Gott, was für ein Tag. Mikkels Jungs auf der Baustelle schlugen sich teils selbst an einem guten Tag die Köpfe ein, aber heute marschiert diese verdammt heiße—Joanna, laut Ben—herein und seine Sprengspezialisten werden zu sabbernden Affen. Mikkel war froh, dass es Mittwoch war - der Tag seines wöchentlichen Wutbeherrschungstreffens, und er konnte die Zeit gut gebrauchen, um seine innere Wut wieder ein wenig zu beruhigen.
Er verlagerte sein Gewicht auf dem metallenen Stuhl und faltete seine Hände, frustriert über die Unfähigkeit seiner Kollegen einfach mal ganz normale Menschen zu sein und in Frauen mal was anderes zu sehen, als nur ihre unglaublichen Körper. Und es war definitiv ein unglaublicher Körper. Hör auf, an ihre Beine zu denken, Mikkel, hör auf daran zu denken, wie sich diese Beine um deinen Körper schlingen. Er wollte sie einfach wie ein Geburtstagsgeschenk aus ihrem Business-Look auspacken, und sich an ihrem weichen Zentrum erfreuen, das er darunter finden würde. Hör auf, an ihre Augen zu denken. Er hatte seit Ewigkeiten keine Frau mehr mit solch wilder Kraft und feuriger Entschlossenheit gesehen. Joanna hatte nichts von diesem rehäugigen, unterwürfigen Unsinn, den die Frauen schon seit den Puritanern versuchten zu imitieren. Diese Frau würde schreien und kratzen, wenn sie käme und er konnte es kaum erwarten, es zu erleben. Er legte die Hände auf seine Knie und versuchte diese Gedanken loszuwerden, aber beim Betrachten des Bodens zwischen seinen Knien, stellte er sich vor, wie sie mit dieser wilden Entschlossenheit zu ihm aufschaute, während sie ihn in den Mund nahm.
Er ließ seine Knie los und griff nach dem kalten Boden des Metallstuhls. Nicht an sie zu denken, war nahezu unmöglich. Joanna platzte aus dem Nirgendwo in sein Berufsleben und hatte schon jetzt einen festen Wohnsitz in seinem Kopf.
Ein schmetternder Applaus brach um Mikkel herum aus und er zwang sich dazu, sich zu konzentrieren. Er nickte einem jungen Kerl zu, der, wie er fand, viel zu viel Goldschmuck trug und neben ihm Platz nahm. Er hoffte, dass sein Gesichtsausdruck aussah, als hätten ihn seine Worte inspiriert. Scheiße, Mikkel griff den Stuhl so hart, dass er ihn brechen hörte. Ich bin hier aus einem bestimmten Grund; Tagträumen kann ich in meiner Freizeit.
„Danke Petey. Das war so mutig. Toll, dass du so etwas Persönliches mit uns allen geteilt hast“, sagte Tabitha, die Leiterin des Meetings. Ihr Kinn schwabbelte, während sie sprach. „Ich weiß, wir sind alle aus unterschiedlichen Gründen hier bei der Wutbeherrschung, aber toll, dass ihr alle kommt, euch mitteilt und zeigt, dass wir tief in unserem Inneren alle gleich sind.“ Sie schniefte in ihr Blumen gemustertes Taschentuch. „Es macht mich so stolz, hier zu stehen und dabei zu sein, wie ihr mutigen, herzallerliebsten Seelen versucht, ein besserer Mensch zu werden und an euren Beziehungen arbeitet, indem ihr euch mitteilt.“
Mikkel hatte Mitleid mit der Gruppe. Tabitha war echt süß, aber so weinerlich wie ein Schlosshund. Sie verbrachte grundsätzlich die Hälfte eines jedes Meetings damit zu heulen. Er stand auf und ging auf die leeren Kisten zu, die sie als Podium aufgebaut hatten. Die Gruppe traf sich immer unter einem kleinen Baumarkt, der einem der Mitglieder der Gruppe gehörte, und der Raum roch immer leicht nach Silikon und getrocknetem Kleber. Es ließ sich nicht wirklich mit den Buddha Tempeln und den katholischen Klöstern vergleichen, die er über die Jahrhunderte für seinen inneren Frieden besucht hatte, aber die Ehrlichkeit und Offenheit der Gruppe hier hatte etwas Tröstliches.
