Prolog

580 Words
Prolog Amber Notiz an mich selbst: Verrückte Leute, die Visionen haben, sollten sich von überfüllten Flughäfen fernhalten. Ich rolle meinen Koffer bis zum Waschbecken ins Badezimmer und schaue mein Gesicht im Spiegel an, während ich meine Hände wasche. Meine Haare sind immer noch in einem einfachen Knoten hochgesteckt, aber meine stechenden Kopfschmerzen haben mich in ein Monster verwandelt, die Augen sind blutunterlaufen und eingesunken, als würden sie in meinen Schädel zurücktreten, um von alldem wegzukommen. Großartig. Eine kreischende Migräne am Tag meines Bewerbungsgespräches. Genau das, was ich schon immer wollte. Ich trockne meine Hände mit einem Papiertuch, klopfe das feuchte Tuch gegen meine Wangen und unterdrücke ein Stöhnen. Was habe ich mir nur gedacht, hierherzufliegen? Nichts löst meine Halluzinationen mehr aus, als in der Nähe von zu vielen Menschen zu sein. Ein Mann in einem Business-Anzug hat mich angestoßen und seine Erinnerung ist in meinem Kopf aufgeblitzt: er im Bett mit einer Frau. Er betrügt seine Ehefrau. Ich weiß nicht, woher ich das weiß, aber ich weiß es. Und ich wünschte, ich würde es nicht wissen. Vielleicht verstecke ich mich im Waschraum, bis sie meinen Flug aufrufen. Ja, das ist ein Superplan. Verrückte Amber, versteckt sich in Bädern, weil sie Visionen hat, egal wohin sie geht. Hab ich hierfür Jura studiert? Mein Telefon piept. 10:42 Uhr. Fünfzehn Minuten bis zum Einsteigen und fünf Stunden bis zu meinem Bewerbungsgespräch. Ich wühle nach Aspirin, zucke beim Rasseln der Pillen in der Flasche zusammen. Weitere Notiz an mich selbst: Kaufe Schmerzmittel in Gelkapseln. „Entschuldigung“, erklingt eine warme Stimme hinter mir und eine alte Frau berührt meinen Rücken, als sie an mir vorbeikommt, um nach einem Papiertuch zu greifen. Ich versuche, mich ohne Augenkontakt wegzuducken, aber die Frau hat mich zwischen den Waschbecken und den Papiertüchern gefangen, ich kann nicht entkommen. Ich blicke sie an mit meinem höflichsten Lächeln, welches mir wie auf mein Gesicht geklebt ist. Die Frau hat lange weiße Haare, aber ein überraschend junges Gesicht und große blaue Augen. „Wie lange praktizierst du schon die intuitive Kunst?“ Ich schaue hinter mich, obwohl ich weiß, dass niemand dort ist. Aber die Frau kann doch nicht mit mir reden, oder? „Entschuldigung?“ Sie berührt mich immer noch, ihre Finger ruhen jetzt leicht auf meinem Ärmel. „Die intuitive Kunst. Wie lange praktizierst du sie schon?“ Eine Kältewelle durchfährt meine Gliedmaßen. „Es tut mir leid, ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.“ Das Gesicht der Frau wird betrübt. „Oh.“ Ihr Ausdruck klärt sich. „Nun, das solltest du, Schätzchen, ansonsten wirst du weiter Kopfschmerzen haben, bis du es tust.“ Meine Sicht verschwimmt vor lauter Bildern in den Zeitraffer-Filmrollen, die ich unterdrücken wollte. Übelkeit überkommt mich. Ich sehe einen riesigen, muskulösen Mann am Strand stehen, die Stirn runzlig, Fäuste geballt. Dann einen Wolf in einem Käfig, zähnefletschend. Ich zwinge die Luft aus meiner Lunge, um sie mit frischem Sauerstoff zu füllen, und schüttele meinen Kopf, als ob es meine dummen Visionen klären würde. Als mein Fokus zur Toilette zurückkehrt, blinzele ich. Die Frau ist weg. Ich packe den Griff meines Koffers und rolle ihn aus dem Bad, suche nach der weißhaarigen Frau, als mir die Uhr ins Auge fällt. 10:42 Uhr, das muss falsch sein. Ich überprüfe mein Telefon und in dem Moment, ändert sich die Zwei zur Drei. Fast keine Zeit ist in der Toilette vergangen, aber es gibt keine Spur von der Frau. Wie hat sie sich einfach in die Luft aufgelöst?
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