Wolf und Rotkäppchen

1714 Words
Es war einmal eine süße Dirn, die hatte jedermann lieb, der sie nur ansah, denn sie war wahrlich ein hübscher Anblick. Vor allem die jungen Männer im Dorf konnten sich nicht sattsehen an ihr, aber mehr durften sie nicht. Die Jungfer trug immer ein Käppchen von rotem Samt, das ihr vor Jahren die Großmutter geschenkt hatte. Und weil sie die Großmutter so lieb hatte und ihr die Kappe gefiel, trug sie sie noch heute, obwohl sie längst aus den Kinderschuhen herausgewachsen war. Seitdem aber nannten alle sie das Rotkäppchen.  Eines Tages sprach ihre Mutter zu ihr: »Ich habe gebacken, bringe doch bitte den Kuchen und eine Flasche Wein zur Großmutter. Sie wird sich freuen, hat dich doch schon lange nicht gesehen.« Große Lust hatte Rotkäppchen zwar nicht, aber sie dachte sich, dass ihr die Großmutter auch ein Glas Wein anbieten würde. Und das motivierte sie, den langen Weg durch den Wald auf sich zu nehmen. Denn die alte Frau wohnte weit weg vom Dorf tief im Wald. »Sei vorsichtig, mein Kind!«, mahnte die Mutter noch zum Abschied. »Geh nicht vom Wege ab und lass dich nicht mit Fremden ein!« Die Mutter wusste, wovon sie sprach, denn seit einiger Zeit machte ein Schürzenjäger von sich reden, dem kein Rock heilig war. Man nannte ihn den bösen Wolf und versteckte die Töchter vor ihm. Wie nun Rotkäppchen in den Wald kam, begegnete ihr der Wolf. Rotkäppchen aber kannte ihn nicht und fürchtete sich nicht vor ihm. »Guten Tag, Rotkäppchen!«, sprach er. »Ich kenne dich nicht. Bist du der böse Wolf?« »Nein, ich bin nicht böse! Aber ich weiß, dass manche mich böser Wolf schimpfen. Ich weiß auch nicht, warum! Sag doch einfach Wölfi zu mir …« »Meinetwegen, Wölfi! Woher kennst du mich eigentlich?« »Dich kennt doch jeder! So ein hübsches Mädchen! Sag mal, wohin gehst du so allein durch den dunklen Wald?« »Ich möchte meine Großmutter besuchen, habe hier Kuchen und Wein für sie. Wir hörten, dass sie krank ist, das wird sie hoffentlich wieder auf die Beine bringen.« Da hat der Trick also geklappt, dachte sich Wolf, der die Alte darauf gebracht hatte, ging er doch bei ihr ein und aus. »Deine Großmutter wohnt doch noch ein Stück weiter, in dem Haus unter den drei großen Eichbäumen, bei den Nusshecken?« »Ja, woher weißt du auch das?« »Wir sind gut befreundet, deine Großmutter erzählt viel von dir. Sie wird sich über deinen Besuch sehr freuen.« Und ich erst, mal sehen, ob ich auch zum Zuge komme, sinnierte Rotkäppchens Begleiter, große Lust bekomme ich ja bei diesem Anblick. Das junge, zarte Ding wird mir noch mehr behagen als die Alte. Der Charmeur schlug dem jungen Mädchen vor, noch ein paar Blumen zu pflücken, um der Großmutter ein Sträußchen mitzubringen. Rotkäppchen gefiel der Vorschlag, es dachte bei sich: Das wird ihr Freude machen; es ist so früh am Tag, dass ich doch zu rechter Zeit ankomme. Und so lief sie in den Wald hinein, der abseits vom Wege voller schöner Blumen stand, und brach eine nach der anderen, bis sie einen hübschen Strauß zusammen hatte. Der Wolf aber ging geradewegs zum Haus der Großmutter und fand sie noch im Bett liegend. »Sag mal, Alte, du bist doch nicht wirklich krank, hast das doch nur verbreitet, damit mal wieder jemand außer mir nach dir sieht. Also raus aus den Federn! Ich habe Appetit auf eine ordentliche Pilzpfanne. Nimm deinen Korb und sammle uns schmackhafte Pilze, es ist die rechte Zeit dafür.