„Ich würde euch gerne etwas mitteilen“, wummerte er. Seine dunkle Stimme hallte durch den kleinen Keller.
Tabitha leuchtete wie ein Weihnachtsbaum angesichts der Tatsache, dass sie gleich von den Gefühlen, Versuchen und dem Leiden eines Mitmenschen hören würde. „Danke, Mike! Also Leute, das ist Mike. Lasst uns ihm zeigen, dass wir ihn unterstützen und gerne hören, was er uns zu sagen hat“, trällerte sie und fing an zu klatschen.
Mikkel schob sich hinter das provisorische Podium und duckte sich, um seinen Körper vorbei unter ein niedrig hängendes Rohr zu schieben. Er holte Luft und schaute gedankenverloren umher. Der Raum war gefüllt mit den üblichen Leuten, ein paar Neulingen und einer Frau im Business Outfit, die versuchte anonym zu bleiben und ihr Gesicht mit einem Flyer, den Tabitha zuvor ausgeteilt hatte, verdeckte. Der etwas groteske Versuch zur Anonymität war eher komisch als effektiv, denn Mikkel hätte diesen Haarschnitt überall wiedererkannt.
Sein Herz machte einen Sprung, und seine körperliche Reaktion auf ihre Anwesenheit überraschte ihn. Sie hatte ihren Blazer ausgezogen und Mikkel verschlang förmlich ihre schlanken, starken Arme, ihren zarten Hals und die Umrisse einer fülligen Oberweite.
„Hi Leute, ich bin Mike und ich habe ein Wut-Problem.“
„Hi Mike“, rief die Gruppe wie ein Haufen Roboter zurück.
Mikkel startete seine Geschichte. Alle paar Jahrzehnte musste er sie ein wenig anpassen, damit sie in die jeweils aktuelle Zeit passte, aber abgesehen von ein paar chronologischen Änderungen, war sie immer dieselbe. „Früher war ich ein normaler Familienmensch — Frau, Kinder, das volle Programm.“ Soviel stimmte so weit.
„Bis ich eines Tages beruflich unterwegs war, ein Einbrecher in unser Haus einstieg und meine Familie kaltblütig ermordete.“ Das stimmte nicht. Während er diese einstudierte Story erzählte, konnte er nicht anders, als an die wahre Geschichte zu denken. Die Flammen reichten bis in den Himmel und brannten sein kleines Dorf in Grund und Boden. Die Schlachtrufe des Skomer Stammes hallten über die Hügel. Seine Hände griffen nach den Ecken des Podiums. Dieser Tag hatte eine der schlimmsten Erinnerungen seines langen Lebens hinterlassen. Eine der wenigen, die auch nicht durch die Zeit abgeklungen waren. Er hatte sich noch nie so machtlos, so verletzbar wie in diesem Moment gefühlt. Er war noch nie so wütend gewesen.
„Nachdem ich meine Familie zu Grabe getragen hatte, verschlang mich die Wut vollkommen — ich hatte ständig Schlägereien, zerstörte alles, was ich berührte, und war überhaupt nicht mehr in der Lage wie ein normaler Mensch zu handeln.“
Er schaute auf und versuchte erfolglos nicht zu starren, als Joanna aufgab, sich hinter dem Flyer zu verstecken und sich nach vorne lehnte, scheinbar durch seine Worte angezogen.
Was Mikkel nie erwähnte, waren seine Serien an tödlichen Ausrastern, kurz nachdem die Gründe zu leben sich in Staub verwandelten. Er war immerhin als Wikinger geboren worden und die meisten seiner Freunde und Brüder dachten deshalb nicht weiter über sein grausames Verhalten nach. Sein Vater aber nutzte es sogar aus und schickte ihn in Schlachten vor, damit er seinen eher ausgeglichenen Brüdern den Weg ebnete.
