2. Jameson

2245 Words
2 Jameson Ein Monat später Ich trete mit voller Wucht auf die Bremsen meines Jeeps auf dem Parkplatz des Supermarkts und knirsche mit den Zähnen wegen der Person, die vor mir rückwärts aus der Parklücke fährt. Bei dem Auto handelt es sich um einen alten Buick und der Fahrer ist zweifelsohne uralt, aber ich bin trotzdem wütend. Wenn ich ehrlich bin, macht mich dieser Tage alles wütend. Für ungefähr eine Woche nach meiner Trennung von Emma hatte ich Asher, mit dem ich abhängen und bei dem ich mich über das Leben auskotzen konnte. Doch dann verschwand er und ist seitdem nicht wieder aufgetaucht. Emma habe ich auch weder gesehen noch gehört, nicht dass ich ihr daraus wirklich einen Vorwurf machen kann. Es war nicht gerade die einfachste Trennung aller Zeiten, für keinen von uns. Ich lenke mein Auto auf einen Parkplatz und steige aus. Uns sind im Cure sämtliche Zitrusfrüchte ausgegangen, weshalb ich hier bin und einen Einkaufswagen suche. Ich schiebe den Wagen in den Laden und steure direkt auf die Obst- und Gemüseabteilung zu. Die Produkte hier sind gut und billig. Es gibt haufenweise Grünzeug und buntes Gemüse, alles in diesen schwarzen Kühlkästen gelagert, die gelegentlich mit Wasser besprüht werden. Ich wende mich den Stapeln Zitruskisten zu und nehme mehrere Handvoll Zitronen, Limetten, Orangen und Grapefruits. Dann überlege ich es mir anders und schnappe mir einfach eine Kiste für jede Zitrussorte, die ich anschließend in meinem Wagen staple. Ich blicke finster auf die Früchte hinab. Da ich schon im Laden bin, habe ich auch noch einige andere Dinge zu besorgen, weshalb ich meinen Wagen weiterschiebe. Ich kann nicht aufhören, an Emma zu denken. Ich denke hier an sie. Ich denke im Kino an sie. Ich denke an sie, wenn ich auf dem Highway fahre und wenn ich am Strand bin. Ich weiß, dass ich sie einfach vergessen sollte. Immerhin habe ich ihr mehr oder weniger gesagt, dass wir nie ein Paar waren. Aber irgendwie kann ich es nicht. Stattdessen gehe ich zum ungefähr tausendsten Mal die Informationsbröckchen durch, die ich von unseren gemeinsamen Freunden gesammelt habe. Vor ungefähr zwei Wochen fragte ich Evie, wie es Emma geht. Ich erhielt einen steinernen Blick zur Antwort. Evie zog eine Braue hoch und sagte mir, dass es Emma gut gehe. Ihre eisige Haltung verriet mir, dass Emma ihr alles erzählt hatte… und dass Evie nichts davon hielt, wie ich mit der Situation umgegangen war. Ich brauche Evies Missbilligung nicht. Davon verspüre ich selbst schon genug, ohne dass sie noch Salz in die Wunde streut. Ich schiebe meinen Wagen durch den Cerealiengang und ziehe meine Lieblingsgranolasorte aus dem Regal. Letzte Woche knickte ich ein und fragte Asher nach seiner Schwester, als wir zusammen arbeiteten. Er warf mir nur einen seltsamen Blick zu und sagte, dass es ihr gut ginge. Das ist also alles, was ich weiß. Ihr geht es gut. Sie ist nur… weg. Aus meinem Leben zumindest. Ich hatte erwartet, sie an irgendeinem Punkt vielleicht im Cure zu sehen oder wenn sie mit Asher abhängt. Immerhin ist sie vor dieser ganzen Geschichte immer einfach aufgetaucht. Nun, ich schätze, das habe ich verdorben. Ich wandere durch die Gänge, während der Wagen ein schwaches Quietschen