Kapitel 2

1223 Words
Kapitel 2 “Es wurde für sie mit jedem Tag schlimmer,” sagte Sam Flores und zeigte ein weiteres, entsetzliches Foto auf einem riesigen Multimedia Bildschirm, der über dem Konferenztisch hing. “Bis zu dem Moment in dem er sie getötet hat.” Bill hatte sich so etwas schon gedacht, aber er hasste es in so einem Fall recht zu behalten. Das Büro hatte die Leiche zum BAU in Quantico gebracht, forensische Mitarbeiter hatten Fotos gemacht und im Labor waren alle nur erdenklichen Tests gestartet worden. Flores, ein Labormitarbeiter mit einer schwarzen Brille, zeigte die grausige Präsentation und die riesigen Detailaufnahmen waren eine furchteinflößende Präsenz im BAU Konferenzraum. “Wie lange war sie tot, bevor sie gefunden wurde?” fragte Bill. “Nicht lange,” erwiderte er. “Vielleicht seit dem frühen Abend davor.” Neben Bill saß Spelbren, der mit ihm von Yarnell nach Quantico geflogen war. Am Kopfende saß Spezialagent Brent Meredith mit seinem immer ernsten Gesichtsausdruck. Nicht, dass Bill von ihm eingeschüchtert war – im Gegenteil. Er dachte dass sie viel gemeinsam hatten. Sie waren beide erfahrene Agenten und hatten beide schon so gut wie alles gesehen. Flores zeigte Detailaufnahmen der Wunden des Opfers. “Die Wunden auf der linken Seite sind älter,” sagte er. “Die auf der Rechten frischer, einige Stunden oder Minuten bevor er sie mit der Schleife erwürgt hat. Es scheint als wäre er während der Woche, in der er sie gefangen hielt, kontinuierlich gewalttätiger geworden. Es ist möglich, dass der Bruch des Arms die letzte Verletzung war, die er ihr vor ihrem Tod zugefügt hat.” “Die Wunden sehen mir nach der Arbeit eines Einzeltäters aus,” bemerkte Meredith. “Ausgehend von dem ansteigenden Grad der Aggression vermutlich männlich. Was haben Sie noch?” “Die leichten Stoppeln auf ihrem Kopf deuten darauf hin, dass sie zwei Tage vor ihrem Tod geschoren wurde,” fuhr Flores fort. “Die Perücke wurde aus verschiedenen Perücken zusammengenäht, alles billiges Material. Die Kontaktlinsen wurden vermutlich online geordert. Und noch etwas,” sagte er und schaute zögernd in die Runde. “Er hat sie von Kopf bis Fuß mit Vaseline eingeschmiert.” Bill konnte spüren, wie sich die Anspannung im Raum verstärkte. “Vaseline?” fragte er. Flores nickte. “Warum?” fragte Spelbren. Flores zuckte mit den Achseln. “Das herauszufinden ist Ihr Job,” erwiderte er. Bill dachte an die beiden Touristen, die er am Tag zuvor befragt hatte. Sie waren ihm keine Hilfe gewesen, hin und her gerissen zwischen einer morbiden Neugier und Panik darüber, was sie gesehen hatten. Sie konnten es nicht erwarten zurück nach Arlington zu kommen und es hatte keinen Grund gegeben sie festzuhalten. Sie waren von verschiedenen Polizeibeamten befragt und anschließend mehrmals darauf hingewiesen worden, nichts über das Gesehene verlauten zu lassen. Meredith atmete aus und legte beide Handflächen auf den Tisch. “Gute Arbeit, Flores,” sagte Meredith. Flores sah ihn bei dem Lob dankbar an – und vielleicht ein wenig überrascht. Brent Meredith war nicht dafür bekannt Komplimente zu geben. “Nun, Agent Jeffreys,” wandte Meredith sich an ihn, “informieren Sie uns darüber, wie das alles mit Ihrem alten Fall in Verbindung steht.” Bill atmete tief durch und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. “Vor etwa sechs Monaten,” fing er an, “am sechzehnten Dezember, um genau zu sein, wurde die Leiche von Eileen Rogers auf einer Farm in der Nähe von Daggett gefunden. Ich wurde zu den Ermittlungen gerufen, zusammen mit meiner Partnerin, Riley Paige. Das Wetter war extrem kalt und der Körper war steif gefroren. Es war schwer zu sagen, wie lange sie schon dort war und der genaue Todeszeitpunkt wurde nie festgestellt. Flores, zeigen Sie es ihnen.” Flores drehte sich wieder zu der Präsentation. Der Bildschirm teilte sich und eine neue Serie von Fotos tauchte auf. Die beiden Opfer wurden Seite an Seite dargestellt. Bill sog scharf die Luft ein. Es war unglaublich. Abgesehen von dem gefrorenen Fleisch des einen Körpers, waren die beiden Leichen in fast der exakt gleichen Verfassung, die Wunden geradezu identisch. Beiden Frauen waren die Augenlider in der gleichen, hässlichen Art und Weise, festgenäht worden. Bill seufzte, die Bilder