um. Die Stimmung wirkte betreten. „Hi.“ Antwortete ich also in demselben Tonfall, den er verwendet hatte. Er seufzte, bückte sich kurz und holte eine Flasche Bier aus einem Kasten. „Willst du?“ fragte er und hielt es mir entgegen. Ich schüttelte den Kopf. „Ich bin heute die Fahrerin.“ Erklärte ich, woraufhin betretenes Schweigen herrschte. Nach einigen Sekunden räusperten wir uns nahezu gleichzeitig. „ich finde es bescheuert, dass es jetzt so komisch zwischen uns ist.“ Sagte ich. „Ich mag dich trotzdem noch“ Sagte Mason. Obwohl wir gleichzeitig gesprochen hatten, hatte ich ihn sehr gut verstanden und gab gerade mein bestes, ihn nicht allzu mitleidig anzusehen. „Mason…“ fing ich an, aber er schüttelte den Kopf. „Bitte sag jetzt nichts“ Raunte er und ging vorsichtig einen Schritt auf mich zu. Wobei torkeln ein passenderer Begriff gewesen wäre. „Bitte, sei einfach einmal leise, ok?“ Ich war mir nicht sicher, was er da gerade versuchte. Wollte er verführerisch auf mich wirken? Nicht, dass Mason unattraktiv wäre. Er war gut gebaut, hatte blonde Locken und braune Augen. Der klassische Surfer Boy eben. Aber er war nun einmal Mason und wir waren nur befreundet. Ehe ich mich versah, stand er auf einmal direkt vor mir. Von hier konnte ich riechen, dass er bereits eine ziemliche Fahne hatte. Was hatte er vor, zum Geier nochmal? Als er sich zu mir herunter beugte und seine Lippen stürmisch auf meine legte, wusste ich dann allerdings, was er zu bezwecken versuchte. Seine Lippen waren weich und er war ein guter Küsser, aber es fühlte sich einfach nicht gut an. Vorsichtig versuchte ich, ihn von mir wegzuschieben, doch als Reaktion darauf klammerte er sich an meiner Hüfte fest und zog mich dicht an sich. Seine Zunge kitzelte an meinen Lippen. War er etwa so betrunken, dass er gar nicht wahrnahm, dass ich seinen Kuss nicht erwiderte? Natürlich tat er mir leid, es war mit Sicherheit mies, auf jemanden zu stehen, der die eigenen Gefühle nicht erwiderte, aber ihm Hoffnungen zu machen, die ich enttäuschen würde, war genauso dämlich. Abgesehen davon, dass ich gestern Abend noch mit Noah gekuschelt hatte. Bei dem Gedanken durchfuhr es mich wie einen Ruck und ich schob Mason nun sehr energisch von mir weg. „Tut mir leid.“ Nuschelte er so gleich. Ich seufzte. Er hatte es ja nicht böse gemeint. „Wir sind nur Freunde, Mason.“ Stellte ich es noch einmal klar, woraufhin er einen Schmollmund machte und so aussah, als wäre er den Tränen nah. „Kannst du mich ins Bett bringen?“ Nuschelte er weinerlich. „Meine Mama wird sauer, wenn sie gemerkt hat, wie viel ich getrunken hab.“ Na super. Jetzt hatte ich einen betrunkenen Mason an der Backe. Ich nickte seufzend. „Ich bringe dich kurz nach Hause.“
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