Kapitel 3

1929 Words
Kapitel 3 Riley zögerte einen Augenblick, bevor sie das BAU Gebäude betrat, unsicher, ob sie bereit war jemandem gegenüber zu treten. Sie hatte nicht geschlafen und war erschöpft bis auf die Knochen. Die Angst hatte sie wach gehalten und Adrenalin durch ihre Venen gepumpt, bis nichts mehr übrig geblieben war. Jetzt fühlte sie sich einfach leer. Riley atmete tief durch. Es hilft nichts, da muss ich durch. Sie holte noch einmal tief Luft und ging dann entschlossen durch das geschäftige Gewirr aus FBI Agenten, Spezialisten und anderen Mitarbeitern. Während sie durch das Großraumbüro lief, sahen vertraute Gesichter von ihren Computerbildschirmen auf. Die meisten lächelten, als sie sie sahen, andere gaben ihr ein Daumen-hoch-Zeichen. Langsam war sie froh, dass sie gekommen war. Sie hatte etwas gebraucht, um ihre Stimmung zu heben. “Gute Arbeit mit dem Puppen-Mörder”, sagte ein junger Agent. Riley brauchte einen Moment, bis sie verstand, was er meinte. “Puppen-Mörder” musste der neue Spitzname für Dirk Monroe sein, den Psychopathen, den sie gerade festgenommen hatte. Der Name ergab Sinn. Riley bemerkte außerdem, dass einige Gesichter sie wachsamer beobachteten. Zweifellos hatten sie von dem Zwischenfall des Vorabends in ihrem Haus gehört, da das ganze Team nach ihrem panischen Anruf zur Verstärkung gekommen war. Die fragen sich wahrscheinlich, ob ich wirklich bei Verstand bin, dachte sie. Soweit sie wusste, glaubte absolut niemand in der Agentur, dass Peterson noch lebte. Riley hielt vor dem Schreibtisch von Sam Flores, einem Laborttechniker mit einer dunklen Brille, der an seinem Computer saß. “Haben Sie etwas Neues für mich, Sam?” fragte Riley. Sam sah von seinem Bildschirm auf. “Sie meinen den Einbruch, richtig? Ich habe mir gerade die vorläufigen Berichte angesehen. Ich fürchte wir haben nicht viel. Das Labor hat nichts an den Kieselsteinen gefunden - keine DNA oder Fasern. Auch keine Fingerabdrücke.” Riley seufzte entmutigt. “Lassen Sie mich wissen, wenn sich etwas ändert”, sagte sie und klopfte Flores auf die Schulter. “Ich würde mich nicht darauf verlassen”, sagte Flores. Riley ging weiter zu dem Bereich der von den Senior-Agenten geteilt wurde. Als sie an den kleinen, verglasten Büros vorbeiging, sah sie, dass Bill noch nicht da war. Das war eine kleine Erleichterung, aber sie wusste, dass sie früher oder später über die Spannungen zwischen ihnen reden mussten. Sie kam in ihr eigenes, ordentliches und gut organisiertes Büro und bemerkte sofort, dass sie eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hatte. Sie war von Mike Nevins, dem forensischen Psychiater aus D.C., der von Zeit zu Zeit bei BAU Fällen als Berater tätig war. Über die Jahre war er eine Quelle außergewöhnlicher Einsichten geworden, nicht nur bei ihren Fällen. Mike hatte Riley durch ihre Posttraumatischen Störungen geholfen, nachdem sie von Peterson gefangen und gefoltert worden war. Sie wusste, dass er nachhorchen wollte, ob es ihr gut ging, wie er es so oft tat. Sie wollte ihn gerade zurückrufen, als die breite Form von Spezialagent Brent Meredith in ihrem Türrahmen erschien. Die kantigen Gesichtszüge des Teamleiters, deuteten seine geradlinige Persönlichkeit an. Sein Anblick und seine