« Die Großmutter, die es sich mit dem zu ihr manchmal sehr lieben Wolf nicht verscherzen wollte, beeilte sich aufzustehen und tat, was er wünschte. Als sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, ging er zum Bett der Großmutter, fand dort ihr Nachtgewand und die Nachtmütze. Er wollte das Gewand schon antun, überlegte es sich dann aber doch anders und setzte nur die Haube auf, legte sich in das Bett und zog die Vorhänge vor. Rotkäppchen hatte indessen genug Blumen gepflückt, lief zum Haus der Großmutter und trat ein. Es rief: »Guten Morgen!«, bekam aber keine Antwort. Darauf ging es zum Bett und zog die Vorhänge zurück. Da lag die Großmutter und hatte die Haube tief ins Gesicht gesetzt und sah so wunderlich aus. »Ei, Großmutter, was hast du für seltsame Ohren?« »Dass ich dich besser hören kann!« »Ei, Großmutter, was hast du für dunkle Augen?« »Dass ich dich besser sehen kann!« »Ei, Großmutter, was hast du für große, starke Hände?« »Dass ich dich besser packen kann!« »Aber, Großmutter, was hast du für einen so schönen Mund mit vollen Lippen?« »Dass ich dich besser küssen kann!« Und im gleichen Atemzug wurde das unschuldige Mädchen gepackt, aufs Bett heruntergezogen und voller Gier geküsst. Weil das überraschte Rotkäppchen aber seine Großmutter so lieb hatte und ihm das Küssen sehr gefiel, ließ es sich das gefallen, obwohl es sich doch ob ihres Verhaltens arg verwunderte. Ja, es küsste gar noch freudig zurück. Als die Küssenden sich zum Atemholen trennten, schlug der Verführer die Decke zurück, unter der er nackt und voller Erregung lag. »Sieh her, liebes Rotkäppchen, auch ich habe ein Rotkäppchen!« Die naive Maid erkannte zwar nun, dass es nicht ihre Großmutter war, die vor ihr lag, aber die Neugier und ein gewisses Kribbeln, das sie am ganzen Körper spürte, obsiegten. »Oh, was hast du da für eine absonderliche Stabpuppe? Darf ich ihre Kappe mal anfassen?« »Aber gern! Streiche mit deinen Fingern darüber! Wie fühlt sich das für dich an?« »Die rote Haube ist so samtig wie mein Käppchen. Als ob man über das glatte Fellchen eines Mäuschens streichelt. Aber wozu hast du das? Stört der steife Stab nicht beim Schlafen und Laufen?« »Ja, manchmal ist er schon recht störend, dann will ich ihn gern verstecken.« »Wie verstecken?« »Da spiele ich Mäuschen-ins-Loch! Ich zeig’ es dir gern!« »Oh ja! Das will ich sehen!« »Du musst mitspielen! Aber dazu musst du dich auch ausziehen wie ich es schon gemacht habe.« »Wenn du meinst, Wölfi!« Längst hatte sie ihren Begleiter vom Waldweg erkannt und war nun sehr gespannt, was er ihr zu zeigen hätte. Außerdem war sie Spielen gegenüber nie abgeneigt und zog sich also rasch aus. Auf die Bitte des Spielgefährten hin legte sie sich neben ihn ins Bett. »So ist’s gut, gleich verschwindet das Mäuschen im Löchlein. Lass mich zwischen deine Beine legen.« Und so begann das Mäuschen-ins-Loch-Spiel, das die brave Jungfer zwar sehr überraschte, ihr anfangs auch etwas Leid zufügte, ihr dann aber zusehends gefiel. Zumal das Mäuschen immer mal wieder fast herauskam, um dann erneut im Löchlein zu verschwinden. Das Spiel bereitete dem jungen Mädchen schließlich ein nie gekanntes Vergnügen und sie hielt den lieben Wolf ganz fest in ihren Armen. Als das Paar mitten im schönen Spiel war, ging auf einmal die Tür auf und die Großmutter kam herein. Was musste sie erblicken? Da lag ihr Freund, den sie zur Gesellschaft gern im Haus hatte, zwischen den Schenkeln ihrer Enkelin. Ihr Geselle tat sich dort gütlich. Er, den sie gern auch mal in ihrem Bett empfing, denn sie war zwar Großmutter, aber erst Mitte Fünfzig und wusste sehr wohl etwas mit jungem festen Fleisch anzufangen. Da hob ein Geschrei und Gekreisch an, dass die beiden im Bett ihr Spiel abrupt unterbrachen und erschrocken auseinanderfuhren. »Oh je! Oh wei! Was tust du da, Rotkäppchen? Wieso liegst du nackt bei diesem Schlawiner?