Erstes Kapitel-1

1831 Words
Erstes Kapitel Oleg Kneipenschluss ist der schlimmste Moment jeder Woche für mich. Ich schütte den Rest meines Biers hinunter, stehe widerwillig von dem Tisch auf, an dem ich den ganzen Abend über gesessen habe. Story, meine amerikanische Schwalbe, und ihre Bandkollegen finden sich an der Bar ein, noch ganz aufgekratzt von einer weiteren legendären Aufführung. Ich zögere, aber es gibt einfach keine Ausreden mehr. Nicht, wenn Rue, die Kneipenbesitzerin mit dem Irokesenschnitt, schon die Neonbeleuchtung angeknipst hat und die letzten Gäste rausscheucht. Nicht, wenn sie schon mit dem Finger auf mich zeigt und nachdrücklich Richtung Tür nickt. Ich habe keinen Grund, noch länger zu bleiben. Ich werde nicht hier herumhängen, bis ich den Mut gefasst habe, Story nach einer Verabredung zu fragen. Das wäre auch vollkommen unmöglich, ohne Zunge. Ich werde auch keine Geschichte erfinden, um mit ihr in Kontakt zu kommen. Ich bin nicht der richtige Kerl für sie. Das weiß ich. Und ich werde auch nicht hierbleiben, um sie weiter stundenlang anzustarren. Na ja, vielleicht ein bisschen. Es ist ziemlich schwer, nicht hinzuschauen, wenn sie im Raum ist. Die Frontsängerin und Gitarristin mit der honigsüßen Stimme ist einfach anziehend. Faszinierend. Unfassbar talentiert und ein wunderschöner Punk. Nein, ich bleibe, weil ich einfach nicht gehen kann. Ich kann das Gelände nicht verlassen, bis ich mir absolut sicher bin, dass Story unbehelligt nach Hause kommt. Ich beobachte sie dabei, wie sie ihren dritten Margarita in ein paar ordentlichen Schlucken hinunterkippt und dann über etwas lacht, was einer ihrer Freunde gesagt hat. Ihr Debbie-Harry-Bob ist diese Woche hellrosa gefärbt – sie hat eine Spur Champagnerfarbe zu der üblichen platinblonden Färbung hinzugefügt, was ihre blasse Haut förmlich erstrahlen lässt. Sie ist so schön, dass es wehtut. Ich zwinge mich, die Bar zu verlassen. Ich weiß, dass sie die Bar gut kennt und hier viele Freunde hat. Außerdem ihre Bandkollegen, einschließlich ihres Bruders. Sie alle sollten auf sie aufpassen. Aber es ist Alkohol im Spiel. Möglicherweise Drogen. Und ich weiß, dass ich nicht der einzige mudak bin, der verdorbene Fantasien darüber hat, was er gerne mit der mysteriösen Sängerin der Storytellers anstellen würde. Die Bandmitglieder bleiben nach den Konzerten oft da und trinken was, nachdem Rue den Laden schon abgeschlossen hat, was legal ist, da sie alle im Lohnbuch der Bar stehen. An diesen Abenden sitze ich in meinem Yukon Denali und warte, bis Story in den Minivan der Band steigt oder mit jemandem mitfährt, den sie kennt. Heute Abend kommen sie alle kurz nach mir aus der Bar, ihre Groupies im Arm. Ich muss nicht lange warten. Schon bald wird sie in Sicherheit und auf dem Heimweg sein. Ich werde ins Penthouse zurückkehren und den Countdown starten, bis ich sie nächste Woche wieder singen hören kann. Ich gehe zu meinem Wagen und lehne mich mit dem Vorderarm auf die Motorhaube, warte darauf, sicherstellen zu können, dass sie hier sicher rauskommt. Story schwankt ein wenig, als sie in ihren Doc Martens über den Parkplatz stolpert, offensichtlich etwas angetrunken. Ihre Netzstrumpfhosen haben in einem Bein einen Riss, und ich würde das am liebsten zu Ende bringen. Ihr die Strumpfhose herunterreißen und bis zum höchsten Punkt ihrer Beine hinauflecken. Nur, dass ich keine Zunge mehr habe, mit der ich lecken könnte. Bljad. Ich war nicht mehr als zweimal mit einer Frau zusammen, seit sie mir rausgeschnitten wurde. Ich wüsste nicht, wie ich Story ohne die verfluchte Spitze meiner Zunge verwöhnen soll. Ihr Bruder – der Frauenheld der Band – hat in jedem Arm ein heißes Mädchen und läuft hinter seiner Schwester durch die geparkten Autos zu ihrem Van. Sein Van – glaube ich. Zumindest fährt er ihn meistens. Story hat einen winzigen Smart, in dem sie hin und wieder auftaucht. Flynn sagt irgendwas zu Story und biegt dann vor dem Van ab, seine beiden Mädels im Schlepptau. „Was? Warte – Flynn –, das kannst du nicht machen!