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»Nein!«, stöhnte Destin leise und gequält, als er gegen die lähmenden Erinnerungen ankämpfte, die ihn gefangen hielten.
Er bemühte sich, seinen Geist zu befreien, der zwischen Albträumen und seinem Bewusstsein gefangen war. Nach ein paar Sekunden, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, erwachte er zitternd und atmete tief in seine hungrigen Lungen, bevor er wieder langsam ausatmete. Er hob sich in eine sitzende Position und bemerkte, dass er sich in der Bettdecke verheddert hatte.
Destin wischte sich mit einer Hand über sein schweißbedecktes Gesicht, ehe er zu der Lampe neben sich griff, um sie einzuschalten. Es gab keine. Er brauchte einen Moment, um sich daran zu erinnern, wo er war und daran, dass er mit dem Beleuchtungssystem hier noch immer nicht vertraut war.
Stöhnend lehnte er sich in das Kissen zurück und holte, um sich zu beruhigen, wieder tief Luft, wobei er jeden Atemzug einige Sekunden lang anhielt, bevor er die Luft in einem langsamen, kontrollierten Rhythmus wieder ausstieß. Es war eine Meditationstechnik, die er vor ein paar Jahren gelernt hatte. Er wiederholte sie so lange, bis er spürte, wie sich sein Puls wieder in den normalen Bereich eingependelt hatte.
Ein Blick zur Tür verriet ihm, dass es noch dunkel war. Er seufzte und legte den Arm über die Augen. Er war letzte Nacht viel zu spät ins Bett gekommen, oder sollte er besser sagen, heute Morgen. Leider war es egal, wie viele Stunden Schlaf er bekam, sein Körper war darauf programmiert, früh aufzuwachen.
Destin ließ seinen Arm auf die Seite fallen und starrte an die Decke. Sie war glatt, unbeschädigt und hatte keine ausgebesserten Stellen, Risse oder freiliegende Metallträger. Die Architekten und Ingenieure zu Hause machten langsam Fortschritte, aber zu Hause war es bei Weitem nicht so schön wie auf Rathon, der Heimat der Trivatoren.
Er schob die verhedderte Bettdecke beiseite und rollte sich aus dem Bett. Die Jogginghose, in der er geschlafen hatte, hing tief an seiner schmalen Hüfte. Er fuhr mit einer Hand über seinen flachen Bauch und vergrub seine Zehen in dem weichen Teppich unter seinen Füßen, bevor er mit seinen täglichen Dehnübungen begann.
Die steifen Muskeln in seinem Nacken, seinem Rücken und seinen Schultern wölbten sich, als er versuchte, die Verspannungen zu lockern. Er war vielleicht nicht so großgewachsen wie sein trivatorischer Schwager, aber jahrelange harte Arbeit und gezieltes Training hatten seinen Körper zu einer perfekten Kampfmaschine geformt. Unzählige Narben zierten seinen Körper, und jede einzelne davon zeugte von den Herausforderungen, denen er in den letzten sieben Jahren gegenübergestanden hatte.
Er hob seine Arme und streckte sich, während er die kühle Brise genoss, die durch die offenen Türen hereinwehte und seinen nackten Rücken streichelte. Er konnte den Duft der Blumen riechen, die draußen im Garten blühten, und den salzig-würzigen Geruch des nahegelegenen Ozeans. Er schätzte die Temperatur auf angenehme zwanzig Grad.
Er drehte sich zu den Türen, schloss die Augen und nahm sich damit den Blick auf den Garten, der durch hohe Mauern vor wilden Tieren geschützt wurde. Er neigte den Kopf zur Seite und lauschte dem Geräusch von Wellen, die an das Ufer schlugen. Letzte Nacht war es ein beruhigendes Geräusch gewesen, das ihn in den Schlaf gewogen hatte, aber jetzt klang es unerbittlich und gewalttätig, wie ein Echo des Adrenalins, mit dem er aufgewacht war.
