KAPITEL 2
Mak betrat den Wohnbereich seiner Eltern und suchte nach seinem Vater. Er knurrte missmutig, als er feststellte, dass weder sein Vater noch seine Mutter anwesend war. Frustriert ging er zur großen Fensterfront, die einen Blick auf die riesigen Palastgärten bot, die seine Mutter so sehr liebte. Er atmete tief durch, um sich zu beruhigen, bevor er seine Suche fortsetzte.
Mak zog ein Bild aus seiner Westentasche und betrachtete es zum zigsten Mal. Tief in seinem Inneren spürte eine brennende Wut. Er wollte diese Frau und wusste, dass sie ihm gehörte. Seit er ihr Bild gesehen hatte, schien sie jeden Augenblick seines Lebens zu beherrschen, ganz gleich, ob er nun wach war oder schlief. Nicht einmal wenn er für den Kampf trainierte und die neuen Krieger in der Ausbildung besiegte, erschöpfte ihn das genug – er träumte trotzdem von ihr. Er hatte den Rat und seinen Vater um Erlaubnis gebeten, sie hierher zu bringen, doch die Erlaubnis war ihm verweigert worden. Der Rat wartete noch immer auf Borjs Rückkehr, zusammen mit der Mutter der Gefährtin seines Bruders. Zudem herrschte große Besorgnis wegen des Menschenmannes, der noch immer auf freiem Fuß war.
Mak fuhr mit dem Finger über die Wange der Frau auf dem Bild und betrachtete ihre Augen. Etwas in ihren Augen sprach ihn an. Er verspürte das Bedürfnis, die Schatten, die sie verfolgten, verschwinden zu lassen. Als er ihr Bild zum ersten Mal sah, schien sich seine ganze Welt auf sie zu konzentrieren, bis nichts anderes mehr zählte: er wollte sie finden, halten und sie beschützen. Noch nie hatte er allein beim Anblick eines Bildes so starke Gefühle empfunden.
Tansy, dachte Mak und ließ sich ihren Namen auf der Zunge zergehen.
Es war ein ungewöhnlicher Name für eine ungewöhnliche Frau. Mak lächelte, während sein Blick erneut über das Bild glitt, das er mittlerweile in sein Gedächtnis eingebrannt hatte. Sie hatte mehr Kurven als ihre Schwestern, ihre Haarfarbe war eine Mischung aus dem roten Sand hier und den riesigen Bäumen, die sie umgaben. Es war kein helles Rot, sondern ein dunkles, sattes Rot mit mahagonifarbenen Schattierungen.
Sie sah auf das Meer hinaus, mit einem abwesenden Blick, als wäre sie tief in Gedanken versunken. Das weiße Hemd mit den langen Ärmeln, das sie trug, bauschte sich im Wind. Es wurde gerade so weit aufgeweht, dass man die Ränder der kleinen Dreiecke sehen konnte, die ihre vollen Brüste bedeckten. Sie trug eine kurze, hellbraune Hose und dünne Ledersandalen an den Füßen. Doch es war vor allem ihr Gesichtsausdruck, der Mak nicht losließ. Er konnte die Geheimnisse in ihrem Gesicht sehen. Geheimnisse, die er entdecken, ergründen und an denen er teilhaben wollte.
„Mak“, sagte eine sanfte, weibliche Stimme. „Was ist mit dir?“
Mak blickte auf und seine Miene wurde weicher, als die Frau sich näherte. „Nichts“, sagte er und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen.
Terra kicherte und schüttelte den Kopf. „Das glaube ich dir nicht. Du hast ausgesehen, als würdest du gern jemanden umbringen“, sagte Terra und besah sich das Bild in Maks Hand hielt. „Wer ist diese Frau?“
Mak blickte kurz auf das Bild, bevor er es vorsichtig in seine Westentasche schob. „Niemand“, antwortete Mak unwirsch.
Terra sah Mak nur schweigend an und sagte kein Wort. Mak spürte, wie er innerlich laut aufstöhnte. Er hasste es, wenn sie das tat! Darin war seine Schwester ihrer Mutter Tresa sehr ähnlich. Wann immer eine der Frauen in seiner Familie die männlichen Familienangehörigen, einschließlich ihres Vaters, so ansah, wussten sie, dass sie dem Untergang geweiht waren.
„Es ist die Schwester von J'Kars Gefährtin. Ihr Name ist Tansy“, sagte Mak zögerlich.