“, ruft Story ihm hinterher. Er ignoriert sie. „Ich hab zu viel getrunken, um noch zu fahren.“ Flynn hört nicht mal zu. Er sagt irgendwas zu den beiden Frauen und sie kichern. Die restlichen Bandmitglieder sind auf andere Fahrzeuge verteilt, sodass Story nun allein am Van steht. Betrunken. Bljad. Ich bin nicht der Kerl, der ihr sagen wird, dass sie nicht betrunken Auto fahren soll. Ganz genau, ich werde – kann – offensichtlich niemandem irgendwas sagen. Aber es gefällt mir nicht. „Flynn!“, ruft sie ihrem Bruder hinterher. „Kannst du mich nicht zuerst nach Hause bringen?“ „Ich habe auch getrunken“, erwidert er, auch wenn ich glaube, dass er in weitaus besserer Verfassung ist als seine Schwester. Ich presse mich von meiner Motorhaube hoch und zeige mich. Ich halte meine Autoschlüssel hoch und deute auf den Denali. Das ist so ziemlich das Beste an Kommunikation, was ich seit Langem hinbekommen habe. Ich versuche es meist nicht einmal. Auf diese Weise versuchen die Leute nicht mehr länger, mit mir in Kontakt zu kommen. Mich einzubeziehen. Auf diese Weise werde ich unsichtbar. So gut ein Kerl von eins achtundneunzig und hundertfünfundzwanzig Kilo eben unsichtbar sein kann. Story entdeckt mich und zögert. Ich sehe, dass sie mein Angebot verstanden hat. Sie denkt darüber nach. Etwas in mir will, dass sie es ablehnt. Sie sollte nicht mit Männern ins Auto steigen, die sie nicht wirklich kennt. Ich meine, sie kennt mich aus der Bar, aber ich könnte auch sonst was für ein Perversling sein. Aber sie lässt kapitulierend die Schultern sinken. Sie hält ihre Autoschlüssel hoch und wedelt damit in meine Richtung. „Oleg – kannst du mich nach Hause fahren“, lallt sie. Sie will, dass ich ihren Van fahre. Ich nicke, setze mich in Bewegung, bevor mein Verstand überhaupt über die Konsequenzen nachdenken kann. Diese Situation wird nach einer Art von Verbindung verlangen. Nach dem Versuch einer Unterhaltung. Peinliche Stille, die höchstwahrscheinlich mit vermiedenem Augenkontakt und dem metallischen Geruch von Angst erfüllt sein wird. Das ist es, was bis jetzt jedes Mal passiert ist, wenn jemand so Großartiges wie Story mir zu nahegekommen ist. f**k, wie ich das hasse. Ich jage den Leuten eine Heidenangst ein. Ich bin groß, bedrohlich, über und über mit Bratwa- und sibirischen Gefängnistattoos bedeckt, und ich kann nicht sprechen, weil mein ehemaliger Boss mir die Zunge herausgeschnitten hat, damit ich seine Geheimnisse nicht ausplaudere. Ich verströme Bedrohung. Ich sehe aus, als ob ich ohne große Anstrengung einen anderen Mann mit bloßen Händen umbringen kann. Und das habe ich auch getan. Viele Male. Ich bin der Vollstrecker der Bratwa. Story taumelt ein wenig, als ich am Van ankomme, und ich erwische ihren Ellenbogen und bringe sie wieder ins Gleichgewicht. Sie lehnt sich an mich, lächelt mich verschwommen an. „Danke, dass du mich rettest. Ich wusste, dass du das tun würdest.“ Ich versuche, die Wirkung ihrer Worte auf mein hämmerndes Herz zu ignorieren. Wie sie es schneller schlagen, dann einen Schlag aussetzen, dann wieder weiterrasen lassen. Sie wusste, dass ich das tun würde. Tja, gut. Denn ich hatte schon fast geglaubt, dass sie nur einen einzigen Atemzug davon entfernt war, die Polizei zu rufen und mich als Stalker anzuzeigen, weil ich seit einem Jahr jede einzelne Show dieser wunderschönen Sängerin besucht habe. Ich hatte nicht vorgehabt, Story Taylors Stalker zu werden. Es gefiel mir einfach, mir jede Woche ihre Konzerte