„Man, war das eine Nacht. Ich dachte ja immer Marcus wäre gut, aber das waren wohl leider doch nur Gerüchte.“ Es war gerade mal zehn Uhr und Emma kam doch tatsächlich auf die Idee, dass sie mich jetzt volltexten konnte. Im Gegensatz zu mir brauchte Emma kaum Schlaf. Nach gefühlt vier Stunden war sie bereits ausgeschlafen und ehrlich gesagt beneidete ich sie darum. Jetzt sass sie auf meinem Bett, Croissants in der Hand und erzählte mir von Marcus. Ich sprach lieber nicht über meine Erlebnisse. Ich sagte ihr bloss, dass ich früh ins Bett gegangen war. Während ich Emmas belangloses Geschwafel ignorierte biss ich genüsslich in das Croissant. „Naja, angeblich ist Nate früher verschwunden und kam dann später ganz aufgelöst wieder. Um genau zu sein, ziemlich zerzaust. Bei ihren Worten horchte ich auf. Wollte er sich vielleicht noch auffälliger verhalten? „Naja, und dann hat er die Party beendet, weil jemand auf den teuren Teppich im Schlafzimmer seiner Eltern gekotzt hat. Zum Glück, dann hatte ich nämlich eine gute Ausrede, um vor Marcus abzuhauen“ Ich grinste. „Ich unterbreche dich ja nur ungern, aber ich habe dir gleich gesagt, dass der nicht so… talentiert aussieht“ Em lachte. „und wie immer hattest du Recht. Ich hätte einfach schon mit dir mitgehen sollen.“ Ich konnte nur nicken. Das hätte sie wirklich tun sollen, denn dann wäre Nate nicht mitgekommen und ich hätte mich der Versuchung nicht hingegeben. Innerlich stöhnte ich. Wieso war ich nur immer so unfassbar naiv und leicht um den Finger zu wickeln? Ich wollte gerade etwas sagen und hatte bereits den Mund geöffnet, da stopfte sie mir mein Croissant hinein und lachte sich schlapp. Auch ich musste glucksen, verschluckte mich allerdings sogleich. Emma schlug mir auf den Rücken, bis ich wieder wie ein normaler Mensch atmen konnte. „Sorry“ lachte sie mich etwa gerade aus? „Ich habe da übrigens noch eine Frage“ Begann sie und sah mir plötzlich so ernst in die Augen. „Klar, immer doch“ Emma und ich hatten eigentlich keine Geheimnisse voreinander. Das einziges, was ich ihr je vorenthalten hatte, war diese Sache mit Nate und die mit meinem Dad. „Wieso bist du wirklich so früh gegangen? War es, weil du mit Nate in den Schrank musstest? Hey, ich hätte das ja gerne verhindert, aber ich war ein bisschen zu besoffen“ Ich lächelte sie an. „Nein, ich hatte bloss auch ein wenig zu viel getrunken und mir war schlecht. Naja, das Spiel hat mir dann vermutlich den Rest meiner Laune verdorben, du weisst ja, dass ich so etwas eigentlich nicht so mag“ Verständnisvoll nickte Em. „Sorry, dass ich dich sozusagen gezwungen habe, mitzuspielen. Ich winkte ab. „Das passt schon, dafür weiss ich jetzt das Nate gut küsst“ versuchte ich zu spassen und gleichzeitig meine Worte weder schuldbewusst noch ernst klingen zu lassen. Am liebsten wollte ich einfach nur, dass das alles ganz schnell vorbei ging. „Hör mal Cassandra, ich glaube ich muss gleich gehen. Meine Mum hat mich schon viermal angerufen, während ich versucht habe dich zu wecken. Ich hab dich lieb, okay? Wir sehen uns Montag!“ Mit diesen Worten verabschiedete sich, nicht ohne den Teller mit ihrem angebissenen Croissant mitzunehmen. Das samstags Frühstück war so etwas, wie unsere kleine Tradition. Sie kam zu mir, weckte mich und dann assen wir gemeinsam. So wie beste Freunde das eben taten.
