Kapitel 1-1

1462 Words
Kapitel 1 Pepper Wenn du acht Wochen in Vegas gebucht bist, dann weißt du, dass deine Karriere einen neuen Tiefpunkt erreicht hat. Ich starre auf die riesige Leuchtreklame mit meinem Namen drauf, als die Limousine beim Bellissimo Casino und Hotel vorfährt. Mir ist völlig egal, dass das Bellissimo das protzigste und angesagteste Casino in Sin City ist; es ist immer noch in Vegas. Jenem Drecksloch, das Darsteller für wenig Stress und schnelles Geld ansteuern. Normalerweise nachdem sie ein Burn-out hatten. Warum zum Teufel bin ich dann hier, zwanzig Monate nach der Veröffentlichung eines Albums und keine vierzehn Stunden nach dem letzten Auftritt einer anstrengenden Tournee? Weil Hugh, mein lausiger Manager, mich verraten hat. Und jetzt stecken meine Eltern, Hugh und ich in einer Zwickmühle, aus der nur ich uns wieder herausholen kann. Anton, mein Bodyguard, steigt zuerst aus und reicht mir höflich die Hand. Ich ignoriere sie –ich bin immerhin dreiundzwanzig und damit in der Lage, alleine aus einem Auto auszusteigen, auch wenn ich die Geste zu schätzen weiß. Ich schiebe mein abgewetztes Paar ziegelroter Doc Martens aus der Tür und steige aus, dann zupfe ich den Rock von meinem knappen Trägerkleid zurecht und ziehe mir die Ohrstöpsel aus den Ohren. Das Album von Radiohead läuft aber weiter. Eine Frau um die vierzig in einem blauen Kleid und High Heels kommt aus der Tür und steuert direkt auf Hugh zu. Hinter ihr steht ein großer, breitschultriger Mann vor der goldgerahmten Tür und beobachtet die Szene. Er beobachtet mich. Das ist nicht ungewöhnlich. Ich bin immerhin ein Pop-Star, aber es ist die Art und Weise, mit der er mich beobachtet, die bei mir die Alarmglocken schrillen lässt. Sein unbeeindruckter, ruhiger Blick und der edle italienische Anzug verraten ihn. Er ist Tony Brando, der Mann, dem ich jetzt gehöre. Ich erkenne ihn wieder. Er war bei meinem Konzert in Vancouver und später in Denver. Er ist der Grund, warum wir hier sind, obwohl ich drei Stunden vorm Totalzusammenbruch stehe, kurz davor bin, meine Stimme zu verlieren, und dringend eine Auszeit brauche. Auch wenn die Mafia nicht wegen einer knappen Million Dollar Schulden hinter mir her wäre, hätte Hugh mich natürlich noch jahrelang weiter schuften lassen. Sobald es um meine Karriere geht, hat ihn mein Wohlbefinden nämlich noch nie besonders interessiert. Und meine Eltern ebenso wenig. Schon vor zwei Jahren hatte ich Hugh gesagt, dass ich eine Pause brauche. Um meine Muse wiederzufinden und jene Musik zu machen, mit der ich berühmt geworden bin. Ich wollte mich in einem Studio verschanzen und mein nächstes Album aufnehmen, was auch die Geldsorgen meiner Eltern lösen würde, nachdem sie letztes Jahr ein paar Fehlinvestitionen getätigt hatten. Aber Hugh hatte einen unbeirrbaren Plan. Einen idiotischen, riskanten Plan, dem meine Eltern und ich blind zugestimmt haben. „Willkommen, Miss Heart. Ich bin Angela Torrino, die Eventmanagerin. Wie Sie sehen können, ist das Bellissimo ihretwegen schon ganz aus dem Häuschen.“ Sie deutet auf die dreißig Meter hohe Neonreklame über der Einfahrt, die mit meinen Namen erstrahlt. Ich schüttele ihre Hand und zwinge mich zu einem Lächeln. Dabei versuche ich nicht auf den Typen im Nadelstreifenanzug zu blicken, der hinter ihr lauert. Hugh kommt angetrottet und übernimmt wie üblich für mich. „Vielen Dank, Miss Torrino.“ Er schüttelt eifrig ihre Hand. „Wenn Sie uns die Bühne zeigen könnten? Dann werden wir die Technik verladen, damit Pepper für ihren Auftritt heute Abend proben kann.“ Richtig. Ich muss proben – jetzt gleich. Ein Tag Pause vor dem nächsten Auftritt würde schließlich einer Sünde gleichkommen. Oder auch nur eine Stunde. Ich folge Hugh und Miss Torrino zum Eingang des Casinohotels und Anton folgt mir leicht zu meiner Linken. Miss Torrino bleibt stehen, um Hugh mit dem imposanten Mann im Eingang bekannt zu machen. Brando ignoriert sie und tritt nach vorne. Für einen fast zwei Meter großen Hünen bewegt er sich überraschend grazil. Sein Blick ist unverhohlen auf mein Gesicht gerichtet, aber ohne den üblichen Fan-Ausdruck. Nein, vielmehr wirkt er wie ein großer böser Wolf, der seine Beute im Blick behält. Sein Blick wandert über meinen Mund, weiter runter zu meinen BH-losen Brüsten und dann auf meine nackten Beine. Dann wandert er gemächlich wieder nach oben, um schließlich auf meinen Augen zu weilen. Ihm gefällt, was er da sieht, da bin ich ziemlich sicher. Aber er wird nicht anzüglich. Das Grinsen auf seinem Mund wirkt eher zufrieden, als wäre ich ein frisch gelieferter, edler