Erstes Kapitel-1

2102 Words
Erstes Kapitel Pavel Ich presse meine tätowierten Finger unter den Kiefer des Versagers und fahre mit der Klinge meines Messers seinen Hals entlang. „Gehe keine Wetten ein, die du nicht auszahlen kannst“, sage ich zu ihm. Ich habe das Messer extra geschärft, bevor wir hergekommen sind, also reicht schon ein Hauch der Klinge aus, um seine Haut aufzuschneiden, und ein kleines Rinnsal aus Blut rinnt seinen Stiernacken hinunter. Genug, um ihm Angst einzujagen, falls er schreckhaft sein sollte. Wir sind nicht hier, um den Kerl zu verstümmeln, nur um ihn sich in die Hosen pissen zu lassen. Nikolai, unser Buchmacher, steht direkt neben ihm, die Arme in eindeutiger Verurteilung vor der Brust verschränkt. Neben ihm steht Oleg, der riesige, stumme Vollstrecker, und lässt seine tätowierten Fingerknöcheln krachen. Er hatte sich den Kerl bereits ordentlich vorgeknöpft. Der Typ wird ein paar Wochen voller Blutergüsse und Schwielen herumlaufen, so viel ist sicher. Sowas passiert eben, wenn man sich mit der Bratwa von Chicago anlegt. „Bitte. Ich besorge das Geld. Ich schwöre.“ Er ist mittlerweile am Faseln. Es hat nicht lange gedauert, ihn zu brechen, aber es hat trotzdem mehr Zeit in Anspruch genommen, als ich eigentlich hier verschwenden wollte. Nicht, dass mein Job eine Zeitverschwendung wäre. Ich habe verdammtes Glück, Teil von Ravils Bratwa-Zelle zu sein. Nur dass es noch jemand anderen gibt, den ich foltern muss, wenn ich hier fertig bin. Jemanden weitaus Willigeren und vor allem weitaus Reizenderen. Aber leider lebt sie in einer anderen Stadt, was bedeutet, dass ich einen Flieger erwischen muss. Ich werfe Nikolai einen Blick zu und er zuckt mit den Schultern, überlässt mir die Entscheidung. Ich wische mein Messer am Hemd des mudaks ab. „Du hast zwei Wochen. Bezahle, oder wir nehmen dir alles, was du liebst. Verstanden?“ „Ich verstehe“, stöhnt er. „Ich besorge das Geld. Versprochen.“ „Du hattest das Geld“, erinnere ich ihn. „Und anstatt es zu uns zu bringen, hast du damit bei den Tacones eine Wette abgeschlossen.“ Der Kerl lässt den Kopf hängen. „Ich weiß“, stöhnt er. „Ich sage es dir noch mal – wir werden immer zuerst bezahlt.“ „Ich werde – ich werde euch zuerst bezahlen. Versprochen.“ „Glaube nicht, dass du jemals wieder an meinem Tisch willkommen sein wirst“, sagt Nikolai. Er nimmt es persönlich, wenn Spieler sich dafür entscheiden, sich zu den Italienern anstatt zu uns zu setzen. Die Tacones sind nicht unsere Feinde; wir haben eine stillschweigende Vereinbarung, dass jeder bei seinem Fachgebiet bleibt, wenn es um organisiertes Verbrechen in dieser Stadt geht. Was beutet, dass sich unsere Pokerspiele eigentlich nicht überschneiden sollten. Ich nicke Oleg mit dem Kinn zu, der dem Gesicht des Kerls einen letzten Schlag versetzt, nur zur Sicherheit, dann schneide ich die Seile durch, die ihn an den Stuhl fesseln. Er versucht sofort, aufzustehen, aber ich deute mit der Klinge meines Messers auf sein linkes Auge und er erstarrt. „Setz dich. Zähl bis vierhundert. Dann kannst du verschwinden.“ „Vierhundert. Alles klar. Vierhundert“, plappert der Kerl. Ich greife nach meiner Jacke und ziehe sie an, während wir das leerstehende Lagerhaus verlassen, das wir für unsere kleine Folternummer ausgewählt hatten. Kies knirscht unter unseren Schuhsohlen, als wir zu Olegs SUV gehen. „Nicht gerade unser üblicher Standard“, bemerkt Nikolai. „Ist dir der Appetit auf Folter vergangen?“ „Nein.“ Ich erzähle ihm nicht, dass sich mein Geschmack einfach geändert hat. Ich habe ein viel gesünderes Ventil für meine sadistischen Triebe gefunden. Ich erzähle es ihm nicht, aber vermutlich weiß er es schon. Diese Typen und ich wohnen zusammen. Da ist es ziemlich schwer, Geheimnisse zu bewahren, obwohl wir gerade erst herausgefunden haben, dass Oleg ein verdammt großes Geheimnis über seine Vergangenheit vor uns hatte. „Im Ernst, Mann. Ich hätte beinah eingegriffen und ihm selbst ein paar Haken verpasst.“ Nikolai lässt nicht locker. Ich werfe Oleg einen Blick zu, denn der Kerl kommuniziert mittlerweile mehr, aber er zuckt nur mit den Schultern und lässt seine Faust nicken, Gebärdensprache für ja. „Da poschjol tu.