1. Emma

2568 Words
1 Emma Ich rolle mich auf meinem Bett zwischen den zerwühlten Decken zu einem Ball zusammen und heule wie ein Baby. Es ist kein hübsches Weinen. Allerdings bin ich mir auch nicht sicher, ob so etwas überhaupt existiert. Nein, ich weine hässliche Tränen, mein Gesicht ist rot und aufgequollen und überall ist Rotz verteilt. Leise bin ich auch nicht. Ich schluchze in eines meiner Kissen und gebe laute keuchende Geräusche von mir. Ich fühle mich beraubt. In meinem Kopf spiele ich immer und immer wieder ab, was Jameson zu mir sagte, während er hier in meiner Tür stand. „Wir waren nie in einer Beziehung!! Wir hatten allerhöchstens eine Affäre. Und jetzt ist sie vorbei.“ Das tut mehr weh als alles, was er hätte sagen können. Denn in einem Punkt hat er recht… wir haben diese Sache zwischen uns nie definiert, ihr nie einen Namen gegeben. Was ich so wundervoll und weltbewegend fand, war für Jameson offenkundig nichts weiter als eine Affäre. Vielleicht hat Asher recht. Vielleicht verheißt Jameson wirklich nichts Gutes, er verschleißt Frauen wie erkältete Leute Taschentücher. Es fühlte sich definitiv nicht so an, wenn ich in Jamesons Augen blickte, aber… ich beginne allmählich, jeden einzelnen Moment, den wir gemeinsam verbracht haben, infrage zu stellen sowie jeden Impuls und Gedanken, den ich hatte. Ich denke abermals an Asher, an seine dämliche Rolle und seine eigenartige Macht über Jameson. Mir muss ganz eindeutig etwas in ihrer gemeinsamen Vergangenheit entgangen sein, denn Jameson ist Asher so treu ergeben… und Asher scheint es nicht einmal zu bemerken. Meine Tränen versiegen, bis mir wieder einfällt, dass meine Periode spät dran ist. Irgendwie ist es mir in diesem ganzen Trennungs-Wahnsinn gelungen, den wichtigsten Fakt von allen komplett zu verdrängen. Ich könnte mit Jamesons Kind schwanger sein. Die potenziellen Probleme, die dieser Fakt mit sich bringen würde, hallen durch mein Gehirn. Ich kann nicht einmal anfangen, mich näher mit diesen zu beschäftigen. Die Unwissenheit bringt mich um. Also hieve ich mich aus dem Bett, ziehe ein Paar dunkler Yogahosen und ein fließendes T-Shirt, auf dem GUCCI steht, an. Ich bin mir sicher, dass mein Gesicht ganz geschwollen aussieht und mein Outfit so, als hätte ich es irgendwo aus den Tiefen meines Schranks hervorgegraben… Aber wenigstens weine ich gerade nicht, in diesem Moment. Nachdem ich in ein Paar dunkelblauer Converse geschlüpft bin, öffne ich die Tür zu meinem Schlafzimmer. Ich überrasche Evie, die vor meiner Schlafzimmertür steht und gerade anklopfen will. Sie ist in eine Jeans und einen ausgebeulten Hilary 2016 Hoodie gekleidet. „Hey…“, sagt sie, die braunen Augen weit aufgerissen. „Ich dachte, ich hätte dich weinen gehört. Du scheinst… dich nicht ganz so gut zu fühlen?“ Ich blicke an mir hinab und mein Kinn beginnt von neuem zu beben. Sofort treten mir Tränen in die Augen und ich schüttle den Kopf. „Ich wurde abserviert… und ich bin vielleicht schwanger“, sage ich, meine Worte sind zittrig, während mein Gesicht in Tränen ausbricht. „Whoa, whoa“, sagt Evie, deren Stirn sich in Falten legt. Sie zieht mich in ihre Arme und umarmt mich fest. „Das ist… eine Menge. Komm mit mir in die Küche.“ Ich lasse mich von Evie durch den Flur in die winzige Küche führen. Sie setzt mich auf einen der Stühle am Tisch und reicht mir ein sauberes Geschirrtuch. Ich wische mir damit übers Gesicht und komme mir blöd vor. „Ich werde uns einen Kräutertee machen“, verkündet sie. „Und du kannst anfangen, mir zu erzählen, was passiert ist.