Kapitel 1-3

1093 Words
Am späten Morgen des nächsten Tages erreichten Hannah und Abasi ein anderes Dorf fast fünfzig Meilen landeinwärts. Hannah wartete wieder ungeduldig, während das Telefon klingelte. Wenn Tink dieses Mal nicht abnahm, würde sie in das nächste Flugzeug steigen und nach Maine fliegen. Sie wollte gerade auflegen, als sich Tinks atemlose Stimme in der Leitung meldete. „Hallo Hannah“, sagte Tink mit heiserer Stimme. Hannah erkannte darin sofort ihren Ich-will-nicht-mit-dir-reden-Ton. Nun, das war Pech! Tink würde ihr erklären, warum sie so lange brauchte, um ans Telefon zu gehen, und weshalb Hannah so ein schlechtes Gefühl in der Magengegend hatte. „Warum hast du mich nicht zurückgerufen? Was ist denn los?“, wollte Hannah frustriert wissen. Sie verdrehte die Augen, als Abasi die Augenbrauen hochzog. Okay, vielleicht war ein harscher Tonfall nicht die beste Herangehensweise, doch Hannah drehte langsam durch vor Sorge. „Mir geht es gut, danke der Nachfrage!“, antwortete Tink mit einem Grinsen. „Ich musste heute arbeiten und hatte einen Haufen Dinge zu erledigen. Ich wollte dich eben anrufen.“ „Okay“, entgegnete Hannah, noch immer frustriert und versuchte, nicht mit den Zähnen zu knirschen. Tink war genau wie ihre Mutter! Nervig und ein Ärgernis zugleich. Hannah wusste, dass Tink sie mit ihrer Art bloß auf die Palme bringen wollte. Tink wusste, dass sie nur anrief und eine Nachricht bei RITA hinterließ, wenn sie sich wegen etwas Sorgen machten. „Hi Tink. Wie geht es dir? Wie schön, dass es dir gut geht. Jetzt sag mir endlich, was los ist. Ich hatte eine meiner Vorahnungen und du weißt, dass ich mich nie täusche.“ Hannah hörte, wie Tink am anderen Ende der Leitung zittrig einatmete. „Okay, aber du wirst es mir nicht glauben“, sagte Tink leise. Hannah wartete ungeduldig, während Tink ihr eine Geschichte erzählte, die sie sofort als absolut irrwitzig abgetan hätte, wenn jemand anderes sie ihr erzählt hätte. Doch Hannah atmete tief ein, als ihr bewusst wurde, dass nicht nur ihr seltsames Gefühl richtig gewesen war. Das gesamte Ausmaß der Situation war weitaus schlimmer, als sie sich je hätte vorstellen können. Tink erzählte, wie ihr Mitbewohner und bester Freund, Cosmos Raines, ein Genie in jeglicher Hinsicht, ein Portal entwickelt hatte. Und zwar ein Portal, das Tink in eine andere Welt brachte. Tink erzählte, wie sie ihren Hammer gegen irgendeine außerirdische Kreatur eingesetzt hatte, um einen Jungen zu retten. Der Junge entpuppte sich ebenfalls als Außerirdischer, nur Tink erkannte es zunächst nicht. Tink beschrieb bis ins kleinste Detail das Raumschiff, auf dem sie sich befand, die Männer, die sie traf, und wie sie nicht aufhören konnte zu weinen, seit Cosmos sie zurück auf die Erde gebracht hatte. Hannah hörte zu, als Tink ihr von einem Mann namens J'kar erzählte, der ihre kleine Schwester auf eine Weise beeinflusst zu haben schien, die keiner von ihnen verstand. Es dauerte einen Augenblick, bis Hannah merkte, dass Tink nicht mehr sprach. „Hannah?