9 - Übernachtungen

2063 Words
„Was machst du denn hier?“ fragte er überrascht und zog mich in seine Arme. „und wie bist du hier her gekommen. Sag mir bitte nicht, dass du gelaufen bist? Ich sage dir doch schon seit Jahren, dass du nachts, und bei so vollem Mond erst recht nicht, in den Wald sollst. Nicht ohne mich.“ Er bombardierte mich regelrecht, aber das war mir egal. Ich schmiegte mich in seine starken Arme und war einfach nur dankbar, dass er jetzt da war. Doch zu meinem Ärger schob er mich wieder von sich weg. Missmutig sah ich ihn an, während er die Tür aufschloss und mich sanft in sein Haus schob. „Na, du hast so betrübt am Telefon geklungen, dass ich mir Sorgen gemacht habe.“ Gab ich also ehrlich zu. „Ich habe also Melody abgeholt und nach Hause gebracht und den letzten Bus genommen. Und dann bin ich halt hier her gelaufen.“ Den letzten Satz nuschelte ich eher in mein weißes T-Shirt. Denn tatsächlich sagte er mir schon seit Jahren, dass es gefährlich war, nachts in den Wald zu gehen. Mit Acht hatte ich ihn noch gefragt, weshalb, doch das war eine der Fragen, die er mir nicht beantwortet hatte. Eines seiner vielen Geheimnisse. Dennoch hatte ich seinen ‚Ratschlag‘ zehn Jahre lang berücksichtigt. Keine Ahnung, was ich mir vorhin dabei gedacht hatte, einfach hier her zu laufen. Noah hatten den Satz trotz meines spärlichen Versteckversuchs sehr deutlich gehört und sah mich ein wenig wütend an. Beruhigend legte ich ihm also meine Hand auf den Arm und er entspannte sich sofort sichtlich. „Es tut mir Leid, okay? Bitte sei nicht wütend auf mich!“ „Ich bin nicht wütend auf dich! Ich bin wütend auf mich!“ Protestierte er sofort und zog mich an sich. Da war er wieder. Mein Beschützer. Der Mann, der mich immer in Schutz nahm und die Schuld jedes Mal auf sich nahm, nur für mich. „Du hast doch nichts falsch gemacht.“ Versuchte ich ihn also zu beruhigen, doch er schüttelte nur schnaubend den Kopf. „Natürlich habe ich das. Du hast dir Sorgen um mich gemacht. Dabei war ich einfach nur beleidigt, weil ich dich gerne sehen wollte und du keine Zeit für mich hattest. Du hast dich meinetwegen in Gefahr begeben. Ich hätte Ahnen sollen, dass du zu mir kommst und anders reagieren sollen. Wirklich.“ „Du hast mich sehen wollen?“ Fragte ich ungläubig, nicht sicher, ob das jetzt gut oder schlecht war. Mein Herz hüpfte auf jeden Fall aufgeregt. Er nickte schlapp und zog mich erneut energisch in seine Arme. Auch ich legte meine Arme um seinen starken Oberkörper und presste mein Gesicht an seine Brust. Ich wusste, dass eine Umarmung nichts Ungewöhnliches war, aber irgendwie war es so intim, wenn Noah und ich es taten. Er hielt mich auf eine Art und Weise, die mir das Gefühl gab, zu schweben. Oder bereits im Himmel zu sein. Wenn seine raue Hand meinen Rücken streichelte oder sanft durch meine Haare fuhr, kribbelte mein ganzer Körper einfach nur vor Glück und vermutlich wurden die Hormone in Tonnen ausgeschüttet. Noah schien es ähnlich zu gehen, wie mir, denn ich nahm war, dass er eine Gänsehaut bekam und sehnsüchtig an meinen Haaren schnupperte. Das war auch der Augenblick, in dem er mich auf einmal sauer von sich stieß und mich fassungslos ansah. Ich runzelte die Stirn. Was war denn jetzt los? Seine Augen begannen zu leuchten und ich konnte sehen, wie er seine Hände zu Fäusten ballte. Er versteifte sich so sehr, dass sogar die Fingerknöchel weiß hervor standen und sich eine dunkle Ader auf seiner Stirn abbildete. Erschrocken machte ich einen Schritt zurück. Er sah gerade einfach nur gruselig und unheimlich aus. „Wieso riechst du nach diesem Mason?“ knurrte er aggressiv und spuckte den Namen meines Kumpels regelrecht aus. Gereizt tat ich noch einen Schritt zurück. Er sollte seine Aggressionen bitte ganz schnell einstellen. „WIESO?“ Brüllte er noch einmal nachdrücklich. Ich zeigte ihm den Vogel. „du spinnst ja. Wie willst du sowas bitte riechen?