„Alya Schatz?“ Meine Eltern standen scheinbar beide vor der Tür. „Ja, was ist?“ gab ich nur genervt von mir, weshalb sie mir einen missbilligenden Blick schuldeten. Meine Mutter äußerte sich zuerst. „Sei nicht so abweisend zu Noah. Der arme Junge kann doch nichts für seine Gefühle.“ Versuchte sie gerade wirklich, mir diesbezüglich ins Gewissen zu reden? Es dauerte noch einige Sekunden, bis mir die entscheidende Erkenntnis kam und ich ausrastete. „Woher wisst ihr überhaupt davon? Hat er mit euch darüber geredet? Wie könnt ihr ihn nur unterstützen?“ Meine Stimme war eine Oktave nach oben gewechselt und ich konnte leider nicht verhindern, dass ich hysterisch klang. Meine Mutter kam seufzend auf mich zu und legte beschwichtigend ihre Hand an meine Wange. „Atme tief ein und aus! Dann beruhigst du dich von selbst.“ Versuchte sie gerade, mich zu therapieren? Ich hasste es, wenn sie das tat. „Ich will mich aber nicht beruhigen“ Wütend schlug ich ihre Hand beiseite und sie seufzte genervt. „Du benimmst dich wie ein pubertärer Teenager!“ Stellte sie fest. „Das bin ich ja auch!“ Giftete ich also. Ich hatte keine Lust, mich erwachsen zu nehmen, denn wenn ich vor einer Stunde noch dachte, mich langsam beruhigt zu haben, so war ich jetzt wieder auf hundertachtzig. „Alya, Noah ist ein anständiger Kerl und er ist immer für dich da gewesen. Glaubst du, für ihn ist die Situation gerade einfach? Niemand zwingt dich, ihm eine Chance zu geben, aber du hast kein Recht, sauer auf ihn zu sein!“ Versuchte sie zu erklären, als mein Vater sich einmischte: „Naja, eigentlich würden wir uns schon alle wünschen, dass du ihm eine Chance gibt’s. Ihr gehört schließlich zusammen!“ Wieso zum Geier sagten das nur alle? Ich wollte einfach nur schreien, toben und um mich schlagen, weil ich mit dieser absurden Situation nicht zurechtkam. „Bitt lasst mich einfach in Ruhe.“ Maulte ich also beherrscht.
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Auch der nächste Tag gestaltete sich als der absolute Horror. Ich hatte die ganze Nacht kaum geschlafen, weshalb meine Augenringe nicht zu verbergen waren. Als ich dann vor der Schule stand, wurde ich sofort von Claire und Melody mit Fragen über mein gestriges Date bombardiert, doch ich war nicht dazu in der Lage, eine einzige zu beantworten. „Bitte, können wir das Thema wechseln?“ hatte ich ein wenig hilflos gefragt, doch daraufhin waren die Fragen nur mehr geworden, weil sie sich nun Sorgen machten, dass etwas Schlimmes geschehen war. Als sie dann plötzlich geschrien hatten, dass Mason gerade auf uns zukam, war ich geflüchtet. Ich wusste, dass ich ihm keine weiteren Hoffnungen machen durfte, wenn ich die ganze Nacht nur über Noah nachgedacht hatte, aber ich wollte auch nicht, dass er sich fragte, was er falsch gemacht hatte, denn unser Date war nahezu perfekt gewesen. Wir hatten gelacht und uns gut verstanden und ich hatte mir gestern sogar vorstellen können, ihm näher zu kommen, oder zumindest einem weiteren Date zuzustimmen, doch jetzt wusste ich, dass ich nie einen anderen als Noah wollen würde. Nicht auf diese Weise. Außerdem würde Claire sauer auf mich sein, denn auch wenn ich Mason von Anfang an gesagt hatte, dass das Date einem Versuch und keiner Zusage glich, wäre sie mit Sicherheit der Meinung, dass ich ihm falsche Hoffnungen gemacht hatte, weil Noah ja scheinbar doch schon immer mein Traumprinz war. Auch in der ersten Pause versteckte ich mich auf dem Klo, doch bald wurde mir bewusst, dass das keine Lösung war, und ich das nicht den ganzen Tag machen konnte. Also lief ich in der Mittagspause zielstrebig auf unseren Tisch zu. Dafür erntete ich von meinen Freunden einen erstaunten Blick. „Wir dachten schon, du lässt dich den ganzen Tag nicht blicken.“ Sagte Melody trocken und ich seufzte. In unangenehmen Situationen haute ich normalerweise immer ab. Ich war nicht so der Fan von Konfrontationen. Und ich hatte die Erfahrung gemacht, dass meine Probleme sich gerne von selbst lösten, wenn ich ihnen fernblieb. „Hi“ murmelte ich verlegen und starrte auf den Boden, weil ich nicht in Masons Richtung sehen müssen wollte. „Tut mir leid“ fügte ich noch an. „Vergeben und vergessen“ Kam es in einem so kühlen Ton von Melody, dass Außenstehende gedacht hätten, sie würde mich hassen wie die Pest, doch zum Glück wusste ich es besser. Melody klang einfach immer sehr kühl und emotionslos, selbst wenn sie sich gerade unheimlich über etwas freute. „Können wir später reden?“ Fragte Mason freundlich und ich wusste nicht, ob ich besser damit umgehen könnte, wenn er jetzt sauer auf mich war. „Klar“ Sagte ich und nickte.