“ Sie geht und füllt den Wasserkocher. Ich setze mich auf einen unserer Küchenstühle und bemühe mich, meine Tränen unter Kontrolle zu bringen. Evie bedrängt mich nicht weiter. Sie greift lediglich in den Küchenschrank, um zwei Tassen und die Schachtel mit den Teebeuteln herunter zu holen, wobei sie vorgeht, als wäre ich gar nicht anwesend. Aus irgendeinem Grund beruhigt mich das ein wenig. Ich schließe die Augen und konzentriere mich einige Minuten auf meine Atmung. Der Wasserkocher pfeift, das Geräusch schrill und laut. Als ich meine Augen wieder öffne, gießt Evie gerade Wasser in zwei Tassen. „Hier, das ist eine Zitrone-Kamille Mischung“, sagt Evie, während sie eine Tasse vor mich stellt. „Ich finde ihn wirklich tröstlich. In den letzten Wochen habe ich einen Beutel nach dem anderen davon getrunken.“ Ich krümme meine Hände um die Tasse und spüre die Wärme des Inhalts. Ich spähe hinein und sehe einen gelblichen Wirbel unten am Tassenboden. Ich blinzle. Ich versuche, mir einen Reim aus etwas zu machen, das Evie gerade gesagt hat, darüber eine Menge Teebeutel zu verwenden und Trost… „Also… willst du mir von der Trennung erzählen? Oder möchtest du lieber mit der Schwangerschaft anfangen?“, fragt Evie, die die Ruhe selbst ist. Sie starrt einen Augenblick ins Leere. „Warte, lass uns einfach mit der Trennung anfangen.“ Ich blinzle sie an, aber sie bläst nur in ihre Teetasse. „Ähmm… okay…“ Sie mustert mich mit warmen Augen. „Ich vermute mal, dass es um Jameson geht?“ Ich wische mir eine Träne aus dem Augenwinkel und nicke. „Ja.“ „Das war ja klar. Er ist ein Scheißkerl, falls dir das hilft.“ Das entlockt mir einen merkwürdigen Laut, etwas, das eine Mischung aus einem Glucksen und einem Grunzen ist. Evie nimmt sich einen Moment, um ihren Teebeutel ein paarmal nach unten zu tunken, und trinkt dann einen Schluck. „Mmm. Okay, also. Wie lange habt ihr zwei euch getroffen?“ Ich räuspere mich und zwirble den Faden des Teebeutels. „Ungefähr zwei Monate. Vielleicht etwas mehr.“ „Und war es ernst? Ich meine, natürlich war es ernst, denn schau dich nur an. Aber ich meine… habt ihr beiden… die Worte Freund und Freundin benutzt oder… ich liebe dich gesagt?“ Ich schüttle den Kopf, unfähig, vom Tisch aufzuschauen. „Nein.“ Sie zieht das Gesicht zusammen und denkt nach. „Aber du hast tiefe Gefühle gehegt, schätze ich mal.“ „Ja. Ich meine, ich hatte definitiv das Gefühl, als…“ Ich halte inne, sammle meine Gedanken. „Ich hatte das Gefühl, als hätte ich die eine Person gefunden, die es einfach… kapiert. Oder mich kapiert? Ich weiß nicht. Vielleicht soll jeder, mit dem man s*x hat, so sein, aber –“ „Warte, du hast ihm deine Jungfräulichkeit geschenkt?“, fragt Evie. Ihre Augenbrauen schnellen in die Höhe. „Verdammt, Mädel.“ Daraufhin lasse ich eine Minute verziehen, in der ich an meinem Tee nippe. Er ist wirklich irgendwie tröstlich, der Zitronengeschmack und Kräuterduft. „Ich bin seit Jahren in Jameson verliebt“, gestehe ich schließlich. Es ist irgendwie eine Erleichterung, es laut vor jemandem auszusprechen. „So ungefähr seit ich alt genug war, um schmutzige Träume zu haben. Ich dachte irgendwie immer, irgendwo in meinem Hinterkopf, dass wir zusammenkommen würden. Seit ich fünfzehn war, hatte ich vor, ihm meine Jungfräulichkeit zu schenken, noch bevor ich richtig wusste, was das eigentlich bedeutet.“ Evies Augen weiten sich, es ist fast schon komisch. „Warte, du hast… dich für Jameson aufgehoben?“ Ich zucke mit den Achseln und erröte. „Ja, das habe ich. Ich meine, die letzten paar Jahre steckte keine Absicht mehr dahinter. Aber als ich anfing, diese ‚Ich fühle mich zu dir hingezogen‘-Signale von ihm zu empfangen, wollte ich irgendwie… da wollte ich wirklich, wirklich dafür sorgen, dass es auch passiert.“ „Määädelll“, sagt sie aufgeregt. „Ich kann nicht fassen, dass du schon so lange auf ihn stehst! Und ich kann nicht fassen, dass ich es nicht wusste.