Ich betrachtete mich noch einmal im Spiegel, bevor ich mein Zimmer verließ. Ich hatte gerade eine SMS von Bea erhalten, dass sie auf dem Weg ist, mich abzuholen.
Wir wollten heute an den See fahren. Es war ein Plan in letzter Minute, aber ich habe einfach zugestimmt, da ich heute nichts zu tun hatte. Außerdem vermisste ich es, an den See zu gehen, der einst mein Zufluchtsort vor der Werwolfwelt war.
„Du gehst heute raus?“, fragte meine Mutter, als ich mit einer Tasche auf der Schulter die Treppe herunterhüpfte.
Ich nickte ihr zu. „Ja, Mama“, lächelte ich. „Mit Justin und Bea. Du erinnerst dich doch an sie, oder?“, fragte ich und stellte die Tasche auf den Tisch, bevor ich mir eine Portion French Toast machte, um meinen Tag zu beginnen.
„Wie könnte ich sie vergessen?“ Meine Mutter fragte. „Du hast gesagt, sie waren die einzigen, die während deiner Schulzeit bereit waren, deine Freunde zu sein.“ Sie seufzte. „Ich wusste nicht, dass du noch Kontakt zu ihnen hast.“
„Ich hatte keinen Kontakt zu ihnen. Ich habe sie zufällig in einem Café hier getroffen“, schüttelte ich den Kopf und legte meinen Toast auf einen Teller, bevor ich mich an den Inseltisch setzte. „Es war so peinlich, Mama. Ich habe Bea einen Moment lang nicht erkannt und komme mir deswegen wie ein Idiot vor“, sagte ich und erntete ein Kichern von meiner Mutter. „Das ist nicht lustig!“
Die Augen meiner Mutter funkelten amüsiert. „Doch, ist es“, grinste sie. „Aber ich bin froh, dass deine Freunde noch hier sind. So bist du wenigstens nicht einen ganzen Monat lang in deinem Zimmer eingesperrt“, fuhr sie fort, während ich meinen knusprigen Toast mampfte.
Ich warf ihr einen Blick zu. „Ich bin kein Einsiedler, Mama. Ja, ich war mal einer, aber jetzt nicht mehr“, schüttelte ich den Kopf, und in diesem Moment kam meine einzige Schwester in die Küche und schnappte sich wortlos einen Müsliriegel, bevor sie davonlief, als wären ich und meine Mutter nicht da.
Ich verstehe ja, dass ich nicht ihr Lieblingsmensch auf der Welt bin, aber ich dachte, sie würde meine Mutter wenigstens zur Kenntnis nehmen! Wie respektlos kann sie eigentlich sein?
„Oh Mera, wo gehst du hin?“, fragte meine Mutter, als sie Mera direkt auf die Haustür zugehen sah.
Mera warf nicht einmal einen Blick in unsere Richtung. „Raus“, grunzte sie, bevor sie die Tür aufriss und hinausging. Sie besaß sogar die Frechheit, die Tür mit unnötiger Wucht zuzuschlagen.
Meine Mutter verzog das Gesicht angesichts des Verhaltens ihrer Ältesten. „Ist sie immer so?“, fragte ich und räusperte mich.
Meine Mutter sah mich an und versuchte, ihre Mimik zu beherrschen. „Wie denn?“, fragte sie und versuchte, unbeeindruckt zu wirken.
Ich verdrehte die Augen. „Unhöflich“, brummte ich. „Sie hätte doch besser antworten können.“
Meine Mutter lächelte. „Wann bist du zurück?“, fragte sie, um das Thema zu wechseln.
„Wahrscheinlich zum Abendessen. Wir gehen nachher ins Café zum Mittagessen“, antwortete ich ihr und beendete das letzte Stück Toast, ‚Das sind sie wahrscheinlich“, fügte ich hinzu, als ich das Auto in unserer Einfahrt hupen hörte. Ich ging schnell zum Waschbecken und wusch meinen Teller ab. Ich küsste meine Mutter auf die Wange. „Wir sehen uns später, Mama“, sagte ich zu ihr, bevor ich meine Tasche packte und aus dem Haus eilte.