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„Also? Was ist los gewesen?“ Fragte Mason direkt, als die Schule aus war und wir vor dem Schulgebäude standen. Ich seufzte. „Es ist nicht so leicht zu erklären… Ich weiß es selbst nicht so genau.“ Toll, wie ich ihm das erklärt hatte. Jetzt verstand er mich sicher viel mehr als davor. „Es ist nur so, dass mir klar geworden ist, dass wir beide einfach nur Freunde sind.“ Er kratzte sich betreten an der Stirn und sah verletzt zu Boden. „Habe ich etwas falsch gemacht?“ Erkundigte er sich niedergeschlagen. Ich schüttelte den Kopf. „Nein hast du nicht. Der Abend gestern war wirklich toll, aber ich habe das Gefühl, dass wir als Freunde einfach besser harmonieren. Ich meine, du bist toll, auch wenn ich dir das sicher nicht sagen muss. Nur kann ich halt nicht ändern, wie ich dich sehe…“ Versuchte ich, ihm zu erklären und ihn gleichzeitig zu beschwichtigen. Auch er seufzte und ließ die Schultern sacken. „ich hätte es mir ja eigentlich schon denken können.“ Er klang bitter und das schlechte Gewissen breitete sich in mir aus, wie zähflüssiger und klebriger Honig. So schnell war ich es wohl nicht los. „Es tut mir wirklich leid“ beteuerte ich erneut und nahm ihn beschwichtigend in den Arm. „Wir sind aber trotzdem noch Freunde, oder?“ Nuschelte ich in seine Schulter. Als er meine Umarmung erwiderte, brauchte ich keine weitere Antwort. Ein lautes Hupen ließ uns zusammenzucken und wir lösten uns reflexartig voneinander. Ich sah mich um, um zu ergründen, von wo das Geräusch gekommen war und erblickte merkwürdigerweise Noahs Auto. Als ich wieder zu Mason sah, hatte er so einen Blick der Erkenntnis aufgesetzt und wirkte total enttäuscht. Ich seufzte. „Es liegt nicht an Noah“ log ich ihm eiskalt ins Gesicht. „Ich wusste nicht mal, dass er mich heute abholt, ich bin eigentlich mit dem Fahrrad da.“ Mein Kopfnicken zeigte in Richtung der Fahrradständer. „Passt schon“ Masons Zähne waren zusammengebissen, als er ging. Mittlerweile war Noah aus dem Wagen ausgestiegen und kam mit einem ähnlichen Gesichtsausdruck auf mich zu. Wieso konnte man es eigentlich nie jemandem Recht machen? „Ich bringe dich morgen früh zur Schule. Du kannst dein Rad hierlassen.“ Entschied er und weil ich keine Lust auf einen Streit auf dem Schulhof hatte, folgte ich ihm. Konfliktscheu eben.
