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ABIGAIL
Ich hätte die Braut und den Bräutigam dabei beobachten sollen, wie sie vor dem Pfarrer standen und ihre Eheversprechen austauschten. Theresa sah in ihrem weißen Kleid entzückend aus, ihr Gesicht strahlte vor Freude, die von innen heraus zu kommen schien. Sie liebte Emmett, daran hegte ich keinerlei Zweifel. Die Gefühle beruhten auf Gegenseitigkeit, wenn das leichte Zittern in der Stimme des großen Ranchers, als er „Ich will“ sagte, irgendein Hinweis war.
Ich hätte zuschauen sollen, als sie ihren ersten Kuss als verheiratetes Paar austauschten, aber meine Augen lagen auf dem gutaussehenden Duo, Gabe und Tucker Landry. Die Brüder saßen gemeinsam mit einigen der anderen aus Bridgewater auf der anderen Seite des Mittelganges und zwei Reihen vor mir. Ich konnte nicht weiter als bis zu ihren breiten Schultern sehen, aber ihre Haare waren ordentlich frisiert, die Hemden sauber und frisch gewaschen.
Die Möglichkeit, sie für solch lange Zeit anschauen zu können, wurde mir nicht sehr oft geboten und ich seufzte, während ich ihre kantigen Profile bewunderte. Tuckers Gesicht war glattrasiert und Gabes zierte ein gestutzter Bart.
Ich war zwei Jahre lang in Butte gewesen und hatte sie in all dieser Zeit nicht gesehen, zumindest nicht bis zu dem Picknick am Vortag. Mein Interesse an ihnen war nichts, über das ich mit anderen reden könnte. Ich hatte sie kennengelernt, als ich vierzehn gewesen war und zu sagen, dass ich sofort für sie geschwärmt hatte, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Aber sie waren mindestens ein Jahrzehnt älter und auch wenn sie höflich waren, so hatten sie kaum einen Blick für mich übriggehabt. Und daher hatte ich nur von ihnen geträumt, sie aus der Ferne mit den gierigen Augen eines jungen Mädchens beobachtet. Ich hatte niemanden von meinen Gefühlen für sie erzählt. Da es in dieser kleinen Stadt so viele neugierige Nachbarn gab, konnte ich nicht zulassen, dass sie die Wahrheit herausfanden. Ein vierzehnjähriges Mädchen und seine Schwärmerei. Es wäre unglaublich peinlich gewesen.
Aber ich war nicht länger ein Mädchen und mein Interesse an ihnen war in all den Jahren nicht weniger geworden. Ich hatte sie nicht sehr oft gesehen, aber jeden Mann, dem ich begegnete, maß ich an ihnen. Jemanden, der ihnen ebenbürtig war, musste ich erst noch finden. Und jetzt, mit neunzehn, dachte ich auf neue Arten über sie nach. Sexuelle Arten. Verruchte Arten. Unglücklicherweise konnte ich nichts gegen diese…Anziehung, die ich für sie empfand, tun. Ich war keine forsche Frau, wie Tennessee, und ich hatte von ihr gelernt, was passierte, wenn man sich so verhielt. Ich musste meine Rückkehr als zeitlich befristet ansehen, denn ich musste mir mehr Gedanken darüber machen, ihr Leben zu retten, als darüber, wie diese zwei Männer aussahen, die mein Herz zum Stolpern brachten und meine Nippel hart werden ließen.
Aber da sie nun vor mir saßen, ergriff ich diese seltene Gelegenheit. Ich schaute nicht nur. Ich starrte, gaffte sogar und träumte. Träumte, ich würde eines Tages mit ihnen zusammenstehen und Eheversprechen wiedergeben wie Theresa und Emmett.
Ein Landry war blond, der andere dunkel. Einer breit, der andere schmal. Einer sanft, der andere grüblerisch. Ich sollte nicht zwei so unterschiedliche Männer begehren, aber ich tat es. Mein Herz wollte, was mein Herz wollte und das war der Knackpunkt meines Problems. Das Interesse an ihnen war sofort dagewesen, als ich jünger war. Jedes Mal, wenn ich sie seitdem gesehen hatte, hatte es sich angefühlt, als würde mein Herz einen Schlag aussetzen. Und obwohl ich sie so lange nicht gesehen hatte, verspürte ich auch jetzt sofort Verlangen nach ihnen. Intensives Verlangen. Ich hatte noch nie zuvor so etwas gefühlt. Ich konnte sie bewundern, da sie gar nicht schlecht anzusehen waren. Sie waren mehr als gutaussehend. Sie hatten meinen Körper dazu gebracht, ganz heiß zu werden, wann immer sie beim Picknick in meine Richtung geschaut hatten. Sicherlich fühlte sich jede Frau in der Stadt genauso.