Jedes Mal, wenn er sich bewusst wurde, was für ein schrecklicher, blutrünstiger Mensch er geworden war, fühlte er einen stechenden Schmerz in seiner Brust. Hätte seine Familie sich nicht mit der Hexe in Schottland angelegt, dann wäre sein Tobsuchtanfall zu einem schnellen Ende gekommen und mit seinem Tod wäre Mikkel von seinem Schmerz befreit. Ihr Fluch ließ ihn aber unverwundbar und mit der Unfähigkeit zu altern zurück. Augenscheinlich gar nicht so schlecht, aber er war gezwungen, seine Geliebten und seine Wegbegleiter altern und sterben zu sehen. Immer und immer wieder.
„Eine Frau, die ich zufälligerweise traf, versuchte mir einen Ausweg aus dieser Misere zu zeigen. Aber ich hörte nicht auf sie.“ Der Morgen, an dem er verflucht wurde, war eine weitere Szene, die sich auf ewig in sein Hirn gebrannt hatte. Es sollte nur ein weiterer Raubzug werden, nur eine weitere Insel, die es zu erobern und zu besiedeln galt. Sein Vater ignorierte die Warnungen, dass eine mächtige Hexe die Insel beschützte. Er sagte, dass es alles nur Gerüchte seien, von Leuten in die Welt gesetzt, die sich selber nicht beschützen könnten.
Aber alles ging von dem Moment an schief, in dem Mikkel seinen Fuß auf die Insel setzte. Ein Tobsuchtanfall überkam Mikkel, wie so oft, seitdem seine Familie abgeschlachtet wurde. Schwach erinnerte er sich an seinen mittleren Bruder, Erik, wie er sich auf die andere Seite der Insel schlug, während sein jüngerer Bruder, Bram, runter zum Strand ging. Aber an die ausschlaggebende Stunde fehlte jede Erinnerung: die Erinnerung, wie er sich mit dem alten Weib anlegte.
Woran er sich nur noch erinnern konnte, war, wie er danach mit weichen Knien am Strand stand, panisch nach Bram suchte und immer wieder seinen Namen rief. Seine anderen Brüder lagen kalt und reglos auf dem Boden. Die Hexe schrie etwas, das er nicht verstand, und Mikkel tat das Einzige, woran er denken konnte: davon laufen. Seine Familie zu verlieren war seiner Meinung nach schon Strafe genug für das Leid, was sie der Insel dieser Hexe angetan hatten. Aber wie heftig die Rache der Hexe wirklich ausgefallen war, bemerkte er erst, als er das nächste Mal ausflippte…
„Jedes Mal, wenn ich wütend werde, merke ich, wie ich selber völlig außer Kontrolle gerate. Jahr um Jahr ist es immer wieder eskaliert, bis mir das Muster auffiel - dass ich, ohne es zu wollen, die Menschen um mich herum schier blind vor Wut verletze. Immer und immer wieder. Ich war so geblendet von der Wut, dass ich das Leben Anderer zerstörte. Ich habe Freundschaften ruiniert, Freundinnen verschreckt und bin das eine oder andere Mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten.“
Die Untertreibung des Jahrtausends, dachte Mikkel. Eine Woche, nachdem er die verhexte Insel verlassen hatte, geriet Mikkel in einen Kampf in einer Taverne, als einer der anderen Gäste ihm versuchte die Bardame aufzuzwängen. Seit dem Tod seiner Frau und Kinder, war seine Wut sehr schnell entfacht, aber dieses Mal fühlte es sich anders an. Das war mehr als nur eine Wut, es war ein heißes, knisterndes Inferno, das sich in seiner Brust anstaute, seinen Rücken entlang kribbelte und dann auf seiner Haut in Form von echten Flammen explodierte. Er konnte es nicht aufhalten und der Feuerball zerstörte die Taverne und jeden darin. Freund und Feind waren bis zur Unkenntlichkeit verschmort. Er hatte zahllose Freunde und Geliebte über die Jahre „dank“ dieser Wutausbrüche verloren. Er hatte zwar Methoden gelernt, um seine Wut zu unterdrücken, aber der Fluch übernahm die Macht, sobald er nur gereizt genug war - und immer bezahlten seine Nächsten den meist tödlichen Preis.