Anwesenheit beruhigten sie immer. “Willkommen zurück, Agentin Paige”, sagte er. Riley stand auf und schüttelte ihm die Hand. “Danke, Agent Meredith.” “Wie ich höre, hatten Sie ein kleines Abenteuer letzte Nacht. Ich hoffe es ist alles in Ordnung.” “Es geht mir gut, danke.” Meredith sah sie freundlich besorgt an und Riley wusste, dass er sich fragte wie bereit sie für die Arbeit war. “Würden Sie mich für einen Kaffee in den Pausenraum begleiten?” fragte er. “Danke, aber es gibt einige Akten, die ich dringend überprüfen muss. Ein andermal.” Meredith nickte und sagte nichts. Riley wartete darauf, dass er sprach. Er hatte zweifellos gehört, dass sie Peterson als den Eindringling genannt hatte. Er wollte ihr die Möglichkeit geben ihre Meinung zu sagen. Aber sie wusste auch, dass Meredith nicht dazu geneigt sein würde ihr bezüglich Peterson zu glauben. “Nun, dann gehe ich wohl besser”, sagte er. “Lassen Sie mich wissen, wenn Sie Zeit für einen Kaffee oder Mittagessen haben.” “Das mache ich.” Meredith hielt inne und drehte sich noch einmal zu Riley. Langsam und betont sagte er, “Seien Sie vorsichtig, Agentin Paige.” Riley verstand die Bedeutung hinter diesen Worten. Erst kürzlich hatte ein anderer Agent, weiter oben auf der Karriereleiter, sie wegen Ungehorsams suspendiert. Die Beurlaubung war aufgehoben worden, aber ihre Position könnte immer noch heikel sein. Riley spürte, dass Meredith ihr eine freundliche Warnung gab. Er wollte nicht, dass sie etwas tat, was sie in Schwierigkeiten bringen würde. Lautstark zu verkünden, dass Peterson noch lebte und in ihr Haus eingebrochen war, könnte Probleme mit den Agenten geben, die den Fall als abgeschlossen deklariert hatten. Sobald sie alleine war, ging Riley zu ihrem Aktenschrank und zog die dicke Akte über Peterson heraus. Sie legte sie offen auf ihren Schreibtisch und blätterte durch die Seiten, um ihre Erinnerungen an ihren Erzfeind aufzufrischen. Sie fand keine hilfreichen Informationen. Der Mann blieb ein Rätsel. Es hatte nicht einmal Nachweise seiner Existenz gegeben, bis Bill und Riley ihn schließlich gefunden hatten. Es war möglich, dass Peterson nicht einmal sein richtiger Name gewesen war und sie hatten verschiedene Namen gefunden, die mit ihm in Verbindung gebracht werden konnten. Während Riley durch die Notizen blätterte, fand sie Fotos von seinen Opfern - Frauen, die in einem flachen Grab gefunden worden waren. Sie alle hatten Brandmale, die Todesursache war manuelle Strangulation. Riley erschauderte bei der Erinnerung an die großen, kräftigen Hände, die sie gefangen und wie ein Tier eingesperrt hatten. Niemand wusste wie viele Frauen er wirklich getötet hatte. Es könnten noch weitaus mehr unentdeckte Leichen geben. Da Marie und Riley die ersten waren, die die Gefangenschaft überlebt hatten, war bis zu dem Zeitpunkt auch nicht bekannt gewesen, dass er Frauen in der Dunkelheit mit einer Propangasfackel folterte. Und niemand war bereit zu glauben, dass Peterson noch lebte. Die ganze Sache zog sie runter. Riley war dafür bekannt in den Verstand der Mörder blicken zu können - eine Fähigkeit, die ihr manchmal Angst machte. Trotzdem war sie nie in der Lage gewesen sich in Peterson hineinzuversetzen. Sie hatte das Gefühl ihn noch weniger