“ Ich beiße auf meine Lippe und zucke mit einer Schulter. „Spielt keine Rolle wegen Asher.“ Sie setzt sich etwas aufrechter hin. „Asher? Was hat er mit irgendetwas davon zu tun?“ „Asher hat vor Jahren diese bescheuerte Regel aufgestellt. Er hat Jameson und Forest und Gunnar gesagt, dass sie nicht mit mir schlafen dürfen. Tatsächlich hat er Gunnar mehrere Male in seine Schranken verwiesen, denn Gunnar ist…“ Ich suche nach dem richtigen Wort. „Eine Schlampe?“ Evies Mundwinkel krümmen sich nach oben. „Ja. Jedenfalls existiert diese Regel, seit ich einen Busen bekam, glaube ich. Denn ich kann ja offensichtlich nicht selbst entscheiden, mit wem ich schlafen möchte. Gäbe es diese Regel nicht, würde ich nämlich einfach mit jedem Kerl, den ich sehe, in die Kiste hüpfen!“, sage ich sarkastisch. „Aber Asher hat natürlich keine Regeln darüber, mit wem er schlafen oder wen er daten darf.“ Evie blickt hinab auf den Tisch und fährt gedankenverloren etwas nach. „Das klingt nicht fair.“ „Dankeschön! Das ist es auch nicht.“ Ich lehne mich zurück und versuche, nach meiner berechtigten Empörung zu greifen, aber sie ist nicht da. Ich bin viel zu beschäftigt damit, traurig zu sein, als das irgendeine andere Emotion eine Chance hätte. „Also… bist du schon bereit, über die andere Sache zu reden?“, erkundigt sie sich sanft. Mein Herz beginnt wie wild zu hämmern, wenn ich nur daran denke. Ich nicke langsam. „Ja, ich denke schon. Es ist nur… ich trage eine Spirale.“ Sie legt den Kopf schief. „Und trotzdem denkst du, du könntest schwanger sein?“ Meine Augen füllen sich erneut mit Tränen. Ich fühle mich erbärmlich. „Ja.“ Evie betrachtet mich eine Minute. „Ich vermute, dass du deswegen keine Glücksgefühle verspürst.“ Ich trinke einen Schluck von meinem Tee, um mich zu beruhigen. Dann hole ich tief Luft. „Ich meine, ich bin ziemlich hin und hergerissen. Einerseits ist da mein fünfzehnjähriges Ich, das… vor Freude jubelt. Ich habe diesen Kerl mein halbes Leben geliebt und jetzt werde ich sein Baby bekommen? Nun… ich hätte mir kein besseres Ergebnis vorstellen können, in der egoistischsten Version.“ Sie schürzt die Lippen. „Und andererseits?“ „Tja, die Kehrseite wiegt doppelt so schwer. Zuerst einmal bezweifle ich, dass das fünfzehnjährige Mädchen besonders glücklich darüber wäre, dass Jameson mit mir Schluss gemacht hat. Und zweitens studiere ich verdammt nochmal Jura! Unter dem Jahr lerne ich und gehe zur Uni, ab dem Moment, in dem ich aufwache, bis zu dem Moment, wenn ich Schlafen gehe. Das ist alles. Ich habe keine Zeit für irgendetwas anderes. Da noch ein Baby hinzuzufügen, das ist wie… ein Rezept für Desaster.“ „Definitiv. Ich meine, du könntest damit klarkommen, aber du möchtest es nicht unbedingt.“ „Genau. Aber… da ist trotzdem ein Teil von mir, der irgendwie Babyverrückt ist. Ich stelle mir vor, wie wundervoll unser Kind wäre. Ich meine, hast du schon mal Babyschuhe gesehen? Denn die sind so verflixt niedlich. Und ich kann uns sehen, wenn sie ein bisschen älter ist. Ich, angezogen für ihre erste Ballettaufführung…“ Ich lasse das Gespräch für eine Minute verstummen, in der ich von pinken Haarschleifen träume. In meinen Gedanken ist Jameson ebenfalls da, denn ich denke, wenn er wüsste, dass ich schwanger bin, würde er darauf bestehen, mich zu heiraten. Ich blinzle, spekuliere. Ist das verrückt? Ich bin mir ziemlich sicher, dass es verrückt ist. Sie räuspert sich. „Ich meine, das klingt schrecklich schön.“ Ich schüttle den Kopf. „Ich denke, dass ich eine sehr komplexe Situation massiv vereinfache. Wenn ich wirklich schwanger bin und beschließen würde, es zu behalten, wären die Dinge zwischen Jameson und mir… nun, komplex ist eine nette Art, es zu beschreiben.