brachten alles zurück. Egal wie lange er schon dabei war, es schmerzte ihn jedes Mal ein Opfer zu sehen. “Rogers’ Leiche wurde aufrecht sitzend gegen einen Baum gelehnt gefunden,” fuhr Bill mit düsterer Stimme fort. “Nicht ganz so sorgfältig positioniert wie die im Mosby Park. Keine Kontaktlinsen oder Vaseline, aber die meisten der anderen Details stimmen überein. Rogers’ Haare waren abgeschnitten, nicht rasiert, aber es gab eine ähnliche, zusammengenähte Perücke. Sie wurde ebenfalls mit einer pinken Schleife erdrosselt und eine künstliche Rose lag vor ihr.” Bill hielt einen Moment inne. Er hasste, was er als nächstes sagen musste. “Paige und ich konnten den Fall nicht lösen.” Spelbren drehte sich zu ihm. “Was war das Problem?” fragte er. “Was war nicht das Problem?” gab Bill mit einem unnötig abwehrenden Ton zurück. “Wir konnten keinen einzigen richtigen Hinweis finden. Wir hatten keine Zeugen; die Familie des Opfers konnte uns keine hilfreichen Informationen geben; Rogers hatte keine Feinde, keinen Exmann, keinen wütenden Liebhaber. Es gab nicht einen guten Grund, warum sie gekidnappt und getötet wurde. Der Fall ist sofort im Sand verlaufen.” Bill wurde still. Düstere Gedanken fluteten seinen Kopf. “Tun Sie das nicht,” sagte Meredith in einem ungewohnt sanften Ton. “Es war nicht Ihre Schuld. Sie hätten nichts tun können, um den neuen Mord zu verhindern.” Bill wusste seine Freundlichkeit zu schätzen, aber er fühlte sich unglaublich schuldig. Warum hatte er den Fall nicht vorher lösen können? Warum hatte Riley es nicht gekonnt? Es gab wenige Momente, in denen er so vollkommen ratlos gewesen war. In diesem Moment brummte das Handy von Meredith und der Chef nahm den Anruf entgegen. Das erste was er sagte, war “Scheiße!” Er wiederholte es einige Male. Dann sagte er, “Sie sind sich sicher, dass sie es ist?” Er hielt inne. “Gab es eine Lösegeldforderung?” Er stand aus seinem Stuhl auf und verließ den Konferenzraum, wo die anderen drei Männer in verwirrter Stille zurückblieben. Nach ein paar Minuten kam er zurück. Er sah älter aus. “Meine Herren, wir befinden uns jetzt im Krisenzustand,” verkündete er. “Wir haben gerade eine positive Identifikation des neuen Opfers bekommen. Ihr Name war Reba Frye.” Bill fühlte sich, als hätte man ihm einen Schlag in den Magen verpasst; er konnte sehen, dass Spelbren ebenso geschockt war. Aber Flores sah weiterhin verwirrt aus. “Sollte ich wissen, wer das ist?” fragte er. “Ihr Mädchenname ist Newbrough,” erklärte Meredith. “Die Tochter des Senators Mitch Newbrough – wahrscheinlich Virginias nächster Gouverneur.” Jetzt verstand auch Flores. “Ich hatte nicht gehört, dass sie als vermisst galt,” sagte Spelbren. “Es wurde nicht offiziell bekannt gegeben,” sagte Meredith. “Ihr Vater wurde bereits informiert. Und natürlich denkt er, dass es politisch ist oder persönlich – oder beides. Selbst wenn genau das gleiche einem anderen Opfer vor sechs Monaten widerfahren ist.” Meredith schüttelte den Kopf. “Der Senator wird uns Druck machen,” fügte er hinzu. “Eine Presse Lawine ist kurz davor uns zu treffen. Dafür wird er sorgen, um uns Feuer unter dem Hintern zu machen.” Bill hasste es sich zu fühlen, als wäre er mit einer Situation überfordert. Aber das war genau das, was jetzt in ihm vorging. Eine ernste Stille legte sich über den Raum. Schließlich räusperte sich Bill. “Wir werden Hilfe brauchen,” sagte er. Meredith drehte sich zu ihm und Bill traf seinen harten Blick. Plötzlich zeigten sich Sorge und Missbilligung auf seinem Gesicht. Er wusste offensichtlich, was Bill dachte. “Sie ist noch nicht so weit,” antwortete Meredith, dem bewusst war, dass Bill sie zurückbringen wollte. Bill seufzte. “Sie kennt den Fall besser als jeder sonst,” erwiderte er, “und es gibt niemanden, der klüger wäre.” Nach einer Pause gab Bill sich einen Ruck und sagte, was er wirklich dachte. “Ich denke nicht, dass ich es ohne sie schaffe.” Meredith tippte ein paar Mal mit seinem Bleistift auf das Notizpapier vor ihm. Es war ihm anzusehen, dass er diese Entscheidung lieber nicht treffen würde. “Das ist ein Fehler,” sagte er. “Aber wenn sie zusammenbricht, dann ist es Ihr Fehler.” Er seufzte noch einmal. “Rufen Sie sie an.”
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