Als Jenny zurück in die Stadt fuhr, dämmerte es bereits. Wieder ein erfolgloser Ausflug ohne neue Spuren. Sie hatte noch einen weiteren Stopp vor sich, bevor sie für heute Schluss machen würde.
Als sie in die Stadt fuhr, wurde sie langsamer und hielt nach einem Parkplatz Ausschau. Jetzt, wo der Sommer begann und die Leute in den Urlaub fuhren, waren viele Touristen in der Stadt. Sie atmete erleichtert auf, als sie zwei freie Parkplätze vor dem örtlichen Polizeirevier sah.
Sie betätigte den Blinker und wartete, bis mehrere Autos vorbeigefahren waren, bevor sie auf einen der leeren Plätze fuhr. Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es später war, als sie gedacht hatte. Sie schaltete in den Parkmodus und stellte den Motor ab. Direkt vor sich konnte sie eine Frau hinter dem Schreibtisch erkennen. Es sah so aus, als würde sie sich gerade bereit machen zu gehen.
Ohne zu zögern löste Jenny ihren Sicherheitsgurt und stieß die Autotür auf. Sie hoffte, dass der neue Kommissar, mit dem sie in den letzten Monaten gesprochen hatte, Dienst hatte. Durch das Fenster konnte sie ihn nicht sehen, aber aus einem Büro am Ende des Flurs drang Licht. Sie knallte die Autotür zu, schloss sie ab und ging über den Bürgersteig. Sie stieß die Tür genau in dem Moment auf, als die Frau hinter dem Schreibtisch den Riemen ihrer Handtasche auf ihre Schulter schob.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte die Frau und blickte zu Jenny auf, als sie eintrat.
Jenny lächelte, als sie die Frau von ihrem letzten Besuch wiedererkannte. Sie hoffte, dass Patty sich auch an sie erinnerte. Es dauerte einen Moment, bis sie sie wiedererkannte. Patty warf einen schnellen Blick über ihre Schulter.
„Mike, die Dame mit der vermissten Person ist da“, rief Patty und ging um den Schreibtisch herum. „Er wird gleich bei Ihnen sein. Er telefoniert gerade.“
„Danke“, sagte Jenny mit einem anerkennenden Lächeln, bevor sie zur Seite trat.
„Kein Problem. Ich muss meinen Sohn abholen. Einen schönen Abend noch“, sagte Patty mit einem leichten Lächeln, bevor sie die Tür öffnete und hinausging.
Im Hintergrund konnte Jenny eine leise Männerstimme hören. Sie drehte sich um und ging zum vorderen Fenster, wo sie stehen blieb und auf die Straße hinausstarrte. Sie wollte nicht den Eindruck erwecken, dass sie sein Gespräch belauschte. Sie war so tief in Gedanken versunken, dass sie erst bemerkte, dass er aufgehört hatte, zu telefonieren, als sie seine Stimme hinter sich hörte.
„Guten Tag, Miss Ackerly“, begrüßte Mike Hallbrooks sie mit seiner tiefen angenehmen Stimme.
Jenny drehte sich zu dem großen, gut aussehenden Mann um, der etwa Anfang dreißig sein musste. Mike Hallbrook hatte eine ruhige, gelassene Ausstrahlung, die einen regelrecht fesselte und einem ein Gefühl der Sicherheit vermittelte. Seine unbestreitbar autoritäre Haltung verriet ihr, dass er zwar entspannt wirken mochte, aber immer in Alarmbereitschaft war.
Sie strich sich ein verirrtes Haar hinters Ohr und kaute unschlüssig auf ihrer Lippe herum. Sie fühlte sich ein wenig unwohl, weil sie noch nie so spät hier aufgetaucht war. In einer kleinen Stadt wie Yachats bestand eigentlich kein Bedarf, jemanden mit Mikes Fachwissen nach Feierabend im Dienst zu haben, es sei denn, es ereignete sich ein größeres Verbrechen. Trotzdem musste sie fragen.
Jenny schenkte Mike ein müdes, entschuldigendes Lächeln. Nach einer zehnstündigen Wanderung, auf der sie jeden Winkel entlang des Weges abgesucht hatte, war sie erschöpft und durcheinander. Sie war einfach nur dankbar, dass es ihm nichts auszumachen schien, dass sie so spät noch hier war.
„Hallo, Detective Hallbrook. Danke, dass Sie mich empfangen“, antwortete sie.
Mike Hallbrook nickte. „Jederzeit. Was kann ich für Sie tun?“, fragte er.
Jenny spürte seinen prüfenden Blick. Sie konnte sich vorstellen, was er sah – feuchte und zerknitterte Kleidung, dunkle Ringe unter ihren Augen, vom Wind zerzaustes Haar und gerötete Wangen. Wahrscheinlich sah sie aus, als wäre sie gerade am Strand angespült worden. Mit einem müden Lächeln holte sie Luft und stieß sie dann wieder aus.
„Ich wollte wissen, ob es irgendwelche Neuigkeiten im Fall der vermissten Carly Tate gibt“, sagte sie.
„Nicht seit Sie vor drei Monaten das letzte Mal hier waren“, erwiderte Mike mitfühlend.
„Oh ... Der ... Der Fall ist aber nicht abgeschlossen, oder?“, fragte sie.