Terra lächelte ruhig und fragte dann leise: „Du denkst, sie könnte deine Gefährtin sein, nicht wahr?“
„Ich hasse es, wenn du so bist, weißt du das?“, Mak stöhnte erneut. „Ja, ich weiß, dass sie meine Gefährtin ist. Das ist die einzige Erklärung, weshalb ich so auf ihr Bild reagiere.“
„Woher weißt du es?“, fragte Terra neugierig. „Borj empfand dasselbe gegenüber der Frau, die er holen wollte. Doch wie kannst du es ohne die Paarungszeremonie wissen?“
Mak zuckte mit den Schultern und sah erneut aus dem Fenster. „Ich kann nicht aufhören, an sie zu denken. Ich sehe sie in meinen Träumen, und ich verspüre einen tiefen Schmerz, denn ich möchte sie sehen, sie berühren. Dieser Schmerz frisst mich bei lebendigem Leib auf.“ Mak drehte sich um und sah seine jüngere Schwester traurig an. „Ich brauche sie und ich beabsichtige, sie zu holen.“
Terra erschauerte, als sie die kalte Entschlossenheit in Maks Stimme hörte. Sie fragte sich, ob ein Mann jemals diese tiefe Entschlossenheit und ein Verlangen nach ihr verspüren würde. In den vergangenen Jahren hatte sie an mehreren Paarungszeremonien teilgenommen, in der Hoffnung, ihren eigenen Gefährten zu finden, doch bislang ohne Erfolg. Oft fragte sie sich, ob sie dazu bestimmt war, allein zu leben.
Solange ich meine Forschung habe, wäre das kein großes Opfer, dachte Terra.
Doch seit sie Tink, die Gefährtin ihres Bruders, kennengelernt hatte, war sie neugieriger. Tink war so anders als alle Frauen, die Terra kannte, und Tinks körperliche Reaktion auf J'kar ließen Terra oft erröten, wenn sie sich gerade in der Nähe aufhielt. Terra hatte selbst bei ihren Eltern ein anderes Verhalten bemerkt, seit J'kar Tink in ihre Welt gebracht hatte.
Ihre Mutter schien zu strahlen und ihr Vater … Terra schüttelte den Kopf. Sie verstand nicht, was vor sich ging, und als Heilerin und Wissenschaftlerin empfand sie es als frustrierend, so viele Fragen und nur wenige Antworten zu haben.
„Dann musst du sie herbringen“, sagte Terra schließlich.
„Vater und der Rat haben meine Bitte diesbezüglich abgelehnt. Deshalb bin ich hier. Ich werde Vater sagen, dass ich diese Frau mit oder ohne seine Erlaubnis herholen werde“, knurrte Mak regelrecht.
Terra lachte und schüttelte den Kopf. „Das ist nicht die richtige Art, sich Vater zu nähern.“
„Was schlägst du stattdessen vor?“, stieß Mak frustriert hervor.
„Bitte Mutter um Hilfe“, sagte Terra augenzwinkernd. „Sie lernt viel von Tink. So war es Borj möglich, zu gehen. Mutter hat Vater in gewisser Weise überredet“, sagte Terra leise und legte verständnisvoll eine Hand auf Maks Arm. „Frag sie. Sie wird dir helfen.“
Mak hasste es, auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Gewöhnlich tat er einfach, wonach ihm der Sinn stand. Doch in diesem Fall würde er Hilfe brauchen, das wusste er. Wenn er nicht die Erlaubnis seines Vaters und des Rates hatte, konnten sie ihm seinen Anspruch auf die Frau verweigern – selbst wenn Tansy seine Gefährtin war. Und das würde für ihn und auch für die Frau, die er wollte, das Todesurteil bedeuten.
Er fuhr sich mit der Hand über den Nacken und schaute erneut aus dem Fenster. Er riss die Augen auf, als er seine Mutter unter einem der großen Bäume hervorkommen sah. Sie strauchelte, ihr Haar war zur Hälfte hochgesteckt und zur Hälfte heruntergelassen und ihr Kleid war … zerrissen? Ruckartig trat er näher an das Fenster. Er dachte, seine Mutter sei von einem Mann vergewaltigt worden, doch dann sah er seinen Vater, wie er eilig unter demselben Baum hervorkam. Er schloss seine Hose, sein Hemd sah aus, als wäre es auf links gedreht.
Mak beobachtete verwundert, wie sein Vater hinter seiner Mutter auftauchte, sie packte und sie leidenschaftlich auf den Hals küsste. Seine Verwunderung verwandelte sich in Fassungslosigkeit, als er sah, wie seine Mutter mit einer Hand die Brust seines Vaters streichelte, und mit der anderen seinen Kopf zu sich hinab zog.
„Ich habe es dir doch gesagt“, sagte Terra mit einem wissenden Lächeln. „Seit Tink hier ist, verhalten sich die beiden ganz anders.“
Mak merkte, dass er plötzlich steinhart war. Zum ersten Mal in seinem Leben war es ihm peinlich, und er wollte auf keinen Fall, dass seine Schwester sah, wie sehr ihn der Anblick seiner, leidenschaftlichen Eltern erregte. Stattdessen biss er die Zähne zusammen und nickte ihr zu, dann eilte er davon.
Ich muss ein paar von den neuen Kriegern so richtig verprügeln, und zwar in einer langen Trainingseinheit, dachte er und biss die Zähne zusammen, da sein Schwanz an der Vorderseite seiner Hose scheuerte. Ich werde das tun, nachdem ich in mein Wohnquartier gegangen bin, um den Druck zu lindern.