“ Ich lasse sie wissen, dass sie zur Hölle fahren können. Wir steigen in Olegs Wagen und er startet den Motor. „Ravil wird dich noch ersetzen, wenn du nicht anfängst, deinen Beitrag zu leisten“, sagt Nikolai und es klingt unbeschwert, aber ein Kribbeln zwischen meinen Schulterblättern lässt mich dennoch genau hinhören. Ich bin mir nicht sicher, ob er mich einfach nur aufziehen will oder ob er es ernst meint. Ravil ist unser pachan, der Boss der Chicagoer Bratwa. Die Vorstellung, dass er unzufrieden mit meiner Arbeit sein könnte, macht mich nervös. Ich habe verdammtes Glück, diese Stellung zu haben, und ich bin ehrgeizig. Definitiv hoffe ich darauf, meine Position in der Zelle zu festigen, solange ich hier bin. Auf diese Art und Weise ist hoffentlich meine Position in der Moskauer Organisation gestärkt, sobald ich dorthin zurückkehre. „Wovon zur Hölle sprichst du?“, blaffe ich ihn an. Nikolai dreht sich im Beifahrersitz zu mir herum und schaut mich an. „Er hat heute Morgen eine Bemerkung darüber gemacht, dass du das Wochenende über wieder fort bist. Irgendwas darüber, dass du es nicht mit ihm abgesprochen hättest.“ Bljad. Ich hatte es tatsächlich nicht mit ihm abgesprochen. Aber ich dachte, alle würden wissen, dass ich nach L.A. fliegen würde. Das habe ich jedes Wochenende seit dem letzten Valentinstag gemacht, als Ravil mich wegen einer geschäftlichen Sache in einen b**m-Club geschickt hatte und ich dort am Ende Anspruch auf meine kleine Sklavin erhoben hatte. Trotzdem, anzunehmen, jeder wüsste Bescheid, war nicht das Gleiche, wie den Boss um Erlaubnis zu fragen. Ich hätte daran denken sollen, das Okay von ihm einzuholen, aber es gibt bei uns nicht gerade eine Stechuhr für die Angestellten. Unsere Jobanforderungen sind ziemlich lose formuliert. Im Prinzip tue ich, was auch immer Ravil mir aufträgt – legal oder nicht. Ich gehöre Ravil, aber ich würde auch alles für ihn tun. Ich fahre mir mit der Hand über das Gesicht. „Okay. Danke für den Hinweis.“ Nikolai mag erscheinen wie ein Blödmann, aber ich weiß, dass er nur versucht, mir den Arsch zu retten. „Was hast du mit diesem Mädchen vor?“, fragt Nikolai. Ich antworte nicht. Das geht ihn verflucht noch mal nichts an. „Willst du dieses Fernbeziehungs-Dings auf Dauer durchziehen?“ „Nee“, antworte ich und versuche, es lässig klingen zu lassen. Als ob es einfach für mich werden würde, die Sache mit Kayla zu beenden. Die Wahrheit ist, das wird es nicht werden. Ich weiß, dass ich ein Arsch bin, weil ich Anspruch auf sie erhebe und sie den letzten Monat über als mein Eigen eingefordert habe. Kayla hat ein eigenes Leben. Eine vielversprechende Zukunft. Eine Zukunft, der ihre Verbindung zu mir nur schaden wird. Und damit meine ich noch nicht einmal den emotionalen Schmerz, den ich ihr verursachen werde. Mit jeder weiteren Woche, die ich diese Sache laufen lasse, wird es schwieriger, Schluss zu machen. Ich sollte einfach sofort in den sauren Apfel beißen, bevor sie sich noch mehr an mich als ihren Master bindet, als es ohnehin schon der Fall ist. Genau. Dieses Wochenende werde ich die Sache beenden. Nicht gleich zu Beginn, aber kurz bevor ich wieder fliege. Nachdem wir unseren Spaß hatten. Ich werde sicherstellen, dass sie die besten Orgasmen ihres Lebens hat, und dann lasse ich sich behutsam vom Haken. Gebe der Distanz die Schuld. Oleg parkt in der Tiefgarage unter dem Gebäude am Ufer des Lake Michigan, das Ravil besitzt. Die ganze Nachbarschaft nennt es nur noch den Kreml, weil er ausschließlich Russen in dem Gebäude wohnen und arbeiten lässt. Russen, und seine amerikanische Braut. Und jetzt auch Olegs neue Freundin, Story. Für einen kurzen Moment blitzt der Gedanke durch meinen Kopf, meiner Sklavin zu befehlen, nach Chicago zu ziehen und sie hier im Kreml unterzubringen, damit ich sie rund um die Uhr dominieren kann. Aber natürlich würde ich so etwas nie tun. Sie ist Schauspielerin und hofft auf ihren Durchbruch in L.A. Sie dazu zu überreden, umzuziehen – und ich bin mir nicht einmal sicher, dass ich das hinbekommen würde, so willig sie auch sein mag, meinen Befehlen zu gehorchen –, würde im Endeffekt ihre Träume zerstören. Ich mag ein egoistischer Arsch sein, aber so ein riesiges Arschloch dann nun