Prolog

257 Words
Prolog Ich war normalerweise sehr vernünftig, sehr rational veranlagt. Da ich bei einer verrückten Tante aufgewachsen war, war mir auch nichts anderes übriggeblieben. Als mein Halloween-Kostüm im Kindergarten die perfekte Imitation eines Tackers gewesen war und nicht die einer Feenprinzessin, hatte ich gewusst, dass irgendetwas faul war. Als ich in der vierten Klasse zwei hartgekochte Eier in gelbgefärbtem Wasser in einem wiederverwendeten Essiggurkenglas als Pausenbrot bekommen hatte, war es an der Zeit gewesen, mir selbst das Pausenbrot zu richten. Dann war da noch der Tanz in der Middleschool, zu dem sie nicht nur als Aufpasserin, sondern auch als Date des Direktors gegangen war. Die beiden waren im Hausmeisterkämmerchen in einer sehr kompromittierenden Lage erwischt worden. Es muss wohl nicht erwähnt werden, dass der Mann nach Florida umsiedelte und ich wusste, dass ich aus der Stadt verschwinden musste. Ich konnte mit Tante Velma nicht mithalten. Zu sagen, dass meine Tante in der Stadt berühmt war – vielleicht wäre berüchtigt ein besseres Wort – war eine Untertreibung. Dass ich als ‘Velma Dinkweilers Nichte‘ bekannt war, nicht als Daphne Lane, sprach Bände über unsere Persönlichkeiten. Das war der Grund, warum ich eines schönen Julitages durchdrehte. Völlig und absolut durchdrehte. Vielleicht fiel der Apfel doch nicht so weit vom Stamm, wie die Leute immer gedacht hatten. Vielleicht hatten mich meine Eltern auf Tante Velmas Türschwelle ausgesetzt, weil sie gewusst hatten, dass ich genauso verrückt werden würde wie sie. Vielleicht war ich nur eine Spätzünderin und musste in meinen Wahnsinn reinwachsen. Was auch immer der Grund war, zurückblickend betrachtet, war Verrücktsein vielleicht doch nicht so schlimm.
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