von sich gibt. Es ist einen Monat her und ich habe einfach das Gefühl, als würde ich festhängen. In meinem Leben festhängen. An ihr festhängen. Ich war noch nie in einer Beziehung, deren Halbwertszeit so lange war. Zum Teufel, ich habe einer Affäre noch nie länger als ein paar Tage hinterher getrauert. Und ich sagte ihr, dass es das wäre, was wir hatten. Nur eine Affäre. Der Schmerz auf ihrem Gesicht, als ich das sagte… er wird mich für immer verfolgen. Das war der Moment, ab dem ich alles zurücknehmen würde, wenn ich könnte. Aber dann wäre natürlich nichts in Ordnung gebracht oder gelöst. Ich wäre garantiert auf bestem Wege zu einem monströsen Streit mit Asher. Ich drehe den Wagen am Ende eines Ganges um und laufe wieder zum Anfang zurück. Am gegenüberliegenden Ende des Ganges, verschiedene Pastasorten betrachtend, steht Emma. Ich erstarre und glotze sie an. Sie sieht so wunderschön aus wie in meiner Erinnerung mit ihren langen rabenschwarzen Locken, die sie geflochten und als Krone um ihren Kopf gewunden hat. Ihr gertenschlanker Körper ist in ein Sommerkleid gehüllt und sie hat diese wahnsinnig hohen Heels an, die ihre Beine so wunderbar zur Geltung bringen. Ich schwöre, wenn ich mich in einem Cartoon befände, wäre ich ein Wolf, dessen Zunge nach draußen hängt und dessen Augen die Form von Herzen haben. Sie spürt, dass jemand sie anschaut, und blickt in meine Richtung. Da ich mich an ihr sonniges Lächeln und ihre warme Begrüßung, wann immer sie mich sah, gewöhnt hatte, haut mich ihr düsterer Blick jetzt völlig um. Sie starrt mich finster an und dreht sich um, um ihren Wagen so schnell sie kann wegzuschieben. Sie verschwindet um die Ecke. Ich lasse meinen Wagen stehen, wo ich war, und sprinte förmlich in ihre Richtung. Es dauert eine Sekunde, bis ich sie ein paar Gänge weiter finde, aber ich nutze meinen Höhen- und Geschwindigkeitsvorteil aus. „Emma“, rufe ich ihr zu, als ich bereits die Hälfte des Ganges durchmessen habe. Der Blick, den sie mir über ihre Schulter zuwirft, ist pures Eis. Ich schenke dem keine Beachtung, sondern beschleunige meine Schritte noch mehr. Am Ende des Ganges habe ich sie eingeholt. „Emma, bitte warte.“ Sie stoppt, jede ihrer Bewegungen zögernd, und dreht sich dann um. Sie sieht nicht gerade glücklich darüber aus, mich zu sehen. „Was?“ „Ich… ich wollte dich nur sehen. Du weißt schon, mich vergewissern, dass es dir gut geht“, sage ich lahm. Sie massiert eine ihrer Schläfen. „Mir geht’s gut. Du hast mich gesehen.“ Sie schickt sich an, sich erneut abzuwenden und ich strecke meine Hand aus und packe ihren Arm. Sie betrachtet meine Hand, als sei sie der Teufel höchstpersönlich, der versucht, sich Zugang zu ihrer Seele zu verschaffen. Sie reißt sich los. „Was genau versuchst du hier zu tun?“, zischt sie. „Sorry“, erwidere ich, weiche zurück und halte die Hände hoch. „Ich… ich weiß es nicht. Ich versuche schon seit einer Weile, nach dir zu sehen.“ Sie sieht angepisst aus. „Hier bin ich. Du hast mich gesehen. Bist du jetzt glücklich?“ „Nein“, gestehe ich ehrlich. „Ich hatte gehofft, wir könnten… du weißt schon, noch immer miteinander abhängen. Freunde sein, Restaurants besuchen.“ Sie sieht mich blinzelnd an. „Du meinst, du möchtest, dass alles wieder so wird wie, bevor wir s*x hatten?