KAPITEL DREI-2

1645 Words
„Mein Herr, wenn ich beginnen dürfte“, rief Owen aus. „Du darfst. Und fasse dich kurz. Meine Zeit heute ist eng begrenzt.“ „Eure Tochter wird heute zahlreiche Geschenke erhalten, die, wie wir hoffen, ihre Koffer gut gefüllt hinterlassen werden. Die tausenden Menschen, die Tribut zollen, Euch persönlich Geschenke überreichen, und unsere Freudenhäuser und Tavernen füllen, werden unseren Schatzkammern ebenso helfen. Und doch werden die Vorbereitungen für die heutigen Festivitäten auch einen guten Teil der königlichen Kassen leeren. Ich empfehle eine Erhöhung der Steuern für das Volk, und auch für den Adel. Eine einmalige Abgabe, um den Druck dieses großartigen Ereignisses zu lindern.“ MacGil sah die Sorge im Gesicht seines Schatzmeisters, und ihm wurde beim Gedanken an die geleerten Kassen mulmig. Und doch würde er die Steuern nicht noch einmal erhöhen. „Besser arme Kassen und loyale Bürger“, antwortete MacGil. „Unser Reichtum liegt in der Zufriedenheit unserer Untertanen. Wir werden ihnen nicht mehr auferlegen.“ „Aber mein Herr, wenn wir nicht—“ „Es ist beschlossen. Was sonst?“ Owen sank geknickt zurück. „Mein König“, sagte Brom mit seiner tiefen Stimme. „Eurem Befehl folgend haben wir den Großteil unserer Kräfte für das heutige Ereignis am Hof stationiert. Die Machtdemonstration wird beeindruckend sein. Aber es ist eine starke Belastung. Sollte in einem anderen Teil des Königreichs ein Angriff stattfinden, sind wir verletzlich.“ MacGil nickte und dachte darüber nach. „Unsere Feinde werden uns nicht angreifen, während wir sie abfüttern.“ Die Männer lachten. „Was gibt es Neues aus den Hochlanden?“ „Es gibt seit Wochen keine Berichte über irgendwelche Aktivitäten. Es scheint, als hätten ihre Truppen sich in Vorbereitung für die Hochzeit zurückgezogen. Vielleicht sind sie bereit, Frieden zu schließen.“ MacGil war sich da nicht so sicher. „Das bedeutet entweder, dass die arrangierte Vermählung gewirkt hat, oder dass sie abwarten und uns zu einem anderen Zeitpunkt angreifen. Und was denkst du, welche Variante es ist, alter Mann?“, richtete MacGil das Wort an Aberthol. Aberthol räusperte sich und sprach mit rauer Stimme: „Mein Herr, Euer Vater und sein Vater zuvor haben den McClouds nie getraut. Nur weil sie gerade schlafen, bedeutet das nicht, dass sie nicht erwachen werden.“ MacGil nickte; er konnte den Gedanken nachvollziehen. „Und wie steht es mit der Legion?“, fragte er in Kolks Richtung. „Heute haben wir die neuen Rekruten willkommen geheißen“, antwortete Kolk mit einem kurzen Nicken. „Mein Sohn unter ihnen?“, fragte MacGil. „Er steht stolz mit den anderen, und er ist ein feiner Junge.“ MacGil nickte und wandte sich dann an Bradaigh. „Und was gibt es Neues von über dem Canyon?“ „Mein Herr, unsere Patrouillen konnten in den letzten Wochen vermehrt Versuche feststellen, den Canyon zu überqueren. Es könnte Anzeichen geben, dass die Wildlande sich für einen Angriff zusammenraffen.“ Ein unterdrücktes Flüstern kam unter den Männern auf. MacGil spürte, wie sich sein Magen bei dem Gedanken zusammenzog. Das Energie-Schild war unzerstörbar; dennoch war dies kein gutes Zeichen. „Und was, wenn es zu einem Angriff mit voller Kraft kommt?“, fragte er. „Solange das Schild aktiv ist, haben wir nichts zu befürchten. Die Wildlande haben jahrhundertelang erfolglos versucht, den Canyon zu bezwingen. Es gibt keinen Grund, jetzt etwas anderes zu erwarten.“ MacGil war sich da nicht so sicher. Ein Angriff von außen war lange überfällig, und er musste sich fragen, wann es soweit sein würde. „Mein Herr“, meldete sich Firth in seiner nasalen Stimme, „ich fühle mich verpflichtet, hinzuzufügen, dass unser Hof am heutigen Tage mit zahlreichen Würdenträgern aus dem McCloud-Königreich gefüllt ist. Es würde als Beleidigung aufgefasst werden, solltet Ihr sie nicht persönlich begrüßen, Rivalen oder nicht. Ich würde raten, dass Ihr Euren Nachmittag dafür aufwendet, jeden einzeln zu begrüßen. Sie kamen mit großem Gefolge, vielen Geschenken—und, so heißt es, vielen Spionen.