“ „Tjaaa…“, sagt sie. „Du weißt doch noch nicht einmal, ob du dir darum Sorgen machen musst. Und es gibt eine ziemlich einfache Methode, herauszukriegen, ob du das tun musst. Also… du weißt schon, alles schön der Reihe nach.“ Ich seufze. „Wir haben keine Schwangerschaftstests hier. Ich hab nachgeschaut.“ Sie steht auf. „Das haben wir aber so was von. Ich weiß, wo sie sind. Jetzt sieh zu, dass du den Rest von deinem Tee trinkst, er ist leicht harntreibend.“ Ich taxiere sie aus zusammengekniffenen Augen, doch sie marschiert bereits aus dem Raum. Ich trinke die Tasse mit dem schnell abkühlenden Tee aus und mache mich dann auf den Weg in den Flur. Sie trifft mich dort, da sie gerade aus ihrem Zimmer kommt. „Hier“, sagt sie und reicht mir einen in Plastik verpackten Schwangerschaftstest. „Du pinkelst auf das Ende, dann wartest du zwei Minuten. Dann werden wir wissen, womit wir es zu tun haben.“ Ich nehme ihr den Test ab und runzle die Stirn. „Wie funktioniert der? Ich meine, woher wissen wir, ob er stimmt?“ „Diese Dinger sind zu 95% akkurat. Pinkel einfach auf das Ende und dann werden wir sehen, womit wir es zu tun haben.“ Tief Luft holend laufe ich ins Bad. Ich pinkle schnell auf das Stäbchen, dann lege ich den Test neben das Waschbecken und öffne die Badtür. Evie lehnt an der Wand, als ich sie öffne. „Fertig?“, fragt sie. „Ja, jetzt müssen wir nur noch warten.“ Ich werfe einen Blick auf den Test, denn ich möchte, dass er fertig ist. Doch in meinem Herzen kann ich mich nicht entscheiden, welches Ergebnis ich mir wünsche. Falls er positiv ist, ist mein Leben, wie ich es kenne, vorbei. Daran besteht kein Zweifel. Ich werde das Jurastudium abbrechen müssen. Ich werde mit den enttäuschten und wütenden Gesichtern meiner Familie zurechtkommen müssen. Schlimmer, ich werde es Jameson erzählen müssen. Andererseits wäre es auch gelogen, würde ich behaupten, dass ich nicht ein klein wenig aufgeregt bin. Ein Baby ist eine große Veränderung und eine gewaltige Verantwortung, aber es wäre Jamesons Baby. Ich hätte ein kleines Stück von ihm, komme was da wolle. „Emma, ich denke, du kannst jetzt nachschauen“, sagt Evie sanft. Ich sehe zu ihr, so nervös wie noch nie zuvor. Mit zitternden Händen greife ich nach dem Test. Ich hole tief Luft, dann schaue ich nach. Er ist negativ. Ich blicke zu Evie und spüre, wie mir Tränen der Erleichterung in die Augen treten. „Negativ“, verkünde ich und lehne mich an das Waschbecken. Ich schließe die Augen. „Oh Gott. Gott sei Dank.“ „Das ist gut“, sagt Evie, die mich von hinten umarmt. „Jetzt muss sich dein Leben überhaupt nicht verändern.“ Ich lege den Test beiseite und drehe mich um, um sie richtig zu umarmen. Ich vergrabe mein Gesicht in ihren schwarzen Haaren und atme tief ein. „Danke, dass du mir hierbei die Hand gehalten hast.“ „Selbstverständlich“, sagt sie nur. „Das machen Mädchen nun mal für einander.“ Ich löse mich von ihr. „Weißt du, was sie noch tun? Sie bestellen eine Trennungs-Pizza.“ Sie lacht. „Es ist noch ziemlich früh am Tag dafür. Was hältst du davon, wenn ich uns stattdessen ein paar Trennungs-Omeletts zusammenrühre?“ Ich lächle sie an. „Okay. Wir haben einen Deal. Aber ich verlange, dass wir uns bis zum Ende des Tages Pizza und Eiscreme liefern lassen. Mir ist heute danach, meine Emotionen zu essen.“ „Deal.“ Evie stößt sich von der Wand und ich werfe den Test in den Mülleimer im Bad. Ich bin immer noch ein wenig traurig und ich bin mir sicher, dass das in Wellen kommen und gehen wird… Aber wenigstens bin ich nicht schwanger. Die Dinge könnten schlimmer sein.
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