Erneut fuhr Destin mit einer Hand über seinen harten, flachen Bauch. Seine Finger ertasteten eine kaum sichtbare, ungefähr sieben Zentimeter lange Narbe. Sie war noch ziemlich frisch und er hatte sie erhalten, als ein verängstigtes Straßenkind gegen ihn gekämpft hatte, um in ein Gebäude zurückzukehren, das kurz vor dem Einstürzen gewesen war.
Vor zwei Jahren wäre er an so einer Wunde gestorben. Er schuldete Patch, dem trivatorischen Heiler auf der Erde, seinen tiefsten Dank. Patch hatte ihn behandelt, und nach ein paar Wochen Ruhe war Destin wieder so weit hergestellt, dass er den Planeten hatte verlassen können.
Er schüttelte den Kopf und öffnete die Augen. Seine Reise durch den Weltraum zu einem fernen Planeten wäre vor sieben Jahren unvorstellbar gewesen. Es war kaum zu glauben, dass die Erde vor fast einem Jahrzehnt den ersten Kontakt mit Außerirdischen gehabt hatte. Es war für ihn noch viel unglaublicher, dass er sich im Moment auf einem fremden Planeten befand, zumindest bis er sich auf diesem Planeten genauer umgesehen hatte. Zwillingsmonde, dichte Wälder, fliegende Transporter und bizarre Wesen gaben ihm das Gefühl, in einer völlig fremden Realität aufgewacht zu sein.
Destin drehte sich um und machte leise das Bett. Er holte ein schwarzes T-Shirt aus der Schublade und zog es sich über den Kopf. Er machte sich nicht die Mühe, Schuhe anzuziehen, denn er würde sie dort, wo er hinging, nicht brauchen. Wenige Minuten später verließ er leise das Haus, das seiner Schwester Kali und ihrem Amate Razor gehörte.
Er ging durch den Garten zum Tor. Destin tippte den Sicherheitscode in das Bedienfeld und wartete, dass sich das Schloss öffnete, bevor er leise durchschlüpfte. Er stellte sicher, dass das Tor wieder geschlossen und das Sicherheitssystem aktiviert war, bevor er den Weg entlang zum Strand ging. Sowohl Razor als auch Kali hatten ihm eingeschärft, auf den markierten Wegen zu bleiben. Nach seiner Ankunft hier wusste er auch warum. Aus der Luft hatte er einen kurzen Blick auf eines der wilden Tiere, die auf dem Planeten lebten, werfen können und Destin war froh, dass die Wege gegen diese Wesen gesichert waren.
Die Trivatoren glaubten daran, in Harmonie mit den anderen Wesen auf dem Planeten zu existieren, und nutzten nur die Flächen, die sie zum Leben brauchten. Die meisten dieser Wesen waren ziemlich harmlos, aber es gab einige, die extrem gefährlich waren, sowohl für die Trivatoren als auch für ihre Feinde. Eindringlinge, die außerhalb der geschützten Städte landeten, würden sich diesen Gefahren in den Wäldern aussetzen.
Die Straßen und Gehwege wurden durch speziell in den Boden verlegte Sicherheitseinrichtungen geschützt, in denen die DNA dieser Kreaturen eingespeichert war. Die eingebetteten Sensoren konnten so erkennen, wenn sich ein Tier den markierten Bereichen näherte, und bildeten einen Schutzschild, der es daran hinderte, den Weg zu betreten.
Destin verstand nicht alle Einzelheiten. Er wusste nur, dass er sich nicht mit der Kreatur, die er aus der Luft gesehen hatte, anlegen wollte. Die langen Stoßzähne, die sechs Beine und der massive schuppige Körper waren schon aus der Ferne beängstigend gewesen. Er wollte das wirklich nicht aus der Nähe sehen und war froh, dass die meisten Reisen auf dem Planeten über den Luftweg getätigt wurden.