Bea winkte mir aus dem Auto zu, als ich auf sie zukam. Ich winkte ihr ebenfalls zu und setzte mich auf den Rücksitz, während Justin auf dem Beifahrersitz Platz nahm.
Die Fahrt zum See war lustig. Wir hörten unsere Lieblingshits von damals und jammten dazu. Ich lächelte so sehr, dass mir die Wangen weh taten, als wir am Wald ankamen. Ich konnte nicht glauben, wie gut ich mich wieder mit ihnen verstand, obwohl ich so viele Jahre weg war.
Den Rest des Weges mussten wir zu Fuß zurücklegen, da es noch keine Straße zum See gab. Ich fragte meine Freunde, warum dieser Ort im Gegensatz zum Rest der Stadt nicht erschlossen war, und Justins Antwort brachte mich buchstäblich ins Straucheln.
„Dieser Ort ist im Moment eine Art Sperrgebiet, aber hoffentlich ist das in Ordnung“, sagte er. „Niemand darf hierher kommen, nur Bea und ich schleichen uns ab und zu rein“, sagte er achselzuckend, als wäre das keine große Sache.
„Was meinst du?“ Ich sah ihn mit großen Augen an. „Bekommen wir dafür nicht Ärger oder so?“, fragte ich und schaute Bea verwirrt an, aber sie zuckte nur mit den Schultern.
Sie lachte, als ich ihr einen bösen Blick zuwarf. „Wenn wir alles diskret behandeln, wird niemand wissen, dass wir hier waren“, grinste sie.
Ich ließ das einen Moment lang auf mich wirken und spürte einen Anflug von Aufregung in mir. „Toll. Jetzt spüre ich, wie mein Adrenalinspiegel bei dem Gedanken, erwischt zu werden, in die Höhe schießt“, seufzte ich und wandte meinen Blick ab, um mich im Wald umzusehen. „Warum ist er eigentlich gesperrt?“
Da ich nicht aufpasste, wo ich hintrat, verlor ich den Halt und fiel fast auf mein Gesicht, aber Justin fing mich schnell auf und hielt mich fest. Meine Wangen wurden rot vor Verlegenheit und ich murmelte ein Dankeschön vor mich hin.
Er lächelte auf mich herab und ich spürte, wie mein Herz einen Schlag aussetzte. Dieser junge Mann war vor all den Jahren mein Schwarm gewesen, verdammt noch mal. Ich dachte, ich wäre über ihn hinweg, aber das war ich nicht.
„Es gab ein paar Fälle von Ertrinken“, erklärte mir Justin, ‚Alpha Noah wollte die Sicherheit der Jugendlichen nicht gefährden, da dieser Ort damals ein beliebter Ort bei den Schülern war“, fuhr er fort, ‚Da wir gut schwimmen können, wäre das kein Problem für uns.“
Ich verdrehte wieder die Augen. „Warte, ich dachte, wir gehen heute nicht schwimmen“, schrie ich fast.
Bea schaute mich ungläubig an. „Du dachtest, wir sind tief in den Wald zum See gekommen, um nicht zu baden? Natürlich nicht!“ Sie schüttelte den Kopf.
„Ich habe keine zusätzlichen Klamotten mitgenommen“, seufzte ich.
„Was ist dann in deiner Tasche?“, fragte sie.
Ich zuckte nachlässig mit den Schultern. „Ein paar Chips und Pralinen. Ich dachte, wir würden einfach am See abhängen“, sagte ich. „Ah, jetzt muss ich am Ufer sitzen und zusehen, wie ihr euch amüsiert“, brummte ich und konnte meine Enttäuschung nicht verbergen.
„Tja, Pech für dich“, schüttelte Justin den Kopf. „Wir werden nass, ob du nun extra Klamotten hast oder nicht.“
„Wir sind da!“, sagte Bea aufgeregt, bevor ich Justin antworten konnte.
Ich schaute nach vorne und spürte, wie ein kleines Lächeln meine Lippen umspielte. Dieser Ort sah noch genauso aus wie beim letzten Mal, als ich hier war.