Wein, dessen feines Bukett er erstmal genießt. Mein Magen zieht sich zusammen. „Miss Heart, das ist Antonio Brando, einer der Geschäftsleiter hier im Bellissimo“, zwitschert Miss Torrino hinter ihm hervor. Ich würde gerne behaupten, dass sein großes, furchteinflößendes Gesicht ihn hässlich aussehen lässt, aber das wäre gelogen. Selbst mit den hellen Narben an seinem schroffen Kiefer, auf seiner Stirn und der linken Wange sieht er gut aus. Wie eine Art römischer Halbgott, der zur Erde entsandt wurde, um Männer in Stücke zu reißen und Frauen zu erobern, und zwar so lange, bis die einfältige Menschheit komplett gebändigt wurde. Er bietet mir nicht die Hand an. Ich auch nicht. Im Gegenteil; ich werfe ihm meinen gekonnten Fick-dich-Blick zu – einen Blick, den ich normalerweise nur Hugh vorbehalte. „Ich freue mich auf deine Show heute Abend.“ Sein Bariton wummert glatt durch mich hindurch und das Echo hallt zwischen meinen Schenkeln wider. Ich wünschte echt, mein Körper würde nicht derartig auf seine Nähe reagieren, schließlich sollte ich diesen Mann hassen, statt mich zu ihm hingezogen zu fühlen. Aber irgendwie verkörpert er eine gewaltige männliche Kraft; er strahlt ruhiges Selbstvertrauen und Kontrolle aus. Und Gefahr. Ja, eine unterschwellige Gewalt geht von ihm aus und sie jagt mir kalte Schauer über den Rücken. Ich verkneife mir jeglichen Kommentar, denn auf keinen Fall möchte ich mir zwei gebrochene Kniescheiben einhandeln. Und das kommt in diesem Milieu sicherlich vor. Das Bellissimo gehört dem Tacone-Mafiaclan. Abgesehen davon möchte ich nicht, dass er meine Stimme hört. Die ist nämlich fast weg. Ich bin schon seit Wochen krank und ehrlich gesagt bin ich nicht sicher, ob ich diesen letzten Abstecher nach Vegas überhaupt durchhalten werde. Hugh hastet an meine Seite und packt mich auf seine typisch bevormundende Art am Ellbogen. „Komm schon, bringen wir dich zur Bühne, damit du proben kannst. Ich will heute Abend keine Patzer sehen.“ Ich senke den Blick und folge ihm; nicht, weil ich unbedingt meine Show proben muss, sondern weil ich schleunigst Brandos sengendem Blick entkommen will. So schnell wie möglich. Hugh packt fester zu, als wir das Casino durchqueren. „Willst du uns alle umbringen?“, hisst er und sein säuerlicher Kaffee-Atem steigt mir in die Nase. „Ich dachte, dafür hättest du längst gesorgt“, krächze ich so trocken und abgebrüht wie möglich – es ist jener Tonfall, der ihn immer zum Toben bringt. Dann wende ich mich den Bellissimo-Gästen zu, die meinen Namen rufen und Fotos machen. Ich grinse und mache Peace-Zeichen, während wir auf einer langen Parade vom Vordereingang bis zum Konzertsaal laufen, wo mein Tourbus steht. Selbstverständlich konnten wir nicht einfach dort hinten vorfahren, denn Hugh musste allen zeigen, dass eine Berühmtheit im Gebäude ist, um die Show zu hypen. Meine Bandmitglieder und Roadies dagegen gönnen sich den Luxus, in Ruhe durch den Hintereingang hineinzuschlüpfen. Aber ehrlich gesagt macht es mir nichts aus. Ich liebe meine Fans. Sie sind der Grund, warum ich Lieder schreibe. Warum ich singe. Plötzlich schart sich eine Gruppe ungehobelter junger Burschen um mich und macht Selfies. Anton schirmt mich mit seinem Körper ab und sagt ihnen, dass sie zurücktreten sollen, und auf einmal wimmelt es nur so von der Casino-Security, die sich schützend um mich herumstellt. „Keine Ahnung, sie hat nur einen Bodyguard“, spricht einer von ihnen in ein Funkgerät. Dann spricht er weiter: „Alles klar, Tony. Wir bleiben die ganze Zeit bei ihr.“ Tony. Ich drehe mich um und erblicke meinen gewaltigen Aufpasser. Er läuft lässig hinter uns her und bewegt die Lippen, um seinen Leuten Anweisungen zu geben. Unsere Blicke treffen sich und verweilen einen Moment lang. Seine Miene ist düster, vielversprechend. Mein Herz schlägt schneller. Ich will zurückgehen und ihm all die Dinge sagen, die ich draußen runtergeschluckt habe, aber dann kommt es mir vor, als ob die Erde unter meinen Füßen bebt. Wie tektonische Platten, die sich verschieben und neu anordnen. Ich dachte, dass ich mit Vegas schon fertig werden würde. Dass ich mit meinem Engagement im Bellissimo fertig werden würde. Ab nach Vegas, die Schulden tilgen und dann schleunigst wieder verschwinden; meinen Zusammenbruch so lange hinauszögern, bis es vorüber ist. Aber jetzt, nachdem ich Tony Brando kennengelernt habe, ist klar, dass ich mir zu viel vorgenommen habe. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ich diesen Gig mit intakter Seele überstehen werde.
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