* * *
Später an diesem Tag erfuhr Mak, dass Borj zurückgekehrt war, und zwar nicht nur mit Tinks Schwester Hannah, sondern auch mit ihren Eltern. Borj befand sich in einer langen Besprechung mit seinem Vater und dem Rat. Er dachte an die Ratschläge seiner Schwester. Terra war neben seiner Mutter die klügste Frau, die er kannte. Mak und Terra hatten sich stets sehr nahegestanden. Er war sehr beschützend gegenüber seiner Schwester und würde alles tun, damit sie sicher und glücklich war.
Seine Mutter wusste als Einzige, dass man letztes Jahr versucht hatte, Terra zu entführen. Selbst Terra wusste nichts davon. Tresa hatte Mak schwören lassen, seinem Vater nichts von dieser Angelegenheit zu erzählen. Sie wusste, dass Teriff Terra ansonsten auf die Insel der Auserwählten schicken würde.
Die Insel der Auserwählten war wie ein Gefängnis für Frauen, die noch keinen Gefährten hatten. Die Frauen wurden solange dorthin geschickt, bis ein Gefährte für sie gefunden wurde. Das geschah entweder durch die Paarungszeremonie, ansonsten wurde sie während einer Paarungszeremonie einfach als Gefährtin für jemanden bestimmt, bevor sie das Alter von dreißig Zyklen erreicht hatte.
Tresa wusste, dass Terra an einem Ort wie der Insel der Auserwählten langsam sterben würde. Mak verstand seine sanfte Schwester und stimmte seiner Mutter zu. Die beiden Männer, die versucht hatten, Terra zu entführen, um sich mit ihr zu paaren, starben einen langen und qualvollen Tod. Die Hoffnung ihres Clans, eine Einigung mit dem 'Tag Krell Manok Clan zu erzwingen, starb mit ihnen. Mak empfand keinerlei Skrupel, als er die Männer umbrachte. Sie hatten sich nichts dabei gedacht, seine Schwester mit einer Vergewaltigung zu einer Einigung zwingen zu wollen. Mak hatte weder die Sympathie noch die Geduld für jemanden, der Schwächere ausnutzte. Als einer der stärksten Krieger hielt er es für seine Pflicht, diejenigen zu beschützen, die dies selbst nicht vermochten.
Mak ging den g**g entlang zum Wohnbereich seiner Eltern und bog gerade um die Ecke, als seine Mutter herauskam. Er blieb stehen und wartete, während sie auf ihn zukam. Terra hatte Recht. Seine Mutter hatte eine Ausstrahlung, wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte. Ihre Schritte waren beschwingt, und ihre Haut und ihre Augen schienen zu leuchten und er erkannte, was für eine bezaubernde Frau sie war. Er schüttelte den Kopf angesichts dieser seltsamen Gedanken, die ihn beschlichen, seit er das Bild der Frau gesehen hatte, die er begehrte. Er fragte sich, ob er allmählich verweichlichte.
„Weshalb die gerunzelte Stirn, mein Sohn?“, fragte Tresa leise, als sie sich näherte.
Mak schüttelte erneut den Kopf. „Du und Terra seid unheimlich, weißt du das?“
Tresa lachte. „Hat sie dir diesen besonderen Blick zugeworfen?“
„Ja“, stöhnte Mak.
„Geh ein Stück mit mir. Was kann ich tun, um dir zu helfen?“, fragte Tresa, während sie ihren Arm um Maks riesigen Unterarm schlang. „Ich bin auf dem Weg zu J'Kars Wohnquartier. Ich möchte Tinks Eltern und ihre Schwester kennenlernen.“
„Ich würde ihre Schwester ebenfalls gern kennenlernen“, brummte Mak. „Allerdings nicht die, mit der Borj zurückgekehrt ist.“
Tresa sah Mak ins Gesicht. Von allen ihren Kindern war er derjenige, um den sie sich am meisten sorgte und den sie besonders liebte. Trotz seiner Wildheit empfand er eine gewisse Sanftmut für diejenigen, die kleiner und schwächer waren. Er war selbst für Prime-Verhältnisse ein sehr großer Mann. Es brach ihr das Herz, wenn sie Zyklus für Zyklus die Paarungszeremonie beobachtete und sämtliche Frauen, denen er vorgestellt wurde, vor ihm zurückschreckten. Selbst die Krieger im Palast wichen ihm aus, wenn er einen g**g entlangging. Mit seinen fast 2,30 Metern reiner Muskelmasse war er größer als alle anderen.
„Ich glaube, Tink hat gesagt, dass ihr Name Tansy ist“, sagte Tresa sanft.
Mak nickte kurz. „Ja. Ich will sie haben.“
Tresa hielt überrascht inne, da sie die Verzweiflung in Maks Stimme hörte. Sie sah einen Moment lang in die harten Gesichtszüge ihres Sohnes und lächelte dann. Mak hatte seine Gefährtin gefunden, diesbezüglich hatte sie keinerlei Zweifel. Sie hoffte nur, dass die Menschenfrau über sein kantiges Äußeres und seine riesige Gestalt hinwegsehen konnte und keine Angst vor ihrem Sohn haben würde.
„Dann sollst du sie haben“, sagte Tresa ruhig und bestimmt. „Ich werde mit deinem Vater sprechen.“