„Es ist ein See, Cora“, erinnerte mich Bea. „Was hast du erwartet? Dass er erwachsen wird?“ Sie scherzte, zog die Tasche aus, die sie trug, und warf sie auf den Boden. „Komm, wir gehen ins Wasser“, nahm sie meine Hand und zog mich zum See.
Ich kicherte. „Lass mich wenigstens meine Tasche wegpacken“, kicherte ich und zupfte auch meine Tasche ab.
Zu dritt machten wir uns auf den Weg zum Ufer des Sees. Ich setzte mich langsam auf den Boden und tauchte meine Beine ins Wasser. „Oh, das Wasser ist so kalt“, keuchte ich zitternd.
„Ja.“ Bea nickte zustimmend mit dem Kopf. „Es ist aber schön, komm schon.“ Ohne Vorwarnung stürzte sie sich ins Wasser und zog mich mit hinein.
Ich stieß einen kleinen Schrei aus, als ich spürte, wie das Wasser mich hineinzog, aber ich strampelte mit den Beinen unter mir, um mich an der Oberfläche zu halten. Justin sprang als Nächster ins Wasser und bespritzte mich und Bea mit dem Wasser.
Ich lachte und spürte, wie das innere Kind in mir wieder zum Vorschein kam. Wir spielten im Wasser und bespritzten uns gegenseitig. „Ja, das ist schön“, stimmte ich zu und seufzte erfreut, als die Sonne mein Gesicht berührte. „Die Sonne fühlt sich auch gut an, wenn wir im Wasser schwimmen“, sagte ich.
„Ich habe dir gesagt, dass es Spaß machen wird“, grinste Bea.
„Das einzige Problem ist, dass ich klatschnass durch den Wald laufen muss, wenn wir aus dem Wasser kommen“, sagte ich. „Ich werde später wie ein Blatt zittern.“
Justin lachte darüber. „Das ist schon okay. Es ist ja nicht so, als hätten wir das noch nie gemacht“, sagte er und es stimmte. Ich erinnere mich daran, dass ich ein paar Mal so durch den Wald gelaufen bin, nach ein paar improvisierten Schwimmeinheiten.
„Ja, daran erinnere ich mich“, grinste ich, aber Bea und Justin blieben stehen, ihre Blicke schweiften in dieselbe Richtung. „Was ist los?“, fragte ich sie, aber sie wiesen mich an, still zu sein.
Sofort machte sich Sorge in mir breit. Irgendetwas stimmte nicht und ihre Wölfe konnten es spüren. Dessen war ich mir sicher.
Bea und Justin tauschten einen Blick aus, wahrscheinlich kommunizierten sie über ihre Gedankenverbindung. „Wir sind heute am Arsch“, sagte Bea leise und schüttelte den Kopf.
„Warum? Was ist los?“, fragte ich im Flüsterton.
„Du solltest nicht hier sein“, hörte ich eine vertraute, tiefe, männliche Stimme sagen, und ich drehte meinen Kopf zur Seite, um Alpha Noah zu sehen, als er in unser Blickfeld kam.
Bei seinem Anblick wurde mir ganz flau im Magen. Von allen Leuten, die uns auf frischer Tat hätten ertappen können, musste es ausgerechnet Alpha sein. Hinter mir konnte ich Beas Sorge spüren, als sie den Alpha ansprach.
„Alpha Noah“, sagte sie mit leiser Stimme.
Das Gesicht des Alphas war hart. Das freundliche Lächeln, das er mir gestern geschenkt hatte, war völlig aus seinem Gesicht gewischt, als er auf uns drei herabblickte. „Worauf wartet ihr noch?“, fragte er uns in einem unangenehmen Ton. „Kommt sofort aus dem Wasser“, befahl er.
Wir drei schwammen schnell zum Ufer, kletterten an Land und stellten uns auf die Füße, wobei das Wasser auf den Boden tropfte.
„Alpha, wir entschuldigen uns-“, begann Justin, aber Alpha schüttelte den Kopf.
