Kapitel 4
Peterson fuhr die Straße entlang, nicht zu schnell, nicht zu langsam, zufrieden, dass er das Mädchen endlich wieder in Sichtweite hatte. Endlich hatte er sie gefunden. Da war sie, Rileys Tochter, alleine, auf dem Weg zur Schule, keine Ahnung, dass er sie verfolgte; dass er kurz davor war ihr Leben zu beenden.
Während er sie betrachtete, hielt sie plötzlich an und drehte sich um, als würde sie vermuten, dass sie beobachtete wurde. Sie blieb einen Moment unsicher stehen. Ein paar andere Studenten gingen an ihr vorbei in das Gebäude.
Er hielt am Bordstein, um zu sehen, was sie tun würde.
Nicht, dass das Mädchen an sich für ihn wichtig gewesen wäre. Ihre Mutter war sein eigentliches Ziel. Ihre Mutter hatte seine Pläne durchkreuzt und dafür musste sie bezahlen. Das hatte sie schon, zumindest teilweise - schließlich hatte er Marie Sayles zum Selbstmord getrieben. Aber jetzt würde er ihr das Mädchen nehmen, das ihr am meisten bedeutete.
Mit größtem Vergnügen sah er zu, wie sie sich umdrehte und in die entgegengesetzte Richtung ging. Offensichtlich hatte sie entschieden heute nicht zum Unterricht zu gehen. Sein Herz schlug schneller - er wollte sie sofort packen. Aber er konnte nicht. Noch nicht. Er musste sich selber dazu anhalten geduldig zu sein. Es waren zu viele Leute unterwegs.
Peterson fuhr weiter, einmal um den Block, und zwang sich geduldig zu sein. Er musste ein Lächeln der Vorfreude unterdrücken. Durch das, was er für ihre Tochter geplant hatte, würde Riley auf mehr Weisen leiden, als sie sich vorstellen konnte. Obwohl das Mädchen noch ungelenk und schlaksig aussah, ähnelte sie ihrer Mutter sehr. Das würde es besonders befriedigend machen.
Das Mädchen kam wieder in Sicht, während sie eilig die Straße entlang ging. Er hielt wieder und beobachtete sie für ein paar Minuten, bevor er bemerkte, dass sie die Straße nahm, die aus der Stadt führte. Falls sie alleine nach Hause gehen wollte, dann würde das der perfekte Moment sein, um sie zu schnappen.
Mit klopfendem Herzen fuhr Peterson noch einmal um den Block, um die Vorfreude auszukosten.
Die Leute mussten lernen bestimmte Vergnügen hinauszuzögern. Peterson wusste, wie er genau bis zum richtigen Zeitpunkt warten musste. Verzögerte Befriedigung machte alles noch angenehmer. Er hatte das durch Jahre voller köstlicher, andauernder Grausamkeit gelernt.
So viel, auf das man sich freuen kann, dachte er zufrieden.
Als das Mädchen wieder in Sichtweite kam, lachte Peterson laut auf. Sie versuchte per Anhalter zu fahren. Gott meinte es offenbar heute gut mit ihm. Er schien dazu bestimmt zu sein ihr Leben zu nehmen.
Mit dem freundlichsten Lächeln, das er zu Stande bringen konnte, hielt er neben ihr an.
“Kann ich dich irgendwo hin mitnehmen?”
Das Mädchen lächelte ihn breit an. “Danke. Das wäre super.”
“Wo soll es denn hingehen?” fragte er.
“Ich lebe außerhalb der Stadt.”
Das Mädchen gab ihm die Adresse.
Er sagte, “Da komme ich dran vorbei. Spring rein.”
Das Mädchen setzte sich auf den Beifahrersitz. Mit zunehmender Befriedigung sah er, dass sie sogar die Haselnussbraunen Augen ihrer Mutter hatte.
Peterson drückte den automatischen Knopf, um die Fenster und Türen zu verriegeln. Durch das leise Summen der Klimaanlage bemerkte das Mädchen es nicht einmal.
*
April fühlte ein angenehmes Rauschen von Adrenalin, als sie den Sicherheitsgurt anlegte. Sie war noch nie per Anhalter gefahren. Ihre Mutter würde einen Anfall bekommen, sollte sie es herausfinden.
Natürlich geschah ihr das Recht, dachte April. Es war absolut daneben gewesen sie die Nacht bei ihrem Vater verbringen zu lassen - und das nur wegen der verrückten Idee von ihr, dass Peterson in ihrem Haus gewesen war. Das konnte nicht stimmen, und April wusste es. Auf der Fahrt zu ihrem Vater hatten die zwei Agenten ihr das auch gesagt. So wie die beiden miteinander geredet hatten, schien die ganze Agentur zu denken, dass ihre Mutter eine Schraube locker hatte.
Der Mann sagte, “ Also, was bringt dich nach Fredericksburg?”
April wandte sich ihm zu. Er war ein angenehm aussehender Typ mit einem großen Kinn, wuscheligen Haaren und Bartstoppeln. Er lächelte.