“ „Yeah. Ich dachte, wir könnten –“ Sie schüttelt den Kopf. „Dir ist schon klar, dass man das ‚jemanden in die Friendzone schieben‘ nennt, oder? Wie im Sinne von, hey du, ich möchte, dass du all die Dinge mit mir machst, die ich mit einem Liebespartner machen würde, aber ohne die Liebe.“ „Ich meine, nur weil wir uns getrennt haben –“ „Ich wusste nicht, dass es bei Affären Trennungen gibt.“ Yeah, den verdiente ich. „Ich denke, wir können immer noch Freunde sein.“ „Wirklich? Ich denke nicht.“ Wir stehen eine Sekunde lang einfach nur da und starren einander an. f**k, ich hatte nicht damit gerechnet, dass es so schwer werden würde, die Sache mit ihr zu klären. Ich muss mir etwas einfallen lassen, um den Hass einzudämmen, und zwar schnell. „Ich brauche deine Hilfe“, kommt aus meinem Mund, ohne dass ich richtig darüber nachgedacht habe. Emma zieht eine Augenbraue hoch. „Oh?“ „Jepp. Äh… beim Lernen für den GED. Yeah, ich bin ein hoffnungsloser Fall, wenn es darum geht allein zu lernen. Ich musste meine Prüfungen schon wieder um einen Monat verschieben.“ Es stimmt, dass ich meine Prüfungen nach hinten verschoben habe, aber es liegt nicht daran, dass ich nicht allein lernen kann. Ich war in letzter Zeit einfach nicht in der Stimmung, ganz und gar nicht. „Ich weiß nicht…“, sagt sie, ihre Stirn legt sich in Falten. Ich beschließe, noch etwas dicker aufzutragen. „Es ist nur so, ich fühle mich so dumm, wenn ich versuche, allein zu lernen. Ich weiß, dass ich in der Lage sein sollte, es zu tun, aber…“ Ich versuche, erbärmlich zu wirken. Wenn du jemals meine Größe hattest und versucht hast, ein Gesicht wie ein schmollendes Kleinkind zu machen, weißt du, wovon ich rede. Sie mustert mich und ich kann sehen, dass sie mit sich ringt. Sie ist immer noch scheißwütend, aber anscheinend ist meine Bildung wichtiger als das. Sie kaut auf ihrer Unterlippe. Ich weiß, was sie hören muss. Sie denkt, ich sei erbärmlich, weil ich nicht allein lernen kann. Ich schlucke den Kloß aus Stolz, der sich in meiner Kehle formt. Ich spreche die Zauberworte, wobei ich meine Stimme senke. „Bitte? Ich schaffe es allein nicht. Ich brauche Hilfe.“ Emmas Augen verengen sich. Eine Sekunde glaube ich, dass sie mich gleich anschreien wird. Doch sie tut es nicht. Stattdessen seufzt sie und wirkt wirklich verärgert mit sich selbst. „Na schön“, blafft sie und verschränkt die Arme. Ich spüre, wie meine Wangen heiß werden; ich schäme mich für mich selbst. Nicht nur dafür, dass ich überhaupt diesen verdammten GED machen muss, sondern auch dafür, dass ich ihn als Ausrede nutze, um Emma dazu zu bringen, mir zu vergeben. „Dankeschön“, sage ich und lege meine Hand auf ihren Arm. Sie zieht ihn weg, als würde ich aus heißen Kohlen bestehen. Ihr Gesicht verzieht sich. Sie wirkt tatsächlich verletzt, als wäre es eine unverzeihliche Sünde, wenn ich ihren Arm berühre. „Fass mich nicht an.“ Mein Gesicht wird noch heißer. „Sorry.“ Ich sehe, dass sich auch ihre Wangen zu röten beginnen. „Wir brauchen… wir brauchen Grenzen.“ Ich ziehe eine Augenbraue hoch. „Grenzen? Was zum Beispiel?“ Sie reibt sich über den Arm an der Stelle, wo ich sie berührt habe, und sieht wütend aus. „Wie zum Beispiel kein Anfassen, für den Anfang. Und kein… Grübeln.