auch wieder nicht. Ich steige aus dem Wagen und schaue auf mein Handy. Mein Koffer liegt bereits gepackt im Kofferraum meines Autos. Wenn ich jetzt sofort einsteige und zum Flughafen fahre, hätte ich ganz entspannt Zeit. Aber Ravil. Das Letzte, was ich brauche, ist, dass mir von meinem Boss der Arsch versohlt wird. Nicht nachdem ich so hart gearbeitet habe, um mich unersetzlich zu machen. Bljad. Ich folge Nikolai und Oleg zu den Aufzügen und fahre mit ihnen ins oberste Stockwerk, wo wir alle unsere Zimmer in Ravils Penthouse haben. Als wir das Penthouse betreten, steht Ravil vor den riesigen, bodentiefen Fenstern, die auf den See hinausblicken, und hält Benjamin, seinen fünf Monate alten Sohn gegen seine Brust. Er murmelt dem Baby leise auf Russisch ins Ohr. Kein guter Augenblick, um zu unterbrechen. Aber ich habe keine Zeit zu verschwenden. Ich trete neben ihn, sage aber vorerst nichts und blicke ebenfalls auf den See hinaus. „Was ist passiert?“ Ravil spricht so gut wie immer Englisch mit uns. Als ich aus Russland hierhergezogen bin, um seiner Zelle beizutreten, habe ich kein Wort Englisch gesprochen. So hat Ravil sichergestellt, dass wir es gelernt haben – indem er uns verboten hat, unsere Muttersprache zu sprechen, bis wir auch fließend Englisch konnten. „Nichts. Wir haben uns darum gekümmert.“ Er wirft mir einen skeptischen Blick zu, sagt aber nichts. Ravil ist sanftmütig. Von kühlem Gemüt. Verflucht intelligent. Kein Mann, den man je unterschätzen oder verärgern sollte. Ich hatte Glück, dass er mir einen Platz hier angeboten hat, als ich Moskau verlassen musste. Ich habe versucht, alles von ihm zu lernen, was ich konnte, ihm nachzueifern. Noch bin ich ungeschliffen, aber ich werde jeden Tag raffinierter. Ich stopfe meine Hände in die Taschen. Es fällt mir nicht leicht, mich zu entschuldigen. Ich kann mich tatsächlich nicht an das letzte Mal erinnern, als ich mich entschuldigt habe. Aber ich schulde Ravil verdammt noch mal Respekt. „Ich hätte um deine Erlaubnis fragen sollen, die Stadt verlassen zu dürfen“, sage ich und mein Blick fällt auf das engelsgleiche Gesicht seines Sohnes, als Benjamins geschlossenen Lider kaum merklich flattern. „Ja“, stimmt Ravil zu. Fuck. Nikolai hatte recht. Ich schulde ihm was dafür, mich vorgewarnt zu haben. „Tut mir leid.“ „Verziehen.“ Ravil sagt es ganz beiläufig, schafft es aber trotzdem, mich spüren zu lassen, dass meine Überschreitung auch Vergebung verlangt hat. Ich atme tief durch, aber ich weiß nicht, was ich noch sagen soll. Frage ich ihn verspätet um Erlaubnis? Vielleicht sollte ich das tun, aber ich kann mich nicht dazu bringen, auch nur die Möglichkeit dessen ins Spiel zu bringen, nicht zu fliegen. In Kalifornien wartet ein Stück puren Himmels auf mich und ich habe vor, noch den letzten Saft herauszuquetschen, bevor ich der Sache ein Ende setze. Ich fange an, ihm zu erzählen, dass es mein letzter Trip nach L.A. ist, aber auch dieses Versprechen kann ich eigentlich nicht machen. „Du musst dir über die Dinge klar werden.“ Ravil spricht für mich. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund beginnt mein Herz zu hämmern. Ravil hat gerade laut ausgesprochen, was ich vor mir selbst geleugnet habe, weil ich mir eingeredet habe, ich hätte mich schon längst entschieden. Aber was ist es, über das ich mir klar werden muss? Kayla ist in Los Angeles. Ich bin hier. Und darüber hinaus habe ich vor, nach Russland zurückzukehren, wenn die Dinge sich dort beruhigt haben. Ich habe mein Geld gespart, um dort mein eigenes Unternehmen zu starten. Nicht zurückkehren ist keine Option – meine Mutter ist ganz allein dort. Aber er hat recht – ich habe mich eindeutig noch nicht entschieden, ansonsten würde ich dieses Wochenende nicht rausfliegen. Meine einmonatige Vereinbarung mit Kayla war letzte Woche zu Ende. „Ja“, stimme ich ihm zu. „Lass mich wissen, wenn du es weißt.“ Er dreht sich um und geht davon, lässt mich schwitzend zurück. Fuck. Ein weiterer Grund, um mein Abenteuer mit Kayla dieses Wochenende abzuschließen. Und dennoch, als ich aus der Tür gehe und zum Flughafen fahre, bin ich mir fast sicher, dass ich es nicht tun werde.
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