“Er ist knackig und bissfest wie immer, Lola”, sagte er vergnügt. Joanna stellte sich vor, wie sie zur Bar rannte, die langen Zöpfen griff und diese benutzte, um den Kopf dieser schmollmundigen Barkeeperin ein paar Mal in die Bar zu hauen. Sie sah wieder rot.
„Das ist aber schade“, sagte Lola und verzog dabei überzogen tragisch ihr Gesicht. „Lass mich wissen, wenn er etwas schwabbliger und reitbarer ist und vielleicht bekommst du dann eine Einladung in das Hinterzimmer.“ Sie zwinkerte ihm zu und drehte sich weg, um die Frage eines anderen Kunden zu beantworten.
Das Rote wich langsam aus Joannas Sicht. Sie schaute zu Mike auf, um zu sehen, wie er auf Lolas Abfuhr reagierte, aber er schaute nicht zu der Barkeeperin. Sein glühend heißer Blick war auf ihren netten, kleinen Ausschnitt gerichtet.
„Schau mir in die Augen, mein Lieber“, sagte sie.
„Touchè.”
Das AUDREY’S hatte eine freundliche, lebhafte Atmosphäre, die Joanna relaxte und sie fühlte sich wie zu Hause. Fotos, der Großmutter der derzeitigen Besitzerin - Audrey - sprenkelten die Wände in einer schwarz-weißen Anordnung merkwürdiger Vorkommnisse. In einem Foto schien die alte Dame mit einem raketenangetriebenen Moped über drei Schulbusse zu springen. In einem anderen hatte sie sich zwischen den Dalai Lama und den Zigarren-rauchenden Fidel Castro gezwängt.
Regale mit Gläsern, die von der Decke hingen und große Kreidetafeln mit den heutigen Special-Drinks, nahmen den meisten Platz in der L-förmigen Bar ein. Sie wollte gerade Mike fragen, ob er wusste, was ein „Mountain Ash Wolfsbane“ Cocktail ist, aber es klang schon wie die Art von Drink, die sie nicht ausstehen konnte. Die oft benutzten Couches waren kreisförmig in zwei sich gegenüberliegenden Ecken angeordnet -- eine stand sogar vor einer Feuerstelle, die aber nicht brannte -- und war von ein paar Schulmädchen, die unablässig kicherten, besetzt. Der restliche Platz war mit hohen, runden Tischen und sich drehenden Barhockern vollgestellt. Die Fernseher hinter der Bar zeigten eine Doris Day Romantikkomödie aus den 50ern, bei der es gerade um einen Hummer und dei Chicago Mafia ging.
„Was denkst du? Wir könnten eigentlich zu dem Restaurant die Straße runter gehen“, sagte Mike.
Eines der Schulmädchen lachte so heftig, dass sie vom Stuhl fiel und sich vor Lachen auf dem Boden kugelte.
„Nee - hier ist es genau richtig!“, sagte Joanna.
Sie ließen sich an einem der kleinen Tischen im hinteren Teil der Bar nieder, die Stühle waren so nah beieinander, dass sie merkte, wie sich ihre Knie unter dem Tisch leicht berührten. Joanna widerstand der Versuchung, mit ihrem Fuß sein Schienbein zu streicheln. Hör auf, du bist keine 13 mehr. Beruhige dich, sagte sie ihrer Libido. Sie sprang auf und zeigte in Richtung Theke.
„Also, was soll ich dir holen?“, fragte sie. Mike stand auf und war ihr so nahe, dass sie seine Körperwärme spürte, was ihre Brustwarzen zu kleinen Gipfeln werden ließ.
„Ich habe meine Meinung auf dem Weg hierher geändert. Da wir uns ja inzwischen kennen und du die attraktivere von uns beiden bist, ist es wohl nur angebracht, dass ich meine Anerkennung in Form von Alkohol zeige.“
„Dem will ich nicht widersprechen“, sagte sie. „Obwohl du vielleicht noch über weitere Formen der Anerkennung für später nachdenken könntest.“ Was hab ich da gerade gesagt? Ihre Hormone übernahmen das Steuer, und ihre Gedanken kreisten um die Vorstellung, wie sie versuchte mit ihrem Mund so viel wie möglich von seinem Körper zu verschlingen. „Ich nehme einen Whiskey. Einen Doppelten on the rocks mit einem Spritzer Cola und so vielen Kirschen, wie noch ins Glas passen“, sagte sie schnell. Wenn er an der Bar ist, kann ich mich vielleicht wieder beruhigen, dachte sie, ohne aber allzu viel Hoffnung zu haben.
„Wie die Dame wünscht“, grinste er. Sein knackiger und zum Hineinbeißen toller Hintern bewegte sich zur Bar und Joanna versank in ihrem Stuhl und versuchte nicht mehr hinzuschauen.