“Schule”, antwortete April.
“Ein Sommerkurs?” fragte der Mann.
“Genau”, sagte April. Sie hatte nicht vor ihm zu sagen, dass sie sich entschieden hatte den Unterricht ausfallen zu lassen. Nicht, dass er wie die Art von Mann aussah, die das nicht verstehen würde. Er schien ganz cool zu sein. Vielleicht hätte er kein Problem damit ihr zu helfen die Autorität ihrer Eltern zu umgehen. Trotzdem war es besser kein Risiko einzugehen.
Das Lächeln des Mannes wurde leicht verschmitzt.
“Und was denkt deine Mutter darüber, dass du per Anhalter fährst?” fragte er.
April spürte, wie sie rot wurde.
“Oh, sie hat kein Problem damit”, log sie.
Der Mann kicherte. Es war kein angenehmes Geräusch. Und plötzlich fiel April etwas auf. Er hatte gefragt, was ihre Mutter dachte, nicht was ihre Eltern darüber dachten. Warum hatte er das so betont?
Der Verkehr war morgens recht dicht um die Schule. Es würde eine Weile dauern nach Hause zu kommen. April hoffte, dass der Mann nicht vorhatte sich den ganzen Weg zu unterhalten. Das könnte schnell peinlich werden.
Aber nach ein paar Straßenblocks in vollkommener Stille, fühlte sich April noch unbehaglicher. Der Mann hatte aufgehört zu lächeln und sah eher grimmig aus. Sie bemerkte, dass alle Türen verschlossen waren. Verstohlen versuchte sie das Beifahrerfenster aufzumachen. Es bewegte sich nicht.
Das Auto hielt hinter eine Reihe von Autos an einer Ampel. Der Mann betätigte den linken Blinker. Panik erfasste April.
“Ähm … wir müssen hier geradeaus”, sagte sie.
Der Mann antwortete nicht. Hatte er sie einfach nicht gehört? Sie brachte nicht die Nerven auf, um noch einmal zu fragen. Außerdem wollte er vielleicht einfach nur eine andere Route nehmen. Aber sie konnte sich keinen Weg denken, auf dem er sie in dieser Richtung nach Hause bringen konnte.
April wusste nicht, was sie tun sollte. Vielleicht um Hilfe schreien? Würde sie jemand hören? Und was wenn der Mann sie einfach nicht gehört hatte? Vielleicht hatte er gar nicht vor ihr etwas anzutun. Das wäre furchtbar peinlich.
Dann sah sie jemanden mit seinem Rucksack über den Schultern den Bürgersteig entlangschlurfen. Es war Brian, ihr quasi fester Freund in letzter Zeit. Sie klopfte laut an das Fenster.
April atmete erleichtert auf, als Brian sich umdrehte und sie sah.
“Willst du mitfahren?” bedeutete sie ihm lautlos.
Brian grinste und nickte.
“Oh, das ist mein Freund”, sagte April. “Können wir anhalten und ihn mitnehmen, bitte? Er ist sowieso gerade auf dem Weg zu meinem Haus.”
Es war eine Lüge. April hatte keine Ahnung, wo Brian gerade hin wollte. Der Mann sah finster aus und grunzte. Er schien nicht glücklich darüber zu sein. Würde er anhalten? Aprils Herz schlug schneller.
Brian sprach in sein Handy, während er auf dem Bürgersteig stand und wartete. Aber er sah direkt auf das Auto und April war sich sicher, dass er den Fahrer deutlich sehen konnte. Sie war froh einen potenziellen Zeugen zu haben, nur für den Fall, dass der Mann etwas vorhatte.
Der Mann betrachtete Brian, und sah deutlich, wie er in sein Handy sprach und zu ihnen sah.
Ohne ein Wort zu sagen, entriegelte er die Türen. April bedeutete Brian hinten einzusteigen, also öffnete er die Tür und setzte sich. Er schloss die Tür als die Ampel umsprang und die Autos wieder anfuhren.
“Danke fürs Mitnehmen”, sagte Brian fröhlich.
Der Mann antwortete nicht. Er blickte weiter finster vor sich her.
“Er bringt uns zu mir nach Hause, Brian”, sagte April.
“Cool”, erwiderte Brian.
April fühlte sich jetzt sicher. Falls der Mann wirklich böse Absichten hatte, würde er wahrscheinlich nicht sie beide entführen. Er würde sie bestimmt direkt nach Hause fahren.
April fragte sich, ob sie ihrer Mutter von dem Mann und ihren Vermutungen über ihn erzählen sollte. Aber das würde bedeuten zuzugeben, dass sie den Unterricht geschwänzt hatte und per Anhalter gefahren war. Ihre Mutter würde ihr bis in alle Ewigkeit Hausarrest verpassen.
Außerdem, dachte sie, konnte der Fahrer nicht Peterson sein.
Peterson war ein psychopathischer Killer, kein normaler Mann, der ein Auto fuhr.
Und Peterson war schließlich tot.