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Die ganze Fahrt über hatte Noah kein Wort gesagt, und als wir bei mir zuhause angekommen waren, war er mir weiterhin schweigend in mein Zimmer gefolgt. Dort explodierte er dann. „Wie kannst du, einen einzigen Tag nachdem ich dir gesagt habe, dass ich dich liebe, schon wieder in den Armen eines anderen liegen? WIE, Alya?“ Brüllte er. Wow. Kleines Aggressionsproblem. Da ich diesem Konflikt allerdings nicht aus dem Weg gehen konnte, und es mich ankotzte, dass Noah mich behandelte, als hätte er irgendeinen dämlichen Anspruch und ich könnte nicht mehr über mich selbst entscheiden, feuerte ich wütend zurück. „Wir sind kein Paar, Noah. Du hast kein Recht, dich wie mein eifersüchtiger Freund aufzuführen und ich möchte, dass du das bleiben lässt. Dein Verhalten gestern und heute ist einfach nur lächerlich. Wenn du wenigstens vernünftig mit mir reden würdest! Aber anstatt dessen gibst du mir das Gefühl, ich sei ein kleines Kind. Wenn du mich behandelst, als wären wir auf Augenhöhe, darfst du wieder kommen. Jetzt möchte ich, dass du gehst. Und wenn du dich bis morgen nicht wieder eingekriegt hast, laufe ich zur Schule.“ Innerlich klopfte ich mir auf die Schulter, allerdings machte Noah keine Anstalten zu gehen. Er packte wütend mein Kinn und zwang mich so, in seine wunderschönen Augen zu blicken. In ihnen tobte ein Sturm und dieser spiegelte sich auch in seinen nächsten Worten wider. „Natürlich darf ich eifersüchtig sein. Du bist die Frau, die ich liebe und mit der ich mein Leben verbringen will. Glaubst du ernsthaft, irgendwer an meiner Stelle würde tatenlos zusehen, wie du dich einem anderen hingibst? Außerdem behandele ich dich nicht wie ein Kind. Du hörst nur nie zu, wenn ich die Dinge normal sage.“ Ich hasste es, zu wissen, dass wir beide irgendwie Recht hatten. „Ich habe Mason eigentlich nur gesagt, dass das zwischen uns nichts wird.“ Gestand ich also, um den Streit zu besänftigen, auch wenn ich jetzt eigentlich nicht klein bei geben wollte. Noah zeigte die erwartete Reaktion. Er atmete erleichtert auf. Damit, dass er mich stürmisch in seine Arme zog, hatte ich allerdings nicht gerechnet. Als ich gegen seine Brust knallte, konnte ich gar nicht anders, als meine Arme um ihn zu schlingen. Er begann, mir zarte Küsse auf den Scheitel zu hauchen. Vielleicht arbeitete mein Gehirn auch nicht normal, aber das erste, was mir durch den Kopf schoss, war, dass ich gestern früh das letzte Mal meine Haare gewaschen hatte, und diese sicher wieder fettig wurden. Weil ich ihm das dann doch nicht zumuten wollte, schob ich ihn energisch von mir weg. Er reagierte mit einem Knurren darauf. „Wieso machst du das immer?“ Fragte ich also, weil dieses Geräusch mir so merkwürdig und unnatürlich vorkam. „Damit zeige ich, wenn mir etwas nicht passt.“ Antwortete er energisch und zog mich wieder an sich. Erneut schob ich ihn von mir. Dass ich Mason abgewiesen hatte, bedeutete nicht, dass ich vorhatte, mich in Noahs Arme zu werfen. „Ich schiebe dich weg, weil ich Abstand will und nicht, damit du mich wieder zu dir holst.“ Stellte ich klar und da war es wieder. Dieses teils wütende, teils genervte Knurren. „Und wenn ich dich an mich ziehe, heißt das, dass ich dir nahe sein will. Und du kannst mir einfach nicht erzählen, dass du das anders empfindest. Ich weiß doch, dass es nicht so ist!“ Es gab zwei Dinge, die mich an seiner letzten Aussage störten. Erstens, dass er das Gefühl hatte, zu wissen, was ich wollte und zweitens, dass er damit verdammt noch mal Recht hatte. „Ich bin müde.“ Erwiderte ich also nur, woraufhin er mich Richtung Bett schob. „Wir können ja kuscheln.“ Schlug er vor und in diesem Moment fiel für einen Moment mein ganzer Widerstand. Ich fühlte mich einfach nur kraft- und hilflos. Ich ließ zu, dass er mich sanft in mein Bett hob und sich dann neben mich legte, wobei er mich auf seinen Körper zog und fest mit seinen muskulösen Armen umschlang. Leider konnte ich nicht verhindern, dass Wärme durch meinen Körper durchströmte. Es war doch auch wie verhext, dass ausgerechnet der Mann, der wie ein Bruder für mich sein sollte, mein Herz derart zum Schlagen brachte.