Viel zu schnell kam er mit ihrem Drink wieder zurück. Sie nahm einen Schluck, ohne dabei ihn oder sein penetrantes Grübchen anzuschauen. Der Drink war perfekt.
„Wie lange kennst du Lola schon?“, sie hatte die Worte bereits gesagt, bevor sie es verhindern konnte.
Er saß ihr mit seinem eigenen Whiskey gegenüber—ohne Kirschen. „Seit ich vor ein paar Jahren in die Stadt gekommen bin. Sie ist ein super Mensch, aber definitiv nicht mein Typ, wenn es das ist, was deinen mörderischen Gesichtsausdruck verursacht hat.“
„Ich bringe schon keinen um!“, zischte sie.
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, und hob seine Hände als Zeichen, dass er sich ergab. Sein Grübchen grinste sie frech an, während der Rest seines Mundes es nicht wagte, die Lippen nach oben zu verziehen. „Sorry, ich hätte es dir wohl nicht unterstellen dürfen. Du verstümmelst deine Opfer lieber, hab' ich recht? Ich wette, dass die Waffe deiner Wahl deine Faust ist. Ich könnte mir aber auch gut vorstellen, wie du zutrittst oder mit einem Baseball Schläger nach deinen Opfern schwingst.“ Er starrte ihr auf die Lippen. „Vielleicht greifst du sie aber auch einfach mit deinem Mund an.“
„Was redest du da?“
„Die Wutbeherrschungsgruppe. Ich habe mich schon gefragt, was du da machst. Was passiert, wenn du die Kontrolle verlierst?“
Joanna lehnte sich zurück, langsam ein- und ausatmend. „Darüber will ich nicht sprechen.“
Er lehnte sich zu ihr vor. Sein Geruch erinnerte sie an Lagerfeuer und Moschus. Er wehte in Wellen zu ihr herüber und spielte mit ihren Hormonen. „Komm schon, du hast meine Story inzwischen gehört. Jetzt erzähl mir deine. Denk dran, was Tabitha gesagt hat”, er mimte die trällernde Kopfstimme von Tabitha perfekt nach: „Indem du dich mitteilst, zeigst du anderen, dass wir im Inneren alle gleich sind.“ Sie lachten.
“Ich glaube, dass Tabitha reihenweise Leichen in ihrem Keller hat“, sagte Joanna.
Er grinste. “Wahrscheinlich. Aber ich verspreche, was auch immer du gemacht hast, dass du jetzt in der Wutgruppe gelandet bist, es wird nicht so schlimm sein wie der Scheiß, den ich angestellt habe. Als ich gesagt habe, dass ich eine flammende Wut habe, dann habe ich nicht übertrieben. Was ich der Gruppe erzählt habe, deckt nicht Mal die Hälfte von dem, was ich gemacht habe.“
Joanna schaute sie um. Der Tisch mit den Schulmädchen war inzwischen aufgestanden und versammelte sich um Lola. Es war niemand in der Nähe, der hätte zuhören können und Mike lehnte sich zurück mit der Geduld eines Mannes, der bereit war, die ganze Nacht auszuharren, bis sie ihre Geschichte auspackte.
„Meine Schwester starb“, sagte sie. Sie war sich nicht sicher, warum sie ausgerecht so begann, aber sobald sie es gesagt hatte, fühlte es sich richtig an, dass sie mit Clarissa anfing. Mikes freches Lächeln verstarb und er lehnte sich vor und nahm ihre Hand. Sie war dankbar, dass er nichts sagte; Sie wusste nicht, ob sie hätte weiterreden können. „Es gab einen Unfall, einen Autounfall mit einem besoffenen Fahrer auf der Autobahn. Er rammte sie. Ihr Auto kam von der Bahn ab und fuhr direkt in einen Mast und das Schwein haute einfach ab. Es gab Dutzende von Zeugen. Alle, die auf der Autobahn unterwegs waren müssen sie gesehen haben. Aber sie fuhren alle einfach weiter. Keiner hielt an. Sie war blutüberströmt und bewusstlos, konnte keine Hilfe rufen und diese ganzen Leute fuhren einfach weiter.