“ „Wer sagt, dass die Spione nicht bereits hier sind?“, entgegnete MacGil, Firth dabei genau beobachtend—und fragte sich, wie immer, ob er nicht selbst einer sei. Firth setzte zu einer Antwort an, doch MacGil seufzte und hob eine Hand; er hatte genug. „Wenn das alles ist, werde ich nun gehen und mich zur Hochzeit meiner Tochter begeben.“ „Mein Herr“, sagte Kelvin und räusperte sich, „natürlich wäre da noch eine Angelegenheit. Die Tradition, für den Tag der Vermählung Eurer Ältesten. Jeder MacGil hat einen Nachfolger bestimmt. Das Volk wird von Euch erwarten, dass Ihr dasselbe tut. Es ist in Aufruhr darüber. Es wäre nicht ratsam, es zu enttäuschen. Besonders, da das Schicksalsschwert nach wie vor unbewegt ist.“ „Willst du tatsächlich, dass ich einen Erben nenne, während ich noch bei vollen Kräften bin?“, fragte MacGil. „Mein Herr, ich möchte Euch nicht zu nahe treten“, stammelte Kelvin mit besorgtem Blick. MacGil hob eine Hand. „Ich kenne die Tradition. Und ich werde in der Tat heute jemanden nennen.“ „Würdet Ihr uns bekannt geben, um wen es sich handelt?“, fragte Firth. MacGil starrte ihn entnervt an. Firth war ein Schwätzer, und er traute diesem Mann nicht. „Du wirst die Neuigkeiten erfahren, wenn die rechte Zeit gekommen ist.“ MacGil stand auf, und auch die anderen erhoben sich. Sie verbeugten sich, wandten sich um, und eilten aus dem Raum. MacGil stand nachdenklich da; er wusste nicht, wie lange. An Tagen wie diesem wünschte er sich, nicht König zu sein. * MacGil stieg von seinem Thron herab. Seine Stiefel hallten durch die Stille, als er den Raum durchquerte. Er öffnete die alte Eichentür selbst, zog an der Eisenklinke, und betrat eine Seitenkammer. Er genoss die Ruhe und Abgeschiedenheit in diesem gemütlichen Zimmer, wie schon immer, mit seinen Mauern kaum zwanzig Schritte in jede Richtung voneinander entfernt, und doch mit einer hoch aufragenden, gewölbten Decke. Das Zimmer war zur Gänze aus Stein gefertigt, mit einem kleinen runden Buntglas-Fenster an einer Wand. Licht floss durch seine gelben und roten Glasstücke herein und erleuchtete einen einzelnen Gegenstand in dem ansonsten leeren Raum. Das Schicksalsschwert. Da lag es, im Zentrum der Kammer, waagrecht auf eisernen Stützen ruhend, wie eine Verführerin. Wie er es schon als Junge getan hatte, trat MacGil nahe an das Schwert heran, umkreiste es, untersuchte es. Das Schicksalsschwert. Das Schwert aus Legenden, die Quelle der Macht und der Kräfte seines gesamten Königreichs, von einer Generation zur nächsten. Wer immer die Kraft hatte, es zu erheben, würde der Auserwählte sein, der Eine, dessen Schicksal es war, das Königreich sein Leben lang zu regieren, es von allen Bedrohungen zu befreien, innerhalb wie außerhalb des Rings. Es war wunderbar gewesen, mit dieser Legende aufzuwachsen, und sobald er zum König gesalbt war, hatte MacGil selbst versucht, es zu erheben, da es nur MacGil-Königen gestattet war, es überhaupt zu versuchen. Die Könige vor ihm, jeder Einzelne von ihnen, hatten versagt. Er war sich sicher gewesen, dass er anders sein würde. Er war sich sicher gewesen, dass er der Auserwählte war. Aber er lag falsch. Wie alle anderen MacGil-Könige vor ihm. Und sein Versagen hatte seither einen Schatten über sein Königtum gelegt. Als er es nun betrachtete, untersuchte er seine lange Klinge, aus einem geheimnisvollen Metall gefertigt, das noch niemand entziffern konnte. Der Ursprung des Schwerts war noch rätselhafter; den Gerüchten zufolge stieg es inmitten eines Bebens aus der Erde hoch. Während er es betrachtete, verspürte