“ fragte Tink zögerlich. „Ich überlege gerade, ob ich Cosmos wegen des Portals umbringen oder ihm einen Kuss geben soll, weil er dich gerettet hat“, antwortete Hannah leise. Hannah wusste, wie begabt Cosmos war, doch sie hätte sich nie träumen lassen, dass er etwas derartiges entwickeln könnte. Die Gefahr, die dieses Gerät für ihre Welt bedeuten könnte, war unermesslich. Ganz sicher hatte Cosmos das bedacht. So klug wie er war, hatte er bestimmt eine Liste aller Dinge erstellt, die schief gehen konnten und irgendein Sicherheitsnetz als Plan B. Und was war mit der Regierung? Würde die Regierung nicht wissen, ob so etwas überhaupt möglich war? Hannah hätte angenommen, dass Cosmos als Kind genug Horrorfilme über Außerirdische gesehen hatte, um zu wissen, welch eine Gefahr ein Portal zu einer fortgeschrittenen Zivilisation für ihren Planeten darstellen könnte – ganz zu schweigen davon, wie die Menschen auf die Erkenntnis reagieren würden, dass Leben außerhalb ihrer Galaxie existiert. Hannah glaubte jedes Wort von dem, was Tink ihr erzählte. Ihr Vater mochte ein Science-Fiction-Autor sein, doch Tink würde sich so etwas niemals ausdenken. Wenn Tink sagte, dass sie auf einem Raumschiff in einer anderen Galaxie gewesen war, hingereist durch ein von Cosmos gebautes Portal, dann stimmte das auch. „Ich komme nach Hause. Ich werde da sein, sobald ich es einrichten kann“, sagte Hannah mit einer Stimme, die keine Widerrede zuließ. Vielleicht würde sie Cosmos küssen, während sie ihn erwürgt, dachte Hannah, und fing an in Gedanken Pläne zu schmieden. „Du wirst es doch nicht Mom, Dad oder Tansy erzählen, nicht wahr?“, fragte Tink zögerlich. Hannah konnte einen Anflug von Angst in Tinks Stimme hören. Doch sie wusste, dass Tink keine Angst davor hatte, dass die anderen es wissen könnten … nein, da ging noch etwas anderes vor sich und Hannah würde es herausfinden. Abgesehen davon, wenn ihre Schwester Tansy es herausbekam, mochte man sich kaum vorstellen, was passieren könnte! Sie würde bis an die Zähne bewaffnet losstürmen, wenn sie den Verdacht hätte, dass Tink auch nur im Entferntesten in Gefahr war. Dann wäre wirklich eine intergalaktische Schlacht im Gange! Wenn ihre Eltern das herausfänden, dann wäre das noch mal eine ganz andere Geschichte! Hannah hatte fast Mitleid mit den armen Außerirdischen! Ihr Vater würde sie bis zum Erbrechen für seine Science-Fiction-Storys ausfragen und ihre Mutter würde alles neu erfinden oder sie anderweitig in den Wahnsinn treiben! Oh Gott, dachte Hannah entsetzt, das würde auch bedeuten, dass ihre Eltern einen weiteren Ort zum Vögeln hätten! Hannah konnte ein schauderndes Stöhnen nicht ganz unterdrücken. Körperliches Vergnügen schien der Lebenssinn ihrer Eltern zu sein! Hannah stöhnte auf, als sie an all die Orte dachte, an oder auf denen ihre Eltern wahrscheinlich schon s*x hatten. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie zwei Menschen kennengelernt, die die ganze Zeit so scharf aufeinander waren! Nicht einmal die Tiere, die sie fotografierte, schienen es so begattungsfreudig zu sein wie ihre Eltern. Großer Gott! Hannah stöhnte erneut. Das war absolut NICHT das, woran sie im Augenblick denken wollte! Hannah holte tief Luft. Nein, ihre Eltern und Tansy würden nichts erfahren, wenn sie das verhindern konnte. „Nein, zumindest nicht, bis ich dich gesehen und entschieden habe, ob ich sie informieren muss“, antwortete Hannah kurz. „Ich bereite jetzt meine Reise vor und schicke dir die Details am Nachmittag per E-Mail zu. Oh, es ist Nacht bei dir, nicht wahr? Ich hab dich lieb, Kleines. Pass auf dich auf, bis ich da bin“, fügte Hannah abwesend hinzu. Sie hatte noch eine Menge zu erledigen, wenn sie nach Maine fliegen wollte.
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