anzuhören. Ich weiß nicht, an welchem Punkt ich besessen wurde. Vielleicht beim ersten Mal, als ich sie spielen gehört habe? Nee, da wurde ich zum Fan. Als ich wusste, dass ich ihren geschmeidigen, kleinen Körper unter meinem spüren und sie vor Lust schreien lassen wollte. Beim dritten Mal? Vielleicht. Ich weiß nur, dass sie meine Sucht ist. Ich will nicht herkommen. Ich hasse die Jungs in meiner Bratwa-Zelle verdammt noch mal dafür, dass sie dahintergekommen sind und mir helfen wollen, mit ihr zusammenzukommen. Ich will unsichtbar bleiben. Eine Ziegelwand, die niemand durchschauen kann. Ich habe einfach dichtgemacht, als ich mich plötzlich ohne Zunge im Gefängnis wiedergefunden habe. Ich habe gelernt, mit meinen Fäusten zu sprechen, und habe nicht mehr länger versucht, irgendeine andere Art der Verbindung zu anderen Menschen aufzubauen. Aber sie ist meine Schwäche. Ich kann nicht wegbleiben. Ich kann nicht aufhören, jeden Samstagabend der erste Gast in der Bar zu sein, der letzte Gast, der geht. Mir soll nichts etwas bedeuten, vor allem keine perfekte Fremde, die null Interesse an einem riesigen, stummen Muskelprotz hat. Aber hier bin ich nun mal. Wieder einmal. Nicht in der Lage, den Blick von ihrem wunderschönen Gesicht abzuwenden. Oder die Finger von diesem verflucht heißen Körper zu lassen, an dem ich jeden Zentimeter liebkosen will. Oder nur daran zu denken, sie schutzlos zurückzulassen, denn niemand würde sich je mit mir anlegen. Ich nehme ihr die Schlüssel aus der Hand, öffne die Beifahrertür und lege ihr meine Hand auf die Hüfte, um ihr auf den Sitz zu helfen. Ich liebe das Gefühl ihres straffen Körpers unter meinen Fingern. Ihr ganzes Gewicht zu spüren, es zu kontrollieren. „Oh!“ Meine Hilfe überrumpelt sie und sie kichert atemlos. „Danke.“ Sie ist für gewöhnlich nicht so betrunken. Oftmals nippt sie den ganzen Abend über nur an einem Drink, während sich der Rest der Band volllaufen lässt. Heute war eine Ausnahme. Ich lasse die Beifahrertür ins Schloss klicken und schließe für einen Augenblick die Augen, zwinge meinen Schwanz, sich verdammt noch mal zu beruhigen. Aufzuhören, sich wie ein Teenagerschwanz zu verhalten, sobald ich sie berühre. Sie riecht süß, nach Margaritas und Vanille. Ich weiß, dass sie nicht mir gehört. Sie wird niemals mir gehören. Und doch weigert sich etwas in mir, das zu verstehen. Etwas in mir hat in dem Augenblick Anspruch erhoben, als ich sie zum ersten Mal erblickt habe. Ich steige in den Van und starte den Motor, dann schau ich sie an und zucke mit den Schultern, um nach einer Wegbeschreibung zu fragen. „Oh, ähm, hier.“ Sie holt ihr Handy hervor und ruft Google Maps auf. Sie gibt ihre Adresse ein und die Stimme beginnt, uns zu navigieren. „Das ist einfacher, als wenn ich versuche, es dir zu erklären“, lallt sie. Sie wedelt fahrig mit der Hand in der Luft herum. „Ich würde nur irgendwas durcheinanderbringen.“ Ich lege das Handy auf die Mitte des Armaturenbretts und folge den Anweisungen. Ihre Wohnung befindet sich ein paar Meilen von der Bar entfernt in einer akzeptablen Nachbarschaft. Ein Stück die Straße hinauf finde ich einen Parkplatz, stelle den Motor aus und reiche ihr den Schlüssel. Jetzt weiß ich, wo sie wohnt. Was ein riesiges Problem ist. Ich bin ihr absichtlich nie nach Hause gefolgt. Das hätte definitiv eine Grenze überschritten und ich hätte mich in Stalker-Territorium begeben. Aber jetzt, wo ich es weiß? f**k. Werde ich es jemals schaffen, mich fernzuhalten? Ich werde wissen müssen, dass sie in Sicherheit ist, und zwar jedes Mal, wenn sie ihre Wohnung verlässt, nicht nur die Bar. Gottverdammt. Vermutlich nicht. Das wird ein Problem für mich werden. Und für sie. Für uns beide.
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