er erneut den Stich des Versagens. Er mochte ein guter König sein; der Auserwählte war er jedoch nicht. Sein Volk wusste das. Seine Feinde wussten das. Er mochte ein guter König sein, doch egal was er tat, er würde nie der Auserwählte sein. Wäre er es gewesen, so dachte er, hätte es wohl weniger Unruhe an seinem Hof gegeben, weniger Verschwörungen. Seine eigenen Leute würden ihm mehr vertrauen und seine Feinde würden nicht einmal an einen Angriff denken. Ein Teil von ihm wünschte sich, das Schwert möge einfach verschwinden, und die Legende mit ihm. Doch er wusste, das würde nicht geschehen. Darin lag der Fluch—und die Macht—einer Legende. Stärker noch als eine Armee. Als er zum tausendsten Mal darauf starrte, musste MacGil sich wieder einmal fragen, wer es wohl sein würde. Wer in seiner Blutlinie würde bestimmt sein, es zu führen? Als er daran dachte, was vor ihm lag—seine Aufgabe, einen Erben zu nennen—fragte er sich, wer von ihnen, wenn überhaupt, dazu bestimmt war, es zu erheben. „Das Gewicht der Klinge ist schwer“, erklang eine Stimme. MacGil wirbelte herum, überrascht, in dem kleinen Zimmer nicht allein zu sein. Da, in der Tür, stand Argon. MacGil erkannte die Stimme, bevor er ihn sah, und war zugleich verärgert, dass er sich nicht zuvor gezeigt hatte, und erfreut, dass er jetzt bei ihm war. „Du bist spät dran“, sagte MacGil. „Eure Vorstellung von Zeit trifft auf mich nicht zu“, antwortete Argon. MacGil wandte sich wieder dem Schwert zu. „Hast du je gedacht, dass ich es erheben könnte?“, fragte er nachdenklich. „An dem Tag, als ich König wurde?“ „Nein“, antwortete Argon geradeheraus. MacGil blickte zu ihm hinüber. „Du wusstest, ich würde es nicht schaffen. Du hast es gesehen, nicht wahr?“ „Ja.“ MacGil dachte darüber nach. „Es macht mir Angst, wenn du direkt antwortest. Das sieht dir nicht ähnlich.“ Argon schwieg, und schließlich verstand MacGil, dass er nichts weiter sagen würde. „Ich ernenne heute meinen Nachfolger“, sagte MacGil. „Es fühlt sich widersinnig an, an einem solchen Tag einen Erben zu nennen. Es entzieht einem König die Freude an der Vermählung seines Kindes.“ „Vielleicht soll eine solche Freude gedämpft sein.“ „Aber ich habe noch so viele Jahre des Regierens vor mir“, sagte MacGil flehend. „Vielleicht nicht so viele, wie Ihr denkt“, erwiderte Argon. MacGil blickte Argon mit zusammengekniffenen Augen verwundert an. War dies eine Botschaft? Doch Argon fügte dem nichts hinzu. „Sechs Kinder. Welches soll ich wählen?“, fragte MacGil. „Warum fragt Ihr mich? Ihr habt Euch bereits entschieden.“ MacGil sah ihn an. „Du siehst viel. Ja, das habe ich. Und doch möchte ich wissen, was du denkst.“ „Ich denke, Ihr habt weise gewählt“, sagte Argon. „Doch bedenkt: ein König kann nicht aus dem Grabe heraus regieren. Wen Ihr auch glaubt, gewählt zu haben, das Schicksal hat seine Art, selbst zu bestimmen.“ „Werde ich leben, Argon?“, fragte MacGil ernsthaft, stelle die Frage, die er beantwortet haben wollte, seit er in der Nacht zuvor aus einem furchtbaren Alptraum aufgewacht war. „Ich träumte letzte Nacht von einer Krähe“, fügte er hinzu. „Sie kam und stahl meine Krone. Dann trug mich eine Weitere hinfort. Während wir flogen, sah ich mein Königreich unter mir ausgebreitet. Es wurde schwarz, während ich darüberzog. Verdorrt. Eine Wüste.“ Er blickte zu Argon hoch, seine Augen feucht. „War es ein Traum? Oder etwas mehr?“ „Träume sind immer etwas mehr, nicht wahr?“, fragte Argon. Ein ungutes Gefühl ergriff MacGil. „Wo liegt die Gefahr? Verrate mir nur so viel.“ Argon trat nahe an ihn heran und starrte in seine Augen, mit einer Intensität, dass MacGil das Gefühl hatte, als würde er in eine andere Welt starren. Argon lehnte sich vor und flüsterte: „Stets näher, als man denkt.“
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