Prolog

858 Words
Herbst 1548 Ein kalter Windhauch fuhr durch die riesigen Eichen, die dicht gedrängt um mich herumstanden und ließ sie leise flüstern. Sie erzählten Geschichten aus längst vergangenen Tagen, die keiner mehr zu hören schien und alle schon längst vergessen hatten. Doch ich verstand sie, hörte ihre anklagenden Worte. Es fröstelte mich und ich zog mir den Mantel enger um meinen schlotternden Oberkörper. Ich hätte mir etwas Wärmeres anziehen sollen und bereute es nun, ihre gut gemeinten Anweisungen nicht befolgt zu haben. Aber ich war zu wütend gewesen. Dass es auch immer so enden musste! Wir bekamen uns einfach ständig in die Haare und zurzeit war es besonders schlimm. Ich hatte ihr gesagt, dass sie sich besser von mir fernhalten sollte, aber ebenso dumm wie die anderen davor, war sie geblieben. Und ich wusste, wie es enden würde. Kannte das Ende schon, bevor es überhaupt eintrat. Es war jedes Mal das Gleiche und deshalb trotzdem nicht minder schmerzhaft. Im Gegenteil. Es schien fast so, als würde es von Mal zu Mal schlimmer werden, ganz egal, was ich auch tat. Mit einem erschöpften Stöhnen rieb ich mir über die müden Augen. Wie oft hatte ich das jetzt schon erlebt? Tausendmal? Hunderttausendmal? Ich hatte aufgehört zu zählen. Hatte aufgehört, mir ihre Namen und ihre Gesichter zu merken. Denn das schmerzte nur noch um so mehr. Und genauso würde es auch mit ihr passieren. Sie würde ein weiterer Fehler in meinem gottverdammten, nichtsnutzigen Leben sein. All ihre Bemühungen brachten nichts. Sie konnte nichts dagegen tun, was mit ihr geschah. Sie würde ebenso in diese Schwärze hinabgezogen werden, die mir nachts oft bis in meine Träume folgte, wie alle anderen vor ihr auch. Und ich würde weiter durch die Welt streifen. Noch immer dazu verdammt, alles, was mir auch nur ein kleines bisschen etwas zu bedeuten schien, in die Schwärze hinabzureißen. Mit der Zeit, die verstrich, als hätte sie keinerlei Bedeutung, hatte sich nur eines verändert. Es tat mir nicht mehr leid. Am Anfang war ich von Schuldgefühlen zerfressen gewesen, nun nahm ich es nur noch als gegeben hin. Es war meine Bürde, immer wieder von neuem jemanden wie sie zu finden und ins Verderben zu stürzen. Daran konnte man nichts ändern, auch wenn ich es mir oft gewünscht hatte. An das erste Mal erinnerte ich mich jedoch noch viel zu genau. Es war, als wäre es erst gestern gewesen. Die Bäume um mich herum raschelten und schwankten heftig im Wind. Ja, sie wussten es, kannten die Geschichte. Marianna hatte sie geheißen. Ein kleines, süßes, unschuldiges Ding, das sich wie alle anderen zu mir hingezogen fühlte. Es war wie immer so furchtbar einfach gewesen, sie für mich zu gewinnen. Absolut keine Herausforderung. Wie sie sich ihrem Vater widersetzt hatte, nur um bei mir sein zu können! Dabei hatte er sie vor mir gewarnt. Hätte sie damals nur auf ihn gehört, vielleicht hätte sie dann etwas länger auf der Erde verweilen dürfen. Aber sie war zu mir gekommen. Immer und immer wieder, schon bald abhängig von mir. Bis es dann eines Tages passiert war. Zuerst war da nur ein nebliger Rauch im Zimmer gewesen. Wir küssten uns leidenschaftlich und ich konnte noch genau ihr unbändiges Verlangen spüren, ihren Körper, der sich eng an meinen presste, als wäre es gerade eben erst gewesen. Wie ich es genossen hatte, mit ihren so offensichtlichen Gefühlen zu spielen! Doch dann war der Nebel dichter geworden. Ich hatte mich verdutzt umgeblickt, aber sie schien es gar nicht bemerkt zu haben. Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter, wenn ich mich an das Bild zurückerinnerte. Und da war zum ersten Mal die Schwärze erschienen. Sie war nicht wie die Schwärze in einer mondfinsteren Nacht, sondern eine Schwärze, die alles zu verschlingen drohte, was sich ihr in den Weg stellte. Schwärzer als alles, was es auf der Erde je gegeben hatte. Sie schien ein Eigenleben zu führen und hatte sich langsam um Mariannas Fuß geschlungen. Ein heiserer Schrei war meiner Kehle entwichen und ich hatte sie heftig von mir gestoßen, was sie zurücktaumeln ließ. Entsetzen hatte sich in ihrem wunderschönen Gesicht ausgebreitet und es in eine hässliche Fratze verwandelt, doch es war bereits zu spät gewesen. Die Schwärze ergriff nun von ihrem ganzen Körper Besitz, als wäre es ihr Eigentum und stahl sich in ihre Augen. Diese Augen waren das Schrecklichste, was ich je zuvor gesehen hatte. Sie waren stumpf, groß und grau und in ihnen herrschte eine Ausdruckslosigkeit vor, die jedes Mal wieder mein Herz in Stücke zerriss, wenn ich sie sah. Und dann hatte der Schatten sie mitgenommen. Weggebracht an einen Ort, wo es kein Leben gab. Doch mich hatte er zurückgelassen. Zurückgelassen mit der Bürde, allein zu sein und für ihn immer wieder neue, wehrlose Opfer zu finden. Denn ich war gebrandmarkt. Es war vor langer Zeit mein eigener, unbedachter Fehler gewesen, der mich zu dem gemacht hatte, was ich nun war. Und so würde es auch für alle Zeiten bleiben. Ich konnte es nicht mehr rückgängig machen. Seufzend wandte ich mich ab und machte mich auf den Weg zurück zu meinem Landhaus, ganz genau wissend, was nun folgen würde. Und das anklagende Rauschen der Bäume begleitete mich.
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