Nach einiger Zeit kam zufälligerweise eine Polizeipatrouille vorbei und rief sofort einen Krankenwagen, aber da war es schon sehr schlecht um sie bestellt.“
Joanna nahm einen tiefen Schluck von ihrem Getränk, um den Schmerz hinunterzuspülen. „Ich sprach mit den Notfallsanitätern, als sie sie ins Krankenhaus brachten. Der Polizist hatte mich angerufen, weil er eine Notfallnummernkarte in Clarissas Portemonnaie gefunden hatte. Sie lachten und machten Witze über irgendetwas, und beachteten meine Schwester kaum, während sie ihre letzten Atemzüge tat.“ Mike streichelte ihre Hand, seine rauen Finger malten zärtlich Kreise auf ihre Handrücken. „Es war ihnen egal. Es interessierte sie einen Scheiß.“
Sie leerte den Rest von ihrem Drink und schob schweigend das Glas zu ihm rüber. Er verstand die Geste und kam eine Minute später mit zwei neuen Drinks zurück. Sie nahm einen Schluck, aber sie nahm kaum noch was von dem Geschmack wahr. „Seit diesem Tag macht mich alles rasend. Mein Therapeut hat ein ganz besonderes Wort dafür, aber es trifft es nicht mal im Geringsten. Selbst die kleinsten Sachen lassen mich in die Luft gehen.“
„Was ist denn passiert?“ Seine Stimme war rau und hatte etwas, was Joanna nicht identifizieren konnte. Es sah fast so aus, als würde sein Griff den Tisch zerbrechen. Seine Wut für Clarissa linderte die angestaute Wut in ihr. Dieser Mann verstand ihre Wut, er verstand die Folgen, die sie hatte.
„Eine reich-aussehende Frau in einem teuren Anzug spielte auf ihrem Handy und wollte einfach nicht rechts auf der Rolltreppe stehen, obwohl Hochbetrieb war und eine Schwangere hinter ihr sie mehrmals höflich bat, sie doch bitte vorbei zu lassen. Ich zog sie aus dem Weg, um Platz für die schwangere Frau zu machen. Die Frau im Anzug fiel dabei hin.“ Joanna zuckte mit den Schultern, nahm einen weiteren Schluck. „Die Anzug-Frau war eigentlich eine Anwältin und brachte mich vor Gericht wegen ihres gebrochenen Handgelenks. Ich kam noch mal mit einem blauen Auge davon, weil mein Cousin, auch ein Anwalt, die richtigen Leute kennt.“ Sie nahm einen tiefen Schluck von ihrem Whiskey.
„Früher war ich mal ein guter Mensch. Ich glaubte auch, dass Menschen im Grunde gut sind, auch bei all dem Scheiß, den sie manchmal anstellen. Ich glaubte sogar, dass es noch Helden in dieser Welt gibt. Aber jetzt…“ Ihre Stimme verebbte. Sie schaute zu Mike auf und wartete darauf, dass er ihr sagte, dass die Menschen noch gut sind, dass sie lernen würde, wieder glücklich zu sein und dass alles gut werden würde. Das ist es, was man ihr seit dem Unfall im letzten Jahr ständig gesagt hat und wenn er es auch sagen würde, wusste sie, dass sie einfach die Bar verlassen und ihn nie wieder eines zweiten Blicken würdigen würde.
„Wir sollten Kurze trinken“, kündigte er an. “Und darauf anstoßen, wie schön es doch ist, wegen dieser beschissenen Leute so auszurasten. “
Joanna wusste nicht ob sie weinen oder ihn für seine perfekte Antwort verfluchen sollte. Sie hatte kaum genickt, da hatte er schon Lola zu sich gewunken.
„Wir brauchen eine Runde von dem beschissensten Whiskey, der die dunkelsten Abgründe der Menschheit widerspiegelt“, sagte er.
Lola grinste und schaute die beiden mit einem gemeinen Funkeln in den Augen an „Ich bringe euch die Schnapps-Wettbewerb Auswahl, was sagt ihr?”
Mike lachte. “Perfekt!” Er drehte sich zurück zu Joanna. “Was sagst du? Glaubst du, du kannst mich unter den Tisch trinken?“
Joanna begutachtete Mike von oben bis unten. Er war locker doppelt so schwer wie sie und nach zwei großen Whiskeys schien er nicht mal den Anschein zu machen, dass er irgendetwas davon merkte. Joanna, auf der anderen Seite, merkte schon jetzt, wie ihre Sicht langsam etwas undeutlich wurde.
„Auf jeden Fall! Der Einsatz: Der Gewinner bekommt einen Kuss vom Verlierer.„
Seine rechte Augenbraue hob sich, aber sein Grübchen sah sehr erfreut aus. Er gab Lola grünes Licht und ein Tablett mit Schnäppsen erschien schon bald vor ihnen.
Der erste Schnapps ging locker runter. Der zweite und der dritte waren schon härter hinunterzubekommen. Nach dem sechsten fing der Boden langsam an zu schwanken. Sie schaute von ihrer Reihe auf und sah, dass Mike schon längst fertig war. Zwölf Schnäpse und er sah aus, als hätte er Probleme beim Atmen. Verdammte Scheiße, er ist so besoffen, der könnte glatt tot umfallen. In betrunkener Benommenheit konzentrierte sie sich auf eine Sache: Sein verdammtes Grübchen lud einfach nur so zum Knutschen ein.