Die Stadt, die er bei seiner Ankunft gesehen hatte, war großartig. Hohe spiralförmige Türme funkelten mit gedämpften Lichtern, während Transporter über den Boden glitten und durch die Luft flogen. Aus dem Turm, am anderen Ende der Stadt, fiel ein schillernder Wasserfall in den von Trivatoren geschaffenen reflektierenden Teich. Einige der Transporter verschwanden unter dem Becken und tauchten auf der anderen Seite wieder auf. Je mehr er sah, desto größer wurde seine Begeisterung, wenn er über die Möglichkeiten für die Erde nachdachte.
Er blieb oben an den Steinstufen, die in die Seite der Klippe gehauen waren, stehen und blickte auf den weiten Ozean. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber am Horizont war genug Licht, um die Wellen über das Riff brechen zu sehen. Er blieb stehen und genoss die Schönheit und Ruhe der Umgebung.
Destin konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal innegehalten hatte, um die Schönheit von irgendetwas zu bewundern. Tod, Zerstörung, Angst und Verantwortung waren seine ständigen Begleiter gewesen, solange er denken konnte. Er holte noch einmal tief Luft und atmete dann langsam aus.
Diese Art der Zerstörung würde sein Leben nicht mehr länger dominieren. Der erste Kontakt mit den Trivatoren hatte die Erde in ein Chaos gestürzt, aber in den letzten zwei Jahren hatte Destin Veränderungen erkennen können. Es gab immer mehr Fortschritte und der wichtigste Hinweis darauf, dass das Leben besser wurde, war das strahlende Gesicht seiner Schwester Kali. Seine süße Nichte war der lebende Beweis, dass es Hoffnung auf eine Zukunft gab.
Ursprünglich hatte er nicht hierherkommen wollen, aber Kalis stilles Flehen und Tims Zuspruch, dass er sich eine Pause gönnen sollte, hatten ihn überzeugt. Immerhin war Tim sein Stellvertreter und er hatte ihm versichert, dass sein Team die Arbeit, die Destin für den Wiederaufbau eins neuen Chicagos geleistet hatte, sorgfältig überwachen würde. Diese Versicherung, kombiniert mit seiner kürzlichen Begegnung mit dem Tod, hatte Destin an das erinnert, was wichtig war: Familie. Er hatte das Gefühl, wenn er jemals die Chance haben wollte, Kali wiederzusehen und seine Nichte kennenzulernen, sollte er seine Prioritäten neu ordnen. Bis letzte Nacht war er überzeugt davon gewesen, sich richtig entschieden zu haben, aber jetzt, nachdem er gehört hatte, was in einer anderen fremden Welt, Dises V, passiert war, war er sich nicht mehr so sicher.
Destin schüttelte bei dem Gedanken seinen Kopf. Nein, trotz allem, was er jetzt wusste, war er immer noch froh, dass er zu Besuch gekommen war. Kali wiederzusehen und Ami kennenzulernen, gab ihm einen neuen Grund, auf die Erde zurückzukehren und weiter für ein besseres Leben zu kämpfen.
Er konzentrierte sich auf den steinigen Pfad und ging die Stufen hinab. Er musste dringend ein Runde laufen, um seine Gedanken zu ordnen. Außerdem konnte er die letzten Tage, die er hier war, genauso gut genießen. Wenn er auf die Erde zurückkehrte, wartete eine Stadt auf ihn, die wiederaufgebaut werden wollte und viele Feuer, die gelöscht werden mussten.
Unten angekommen, versanken seine Füße in dem feinen, schneeweißen Sand. Er begann zügig den langen, schmalen Strand entlang der Klippen zu laufen. Für einen kurzen Moment konnte er sich in der Schönheit seiner Umgebung verlieren und die Gedanken an seine Albträume durch Träume von etwas Besserem ersetzen. Er konnte vom Wiederaufbau seiner Stadt träumen, und vielleicht davon, jemanden zu finden, mit dem er alles teilen konnte.