“ „Kein Grübeln.“ Ich bemühe mich ehrlich, ein ausdrucksloses Gesicht zu machen, aber es gelingt mir nicht ganz. Meine Lippen heben sich leicht und ihre Laune verschlechtert sich schlagartig. Der Blick in ihren grünen Augen ist fast schon gewalttätig. Sie funkelt mich finster an. „Wenn du mich nicht ernst nimmst, kannst du allein lernen.“ „Nein, nein“, beteuere ich und hebe die Hände. „Du machst die Regeln, okay?“ „Verdammt richtig, das mache ich.“ Sie blickt mich feindselig an. „Also, äh…“ Ich reibe mir den Nacken. „Soll ich dann morgen Abend vorbeikommen?“ „Was? Äh, nein. Wir werden uns in einem Coffee Shop treffen, untertags. Du hast das Privileg verloren, einfach zu meinem Haus zu kommen und zu gehen, wie es dir gefällt.“ Ihre düstere Miene sagt, dass sie es bitterernst meint. „Richtig. Yeah, natürlich“, sage ich einlenkend. „Du hast recht. Ich muss morgen allerdings arbeiten. Wie wäre es mit dem Tag danach?“ „Ich bin den ganzen Mittwoch beschäftigt“, erwidert sie mit flacher Stimme. „Wann ist dein nächster freier Tag?“ „Ich habe Donnerstagmorgen frei“, antworte ich achselzuckend. „Schön. Dann lass uns um zehn Uhr treffen?“ Sie blickt sich rastlos um, eindeutig bereit, zu gehen. „Zehn ist perfekt.“ Zehn ist eigentlich furchtbar für mich. Ich hatte vor, den ganzen Morgen zu surfen, aber das sage ich Emma natürlich nicht. „Soll ich irgendetwas mitbringen?“ „Bring einfach nur deine Bücher. Ich texte dir den Ort.“ Mir liegt die Frage auf der Zungenspitze, warum zum Henker sie keine einzige meiner ‚wollte nur fragen, wie es dir geht‘–SMS beantwortet hat. Aber ich verkneife sie mir. „Okay. Super –“ Sie dreht sich bereits wieder zu ihrem Einkaufswagen um, bereit, den Abflug zu machen. „Emma, warte…“, sage ich. Ihr dunkler Kopf dreht sich und sie sieht zu mir, Desinteresse in ihrem grünen Blick. „Ja?“ Nichts hat mich jemals so tief, so schnell getroffen. Ich sauge scharf Luft ein und atme meine Antwort aus. „Danke.“ Sie verdreht die Augen, schnappt sich ihren Wagen und eilt zum vorderen Teil des Ladens. Ich beobachte sie beim Weglaufen. Der Saum ihres Sommerkleides schwingt über die Rückseite ihrer Schenkel. Fuck! Dämlich!, verfluche ich mich schweigend. Ich habe das verursacht. Ich tat es um Ashers Freundschaft willen, aber es tut trotzdem tierisch weh. Ich laufe gemächlich zurück zu meinem Einkaufswagen, wobei ich mich fühle, als wäre ich gerade von einem verdammten Lastwagen überfahren worden. Ich blicke zurück, doch Emma ist fort. Meine Ellbogen auf den Wagen stützend, schlendere ich durch die Gänge, weil ich sie nicht bedrängen möchte, indem ich zur Kasse gehe, während sie dort in der Schlange darauf wartet, bezahlen zu können. Ich stoppe eine Sekunde und reibe mit einer Hand über meine Bartstoppeln. Ich weiß, dass es so besser ist. Ich musste mit ihr Schluss machen. Asher hätte es früher oder später herausgefunden… und seine Freundschaft bedeutet mir alles. Also bin ich gewillt, schweigend zu leiden. Aber ich will Emma trotzdem noch in meinem Leben haben… selbst wenn es nur als Freunde möglich ist. Das können wir tun, denke ich. Wir können Freunde sein. Oder?
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