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„Mama?“ brüllte ich durch das stille Haus. Unten in der Küche ertönte ein Rumpeln. Ich runzelte die Stirn. „Mum?“ rief ich erneut. Die Frau war echt nie zu finden! Da sie erneut nicht antwortete, beschloss ich hinunterzugehen. Bereits als ich die Treppe hinunterlief roch ich das etwas anders war. Da lag ein schwerer Geruch in der Luft, irgendein teures Herrendeo wäre mein erster Tipp gewesen. PENG! Laut schepperte irgendetwas auf den Boden. Misstrauisch inspizierte ich die Garderobe. Da standen Schuhe, die eindeutig weder meiner Mutter noch mir gehörten. Mum hatte doch nicht etwa? Alles in mir weigerte sich, diese absurde Theorie zu glauben. Mum liebte Dad, so etwas würde sie ihm niemals antun. Nicht für alles Geld auf der Welt! Bestärkt in meinem Glauben betrat ich die Küche. Und musste einen Würgereiz unterdrücken. Gleichzeitig zog sich in mir alles zusammen und ich spürte wie meine Augen feucht wurden. Mit einem lauten Scheppern liess ich mein Handy fallen, das knirschende Geräusch gab mir zu verstehen, dass ich soeben mein Display geschrottet hatte, und soweit ich es gerade in meiner überforderten Situation konnte, hoffte ich, dass es noch funktionierte. Also doch. Dort, auf unserem Küchentisch lag meine Mum unter einem fremden Typen und die beiden küssten sich sehr heiss und innig. Ich konnte noch von Glück reden, dass sie ihre Klamotten noch anhatten. Die beiden schienen mich noch nicht wirklich wahrgenommen zu haben, deswegen räusperte ich mich noch einmal laut, unschlüssig wie ich mit der Situation umgehen sollte. „Mum, da essen wir drauf!“ Ich wusste gar nicht, ob meine Stimme gerade geschockt oder empört klang. Vielleicht war es auch eine Mischung aus beiden. Dass der Ekel in meiner Stimme mitschwang, war jedenfalls offensichtlich. Meine Mum liess von den Lippen des Fremden ab und richtete sich geschockt auf. Dabei verpasste sie ihm eine Kopfnuss, woraufhin er sich schmerzverzehrt die Stirn hielt. „Cassie!“ hauchte sie. Okay, ich hatte gelogen. Meine Mum gab mir ebenfalls einen Spitznamen, wobei ich ihr den nicht gestattet hatte. „Nichts Cassie! Du bist scheisse nochmal verheiratet und liebst Dad! Ausserdem ist das eklig!“ Der Mann, den sie geküsst hatte, senkte betreten den Kopf. Als ich ihn betrachtete, fiel mir auf, wie jung er aussah. Höchstens fünfundzwanzig Jahre. Tatsächlich sah er ausserordentlich gut aus. Sportlich, männlich, aber jung. Seit wann war meine Mum denn so drauf!? Und seit wann stand sie auf jüngere? Sie war zwanzig scheiss Jahre älter als dieser Typ! Am liebsten wollte ich würgen, doch ich hielt mich zurück. „Cassie, hör zu…“ begann sie. Ich schüttelte den Kopf. Davon brauchte ich jetzt einfach Abstand. Ohne meiner Mum noch einen Blick zuzuwerfen bückte ich mich, hob mein Handy hoch und stürmte aus dem Haus. Ich vergass sogar, nach einer Jacke zu greifen, was ich jedoch bitter bereute, als ich an die kühle Luft trat. Zurückgehen würde ich aber definitiv nicht. Ich rannte einfach nur. Davon, weg von meinen Problemen und meiner verschrobenen Mutter. In mir versuchte ich immer noch zu verarbeiten, was ich da gerade gesehen hatte. Der Kloss in meinem Hals löste sich jedoch nicht, sondern verstärkte sich nur noch. Unschlüssig was ich tun sollte schaltete ich mein Handy an. Na toll. Es war kaputt. Fluchend liess ich mich auf den Bordstein fallen. Damit war das Wochenende ruiniert. Ob ich zu Emma gehen sollte? Eigentlich würde ich dazu niemals ‚nein‘ sagen, aber ehrlich gesagt wollte ich Charles nicht begegnen. Er gehörte zu der Sorte Menschen, die immer irgendwie wahrnahmen, wenn es einem schlecht ging, nur dass er mich damit aufziehen würde, anstatt sensibel zu sein.