“ keifte ich. Wenn er sich nicht benahm, würde ich das auch nicht tun. Zwischen mir und Mason lief nichts. Das hatte ich ihm schon einmal versichert und es gab seinerseits keinen Grund, das anzuzweifeln. Natürlich hatte Mason mich vorhin auf der Party geküsst, aber ich hatte ihn ja von mir geschoben und er war auch nur betrunken gewesen, weshalb ich mich keines Verbrechens bewusst war. Noah tat zwei Schritte auf mich zu. „Du riechst nach ihm. Sein Geruch ist in deinen Haaren.“ Er machte noch einen Schritt und betrachtete mich skeptisch. „An deiner Taille. Überall. Sogar an deinen verfluchten Lippen. Sag mir, was ihr gemacht habt, oder ich schwöre dir, ich zerstöre jetzt irgendetwas!“ Seine Wut hatten schon beinahe etwas Verzweifeltes und ich verfluchte mich dafür, immer so viel Mitleid mit ihm zu haben. „Zwischen Mason und mir lief nichts. Er war halt nur ein bisschen betrunken, okay? Aber ich habe ihn zurückgewiesen.“ Wie auf einen Schlag ließ das Leuchten seiner Augen nach und auch die Ader verlor ihre Deutlichkeit auf seiner Stirn. Er schloss die Augen und atmete mehrmals tief durch. „Bitte geh duschen.“ Hauchte er und hielt die Luft an. Dabei sah er mich so eindringlich an, dass ich mich schon beinahe machtlos fühlte. „Geh schon. Oder brauchst du Hilfe?“ Er schmunzelte dabei nicht und als mir klar meinte, wie ernst er das meinte, machte ich mich schnell auf. Unter der Dusche schrubbte ich mich gründlich, um ihm auch ja keinen weiteren Grund zum Meckern zu geben. Ich wusste, dass andere Mädchen lange protestiert hätten, oder Noah vielleicht sogar eine geklatscht. Es war eigentlich auch absolut nicht okay, wie er mich bevormundete, aber so war ich nicht. Abgesehen davon, dass ich Konflikte hasste, wollte ich doch auch immer irgendwie, dass Noah glücklich war. So wie er wollte, dass ich glücklich war. Gleichzeitig hatte ich Angst, dass seine Bevormundung ein neues Level annehmen würde, wenn ich mich auf eine Beziehung mit ihm einließ. Er würde mich nicht mein ganzes Leben so behandeln können, als wäre ich die kleine Alya und er der große Noah. Als ich ein Kind war, hatten die meisten Leute mich nicht ernst genommen, weil ich so viel mit Noah unternahm, doch für ihn hatte ich das in Kauf genommen. Umso schwerer war es deshalb, dass er sich oft genug ähnlich verhielt. Natürlich konnte ich ihm irgendwie verzeihen, er war schließlich mein Noah. Aber es zu vergessen oder auszublenden war eine andere Sache. Ich stellte seufzend das Wasser ab und wrang meine Haare aus. Ich öffnete die Dusche und holte mir ein Handtuch aus seinem Schrank. Toll. Ich hatte gar nichts zum Schlafen hier. Natürlich konnte ich einfach mein T-Shirt und meine Unterhose wieder anziehen, doch wozu gab es Noah? Ich öffnete die Badezimmertür einen Spaltbreit und hoffte inständig, dass er sich bereits wieder beruhigt hatte. „Noah?“ Brüllte ich laut, dabei wäre das gar nicht nötig gewesen, denn er stapfte gerade die Treppe hoch. Strahlend blickte er mich an. Vielleicht war er ja auch schwanger. Anders konnte ich mir seine Stimmungsschwankungen einfach nicht erklären. „Ja, Krümelmonster?“ Erkundigte er sich irritiert und betrachtete mein Schlüsselbein sehr interessiert. Ich verdrehte deshalb leicht die Augen. „Hast du was, was ich zum Schlafen anziehen kann? Melody und ihre Familie schlafen schon, deshalb dachte ich…“ Auf einmal wurde ich sehr verlegen. Es war nicht mehr so normal wie früher, bei Noah zu schlafen, wenn ich doch wusste, wie er für mich fühlte. Er jedoch grinste nur. „Naja. Ob ich dir Sachen gebe und dich bei mir schlafen lassen hängt eigentlich von nur einer Sache ab.“ Ich seufzte. Na toll. Jetzt stellte er mir also Bedingungen. Als er das vor sechs Jahren einmal getan hatte, musste ich in den eiskalten See springen, der hier im Wald war und als ich danach drei Tage lang krank war, hatte er das schlechteste Gewissen seines Lebens. „Wovon?“ Fragte ich also und konnte nicht verhindern, etwas genervt zu klingen. Wieder grinste er und trat direkt vor die Tür. Bevor er antwortete, musterte er mich einmal von oben bis unten und ich konnte nicht verhindern, dass sich meine Nackenhaare aufstellten. „Erzähl mir doch erstmal, wie du dir das so vorgestellt hast!