6 - Kuscheln

1625 Words
Als ich erwachte, stellte ich zwei Dinge fest. Zum einen zeigte mein Wecker sechs Uhr abends an, was bedeutete, dass ich den gesamten Nachmittag verschlafen und nichts für die Schule getan hatte, zum anderen hatte ich mit meinen Beinen Noahs Beine umschlungen und auf sein T-Shirt gesabbert, während er mich völlig fasziniert anstarrte. Ich gab dem Impuls nach und versuchte ihn hektisch aus dem Bett zu schubsen, allerdings war er schwerer als erwartet, weshalb ich nun plötzlich komplett über ihm lag, während er sich keinen Zentimeter bewegt hatte. Mein ganzer Körper war wie elektrisiert und kribbelte unaufhörlich. Nun grinste er noch mehr als zuvor. „Leugnen ist zwecklos.“ Seine Stimme war so rau und sexy, dass mein Hals augenblicklich trocken wurde. Schon wieder hatte er Recht. Es war doch echt zum verrückt werden. Gerade als ich jedoch bissig kontern wollte, wurde meine Zimmertür aufgerissen. „Es gibt essen!“ Rief Hailey, doch als sie uns erblickte, erstarrte sie. Ihre Augen weiteten sich und ich sprang hastig von Noah herunter. „Du hast nichts geseh…“ Begann ich. „MAMA, PAPA! Ich sag euch doch, wenn wir die beiden lange genug alleine lassen, regelt sich das!“ Rief sie da auch schon die Treppe hinunter und ich wollte am liebsten im Boden versinken. Oder ihr den Hals umdrehen. Beides sehr annehmbare Handlungsmöglichkeiten. „Halt die Klappe.“ Zischte ich, doch das dreizehnjährige Mädchen grinste nur frech. „Glaub mir, das werde ich nicht tun.“ Und mit diesen Worten hüpfte sie fröhlich Richtung Treppe. Dann drehte sie sich noch einmal um. „Ach ja, du bist natürlich zum Essen eingeladen Noah. Es gibt Gemüselasagne.“ Dankend nahm Noah das Angebot an, obwohl ich ihn am liebsten aus dem Haus schmeißen würde. Was Mum und Dad gleich wohl sagen würden? Würden sie eine merkwürdige Begeisterung an den Tag legen, oder mir auf die Nerven gehen, wenn ich sagte, dass ich doch eigentlich gar nicht mit Noah zusammen sein wollte? Mein Blick glitt in die Ferne – in diesem Fall die Badezimmertür – und ich versank in Gedanken. Wollte ich wirklich nicht mit Noah zusammen sein, oder hatte ich einfach nur unglaubliche Angst? War ich in Wahrheit nur ein Schisser? Oder fand ich, dass meine Gefühle für ihn einfach nicht genug in die Tiefe gingen, um eine zehnjährige Freundschaft zu riskieren? Denn dass ich etwas fühlte, wenn er mir Nahe war, konnte ich einfach nicht abstreiten. Mir war warm und mein Magen kribbelte und es gab prinzipiell niemanden, dessen Nähe ich so sehr genoss, wie die Seine. Trotzdem. Wir waren beste Freunde und außerdem war er ja doch ein ganzes Stückchen älter als ich. In einer Freundschaft war das eine Sache, aber ich hatte Angst, dass es in einer Beziehung wie bei unseren letzten zwei… Auseinandersetzungen sein würde. Dass er so tat, als würde ich das alles bloß nicht verstehen und er, der erwachsene Noah hätte den Durchblick. Mir war natürlich bewusst, dass er das nicht mit Absicht tat, aber er hatte nun einmal deutlich mehr Lebenserfahrung als ich und ich konnte mir auch schlecht vorstellen, Hailey so zu behandeln, als hätte sie einen Plan von allem, was für mich vielleicht relevant war. Dinge wie Alkohol, Liebeskummer und dergleichen. Gut, auch Hailey konnte schonmal Liebeskummer gehabt haben, aber ich bezweifelte doch sehr, dass sie sich mit Alkohol schon gut auskannte oder Erfahrungen gemacht hatte. Eine Hand legte sich auf meine Schulter. „Worüber denkst du nach?