Er nahm eine Veränderung im hinteren Teil des Raumes war, weil Joanna sich zurücklehnte und ihre langen, schlanken Beine übereinanderschlug. Sie hatte einen Gesichtsausdruck, der weder Urteil noch Sorge, sondern eher Verständnis bedeutete. Ihre perfekten Brüste spannten gegen ihr Hemd, hoben sich, als sie seufzte - und Mikkel hätte daraufhin fast hörbar aufgestöhnt. Er wollte das Podium umtreten, sich seinen Weg durch die Zuhörer bahnen und diese Frau mit den feurigen Augen verschlingen. Zum Glück war l**t nicht einer der Auslöser, sonst stände der ganze Raum schon in Flammen.
Mikkel bemerkte, dass er mitten in seiner Story aufgehört hatte zu reden und räusperte sich. Er hoffte insgeheim, dass die Gruppe dachte, dass er von seinen Emotionen überwältigt war, und nicht abgelenkt durch seine Gedanken, wie er die Bauingenieurin in der letzten Reihe nahm.
„Ich möchte gar nicht mehr an die ganzen Leben denken, die ich damals zerstört habe. Wenn ich wütend war, schien es so, als gab es nichts, was sich mir hätte in den Weg stellen können. Ich war wie ein laufender Flächenbrand.“ Die wahrsten Worte der ganzen Geschichte. „Schließlich stellte ich fest, dass ich auf diese Weise nur Schmerz verursachte. Und so bereiste ich die Welt, auf der Suche nach einer Religion oder Philosophie, die mir dabei helfen könnte, mich selber irgendwie zu kontrollieren.“
Für Jahrzehnte suchte er nach Antworten von Mystikern, Hexen, Zauberern und Wissenschaftlern, um seine Wut zu mindern, einen Gegenzauber zu finden, oder einfach nur den Schaden zu verhindern. Nicht ein Einziger konnte ihm helfen. Mikkel kam sogar auf die Idee, die Menschheit zurückzulassen und einsam in einer Höhle zu leben, weit weg von allen, die er verletzen könnte. Aber jedes Mal, wenn er das versuchte, zog ihn die Hoffnung wieder zurück in die Gesellschaft. Er glaubte daran, dass es eine Heilung für den Fluch der Hexe gab oder - wenigstens - jemanden, der eines Tages einen Weg fand, ihn wieder mit seiner Familie zu vereinen.
Die unfruchtbare Suche auf der ganzen Welt hatte aber auch seine ganz eigenen Vorzüge.
„Auf meiner Reise traf ich eine Reihe interessanter Leute, welche mich tief berührten und wirklich meine Sicht auf die Dinge veränderten.“ Wenn die Selbsthilfegruppe hauptsächlich aus Männern bestanden hätte, dann hätte er zugegeben, dass diese „tiefen Berührungen“ von wunderschönen Frauen stammten. Aber da Joanna auch dabei war, hielt er seine lebhaften Beschreibungen der Frauen aus aller Welt, in deren Genuss er gekommen war, zurück. Was den Fluch nicht heilen konnte, lenkte wenigstens von ihm ab. Er genoss ihre Düfte, ihre Sinnlichkeit und ihre Schreie der Befriedigung.
Sein Blick wurde wieder auf Joanna gezogen, die hungrig seiner Geschichte lauschte. Er wünschte, dass er ein inspirierendes Schlusswort für sie hätte, etwas um ihr Hoffnung für ihre eigenen Probleme zu geben.
„Nach langer Zeit bemerkte ich, dass die Antwort meiner Probleme kein Mönch oder Schamane herbeizaubern kann und so hörte ich auf, durch die Welt zu reisen und nach einer magischen Lösung zu suchen. Und so bin ich hier, setze mich jeden Tag mit meiner Wut auseinander und ziehe das Programm durch. Es ist allerdings auch hilfreich, dass ich in meinem Beruf Dinge in die Luft jagen kann.“ Ein paar Lacher. „Aber ich bin Tabitha und euch allen dankbar, dass ihr mich unterstützt.“
Applaus erfüllte den Raum und Tabitha kam glücklich schluchzend auf das Podium zu. Sie griff Mikkel bei den Schultern, gab ihm einen nassen, schnellen Kuss auf die Wange und ließ einen viel zu großen Abdruck von Lippenstift zurück. Es überraschte ihn immer aufs Neue, aber er fühlte sich besser.