“ Schlug er vor und ich sah ihn ungläubig an. Wollte er mich etwa provozieren, wo ich gerade nur im Handtuch gekleidet vor ihm stand. „Naja. Du könntest mir eine Jogginghose und ein T-Shirt geben.“ Schlug ich krächzend vor und räusperte mich nervös, damit meine Stimme wieder normal arbeitete. „Und dann würde ich mich unten aufs Sofa legen.“ Er grinste. „Ich merke schon. Wir sind uns ein wenig uneinig.“ Wieder glitt sein Blick an mir hinunter und wieder hinauf, während er mir intensiv in die Augen sah. Alles in mir kribbelte. Vom kleinen Zeh bis hin zu meinen verdammten Ohrläppchen. „Und wie hast du dir das so gedacht?“ Fragte ich also provokant. Eigentlich war ich müde bis zum Umfallen, aber Noahs Gegenwart war wie ein guter Kaffee. „Ich dachte…“ raunte er und strich mir eine klatschnasse Haarsträhne hinter das Ohr. Gott, wieso kam er mir gerade nur so nahe? Es war wie verhext. So, als würde mein Körper gegen mich arbeiten, denn alles, was ich in diesem Moment wollte, war, meine Lippen auf seine zu pressen und alleine, dass ich so etwas dachte, verdiente eine gehörige Ohrfeige. „dass ich dir was zum Anziehen gebe und du dich dann…“ Er fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippe und kam mir so nahe, dass ich seinen rasenden Herzschlag leise hören konnte. „zu mir legst!“ Seine Augen blitzten schelmisch auf und er beugte sich zu mir hinunter. Ich hielt den Atem an, doch er drückte mir nur einen sanften Kuss auf die Wange. Seine Lippen waren so weich und so perfekt, dass ein regelrechtes Feuer in mir entfachte. Gott, ich liebte es viel zu sehr, wenn er mich berührte. Ich konnte an nichts anderes mehr denken. Nicht an die Konsequenzen, nicht mal an meine Beine, die zu Wackelpudding geworden waren. Sein heißer Atem schlug mir ins Gesicht und er war höchstens fünf Zentimeter von mir entfernt. Ich müsste mich nur ein winziges Bisschen vorbeugen, um ihn zu küssen. Nur ein winziges Bisschen, und meine Lippen würden seine berühren. Gott, er war mir so nah. Am liebsten wollte ich es einfach tun. Es einfach wagen. Ihn küssen und nie wieder damit aufhören. Gerade als ich diesen Entschluss gefasst hatte, entfernte Noah sich wieder ein wenig von mir und lächelte mich auf seine atemberaubende und verdammt noch mal verführerische Art an. „Ich bringe dir etwas zum Anziehen und dann kannst du ja zu mir kommen!“ Schlug er vor und mein Herz raste unkontrolliert. Ich war wie erstarrt. Mein Kopf brummte und alles, woran ich denken konnte, war Noah. Noah, Noah, Noah und immer wieder Noah. Sein schelmisches Lächeln, sein Selbstbewusstsein, die Fürsorge die er für mich hegte und nicht zuletzt sein atemberaubendes Aussehen. Gott, seine ganze Existenz war einfach unglaublich. Vermutlich wäre ich noch länger in meiner Starre geblieben, doch da drückte Noah, der wie aus dem Nichts wieder aufgetaucht war – mir eine Jogginghose und ein T-Shirt in die Hand und zwinkerte mir zu. „Bis gleich.“ Raunte er und ließ mich allein zurück. Ich atmete schwer und als ich die Badezimmertür schloss, konnte ich nicht anders, als mich erstmal an ihr hinunter gleiten zu lassen, um mich zu beruhigen. Wie zu Geier, sollte ich dazu in der Lage sein, ihm zu widerstehen, wenn ich bei ihm schlafen würde? Schluckend schlüpfte ich in seine Sachen und konnte nicht anders, als an ihnen zu schnuppern. Noah roch fantastisch und seine Sachen taten es ebenfalls. Er roch so betörend, dass ich mir wünschte, mein ganzes Leben lang nur noch seine Sachen zu tragen, auch wenn das albern war. Deshalb, und vielleicht auch, weil ich eine noch stärkere Dosis seines Duftes brauchte, entschloss ich mich schließlich dazu, zu ihm zu gehen. Vermutlich würde dass die dämlichste Entscheidung sein, die ich jemals in meinem Leben getroffen hatte, aber heute Nacht hatte ich einfach nicht die Kraft, ihm standzuhalten.
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