“ hauchte Noah mir ins Ohr und ich erschauerte. „Nichts.“ Antwortete ich dann jedoch und schüttelte den Kopf. Wenn ich ihm auch nur einen teilweisen Ansatz in meine Gedanken geben würde, würde er sich falsche Hoffnungen machen und das wäre uncool von mir. Insgeheim musste ich mir in diesem Moment jedoch eingestehen, dass seine Reaktion womöglich aber auch mir falsche Hoffnungen machen könnte. „Lass uns doch zum Essen gehen.“ Schlug ich also vor, damit er nicht weiter bohrte und ging, ohne mich noch einmal umzudrehen die Treppe runter. Natürlich folgte er mir und als wir am Tisch saßen, durchbrach er dreist die eigentliche Sitzordnung, um sich zu mir zu setzen. Hailey, deren Platz er eingenommen hatte, schien damit allerdings überhaupt kein Problem zu haben. Sie warf mir die gesamte Zeit verschwörerische Blicke zu und wenn niemand hinsah, machte sie sehr eindeutige Kussgesten mit ihrem Mund. „Hör auf!“ Zischte ich ihr zu, doch daraufhin gackerte sie nur los. „Mum, wusstest du, dass Alya vorhin AUF Noah lag, als ich reingekommen bin?“ Erkundigte sie sich, mit einem hämischen Gesichtsausdruck und in mir entstand das Bedürfnis, sie zu erwürgen. Seit wann war sie so eine Zicke? Oder hatte sie vielleicht einfach nur das erste Mal ihre Tage bekommen? Wenn dem so war, könnte ich ihr vielleicht verzeihen. Mein Dad räusperte sich. „Hailey, was in Alyas Schlafzimmer passiert, bleibt auch in ihrem Schlafzimmer. Das hatten wir doch abgemacht. Es ist gut, dass sie und Noah es jetzt endlich zusammen geschafft haben, aber lassen wir sie es einfach für sich ausleben, okay?“ Sollte ich ihm jetzt dankbar sein, weil er mir gegen Hailey geholfen hatte, oder sauer sein, weil er derartigen Mist verzapfte. „Noah und ich sind nicht zusammen.“ Zischte ich also und nahm war, wie Noah gekränkt zusammen zuckte. „Ich weiß auch gar nicht, wieso ihr auf einmal alle so von der Idee begeistert seid. Das wart ihr doch vor einer Woche noch nicht.“ Meine Mum räusperte sich geräuschvoll und legte ihr Besteck achtsam beiseite. „Alya, mäßige deine Lautstärke und sprich nicht so mit deinen Eltern.“ Niemand schaffte es, so leise und gleichzeitig bedrohlich zu sprechen, wie meine Mum. „Und wenn du die letzten Jahre etwas aufmerksamer gewesen wärst, wäre dir sicher aufgefallen, dass wir Noah sehr gerne haben und euch beide auch immer unterstützt haben. Natürlich ist es nicht unsere Entscheidung, was du fühlst, aber wir kennen euch beide sehr gut, und selbst ein Blinder würde sehen, dass ihr zusammen gehört.“ Ich fühlte mich so, als würden die anderen mich für absolut dumm halten. Meine Eltern waren nicht die ersten, die in den letzten Tagen behauptet hatten, dass Noah und ich zusammen gehören und sie alle gaben mir das Gefühl, ich wäre verwirrt und mir über meine Gefühle lediglich nicht im Klaren. Es gab weniges, das mich so schnell an den Rand der Weißglut brachte, wie wenn man mich nicht ernst nahm und tatsächlich bebten meine Lippen auch schon vor Wut. Da legte sich auf einmal Noahs Hand besänftigend auf meinen Arm und streichelte