zu verstehen als je zuvor. Er war Riley nie wie ein organisierter Psychopath vorgekommen. Die Tatsache, dass er seine Opfer in flachen Gräbern platzierte, deutete auf das Gegenteil hin. Er war kein Perfektionist. Trotzdem war er sorgfältig genug, um keine Spuren zurückzulassen. Der Mann war wirklich paradox. Sie erinnerte sich an etwas, das Marie kurz vor ihrem Selbstmord gesagt hatte. “Vielleicht ist er wie ein Geist, Riley. Vielleicht ist das passiert, als du ihn in die Luft gejagt hast. Du hast seinen Körper getötet, aber nicht seinen bösen Geist.” Er war kein Geist und Riley wusste es. Sie war sich sicher - sicherer als je zuvor - dass er dort draußen war und sie sein nächstes Ziel. Trotzdem hätte er ein Geist sein können, soweit es sie anging. Niemand sonst schien an seine Existenz zu glauben. “Wo bist du, Bastard?” wisperte sie laut. Sie wusste es nicht und hatte keinen Weg es herauszufinden. Es gab nichts, was sie tun konnte. Sie hatte keine andere Wahl, als es vorerst ruhen zu lassen. Sie schloss die Akte und ordnete sie wieder in ihrem Aktenschrank ein. Da klingelte ihr Telefon. Sie sah, dass der Anruf durch eine Leitung kam, die sich die Spezialagenten teilten. Es war die Leitung, die von der BAU Zentrale genutzt wurde, um Anrufe an die passenden Agenten weiterzuleiten. In der Regel übernahm der Agent den Fall, der zuerst den Hörer abnahm. Riley sah zu den anderen Büros. Niemand sonst schien gerade in seinem Büro zu sein. Die anderen Agenten waren entweder im Pausenraum oder arbeiteten an einem Fall. Riley nahm den Hörer ab. “Spezialagentin Riley Paige. Was kann ich für Sie tun?” Die Stimme am anderen Ende klang gequält. “Agentin Paige, hier ist Raymond Alford, Polizeichef in Reedsport, New York. Wir haben hier ein wirkliches Problem. Wäre es in Ordnung, wenn wir das über einen Video-Anruf besprechen würden? Ich denke, das würde bei der Erklärung helfen. Und ich habe einige Fotos, die sie besser selber sehen sollten.” Rileys Neugier war geweckt. “Natürlich”, sagte sie. Sie gab Alford ihre Kontaktinformationen. Einige Augenblicke später sprach sie mit ihm von Angesicht zu Angesicht. Er war ein schlanker Mann, der älter als sie zu sein schien. Er sah müde und angespannt aus. “Wir hatten hier einen Mord letzte Nacht”, erklärte Alford. “Einen wirklich hässlichen. Lassen Sie mich ein paar Bilder zeigen.” Ein Foto erschien auf Rileys Bildschirm. Es zeigte etwas, das die Leiche einer Frau zu sein schien, die an einer Kette über Bahngleisen hing. Die Leiche war in mehrere Ketten gewickelt und schien seltsam gekleidet zu sein. “Was hat das Opfer an?” fragte Riley. “Eine Zwangsjacke”, sagte Alford. Das überraschte Riley. Sie sah sich das Foto genauer an und fand die Aussage bestätigt. Dann verschwand das Foto und Riley sah sich wieder Alford gegenüber. “Chief Alford, Ich weiß ihren Anruf zu schätzen. Aber warum denken Sie, dass das ein Fall für das BAU ist?” “Das gleiche ist vor fünf Jahren schon einmal passiert”, sagte Alford. Das Bild einer anderen Leiche erschien. Sie war ebenfalls eingekettet und trug eine Zwangsjacke. “Damals war es eine Teilzeit-Mitarbeiterin im Gefängnis, Marla Blainey. Die MO war identisch – außer, dass sie am Flussufer deponiert wurde, nicht