«, keifte die schwer enttäuschte Frau. Aber Rotkäppchen antwortete empört: »Wieso nackt? Ich habe doch mein Käppchen auf!«  Es halfen keine Beteuerungen, keine Beschwichtigungen, auch die Freude über das Wiedersehen von Rotkäppchen kam bei der Großmutter nicht recht auf. Sie fuhr in ihrer Schimpfkanonade fort und wurde immer lauter, je kleiner sich die Beschuldigten im Bett machten. In dem Moment kam der Jäger am Haus unter den drei großen Eichen vorbei und wunderte sich sehr über den Lärm und das Gekeife im Haus. Wo ihm doch die Hausherrin als sehr angenehm und ruhig in Erinnerung war. Ob ihr etwas zugestoßen ist, fragte sich der gute Mann und schaute ins Haus. Er erkannte Rotkäppchen und auch den Wolf, den er nicht leiden konnte, weil er in seinen Augen zu oft bei der heimlich bewunderten Hausherrin zu Gast war. In ihm sah er auch richtig den Grund für die Aufregung der Frau, die inzwischen in Tränen ausgebrochen war. »Soll ich ihn erschießen?«, fragte der Jäger die Großmutter und legte an. Da warf sich Rotkäppchen vor ihren gerade gewonnenen Geliebten, und auch die Großmutter besann sich und riss das Gewehr nach oben. »Nein, nein!«, riefen alle drei. »Ich liebe meinen Wölfi, tut ihm nichts!«, rief Rotkäppchen ganz aufgelöst. Und ihr Bettgespiele beteuerte, dass er Rotkäppchen ganz, ganz toll mochte und ihr nie ein Leids antun wollte. Die Großmutter beruhigte sich und erinnerte sich an ihre Jugend. »Da ist den beiden wohl ihre Lust und Leidenschaft durchgegangen. Das passiert halt bei den jungen Leuten.« Sie wischte sich die Tränen aus den Augen, nickte dem Jägersmann zu, den sie auf einmal als sehr attraktiv empfand, und meinte: »Ich werde schon darüber hinwegkommen.« »Ganz so geht das aber nicht!«, rief der Mann, der für die rechte Ordnung im Wald zuständig war. »Da muss er Rotkäppchen aber heiraten!« Völlig verblüfft antwortete da Wolf: »Mit Vergnügen! So frisches Fleisch habe ich gern jeden Tag und jede Nacht in meinem Bett. Möchtest du mich heiraten, liebes Rotkäppchen?« Rotkäppchen verstand den Spruch zwar nicht richtig, fand ihn aber witzig und hatte nur noch die Frage im Ohr. »Ja, ich will dich heiraten, lieber Wölfi!« Das Liebespaar zog sich notdürftig etwas über, dann setzten sich alle vier an den Tisch und feierten Verlobung. Kuchen und Wein war ja da. Am Abend lief der Jäger ins Dorf zu den Eltern von Rotkäppchen und verkündete die frohe Botschaft von der Verlobung. Großmutter schlief des Nachts auf dem Sofa und überließ ihr Bett den Verlobten, die hinter zugezogenen Vorhängen ihr Spiel vom Vormittag fortsetzten und zum glücklichen Hohepunkt führten. Auch weitere lustbetonte Spielrunden verkürzten ihnen die Nacht. In den folgenden Wochen fanden die Großmutter und der Jäger, beide in den besten Jahren und zu allerlei Abenteuern aufgelegt, großen Gefallen aneinander. So kam es, dass vier Monate, nachdem Rotkäppchen in den Wald aufgebrochen war, um die Großmutter aufzusuchen, eine Doppelhochzeit stattfand. Die Eltern, die Großmutter, der Jäger, alle erhoben das Glas auf eine glückliche Zukunft und stießen miteinander an – und mit Rotkäppchen natürlich!  
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