auf und ab. Zuerst war ich perplex. Seine Berührung brachte mich völlig aus dem Konzept. Meine ganze Haut kribbelte und am liebsten wollte ich diesen zarten Kontakt ein wenig ausweiten. Mit großen Augen sah ich ihn an, während er mich so liebevoll anblickte, als hätten wir uns die letzten zwei Tage nicht nur durchgehend gestritten. Als würde ich ihn nicht alle paar Sekunden abweisen und vor den Kopf stoßen. Er beugte sich zaghaft zu mir rüber und nahm seine Hand von meinem Arm. Sofort wurde die Stelle eiskalt und ich wollte ihn innerlich anflehen, seine Hand wieder zurück zu legen. Aber ich tat es nicht. Zu sehr hatte ich Angst, einen Hoffnungsschimmer in seinen Augen entflammen zu sehen, den ich nur gleich wieder vertreiben würde. „Wir werden nicht mehr darüber reden, okay, Krümelmonster?“ Riss seine sanfte Stimme mich aus der Betrachtung seiner wundervollen Augen. Ich wusste, was er meinte. Wir würden nicht mehr über uns reden. Dass er mich Krümelmonster nannte, war eine Art Friedensangebot. Als er mir seine Liebe gestanden hatte, hatte er mich Alya genannt, als er meinte, dass er eifersüchtig war, auch. Dass er nun wieder auf meinen Kosenamen wechselte, zeigte mir, dass er sah, wie sehr ich mich im Moment unter Druck gesetzt fühlte. Als mein Dad sich lautstark räusperte, zuckte ich zusammen. Ich hatte Noah wohl die ganze Zeit angestarrt. „Unser Essen wird noch kalt.“ Meinte Dad und schaufelte sich beinahe gleichzeitig einen großen Happen Gemüselasagne in den Mund. Dafür erntete er von Mum einen missbilligenden Blick, bevor sie noch einmal zu mir sah. Sie wirkte nicht zufrieden damit, dass Noah mir versprochen hatte, dass Thema fallen zu lassen, doch sie riss sich zusammen und begann über ihre Wochenendpläne zu sprechen. „Harry und ich“ begann sie. Harry war mein Dad. „wollten über das Wochenende zu Tante Kaitlyn, weil sie letzte Woche Geburtstag hatte und Hannah aber weg ist.“ Hannah war Tante Kaitlyns Tochter und mit Abstand meine Lieblingscousine. Hailey strahlte begeistert. Sie mochte Tante Kaitlyn, weil diese ihre Leidenschaft für das Klavierspielen teilte und die beiden immer gemeinsam über Musik fachsimpeln konnten, was in dieser Familie aber praktisch unmöglich war. „Ich komme mit.“ Entschied sie deshalb auch sofort. Nun sah meine Mutter mich an. „Ich denke nicht, dass ich mitkomme, wenn Hannah nicht da ist.“ Sagte ich also. „Außerdem wollte ich mich am Wochenende mit Claire und Melody treffen.“ Wir hatten abgemacht, Mission Clarke ein wenig voran zu treiben und das Wochenende nicht ungenutzt zu lassen, da er sich über die Woche nicht mehr bei Claire gemeldet hatte. Ich sah Noah an, dass er sich ein wenig versteifte. Vermutlich dachte er, Mason würde auch dabei sein, doch das war nicht der Fall. Also, zumindest war es nicht geplant. „Eigentlich soll es ein Mädels Treff werden.“ Gab ich ihm also die beruhigende Information und sofort entspannte er sich wieder. Nur weil ich nicht mit ihm zusammen sein wollte, musste ich es ihm ja nicht schwerer als ohnehin schon machen. Die kleine Stimme in meinem Hinterkopf, die mir sagte, dass ich mich über Noahs eifersüchtige Reaktion freute, ignorierte ich geflissentlich. Sie hatte Unrecht.
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