Ich wollte spüren, wie weich Gabes Bart unter meinen Fingern war. Ich wollte wissen, wie hart Tuckers sehnige Schultern waren. Ich wollte Gabes tiefe Stimme hören, die mir in mein Ohr flüsterte, wie er mich erobern würde. Ich wollte, dass mich Tuckers breiter Körper unter sich festnagelte. Ich rutschte auf der harten Bank hin und her, da mein Körper vor Verlangen schmerzte, einem Verlangen, das noch nie befriedigt worden war. Und dennoch war ich gewillt, genau das mit den Landry Brüdern zu tun.
Später in jener Nacht hatte ich ständig an sie gedacht. Erst in der Nacht zuvor hatte ich den Saum meines Nachthemdes hochgeschoben, meine Schenkel gespreizt und mich selbst berührt. Ich hatte an ihre großen Hände gedacht und mir vorgestellt, dass ihre Finger in mich glitten und über meine feuchte Spalte. Ich war zum Höhepunkt gekommen, mein Körper angespannt und hinweggespült von l**t, während ich ihre Namen in der Dunkelheit geflüstert hatte. Nein, das war keine Mädchen Schwärmerei. Nicht mehr.
Als ob sie meinen glühenden Blick auf sich spürten, drehten sie ihre Köpfe und starrten mich an. Mich! Gabes dunkle Augen drückten mich förmlich in die Bank, während Tuckers zu meinem Mund sanken. Es war offenkundig und mein Herz setzte einen Schlag aus. Konnten sie sehen, was ich gedacht hatte, als ob es mir ins Gesicht geschrieben stünde? Wussten sie, dass ich sie schon fast verzweifelt wollte? Konnten sie spüren, dass ich sie für meine verruchtesten Fantasien verwendete? Als Tucker zwinkerte, keuchte ich. Ich hoffte, das Geräusch war nicht zu laut, aber nur für den Fall legten sich meine Finger dennoch auf meine Lippen.
James, der neben mir saß, blickte in meine Richtung. Ich schenkte meinem Bruder ein beruhigendes Lächeln, während jeder den Neuvermählten applaudierte, die den g**g hinabliefen.
„Das könntest schon bald du sein“, sagte James über den Lärm hinweg und tätschelte meinen Handrücken.
Für eine Sekunde dachte ich, er bezöge sich auf die Landrys, aber dann fiel mir die Wahrheit wieder ein. Nein, die Lüge. Die Lüge, die ich beim Picknick begonnen hatte. Ich war erst am Tag zuvor aus Butte zurückgekehrt. James hatte mir nicht erlaubt allein zu reisen, weshalb ich nach der Abschlussfeier auf die Familie Smith, eine Familie aus der Stadt, die angeboten hatte, mich zu begleiten, gewartet hatte. Mir wurde bewusst, dass ich, wenn ich alleine gereist wäre, wie ich es gewollt hatte, weit weg von Butte gewesen wäre und das ganze Theater mit Tennessee hätte vermeiden können. Ich hätte nicht lügen müssen, hätte keine Angst um meine Freundin oder sogar James haben müssen. Jetzt musste ich nach Butte zurückkehren. Mit Geld. Irgendwie.
Bis auf Weihnachten war dies das erste Mal, dass ich seit zwei Jahren, seit James mich auf die Schule geschickt hatte, zurückkam. Mit siebzehn war ich weniger damenhaft gewesen, als er es sich gewünscht hatte, was kein Wunder war, wenn man bedachte, dass ich auf einer Ranch aufgewachsen war und er die Rolle der Eltern übernommen hatte. Er hatte gewollt, dass ich mir einen Ehemann anlache, aber ich wusste, meine Narbe würde alle Männer davon abhalten, mir den Hof zu machen. Stattdessen hatte mich die Schule von allen möglichen Verehrern ferngehalten. Deswegen runzelte ich die Stirn über James Kommentar, aber dann erinnerte ich mich.
Die Lüge.
Auf dem Picknick hatten sich die Frauen in meinem Alter alle um den Tisch mit dem Gebäck versammelt und von ihren neuen Ehemännern oder Verehrern erzählt. Anders als sie hatte ich ein behütetes Leben auf der Schule geführt – auf James‘ Beharren hin – und kein Mann, außer dem Klavierlehrer, hatte das Innere des Gebäudes betreten, ganz zu schweigen davon mir den Hof zu machen. Ich konnte nicht über einen Mann sprechen.