„Ich höre es mir an, wenn ihr alle trocken seid“, brummte Alpha. „Geht euch erst umziehen. Das Letzte, was wir wollen, ist, dass drei Leute wegen Unterkühlung um ihr Leben kämpfen müssen.“
Wir tauschten alle einen Blick aus. „Verstanden, Alpha“, sagten Justin und Bea, bevor sie sich leise auf den Weg zu ihren Taschen machten. Sie gingen hinter die Bäume, um sich umzuziehen, während ich mit dem Alpha allein dastand.
Immer noch klatschnass.
„Muss ich mich wiederholen?“, fragte Alpha, als ich keine Anstalten machte, zu meiner Tasche zu gehen. Was sollte das bringen? Es ist ja nicht so, dass ich Kleidung bei mir habe.
Er wartete immer noch auf meine Antwort, also holte ich tief Luft, bevor ich sprach. „Ich... äh... ich habe keine Kleidung dabei“, gab ich zu. In diesem Moment blies mir der Wind direkt ins Gesicht und ich zitterte.
Das fühlte sich kalt an!
Alpha starrte mich einen Moment lang an und schüttelte den Kopf. Ich bemerkte nicht, dass er eine Tasche trug, bis er sie abstreifte und ein T-Shirt und eine kurze Hose daraus fischte. Er reichte sie mir wortlos.
„Danke, Alpha“, sagte ich, als ich sie entgegennahm.
Ich spürte seine Blicke auf mir, als ich mich auf einen der dichtesten Bäume zubewegte, damit ich mich beim Umziehen am besten verstecken konnte. Schnell zerriss ich meine nassen Sachen und zog mir das T-Shirt über den Kopf. Es war ziemlich groß für mich, aber ich war dankbar dafür.
Die Shorts hingegen fielen mir immer wieder von den Hüften. Ich musste sie alle paar Sekunden hochschieben, um sicherzugehen, dass sie nicht herunterfiel. Ich hob meine nassen Klamotten auf und ging zu meiner Tasche, um sie hineinzustopfen.
„Alpha, das ist alles unsere Schuld. Cora hat nichts damit zu tun“, hörte ich Justin dem Alpha erklären, als ich mich wieder auf den Weg zum Alpha machte. Justin und Bea standen mit hängenden Köpfen vor dem Alpha. „Wir waren diejenigen, die sie hierher gebracht haben.“
„Glaubt ihr, ich hätte das nicht schon längst herausgefunden?“ Alpha sah die beiden finster an. „Was habt ihr euch dabei gedacht? Ich habe nicht ohne Grund jedem verboten, hierher zu kommen!“
Alpha Noahs Augen flackerten zu mir, als ich mich zu Justin und Bea stellte. Seine Augen wanderten dann nach unten und ich dachte, sie verfinsterten sich bei dem Anblick, dass ich seine Kleidung trug.
Sind das seine Lieblingsklamotten? Ich machte mir eine Notiz, sie ordentlich zu waschen und sie ihm später zu geben.
„Wir sind uns dessen bewusst, Alpha“, sagte Justin.
„Und du hast mir trotzdem nicht gehorcht“, knurrte Alpha Noah frustriert, ‚Dann hast du auch noch ein weiteres Leben in Gefahr gebracht“, fügte er hinzu und ich spürte wieder seinen Blick auf mir.
Ich blickte auf und sah in seine silbernen Augen. „Als wir jünger waren, kamen wir immer hierher, Alpha“, sagte ich. Ich hatte das Gefühl, dass ich etwas sagen sollte, um meine Freunde zu retten, obwohl es ihre Idee war, hierher zu kommen. „Wir dachten, es würde Spaß machen, hierher zu kommen und in Erinnerungen zu schwelgen.“
„Es ist hier nicht mehr sicher“, sagte Alpha. Ich wusste nicht, ob nur ich oder auch Bea und Justin die Veränderung im Tonfall des Alphas bemerkten, als er mit mir sprach. Er klang viel sanfter zu mir. „Ihr drei hättet ertrinken können.“
Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, also ließ ich ebenfalls den Kopf hängen. „Lass uns erst einmal hier rausgehen. Den Rest können wir im Rudelhaus besprechen“, hörte ich Alpha Noah sagen. „Ich treffe euch drei bei mir zu Hause und ihr solltet auf das vorbereitet sein, was auf euch zukommt.“