aufgehängt.” Alfords Gesicht tauchte wieder auf. “Diesmal ist es Rosemary Pickens, eine örtliche Krankenschwester”, sagte er. “Niemand kann sich ein Motiv denken, für keine der Frauen. Sie waren beide bei allen beliebt.” Alford lehnte sich resigniert in seinem Stuhl zurück und schüttelte den Kopf. “Agentin Paige, meine Leute und ich sind überfordert. Dieser neue Mord muss eine Nachahmung sein, oder es handelt sich um einen Serienmörder. Das Problem ist, beides ergibt keinen Sinn. Wir haben diese Art von Problem nicht in Reedsport. Reedsport ist eine kleine Touristenstadt am Hudson und wir haben nur etwa siebentausend Einwohner. Manchmal müssen wir einen Streit schlichten oder einen Touristen aus dem Fluss fischen. Aber schlimmer wird es hier normalerweise nicht.” Riley dachte darüber nach. Das hörte sich tatsächlich nach einem Fall für das BAU an. Sie sollte Alford direkt an Meredith weiterleiten. Aber Riley schielte zu Merediths Büro und sah, dass er noch nicht zurück war. Sie würde ihn später darüber informieren müssen. In der Zwischenzeit konnte sie ihm vielleicht helfen. “Was waren die Todesursachen?” fragte sie. “Kehle durchgeschnitten, bei beiden.” Riley versuchte ihre Überraschung nicht zu zeigen. Strangulation und stumpfe Gewalteinwirkung waren weitaus üblicher. Das schien ein äußerst ungewöhnlicher Mörder zu sein. Trotzdem war es die Art von Psychopath, die Riley gut kannte. Sie war auf diese Fälle spezialisiert. Es war bedauerlich, dass sie ihre Fähigkeiten bei diesem Fall nicht würde einbringen können. Ihr noch frisches Trauma würde dafür sorgen, dass sie den Fall nicht zugeteilt bekam. “Haben sie die Leiche abgenommen?” fragte Riley. “Noch nicht”, sagte Alford. “Sie hängt noch dort.” “Dann tun Sie es nicht. Lassen Sie sie dort. Warten Sie, bis unsere Agenten da sind.” Alford sah nicht glücklich darüber aus. “Agentin Paige, das wird nicht einfach werden. Sie ist direkt neben den Bahnlinien und kann vom Fluss aus gesehen werden. Und die Stadt kann diese Art von Publicity wirklich nicht gebrauchen. Ich stehe unter enormem Druck.” “Lassen Sie sie dort”, beharrte Riley. “Ich weiß, dass es nicht einfach ist, aber es ist wichtig. Es wird nicht lange dauern. Wir werden noch heute Nachmittag Agenten schicken.” Alford nickte in stummer Zustimmung. “Haben Sie mehr Fotos von den letzten Opfern?” fragte Riley. “Irgendwelche Detailaufnahmen?” “Sicher, ich schicke sie Ihnen.” Riley betrachtete eine Serie von Nahaufnahmen der Leiche. Die örtlichen Polizisten hatten einen guten Job gemacht. Die Fotos zeigten wie eng und aufwendig die Ketten um die Leiche gewickelt waren. Schließlich kam sie zu dem Gesicht des Opfers. Riley spürte wie ihr Herz ihr bis zum Hals schlug. Die Augen des Opfers waren hervorgetreten, ihr Mund durch eine Kette geknebelt. Aber das war nicht, was Riley erschreckte. Die Frau sah aus wie Marie. Sie war älter und schwerer, aber trotzdem hätte Marie ihr wahrscheinlich sehr ähnlich gesehen, hätte sie noch zehn Jahre länger gelebt. Das Bild traf Riley wie ein emotionaler Schlag in den Magen. Es war, als würde Marie aus dem Grab heraus verlangen, dass sie diesen Mörder fasste. Sie wusste, dass sie diesen Fall übernehmen musste.
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