Aber ich brauchte einen Grund, damit ich so kurz nach meiner Ankunft wieder nach Butte zurückkehren konnte. Ein Verlobter würde meine Verbindung zur Stadt aufrechterhalten und mir einen Grund geben, warum ich so schnell nach Butte zurückkehren musste, wo ich dann Tennessee retten konnte. Wenn die Krise überstanden war, könnte ich einfach behaupten, dass ich die Vereinbarung beendet hätte. Niemand würde irgendetwas wissen und ich würde nie wieder in diese Stadt zurückkehren müssen.
Da die Frauen unaufhörlich darüber geplappert hatten, wie glücklich sie doch waren, hatte ich die Lüge erzählt – ein Mann in Butte. Sie hatten mich zuerst überrascht und dann glücklich angeschaut. Ich war die Unscheinbare, diejenige, die keine Mutter, keine Schwestern hatte. Ein nichtssagendes Gesicht mit einer unattraktiven Narbe. Ich trug meine Haare in einem einfachen Zopf, trug einfache Kleider. Ich war schüchtern. Die Schule hatte mir beigebracht, ein liebliches Konzert zu geben und ein Mahl für fünfzehn Leute zu planen, aber Männer? Ich hatte keine Ahnung, was ich da tat.
Bis zu diesem Moment war ich nur am Rande der Gruppe gestanden, aber dann hatten sie mich begierig in ihre Mitte gezogen und über den Mann, den ich mir geschnappt hatte, ausgefragt. Ich hatte angenommen, dass sie einen kurzen Kommentar wie „Das ist schön“ abgeben würden und dann wäre alles gut. Ich hatte nicht erwartet, dass sie sich so für mich freuen würden und so neugierig wären. Es war faszinierend, wie die kleine Schwindelei ein Eigenleben entwickelte. Sie hatte sich auf dem Picknick verbreitet und bei Sonnenuntergang glaubte jeder in der Stadt, einschließlich meines Bruders, dass ich einen Verehrer namens Aaron Wakefield hatte. Meine Ausrede, um nach Butte zurückkehren zu können, hatte mehr als Fuß gefasst.
Es fühlte sich bittersüß an, James so glücklich für mich zu sehen, da er mir nur das Beste wünschte, vor allem, dass ich gut heiratete. Seine Freude war allerdings unbegründet und basierte auf einer Lüge und ich sehnte mich danach, ihm die Wahrheit zu erzählen, dass meine Freundin gefangen gehalten wurde und ich Lösegeld für sie auftreiben musste. Aber er würde mich schon bald hassen, weil ich ihn bestehlen musste. Bezüglich eines Verehrers zu lügen, war im Vergleich dazu gar nichts.
Ich sehnte mich danach, ihm von Mr. Grimsby zu erzählen, aber er würde sofort nach Butte reiten und ihm drohen. Mir wäre es lieber, er würde mich hassen, weil ich ihn bestohlen hatte, als dass er von Mr. Grimsby erschossen wurde. Tennessees Vater war kaltblütig erschossen worden. Ich konnte nichts tun, außer James aus der Sache herauszuhalten. Lebendig und wütend war immer noch besser als tot. Damit konnte ich leben. Und dennoch wollte ich auch nicht, dass er mich hasste.
Er war mein einziger Verwandter. Unsere Eltern waren in einem Feuer gestorben, als ich noch klein war – und in dem ich die Narbe erhalten hatte – und er hatte mich ganz allein großgezogen. Ich hatte nichts gesagt, als er eine Ranch gekauft und unseren Wohnort von Omaha hierher verlegt hatte, um von vorne zu beginnen. Ich hatte mich nicht beschwert, als er mich nach Butte auf die Schule geschickt hatte, da er tat, was er für das Beste hielt. Vielleicht wollte er mich damit vor den Blicken derjenigen beschützen, die grausam zu mir waren, die dachten, ich wäre entstellt. Hässlich. Wie es auch Mr. Grimsby gesagt hatte.
Bis ich die Landrys in der Kirche sah. Ihre Augen sorgten dafür, dass ich mich alles andere als hässlich fühlte.
Und als sie über den Kirchhof zu James und mir liefen, wollte ich ihnen erzählen, dass ich frei war, um umworben zu werden, um geliebt zu werden. Ich hatte uns selbst einen Mann in den Weg gestellt und ich sehnte mich danach, ihnen die Wahrheit zu erzählen.
Sie sahen so gut aus, dass ich in Gabes Arme springen und ihn küssen wollte, während Tucker über meinen Rücken streichelte und mir private, sinnliche Worte ins Ohr flüsterte. Ich wollte, dass sie meine Hand packten, mich hinab zum Fluss zogen und mich besinnungslos küssten.